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Albert Krebs

( Dr. Albert Krebs )
(3. März 1899 in Amorbach - 26. Juni 1974 Hamburg)
Gauleiter der NSDAP in Hamburg, Senatsdirektor der Kulturbehörde
Adresse:
Wirkungsstätte: u.a. Hamburger Öffentlichen Bücherhallen Kohlhöfen 21

Dr. Hans-Peter de Lorent hat über Albert Krebs ein Portrait verfasst, das in Hans-Peter de Lorents Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Band. 3. Hamburg 2019 erschienen und im Infoladen der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg erhältlich ist. Hier der Text:

Über die Komplexität der Entnazifizierungsverfahren
oder
Warum der ehemalige NSDAP-Gauleiter in Hamburg, Dr. Albert Krebs, nach 1945 eine Pension als Senatsdirektor bezog?

Eine erstaunliche Geschichte ist die Biografie von Albert Krebs, der im September 1923 in die NSDAP eingetreten war, ab 1926 als Ortsgruppenleiter und Gauleiter in Hamburg fungierte, während der gesamten NS-Zeit von Reichsstatthalter Karl Kaufmann unterstützt und gefördert wurde, Leiter der Hamburger Bücherhallen und von 1940 bis 1945 Senatsdirektor in der Kulturbehörde war. Krebs, ab 1931 Chefredakteur der NS-Tageszeitung „Hamburger Tageblatt“, hatte im Frühjahr 1932 einen kritischen Artikel gegen das Kabinett von Schleicher veröffentlicht, über den sich Adolf Hitler aufregte und daraufhin Albert Krebs aus der NSDAP ausschloss.
Aber auch danach genoss Krebs noch das Vertrauen und die Unterstützung führender Nationalsozialisten. Später gelang es ihm sogar, einen Mythos um seine Person zu konstruieren, da er mit Personen des 20. Juli 1944 Bekanntschaft pflegte. Dieses nutzte er auch in seinem Entnazifizierungsverfahren. Nach 1945 machte sich Krebs damit interessant, von seinen vielfältigen Kontakten mit Adolf Hitler, Rudolf Heß, Joseph Goebbels und anderen Nazigrößen zu berichten, Geschichten zu erzählen und den Voyeurismus von Lesern zu bedienen. Die Hamburger Schulbehörde schloss sogar mit ihm Werkverträge für die Darstellung seiner Erinnerungen ab.
Eine denkwürdige Karriere.
Albert Krebs wurde am 3.3.1899 in Amorbach im fränkischen Odenwald als Sohn des Oberarchivars Dr. Richard Krebs und seiner Frau Wilhelmine geboren. Er besuchte in seiner Geburtsstadt die evangelische Volksschule und die fünfklassige Lateinschule, wechselte dann 1914 auf das Gymnasium nach Aschaffenburg. Im Frühjahr 1917 machte er das „Notabitur”, meldete sich freiwillig zum Militär und kam nach Zurückstellung wegen seines schwachen Herzens zu den Nachrichtentruppen und 1918 auch noch an die Front. Im März 1919 wurde er aus dem Militär entlassen und begann an der Universität Würzburg ein Studium der Fächer Germanistik, Geschichte, Nationalökonomie und Englisch. Er wechselte noch an die Universitäten Tübingen, Marburg und Frankfurt und war, wir er in seinem parteiinternen Lebenslauf 1940 schrieb, „in verschiedenen Freikorps und Zeitfreiwilligenverbänden“ aktiv. „Bereits 1922 trat ich in Marburg einer getarnten Ortsgruppe der NSDAP bei. Im Frühjahr 1922 promovierte ich zum Dr. phil.; im Herbst 1924 legte ich in Kassel die Mittelschullehrerprüfung ab.“[1] Ein reges Leben.
Davor hatte Albert Krebs an der privaten Höheren Mädchenschule in Amorbach ein halbes Jahr Deutsch und Geschichte unterrichtet, mit gutem Erfolg, wie ihm die Direktorin Sophie Flüchtbauer bestätigte: „Herr Dr. Krebs hat es verstanden, seine Lehrgegenstände in lebhafter, anschaulicher Weise dem Verständnis der Schülerinnen nahezubringen und diese zu selbständigem Denken anzuregen. Seine Erfolge beim Unterricht in meiner Schule waren sehr anerkennenswert. Herr Dr. Krebs hat sich seinen Schülerinnen wie dem Lehrerkollegium gegenüber eines in jeder Beziehung einwandfreien, taktvollen Benehmens befleißigt.“[2]
Aber es war offenbar nicht das Ziel von Albert Krebs, Lehrer zu werden. Im Januar 1925 bewarb er sich um eine Anstellung als Sachreferent in der Abteilung 17 (Volksbürgerliche Erziehung) bei dem völkisch-antisemitisch ausgerichteten Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) im Johannesstift in Spandau. Nach einem Gespräch mit Max Habermann, der noch eine wichtige Rolle in seinem Leben spielen sollte, wurde er angestellt.3 Er war bis zur Auflösung des DHV im Jahre 1934 Referent für Volksbildung und Kultur und kam in dieser Funktion 1926 nach Hamburg, als die Bildungsabteilungen des DHV nach Hamburg verlegt wurden.[4]
Vorher war Albert Krebs am 17.10.1923 Mitglied der NSDAP geworden (Mitgliedsnummer 49 348). Nach Verbot und Neugründung der NSDAP war Krebs am 10.5.1926 erneut in die Partei eingetreten (Mitgliedsnummer 35 589).[5]
In seinem „Memoiren-Buch“, „Tendenzen und Gestalten der NSDAP“, das er 1959 veröffentlichte, beschrieb er den ersten Kontakt zur NSDAP und zu ihrem Hamburger Gauleiter, Josef Klant, und der Hamburger Parteigeschäftsstelle. „Sie befand sich in dem hinteren Teil des Zigarrengeschäfts, das der Gauleiter Klant in der Grindelallee betrieb. Die Einrichtung war denkbar einfach: ein oder zwei Karteikästen, eine Zigarrenkiste als Kasse, ein Wandbord mit alten Flugblättern und vergilbten Werbenummern des ‚Völkischen Beobachters‘.“[6]
Die Aufnahme des Parteigenossen Albert Krebs in die Hamburger Ortsgruppe gestaltete sich schwierig. Klant erklärte: „Er wolle keine neuen Mitglieder mehr, wo die alten schon Verräter seien, schimpfte er leise vor sich hin. Einen Studierten wolle er überhaupt nicht. Und was mir einfiele, so einfach von Berlin nach Hamburg zu kommen und gleich große Reden schwingen zu wollen. – Ich hatte angeboten, auf einem Sprechabend ein Referat über ein sozialpolitisches oder geschichtliches Thema zu halten.“[7] Josef Klant war immerhin seit 1924 Bürgerschaftsabgeordneter in Hamburg gewesen (bis zu seinem Tod 1927).
Als Krebs nach Hamburg kam, änderte sich einiges, das Führerprinzip und die Professionalisierung der NSDAP wurden eingeführt, die Konflikte, insbesondere mit der SA und deren mächtigem Führer, Arthur Böckenhauer, die schon Josef Klant Schwierigkeiten bereitet hatten, blieben.[8]
Im Oktober 1926 stellte Klant sein Amt formell zur Verfügung – von der Ablehnung des Rücktrittsgesuches erhoffte er sich eine Stärkung seiner Position. Die Parteizentrale nahm das Gesuch allerdings an, gleichzeitig wurde der Gau Hamburg aufgelöst und zur Ortsgruppe degradiert. Reichspropagandaleiter Gregor Strasser wurde zur Neuordnung nach Hamburg geschickt. Als Albert Krebs am 4.11.1926 zum Ortsgruppenleiter gewählt worden war, hatte er festgestellt, dass „der Bestand an aktiven Mitgliedern in den vergangenen Monaten auf rund 135 Köpfe zusammengeschmolzen war“.[9]
Mit Gregor Strasser verbanden Albert Krebs seit dieser Zeit enge Kontakte. Strasser, der 1928 zum Reichsorganisationsleiter der NSDAP ernannt worden war und im Laufe der nächsten Jahre immer stärker in eine Konkurrenzsituation zu Joseph Goebbels und Adolf Hitler kam, wurde später, am 30.6.1934 „im Rahmen des so genannten Röhm-Putsches ermordet“.[10]
Albert Krebs war, nachdem die Ortsgruppe dank seiner Arbeit wieder einen Aufschwung erlebt hatte und auf 600 Mitglieder angewachsen war, am 26.2.1928 zum Gauleiter ernannt worden, da Hamburg erneut den Status eines Gaus zugesprochen bekommen hatte. Die Konflikte innerhalb der Hamburger NSDAP waren damit allerdings nicht beendet. Thomas Krause dazu:
„Gauleiter Krebs konnte seine Autorität auf kaum mehr als auf die Erfolge bei der Konsolidierung der Partei und auf seine Gauleiterposition stützen. In erster Linie fehlte ihm eine Hausmacht, so dass sein absoluter Führungsanspruch keine allgemeine Anerkennung fand. Schlimmer noch: in kurzer Zeit hatte sich Krebs in der Bewegung eine Unmenge unversöhnlicher Gegner geschaffen. Einer von vielen Nationalsozialisten dieser Zeit, die das ‚Führerprinzip‘ zwar stets verherrlichten, sich selbst aber nicht beugen mochten, war der SA-Führer Arthur Böckenhauer. Zwischen dem ‚alteingesessenen‘ Parteigenossen Böckenhauer und dem ‚importierten‘ Gauleiter Krebs entwickelte sich Anfang 1928 ein Intrigenkampf, an dessen Ende Böckenhauer ausgeschlossen wurde und Krebs am 1. Mai 1928 gemeinsam mit Geschäftsführer Brinkmann zurücktrat.“[11]
Offiziell wurde die Amtszeit von Albert Krebs im September 1928 beendet. Adolf Hitler setzte dann zum 15.4.1929 Karl Kaufmann als Gauleiter ein. Kaufmann war ein Nationalsozialist der ersten Stunde und hatte sich am 9. November 1923 aktiv am Hitlerputsch beteiligt. 1925 war er mit nur 25 Jahren Gauleiter von Rheinland-Nord geworden. Als Gaugeschäftsführer fungierte Joseph Goebbels, der damals einzige Freund Kaufmanns.[12]
Ich dachte lange Zeit, dass Kaufmann der unmittelbare Nachfolger von Albert Krebs als Gauleiter der NSDAP in Hamburg gewesen sei – daraus hatte ich eine Konkurrenz zwischen beiden abgeleitet. Liest man das Buch von Albert Krebs „Tendenzen und Gestalten“, dann erkennt man aber, dass Krebs den Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann als positive Gestalt erinnert, der ihm zugeneigt war und ihn auch unterstützte und förderte, als Krebs bei Adolf Hitler in Ungnade gefallen war. Der Reihe nach.
Die politischen Aktivitäten von Albert Krebs liefen parallel zu seiner Tätigkeit im DHV. Von Herbst 1928 bis Dezember 1930 war Krebs Hauptschriftleiter der nationalsozialistischen Wochenzeitung „Hamburger Volksblatt“ und der „Hansischen Warte“, vom 1. Januar 1931 an bis zum 16.5.1932 dann Hauptschriftleiter des „Hamburger Tageblatts“.[13]
Im Sommer 1930 hatte Albert Krebs auf Bitten von Karl Kaufmann die Leitung der Betriebszellenorganisation übernommen.[14]
Zum großen Eklat kam es 1932. Krebs hatte sich den Zorn Adolf Hitlers zugezogen, weil er im „Hamburger Tageblatt“ am 18.5.1932 einen Artikel veröffentlichen ließ, in dem General Kurt von Schleicher scharf angegriffen wurde.
Es war eine sensible Zeit im Reichstag und bei Regierungs- und Kabinettsbildungen im Deutschen Reich. Dabei gab es bei den Nationalsozialisten eine große Skepsis gegenüber Kurt von Schleicher wie auch gegenüber Heinrich Brüning. Adolf Hitler hatte auf einer internen Tagung mit Nationalsozialisten, die Presseverantwortung hatten, befohlen, die Sprachregelung über den Umgang mit führenden Politikern ihm und der Parteizentrale zu überlassen und nicht mit Äußerungen vorzupreschen. Das aber war im „Hamburger Tagesblatt“ passiert. Hitler war so verärgert, dass er den alten Kämpfer Albert Krebs, den er seit Jahren kannte, am 20.5.1932 aus der NSDAP ausschloss. In seiner Begründung dafür hieß es:
„In der Pressebesprechung am 21.3.1932 in Berlin habe ich von sämtlichen Schriftleitern der nationalsozialistischen Presse für die kommende Zeit äußerste Zurückhaltung in Äußerungen über Männer des staatlichen Lebens gefordert, mit denen ich in unserem Kampf um die Macht im Staate zu verhandeln habe. Ich wies auf die mustergültige Zucht unserer Presse im Januar hin, die mir damals die Unterhandlungen wegen Verlängerung der Amtszeit des Reichspräsidenten auf parlamentarischen Wege in vorteilhafter Weise zu beendigen ermöglichte. Die gleiche Haltung verlangte ich für die kommende Zeit der Verhandlungen über Regierungsbildungen. Trotz dieser, meiner ausdrücklichen und eindeutigen Anordnung ist es möglich gewesen, dass das unter Ihrer Verantwortung erscheinende ‚Hamburger Tageblatt‘ am Mittwoch, den 18.5.1932 unter der Überschrift ‚Schleicher Wehrminister?‘ einen Aufsatz bringt, dessen zweitletzter Absatz meinen Weisungen und damit den Bestrebungen des Vereins in gerader Linie zuwiderläuft. In Anbetracht Ihrer langen Zugehörigkeit zur Partei und Ihrer früheren Verdienste um sie, will ich genehmigen, dass Sie nach einer angemessenen Frist um Ihre Wiederaufnahme in die Bewegung nachsuchen können.“[15]
Hier ging es um das Führerprinzip. Hitler hatte eine Anweisung gegeben, an die sich in einer sensiblen Frage, nämlich der Regierungsbildung, einer der Schriftleiter einer NS-Zeitung nicht gehalten hatte. Das war unabhängig davon, dass Kurt von Schleicher wenig Sympathisanten und wenig Kredit bei NSDAP-Mitgliedern hatte.
Kurt von Schleicher (1882–1934), deutscher Offizier, General der Infanterie und Politiker, amtierte von Anfang Dezember 1932 bis Ende Januar 1933 als letzter Reichskanzler der Weimarer Republik. Als Vertrauensmann des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg war er maßgeblich am Sturz der Regierung Müller im Frühjahr 1930 und an der Installation der beiden Folgekabinette unter Heinrich Brüning (März 1930) und Franz von Papen (Juni 1932) beteiligt. Nachdem er tatsächlich unter Papen als Reichswehrminister amtiert hatte, folgte er diesem im Dezember 1932 als Kanzler nach. Sein Konzept einer Querfrontregierung unter Spaltung der Nationalsozialisten scheiterte rasch. Die von Schleicher daraufhin angestrebte Auflösung des Reichstages ohne Neuwahlen, also einen Staatsstreich, lehnte Hindenburg ab, woraufhin Schleicher am 28. Januar 1933 demissionierte und sich ins Privatleben zurückzog. Am 30. Januar 1933 wurde an seiner Stelle Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Schleicher wurde anderthalb Jahre später im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches erschossen.[16]
Dies belegt noch einmal, wie sensibel die Situation im Mai 1932 war und dass man auf die Angelegenheit 1934 noch einmal mit anderen Augen sehen konnte.
Erst einmal war Albert Krebs in großer Not gewesen und schrieb am 25.5.1932 an den Leiter des Ordentlichen Parteigerichts der NSDAP, Major Walter Buch, „dass ich meinen Ausschluss aus der Partei als ungerechtfertigt empfinde. Ich habe den, wie ich schon Herrn Adolf Hitler versichert habe, fraglichen Artikel nicht selbst geschrieben und auch nicht einen Augenblick daran gedacht, dass die Politik der Reichsleitung dadurch eine Störung erfahren konnte. Ein besonderer Hinweis darauf, dass Herr Schleicher nicht anzugreifen sei, ist in der Reichspressekorrespondenz nicht erschienen. Geradezu ungeheuerlich empfinde ich den Vorwurf, der in der Verlautbarung der Reichsleitung steht, dass ich ‚innerlich der Partei niemals angehört habe‘. Ich weiß nicht, wer diesen Vorwurf niedergeschrieben hat, bin aber überzeugt, dass der betreffende Herr um recht viele Jahre später als ich in die NSDAP eingetreten ist. Ich bin seit 1923 Parteigenosse, bin wegen meiner Betätigung für die Partei an der Universität Marburg nicht zum Staatsexamen zugelassen worden, ich habe wegen meiner Zugehörigkeit zur Partei eine sehr gute Stellung in Karlsruhe nicht erhalten und habe jahrelang durch meine Arbeit für die Partei alle Aufstiegsmöglichkeiten in meinem eigenen Beruf zerstört. Hätte ich das aus Ehrgeiz getan, dann hätte ich auch jene geschmeidigen Formen gefunden, die meinen jetzigen Ausschluss vermeidbar gemacht hätten, aber ich habe es aus Überzeugung getan, genauso wie ich noch heute überzeugter Nationalsozialist bin. Deswegen empfinde ich jenen Vorwurf als eine ausgemachte Niedertracht.“[17]
Albert Krebs war danach wieder und jetzt konzentriert im Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband (DHV) tätig, Abteilung Schulung.
Nach 1945 arbeitete Krebs erfolgreich an dem Mythos, 1932 von Adolf Hitler persönlich aus der NSDAP ausgeschlossen worden zu sein. Das ist einerseits richtig, auf der anderen Seite genoss Albert Krebs aber weiter die Unterstützung und die Wertschätzung der NSDAP, insbesondere vom Hamburger Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann. Dieser hatte Albert Krebs angeboten, ab dem 1.9.1934 in Hamburg als Direktor der „Öffentlichen Bücherhallen“ eingestellt zu werden. Frank Bajohr hat darauf hingewiesen: „Tausenden sogenannten alten Kämpfern verschaffte Kaufmann Stellungen in der Verwaltung und vor allem bei städtischen Betrieben.“[18]
Im Fall Albert Krebs war es aber noch etwas Besonders, denn die angebotene Stelle war mehr als eine bloße Versorgung, es war ein Karriereschritt und der Beweis, dass Kaufmann von der politischen Loyalität des Albert Krebs überzeugt war.
Krebs, der in all den Jahren seiner politischen Betätigung in der NSDAP einen guten Draht zum „Stellvertreter des Führers“, Rudolf Heß, und auch zu anderen Führungspersonen der NSDAP gehabt hatte, schrieb Heß am 13.4.1934 an, um seine Beförderung in Hamburg abzusichern:
„Der Unterzeichnete hat sich heute um eine Anstellung bei der Landesschulbehörde Hamburg beworben. Da er jedoch annimmt, dass der seinerzeitige Ausschluss aus der Partei zu Schwierigkeiten führen könnte, bittet er die Partei daher ergebenst um eine Stellungnahme. Diese Stellungnahme kann ja vielleicht direkt an die Landesschulbehörde bzw. an den Herrn Reichsstatthalter Kaufmann weiter geleitet werden.“[19]
Und so schrieb die Reichsleitung der NSDAP an den Verbindungsstab der NSDAP bei Minister Rudolf Heß, den Parteigenossen Martin Bormann. Albert Krebs habe mitgeteilt, dass er den Bescheid bekommen habe, „dass das Parteigericht entscheiden wird, ob gegen seine Verwendung in Staatsdiensten irgendwelche Bedenken bestehen oder nicht. Sie würden mir persönlich einen großen Gefallen tun, wenn sie an das Parteigericht München ein paar Zeilen richten würden, um diese Entscheidung zu beschleunigen, damit Herr Dr. Krebs weiß, woran er ist und ob er die ihm angebotene Staatsstellung ablehnen muss oder nicht.“[20]
Daraufhin erklärte der Leiter des Obersten Parteigerichts, Major Walter Buch, dessen älteste Tochter Gerda mit Martin Bormann verheiratet war:
„Dr. Albert Krebs wendet sich mit der Bitte, die Partei möge sein Gesuch um eine Anstellung bei der Landesschulbehörde Hamburg unterstützen, an den Stellvertreter des Führers. Ich bin mit der Bearbeitung seines Schreibens beauftragt worden: Der Ausschluss des Dr. Krebs erfolgte im Mai 1932 im Schnellverfahren auf persönlichen Antrag des Führers bei mir, weil Krebs entgegen einer Anordnung in der Presse einen Aufsatz gebracht hatte und der Führer darum, wie er sich ausdrückte, ,ein Exempel statuieren‘ müsse.
Ich weiß, dass der Führer den Ungehorsam Dr. Krebs schon längst als gesühnt betrachtet und habe daher keinerlei Einwendungen gegen seine Anstellung zu erheben. Ich glaube im Gegenteil, dass der großen Sache immer mehr genutzt wird, wenn wir die Hand eines einmal Gestrauchelten auf seinen Ruf ergreifen und ihm zu der ersehnten Arbeit verhelfen.“[21]
In seinem Memoiren-Buch, 1959, erinnerte Albert Krebs dies ganz anders, bzw. es passte besser in seine Legendenbildung. Da machte er Joseph Goebbels zum Intriganten, der bei Hitler interveniert hätte, in der Hoffnung, damit auch Gregor Strasser als den Inspirator für den beanstandeten Artikel treffen zu können. Bei dem Intrigenspiel innerhalb der NSDAP zu jenem Zeitpunkt denkbar, aber insgesamt eine wilde Konstruktion, denn andererseits behauptete Krebs, Hitler habe ihm erklärt, dass ihm der Ausschluss leid getan habe, obwohl er Krebs frühere „Sünden“ vorgehalten habe, „die Neigung zum Widerspruch, den offenen Widerspruch, den Ungehorsam gegen ergangene Befehle“.[22]
Für mich Legendenbildung, widersprüchlich, weil Krebs in den weiteren Schilderungen sich zum beherzten Kritiker stilisierte. Und dann behauptete er noch, ganz im Gegensatz zur Aussage des Obersten Partei-Gerichtsleiters Walter Buch aus dem Jahre 1934:
„Kurz vor meiner Ernennung zum Senatsdirektor im Frühjahr 1940 stellte der Reichsstatthalter Kaufmann für mich einen Antrag auf Wiederaufnahme in die Partei. Das geschah ohne mein Zutun aufgrund der Hamburger Verordnung, dass jeder Beamte Mitglied der NSDAP sein müsse. Der Antrag wurde von der Parteileitung auf ausdrückliche Weisung Hitlers abgelehnt.“[23]
Sehen wir erst einmal genauer auf den weiteren beruflichen Werdegang von Albert Krebs. Als er am 1.9.1934 Direktor der Öffentlichen Bücherhallen in Hamburg wurde, bekam er von dem ehemals Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband, mittlerweile Deutsche Arbeitsfront, Deutsche Angestelltenschaft, ein sehr positives Zeugnis:
„Herr Dr. Krebs wurde als ein Mitarbeiter von außerordentlich gediegenem Wissen geschätzt, der sich restlos den ihm anvertrauten Aufgaben hingab. Es lag ihm sehr gut, die meist aus praktischer, kaufmännischer Tagesarbeit kommenden Teilnehmer der Lehrgänge durch seine lebendige Darstellungsweise zu fesseln und dabei nachhaltig und zu eigener Weiterarbeit anregend zu sprechen. Wir sehen Herrn Dr. Krebs, der nicht nur ein tüchtiger und fleißiger Mitarbeiter, sondern ebenso sehr ein beliebter Vorgesetzter und guter Kamerad war, nur ungern scheiden.“[24]
Am 1.4.1938 machte Albert Krebs den nächsten Schritt, wieder im Einvernehmen und auf Initiative von Reichsstatthalter und NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann:
„Der Herr Reichsstatthalter hat angeordnet, dass der derzeitige Leiter der Öffentlichen Bücherhallen, Herr Dr. Krebs, als leitender Angestellter bei Herrn Staatsrat Dr. Becker innerhalb der künftigen Verwaltung für Kunst und Kulturangelegenheiten in die Gemeindeverwaltung zu übernehmen ist.“[25]
Der Dienstvertrag zwischen dem Reichsstatthalter und Albert Krebs wurde am 19.4.1938 unterzeichnet.[26]
Am 20. April 1940 erhielt Albert Krebs die Ernennungsurkunde als Senatsdirektor bei der Gemeindeverwaltung der Hansestadt Hamburg „unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit“.[27]
Und am 10.9.1940 wurde Albert Krebs auf die Person vereidigt, über die er später wenig Schmeichelhaftes veröffentlichte: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“[28]
Es kann also überhaupt nicht daran gezweifelt werden, dass Albert Krebs die Unterstützung und den Rückhalt des NSDAP-Gauleiters hatte und ebensowenig daran, dass dies in Übereinstimmung mit der Reichsleitung der NSDAP geschah. In seinem Memoiren-Buch schrieb Albert Krebs dazu:
„Ich empfand es, um es deutlich und anschaulich zu sagen, nicht als Konflikts-Situation, dem Statthalter Kaufmann für die mir nach 1933 gebotene berufliche Hilfe menschlich dankbar zu sein und ihn gleichzeitig als Exponenten des Hitlerstaates von der Widerstandsbewegung her politisch bekämpfen zu müssen. Hätte man mich, wie es nahelag, nach 1933 verfolgt, wäre ich vielleicht auch der Verfolgungs- und Vergeltungspsychose nach 1945 verfallen. Die mir zuteil gewordene Kameradschaft hat mich davor bewahrt. Um der Wahrheit und Gerechtigkeit willen sei dies hier ausgesprochen.“[29] In dieser blumigen Erklärung verdrängt die Legende die Wahrheit.
Am 18.6.1941 teilte Senatsdirektor Albert Krebs mit, dass er ab dem 20.6.1941 zur Propagandaersatz-Kompanie Potsdam, Adolf-Hitler Kaserne, einberufen worden sei.[30]
Krebs wurde als Sonderführer der Propaganda-Abteilung Ostland im Reichskommissariat Ostland (RKO) zugeteilt und übernahm in den Städten Riga und ­Reval den Kulturbereich. Außerdem war er Gebietskommissar des Bezirkes Orscha im Hauptkommissariat Wizebsk, heute im Nord-Osten Weißrusslands.[31]
Mit der Geschichte des „Reichskommissariat Ostland“ haben sich insbesondere auch Historiker aus Schleswig- Holstein beschäftigt, nicht zuletzt deswegen, weil der NSDAP-Gauleiter von Schleswig- Holstein, Hinrich Lohse, als Reichskommissar Ostland die Hauptverantwortung für dieses Unternehmen hatte. Von einer Tagung im Mai 2009 in Flensburg schrieb Armin Nolzen:
„Das Reichskommissariat Ostland (RKO), das wenige Wochen nach dem Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion am 17. Juli 1941 gebildet wurde und Lettland, Litauen und Estland sowie den größten Teil der westlichen weißrussischen Gebiete umfasste, war ein Kernterritorium des Holocaust. Schätzungsweise eine Million Juden wurden dort zwischen Juni 1941 und August 1944 ermordet, darunter mehr als 50.000 aus dem Deutschen Reich in die Ghettos Riga und Minsk Deportierte. Der Massenmord vollzog sich in drei Phasen: der kurzen, etwa zwei Wochen umfassenden Zeitspanne zwischen dem Abzug der Roten Armee und der Errichtung der NS-Zivilverwaltung, als die besetzten Gebiete noch unter Hoheit der Wehrmacht standen, der zweiten Tötungswelle bis zum Winter 1941/42, der die größeren jüdischen Gemeinden zum Opfer fielen, sowie einer dritten Welle des Mordens, die im Frühsommer 1942 anlief und in erster Linie die auf dem Land ansässigen Juden und kleinere Ghettos betraf. Als Täter fungierten Einheiten der Wehrmacht, einheimische Milizen, die später in Hilfspolizei-Verbände überführt wurden, die Einsatzkommandos der Einsatzgruppe A, die von autochthonen Schutzmannschaften unterstützt wurden, und Bataillone der Ordnungspolizei, die aus dem Deutschen Reich in die besetzten Gebiete abkommandiert worden waren. Der Judenmord im RKO war ein arbeitsteiliger Prozess, an dem Militär- und Zivilverwaltung, Polizei und SS und einheimische Verbände beteiligt waren, wenngleich in unterschiedlichem Maße und mit gestuften Verantwortlichkeiten.
Ein Großteil der NS-Vernichtungspolitik im RKO fand unter der Ägide der Zivilverwaltung statt, an deren Spitze der schleswig-holsteinische Oberpräsident und Gauleiter Hinrich Lohse stand. Als Reichskommissar verfügte Lohse über 5.000 zivile Mitarbeiter, die ein Territorium von der Größe der heutigen Bundesrepublik Deutschland mit neun Millionen Einwohnern beherrschten. Viele der leitenden Verwaltungskräfte kamen aus Lohses Heimatgau, so die Abteilungschefs der Behörde des RKO, die in Riga residierte. Von den insgesamt 57 Gebietskommissaren, die die unterste deutsche Verwaltungseinheit im RKO bildeten, stammten immerhin 15 aus Schleswig- Holstein; viele hatten dort Erfahrungen als Kreisleiter der NSDAP gesammelt.“[32]
Nun kann über die konkrete Beteiligung von Albert Krebs an diesen Aktionen nichts gesagt werden. Immerhin war er im Sommer 1941 nach Riga kommandiert worden. Und die Gegend um Riga war das Zentrum der Vernichtungsaktionen. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass Albert Krebs nicht davon gewusst hat oder diese nicht miterlebt hat. Krebs kannte Lohse seit vielen Jahren. Nach Krebs’ Gauleiter-Zeit in Hamburg, hatte Hinrich Lohse vertretungsweise die Gauleitung von Albert Krebs übernommen, bevor Karl Kaufmann in Hamburg eingesetzt wurde. Und Krebs erwähnte Lohse auch in seinen Erinnerungen:
„Wie die meisten Funktionäre, die ihre Autorität mehr aus dem Apparat und ihrer Stellung innerhalb des Apparates als aus dem eigenen Ich empfangen haben, war auch Lohse auf die Wahrung und Erhaltung dieser Autorität sehr bedacht. Mit Eifer sorgte er dafür, dass ihm keiner über den Kopf wuchs oder ihn gar aus seiner Stellung verdrängte. Die Folge war natürlich, wie übrigens in sehr vielen anderen Parteigauen auch, dass das Niveau der Führerauslese und des Führernachwuchses das Niveau ‚Lohse‘ blieb. Was darüber lag, musste entweder freiwillig in den Hintergrund treten und sein Licht unter den Scheffel stellen oder wurde in zahlreichen inneren Auseinandersetzungen in den Hintergrund gedrängt, manchmal auch ganz ausgeschieden.“[33]
Das klang danach, als habe Albert Krebs selbst Erfahrungen mit Hinrich Lohse gesammelt, der auch ihn klein halten wollte. Interessant ist, dass Krebs, der in seinen Memoiren sonst sehr plauderwillig ist, mit einem dürren Satz Lohses Beauftragung als Reichskommissar in Riga erwähnt:
„So kam bezeichnenderweise im Herbst 1941 Lohse als Reichskommissar nach Riga mit einem Stab von Mitarbeitern, die beinahe durchweg aus den Reihen der alten und ältesten Parteigenossen stammten. Hätten sie neben dieser Qualifikation auch noch über eine Fülle sachlicher Qualitäten verfügt, so wäre nichts einzuwenden gewesen. Leider war das jedoch infolge der unseligen Personalpolitik nur in sehr geringem Maße der Fall.“[34] Kein Wort darüber, was der Reichskommissar Hinrich Lohse in Riga gemacht hatte oder seine unqualifizierten Mitarbeiter. Und insbesondere keine Aussage darüber, dass auch Albert Krebs dort eingesetzt worden war und was er dort getrieben hatte.
Laut Personalakte wurde Albert Krebs am 31.7.1942 uk-gestellt und kehrte nach einem Jahr wieder an seinen Arbeitsplatz in der Kulturbehörde zurück. Zum 28.4.1943 wurde Krebs darüberhinaus die Verantwortung für alle Bibliotheken der Freien und Hansestadt Hamburg übertragen, und von Senator Becker hatte er am 16.8.1943 zusätzlich den besonderen Auftrag bekommen, „unersetzliches hamburgisches Kulturgut sicherzustellen“.[35]
Zur Legendenbildung gehört aus meiner Sicht auch, dass Albert Krebs engste Kontakte zu Personen unterhielt, die den Umsturz planten und das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 vorbereiteten. In Wikipedia wird sogar behauptet, dass Krebs nach dem Scheitern des Attentats am 20. Juli 1944 „untertauchen musste“.[36]
Dies soll im Kontext seiner Entnazifizierung noch genauer untersucht werden. Von Untertauchen kann aus meiner Sicht keine Rede sein. Er war für die Kulturbehörde zur „Sicherstellung unersetzlichen Kulturgutes“ beauftragt und vielfach unterwegs. Am 19.4.1945 wurde er zum Volkssturm eingezogen, meldete sich im Juni 1945 krank mit einem Zwölffingerdarmgeschwür und schrieb am 26.5.1945 aus der Kulturbehörde als Senatsdirektor an Bürgermeister Rudolf Petersen:
„Sehr geehrter Herr Bürgermeister! Leider ist es mir bei der letzten Besprechung infolge der kurzen Zeit nur möglich gewesen, sachliche Fragen anzusprechen. Es wäre aber wohl notwendig gewesen, auch eine persönliche Angelegenheit zu behandeln. Ich weiß nicht, ob Sie, sehr geehrter Herr Bürgermeister, wissen, dass ich von 1923 bis 1932 Mitglied der NSDAP und in bestimmten Zeitabschnitten Gauleiter und Hauptschriftleiter der Parteizeitungen gewesen bin. Zwar wurde ich dann im Mai 1932 wegen ‚Ungehorsams und Widerspruchs‘ von Hitler persönlich ausgeschlossen; trotzdem wäre es denkbar, dass Sie diese Tatsache als Belastung empfinden oder eine weitere Klarstellung für erforderlich halten. Darum halte ich es für meine Pflicht, um dem Vorwurf der Unaufrichtigkeit zu entgehen, die Angelegenheit anzusprechen, und stehe Ihnen für etwaige Fragen zur Verfügung.“[37]
Das war der Auftakt für die Legendenbildung des Albert Krebs.
Erst einmal führte es zu nichts, Krebs wurde am 25.7.1945 vom Dienst suspendiert und später verhaftet und bis Juli 1946 in Neuengamme interniert.[38]
Am 25.8.1945 wurde Krebs auf Anordnung der Britischen Militärregierung aus dem Beamtenverhältnis entlassen.[39]
Vorausgegangen war ein Vermerk: „Dr. Krebs war, wie er in seinem Briefe vom 26.5.1945 an Herrn Bürgermeister Petersen mitteilt, von 1923 bis 1932 Mitglied der NSDAP und in bestimmten Zeitabschnitten Gauleiter. Er wurde 1932 von Hitler aus der Partei ausgeschlossen, aber durch dessen Fürsprache als bevorzugt Beförderter nach kurzer Dienstzeit in die höchsten Stellungen der Kulturverwaltung (so wurde er vom Angestellten der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen, ohne die Stufen des Regierungsrats und des Oberregierungsrats durchlaufen zu haben, nach kurzer Zeit zum Senatsrat und dann zum Senatsdirektor befördert!). Er ist zurzeit noch beurlaubt mit Gehalt, seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst ohne Gehalt und Pension muss meines Erachtens jetzt zweifellos vorgenommen werden.“[40]
Nun tauchten Vermerke und Kopien auf, nach denen über Albert Krebs weiter nachgeforscht wurde. Am 10.9.1945 gab es einen Vermerk, Unterschrift: Schumacher, in dem es hieß:
„Dr. Krebs hat anlässlich eines Ausfluges der öffentlichen Bücherhalle Altona den Angestellten Schmidt scharf zurechtgewiesen, als dieser sich ein Glas Bier bestellte, während eine Rede des Führers im Rundfunk übertragen wurde. Er gebrauchte vor versammelter Gefolgschaft die Worte, Schmidt hätte die Rede des Führers verunglimpft. Das war am 2. Mai 1936! Auch sonst ist Dr. Krebs des Öfteren für die Weltanschauung der Nazis eingetreten. Vorstehendes deckt sich aber nicht mit seiner heutigen Darstellung, dass er nach seinem Austritt aus der Partei 1932 auch seinen Glauben abgelegt habe! Vergleiche den beiliegenden Ausschnitt aus der Druckschrift: ‚Hamburg bleibt rot‘, herausgegeben von der NSDAP 1930 Seite 196.“[41] „In Cuxhaven spricht Karl Kaufmann zum ersten Mal am 2. Mai 1930. Dr. Krebs hat nach einer Rede am 18. Mai die erste Gruppe der Hitlerjugend gegründet.“[42]
Nun wandte sich Albert Krebs am 2.11.1945 an Senator Dr. Biermann-Ratjen, der bis Dezember 1945 als Kultursenator in Hamburg eingesetzt war und dieses Amt von 1953 bis 1966 abermals innehatte. Biermann-Ratjen war Notar in Hamburg und bis zur Absetzung durch die Nationalsozialisten 1936 Vorsitzender des Hamburger Kunstvereins gewesen, somit war er in dieser Funktion Albert Krebs vermutlich vielfach begegnet. Krebs beklagte sich bei Biermann-Ratjen, dass nach seiner Entlassung nunmehr auch sein Konto gesperrt worden sei. Er brachte in dem Schreiben zum Ausdruck, dass dies geschehen sei „in einem Augenblick, wo zur Erinnerung an meinen Freund Max Habermann, der zu den Toten des 20. Juli gehört, eine Berliner Straße den Namen Max Habermann-Straße erhielt“.[43]
Ein völlig unvermittelter Zusammenhang, mit dem sich Krebs in die Nähe des antifaschistischen Widerstands rückte. Krebs beklagte in dem Schreiben auch, er halte es nicht für gerechtfertigt, „mich mit allen anderen ehemaligen Nationalsozialisten, die heute gemaßregelt werden, auf eine Stufe zu stellen. Von Konzentrationslagern und Judenpogromen ist vor 1933, also zu dem Zeitpunkt, an dem ich ausgeschlossen wurde, innerhalb der Parteigenossenschaft noch keine Rede gewesen. Überhaupt hat ja die Ideologie der Partei seit 1923 bis 1933 und dann wieder von 1933–1940 eine tiefgehende Wandlung erfahren, was bei der heutigen Beurteilung meistens vergessen wird, was die Mehrzahl der Beurteiler allerdings auch nicht wissen kann.“[44]
Die erste Äußerung im Entnazifizierungsverfahren erfolgte durch den Fachausschuss am 8.8.1946:
„Der Fachausschuss ist der Überzeugung, dass Dr. Krebs als einer der Wegbereiter des Nationalsozialismus angesehen werden muss. Seine Entfernung aus der NSDAP und der Schriftleitung des Hamburger Tageblattes ist kein Beweis, dass er seine Grundeinstellung geändert hat. Die vorliegenden Publikationen beweisen sein grundsätzliches Festhalten an den Ideologien des Parteiprogramms. Der Ausschuss empfiehlt die Entfernung des Dr. Krebs aus seiner Stellung und Verbot jeder publizistischen oder sonstigen öffentlichen kulturellen Tätigkeit.“[45]
Daraufhin entschied die Britische Militärregierung am 13.8.1946, „dass Krebs nicht wieder einzustellen ist“.[46]
Albert Krebs hatte inzwischen den Rechtsanwalt Erich Wandschneider mit seiner Unterstützung beauftragt. Wandschneider argumentierte, dass die Gauleiter-Tätigkeit von Krebs im Jahr 1928 praktisch unbedeutend gewesen sei und stellte auf die grundsätzlichen Divergenzen ab, die Krebs mit maßgeblichen Nationalsozialisten gehabt habe. Zum ersten Mal brachte der Rechtsanwalt angebliche Tagebuchnotizen von Albert Krebs in seinen Schriftsatz ein, die zum Teil später in dessen „Memoiren“ wieder verwendet wurden. Darin Sätze wie:
„21.3.32: Fahrt nach Berlin. Pressebesprechung der Partei im Hotel Kaiserhof. Das Hotel ist in seinem falschen Barockprunk die richtige Umgebung für Hitler. Hitler hält eine große Rede über Propaganda. Offensichtlich setzt er Propaganda gleich Politik, wodurch er zu einer Reihe von Fehlschlüssen kommt.“ Oder:
„1.3.1932: Hitler-Versammlung. Zuerst spricht Kube. Wilde Angriffe gegen den DHV. Dann spricht Hitler: rhetorisch gut, aber ohne eigentlichen politischen Inhalt. Wilde Begeisterung. Zuhörer: Kleinbürger. Bin nach der Versammlung noch eine Weile mit Hitler zusammen, als Reichspräsidenten kann ich ihn mir nicht vorstellen.“[47]
Dann zitierte Wandschneider auch noch das Zusammentreffen von Albert Krebs und Adolf Hitler am 20.5.1932 im Baseler Hof in Frankfurt, wo Hitler ihn aus der Partei ausschloss mit der Bemerkung: „Hitler empfängt mich mit der Erklärung, dass er sich nicht länger seine Politik von seinen Redakteuren vorschreiben lässt. Der Angriff auf Schleicher müsse bei der Reichswehr jedes Vertrauen auf die NSDAP zerstören. Er leite die Politik der Partei. Es tut mir leid (wenigstens zwölfmal). Ich muss ein Exempel statuieren. Offensichtlich hat er ein Komplott vermutet, merkt, dass er sich getäuscht hat und will das, wie alle schwachen Menschen nicht zugeben. Als ich merke, dass er meine Einwendungen nicht hören will, verabschiede ich mich.“[48]
Aussagen aus vermeintlichen Tagebuchnotizen von begrenztem Erklärungswert. Wandschneider zitierte dann noch aus Schreiben von Albert Krebs an seine damaligen nationalsozialistischen Kollegen im DHV:
„Mein Ausschluss ist gerichtet gegen den deutschen Geist der Gewissensfreiheit. Die NSDAP duldet keine Menschen in ihren Reihen, die selbständig denken und den Ergebnissen dieses Denkens Ausdruck zu geben wagen.“[49]
Große Worte, Ausdruck der Enttäuschung und Verbitterung, aber immer auch damit zu konfrontieren, dass Krebs schon zwei Jahre später vom Leiter des Obersten Parteigerichts bescheinigt wurde, „dass der Führer den Ungehorsam Dr. Krebs schon längst als gesühnt betrachte“ und Krebs mit Zustimmung der Reichsleitung der NSDAP von dem Gauleiter der NSDAP in Hamburg in höchste Funktionen der Hamburger Verwaltung gebracht wurde.
Das sah auch der Berufungsausschuss 3 unter Vorsitz von Rechtsanwalt Soll, der eher für milde Beurteilungen bekannt war, in seiner Sitzung am 3. November 1947. So hieß es:
„Es kann nach Auffassung des Berufungsausschusses keinem Zweifel unterliegen, dass Dr. Krebs durch seine lange Zugehörigkeit zur NSDAP von 1932 als geistiger Wegbereiter des Nationalsozialismus anzusprechen ist. Zu seinen Gunsten war hierbei jedoch zu berücksichtigen, dass Dr. Krebs auf dem sozialistischen Flügel der NSDAP stand und dass er sich auch in seinem Einsatz für die NSDAP einwandfrei gehalten hat und keine unlauteren Methoden anwandte. Wenn der Berufungsausschuss Dr. Krebs trotzdem seiner Stellung als Senatsdirektor enthebt, so geschieht dies, weil der Berufungsausschuss der Auffassung ist, dass Dr. Krebs dieses Amt als politisch Verfemter doch nur aufgrund persönlicher Beziehungen zu einflussreichen Nationalsozialisten erlangen konnte, die Dr. Krebs trotz seines Ausschlusses aus der NSDAP auch weiterhin ihre Hilfe zuteil werden ließen.“[50]
Der Berufungsausschuss gestattete Krebs allerdings die Tätigkeit im freien Beruf – mit Ausnahme der reinen journalistischen Tätigkeit. Und er erklärte, dass er einräume, Krebs habe sich an den Vorbereitungen zum 20. Juli 1944 beteiligt.[51]
Dazu hatten Leumundszeugnisse beigetragen, wie zum Beispiel das Schreiben von dem damaligen Gesamt-Vorsitzenden der CDU in Berlin, Jakob Kaiser, der am 22.10.1946 schrieb:
„Dr. Albert Krebs ist mir schon seit den Jahren 1934/35 bekannt. Er stand in engen freundschaftlichen Beziehungen zu meinem Freunde Max Habermann. Bekanntlich gehörten Max Habermann, Wilhelm Leuschner und ich zum engen zivilen Führerkreis der Männer des 20. Juli, deren Opfer meine beiden Freunde auch geworden sind. Von Max Habermann weiß ich, dass Dr. Krebs stets unterrichtet war, dass er sie billigte und durch Rat und Tat stützte, wo immer er konnte.
In den Begegnungen, die Max Habermann zwischen Dr. Krebs und mir herbeiführte, bewies Dr. Krebs durchaus seine Einsicht in die Verderblichkeit des nationalsozialistischen Systems und seine stete Bereitschaft, an der Beseitigung mitzuarbeiten. Ich kann nur wünschen, dass diese seine Haltung überall anerkannt wird, damit ihm weitestgehende Mitarbeit am Wiederaufbau unserer Volksordnung möglich ist.“[52]
Dieses Schreiben von dem Vorsitzenden einer großen Partei im Nachkriegsdeutschland war natürlich von Gewicht. Auch eine andere Leumundsschreiberin, Dr. Karla Eckart, bestätigte, dass Albert Krebs im Frühjahr 1944 Kontakte zu Männern des 20. Juli gehabt habe.[53]
Unstrittig war offenbar, dass Krebs sich in der Kulturbehörde für Personen eingesetzt hatte, die unter Druck gerieten, zum Teil aufgrund ihres jüdischen Hintergrundes. Diese Hilfestellungen von Albert Krebs sagen etwas über seine grundsätzliche menschliche Haltung aus. Auf der anderen Seite führte insbesondere der Fachausschuss Nummer 7 ein grundsätzliches Bedenken gegen Krebs an:
„Der Fachausschuss ist der Auffassung, dass die ausgeübte Funktion eines Gauleiters und Hauptschriftleiters sowie eine tatsächliche zehnjährige Mitgliedschaft in der NSDAP bis zum Ausschluss 1932 ausreichend sind, Herrn Dr. Krebs als Wegbereiter des Nationalsozialismus anzusprechen. Wenn der Ausschluss aus der Partei wegen gröblicher Verstöße gegen die Parteidisziplin erfolgte, so ist damit keineswegs der Nachweis geführt, dass eine Abkehr von seiner nationalsozialistischen Auffassung erfolgt ist. Im Gegenteil hat Herr Dr. Krebs nach seinem Ausschluss aus der Partei erklärt: ‚Ich bleibe Nationalsozialist wie ich es im Anfang meiner politischen Arbeit gewesen bin. Nationalsozialismus ist eine Angelegenheit der Gesinnung und nicht der Organisation.‘ Zu dieser Auffassung bekannte sich Herr Dr. Krebs auch nach seinen Vernehmungen durch den Beratenden- sowie Fachausschuss.
Der Fachausschuss sieht in der Übernahme und bis zum Jahre 1945 ausgeübten Tätigkeit als hoher Staatsbeamter den Beweis, dass die NSDAP und Parteileitung in ihm keinen Gegner gesehen hat. Es soll gar nicht bestritten werden, dass Herr Dr. Krebs in dieser Tätigkeit Handlungen unterstützt hat, welche in der Praxis der Partei widersprachen, selbst wenn als wahr unterstellt wird, was nicht bewiesen ist, dass er an den Vorbereitungen des 20. Juli beteiligt war, ist hiermit in seinem Fall genauso wenig ein Gesinnungswechsel eingetreten, wie etwa bei Graf Helldorf. Die konkreten Fragen zu seiner noch heute vertretenen Auffassung über Demokratie und zur Politik lassen befürchten, dass er, für den Fall, man ließe ihn als Journalist und Publizist arbeiten, eine Gefahr für den Aufbau eines neuen Deutschland bedeutet.“[54]
Klare Worte. Es zeigte sich aber, wie kompliziert die Arbeit der Entnazifizierungsausschüsse war und wie divergent die Schlüsse waren, die gezogen wurden.
Am 22.7.1949 wurde ein Wiederaufnahmeverfahren beschlossen, sodass der Berufungsausschuss entschied, der Berufung stattzugeben und Krebs in Kategorie V (Entlasteter) einzustufen. Das wurde ihm am 10.10.1949 von der Zentralstelle für Berufungsausschüsse mitgeteilt. Völlig merkwürdig ist für mich dabei der Beschluss und die Begründung des Berufungsausschusses 3, der sich darin sehr stark die Argumentation und die von Albert Krebs konstruierte Auseinandersetzung mit der Reichsleitung der NSDAP und insbesondere Adolf Hitler zu eigen machte, wenn er beispielsweise zitierte, dass Krebs aus der NSDAP ausgeschlossen worden sei „wegen seines Angriffs auf General von Schleicher und wegen seiner zu lauen Haltung gegenüber Brüning“.[55] Das war von Albert Krebs kolportiert worden. Der tatsächliche Grund war der von Krebs selbst erkannte Fehler, zu einem sensiblen Zeitpunkt die zentralen Verhandlungen der NSDAP-Reichsleitung durch einen lokalen Zeitungs-Beitrag entgegen der ausdrücklichen Anweisung von Adolf Hitler begleitet und erschwert zu haben.
Ausweislich seiner eigenen Aufzeichnungen hatte Albert Krebs einen ständigen Zugang zu Adolf Hitler besonders in den Jahren von 1930 bis 1932 gehabt, da er über Kontakte im DHV über Max Habermann und Gottfried Treviranus auch über eine Vermittlungsmöglichkeit zu Heinrich Brüning verfügte, die von Adolf Hitler und der NSDAP durchaus genutzt wurde. Der Berufungsausschuss hatte sich unkritisch zu sehr auf die Ausführungen von Albert Krebs und seinem Rechtsanwalt gestützt.
Rechtsanwalt Wandschneider forderte unmittelbar darauf, dass Albert Krebs wieder beschäftigt werde. In einem Schreiben vom 11.10.1949 behauptete er, dass sich Krebs in seiner beruflichen Arbeit als Senatsdirektor „in einem antinationalsozialistischen Sinne“ betätigt habe, „jede Wiederaufnahme in die Partei abgelehnt hat, und schließlich während des Krieges zu dem Widerstandskreis der Männer des 20. Juni 1944 gehört hat“.[56]
Die Spur dafür hatte Albert Krebs selbst gelegt, als er am Ende seines Entnazifizierungs-Fragebogen geschrieben hatte:
„Im Mai 1932 von Hitler persönlich aus der NSDAP ausgeschlossen wegen Ungehorsams und Widerspruch gegen seine Politik (Gewerkschaftsfrage, Stellung zu Brüning, Führerprinzip). – Beziehung zu den Kreisen, die den 20. Juli 1944 vorbereitet haben.“[57]
Hier materialisierte sich die von Albert Krebs aufgebaute Legende, an der er in seinem Erinnerungs-Buch weiter strickte.
Nach der Mitteilung, in Kategorie V eingereiht zu sein, als Entlasteter, schrieb Krebs, „er melde sich zum Dienste zurück und bitte um laufende Vorschusszahlung auf Wartegeld oder Pension, da ich mich mit meiner großen Familie in einer erheblichen wirtschaftlichen Notlage befinde“.[58]
Am 28.11.1949 antwortete der auch für den Kulturbereich zuständige Senator Landahl, dass seiner Anfrage auf Wiedereinstellung „zur Zeit leider nicht stattgegeben werden kann, da im Bereich der Kulturbehörde eine Verwendungsmöglichkeit nicht bestehe“.[59]
Albert Krebs legte dagegen Einspruch ein und formulierte einen Wiedereinstellungsantrag.[60]
Auch der Hamburger Senat lehnte die Wiedereinstellung von Albert Krebs am 14.1.1950 ab[61], allerdings wurde an der Festsetzung von Versorgungsbezügen gearbeitet.
Nun war die Verwaltung am Zuge, die Versorgungsbezüge erwiesen sich auch auf der Grundlage der Bezüge eines Senatsdirektors als nicht wirklich üppig, da Albert Krebs ja nur eine begrenzte Zeit im staatlichen Dienst als Beamter gewesen war.
Krebs verfügte noch über gute Verbindungen, zwischenzeitlich meldete sich der persönliche Referent des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser, der sich als CDU-Vorsitzender schon einmal für Krebs verwendet hatte und bat den Ersten Bürgermeister Max Brauer, „wenn Sie sich im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten des Anliegens von Herrn Dr. Krebs annehmen könnten. Herr Dr. Krebs ist dem Herrn Minister von verschiedensten Seiten besonders empfohlen worden, die den Mann persönlich kennen und schätzen“[62].
Die materielle Situation für Albert Krebs und seine Familie mit fünf Kindern war sicherlich nach wie vor prekär. Krebs wurde nicht wieder eingestellt, aber die Schulbehörde schloss mit ihm am 28.11.1951 einen Werkvertrag über ein Jahr für eine erstaunliche Sachleistung:
„Herr Dr. Krebs stellt der Forschungsstelle für die Geschichte Hamburgs von 1933–1945 Abschriften des von ihm geführten Tagebuches und des sonstigen in seiner Hand befindlichen Materials, soweit es für die Forschungsstelle von Bedeutung ist, zur Verfügung. Im Zweifel entscheidet die Forschungsstelle, ob die betreffenden Teile des Tagebuches, die Aufzeichnungen, Briefe usw. diese Bedeutung haben. Ferner verpflichtet sich Herr Dr. Krebs der Forschungsstelle – auf Anforderung schriftlich – eine ausführliche Darlegung seiner politischen Erlebnisse und Beobachtungen aus der Zeit vor und nach 1933 zu liefern.“[63]
Dafür bekam Albert Krebs monatlich 500 DM.
Im Jahr darauf war er bei der Staatlichen Hochschule für Musik in Hamburg als Lehrer für Literaturkunde der Schauspielklasse tätig, allerdings mit begrenzt positiver Resonanz.[64]
Auch der Werkvertrag mit der Schulbehörde für Arbeiten für die Forschungsstelle zur Geschichte Hamburgs von 1939 bis 1945 wurde bis zum 31.10.1954 verlängert, somit gingen in die Forschung ganz wesentlich auch die Materialien und Gedanken nicht nur eines Zeitzeugen sondern Zeitakteurs mit ein. Hamburgs Geschichte für Hamburg von einem ehemaligen NSDAP-Gauleiter geschrieben.[65]
Das Wiedereinstellungsbegehren beschäftigte die Verwaltungsgerichte und es wurde in einem Vergleich beschlossen, Albert Krebs als wissenschaftlichen Angestellten bei dem Museum für Kunst und Gewerbe einzustellen. Mit all diesen Maßnahmen fußten mittlerweile die Versorgungsbezüge auf einer längeren Dienstzeit. Krebs benötigte für ein zu gewährendes Übergangsgehalt eine zehnjährige Dienstzeit, die mit den verhandelten Sonder-Dienstverträgen realisiert wurde.
Albert Krebs war parallel dazu auch weiterhin schriftstellerisch tätig, arbeitete im Staatsarchiv und publizierte 1959 das schon erwähnte Erinnerungsbuch: „Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei.“
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Krebs damit auch Legendenbildung in eigener Sache betrieb. Vieles fußte sicherlich auf seinen Tagebuch-Einträgen und er konnte mit seinen Berichten aus dem inneren Zirkel der NSDAP deren Entstehungsgeschichte darstellen und über Personen, Anekdoten und Begebenheiten Aussagen verbreiten, die kaum überprüfbar waren, da die meisten NS-Größen hingerichtet worden waren, Selbsttötung begangen hatten und zumindest nicht mehr widersprechen konnten. Dass hier auch voyeuristische Bedürfnisse bedient wurden, soll an ein paar Beispielen gezeigt werden, die auch belegen, wie fragwürdig deren historischer Gehalt ist.
Als Albert Krebs 1926 nach Hamburg kam und Ortsgruppenleiter, später Gauleiter der NSDAP wurde, sah die Welt nach seinen Worten „für den überzeugten Nationalsozialisten“ ungefähr so aus:
„Deutschland hatte 1918 den Krieg trotz größter soldatischer Leistungen und einer Folge von glänzenden Siegen verloren, weil die von Juden und anderen überstaatlichen Mächten geführten und verführten ‚deutschen‘ Parteien die Front von hinten erdolcht hatten. Von den gleichen überstaatlichen Mächten war dann in Versailles der Wilsonsche Verständigungsfriede in einen Diktatfrieden umgewandelt worden, dessen Annexionen und Reparationsforderungen das noch immer starke deutsche Volk langsam erdrosseln sollten. Um diese Vernichtung aber ganz sicher zu erreichen, hatte die Führung des Weltjudentums gleichzeitig von dem in der Oktoberrevolution unterjochten bolschewistischen Russland aus die Kommunistische Partei als Stoßtrupp des Chaos angesetzt, während die Erfüllungsparteien im Innern durch ihre Schwäche oder ebenfalls auf höhere Weisung hin die Verelendung der Massen förderten und so den Feinden von Ost und West in die Hände arbeiteten. Gegen wen und was der Nationalsozialist also kämpfte, gegen Versailles, den Kapitalismus, den Rotfrontkämpfer, die Kaufhäuser, die demokratischen Erfüllungspolitiker, immer kämpfte er gegen den gleichen Gegner. Ihn zu vernichten, hieß der deutschen Not mit einem Schlage ein Ende machen.
Darum war es falsch sich mit einem Problem allein, etwa dem Sozialismus, auseinanderzusetzen. Das lenkte nur von dem eigentlichen Kampfziel ab.
‚Was ist Sozialismus?‘ schrie mich Hitler 1930 an. ‚Eine jüdische Erfindung, um das deutsche Volk aufeinander zu hetzen!‘“[66]
Die Frage kann man stellen: Warum wurde Albert Krebs 1926 in dieser Partei mit diesem Verständnis Ortsgruppenleiter und Gauleiter?
Als Albert Krebs 1959 seine Memoiren veröffentlichte, hatte er seine journalistischen Erfahrungen genutzt und konnte gefällig formulieren. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, nach der Novemberrevolution, als er selbst mit den Freikorps unterwegs war, beschrieb er so:
„Man protestierte, man sammelte sich zum Gegenstoß und, indem man nach den Ursachen der Katastrophe suchte, entdeckte man die Nation. Zunächst war die Aktion zersplittert, die Erkenntnisse blieben verworren und widerspruchsvoll, das Suchen fand keine befriedigenden Antworten und vor allem kein jeden verpflichtendes Ziel. Dann kam die NSDAP – kam Hitler und verkündete Parolen, die mit grandios vereinfachenden Formulierungen für jede Frage eine Antwort, für jeden Zweifel eine Gewissheit, für jeden Zorn einen Feind, für jeden Tatendrang ein Ziel, für jede Ichsucht ein Interesse, für jeden Idealisten eine Fahne und ein leuchtendes Wort hatten. Endlich wussten die jungen Bürger, woran sie waren. Unbelastet mit den Bedenken und Erfahrungen des Alters, im Krieg zu harten und schnellen Entschlüssen erzogen, konnten sie sich ans Werk machen.“[67]
Albert Krebs war aber nicht nur der Kommentator wohlfeiler Erkenntnisse. 1952 schon hatte er sich politisch wieder organisiert. Er war in Hamburg zweiter Vorsitzender des Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) geworden[68] und kandidierte 1953 für den BHE in Hamburg auf Listenplatz 5 für den Bundestag.[69] Beim BHE hatten sich viele ehemalige Nationalsozialisten wiedergefunden. Bei der Bundestagswahl 1953 erreichte der BHE 7 Prozent der Stimmen bekam 27 Mandate und trat daraufhin der Regierungskoalition Adenauers bei. Zwei Ministerposten waren der Lohn. Theodor Oberländer, der am Hitlerputsch in München teilgenommen hatte, NSDAP- und SA-Mitglied seit 1933, „Reichsführer des völkischen bundesdeutschen Ostens“, wurde Minister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.[70]
Albert Krebs war zwar nicht in den Bundestag gewählt worden, als zweiter Vorsitzender des BHE hatte er allerdings mit dafür gesorgt, dass der BHE sich bei der Bürgerschaftswahl 1953 mit der CDU, der FDP und der Deutschen Partei (DP)zu einem Hamburg-Block zusammenschloss, der bei der Bürgerschaftswahl am 1.11.1953 die absolute Mehrheit erreichte[71], die SPD in der Regierung ablöste und mit Prof. Hans Wenke den Schulsenator stellte, der ebenfalls eine starke nationalsozialistische Belastung hatte.[72] Unter diesem Aspekt gewinnt es auch eine neue Bedeutung, dass Albert Krebs in diesen Jahren mit Werkverträgen abgesichert wurde und seine Erinnerungen verschriftlichen konnte.
Das daraus entstandene Buch „Tendenzen und Gestalten der NSDAP“, 1959 im Stuttgarter Verlag DVA publiziert, fand ein Medienecho unter anderem im „SPIEGEL“ 1960.[73]
Krebs, der aufgrund seiner früheren NSDAP-Mitgliedschaft und seiner Funktionen einen stetigen Zugang zu Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Rudolf Heß und anderen führenden Nationalsozialisten hatte, gelingt es dabei, viele Anekdoten zu erzählen, die einen Unterhaltungswert haben und ein voyeuristisches Interesse befriedigen, wobei immer wieder offenbar wird, wie sehr Krebs selbst in die nationalsozialistische Entwicklung bis 1933 verstrickt war. Albert Krebs machte das geschickt. Es wird deutlich, dass er bis in den persönlichen Bereich der NS-Führer gelangte. Er war im „Braunen Haus“ in München, suchte Adolf Hitler in den jeweiligen Hotels auf, mit Botschaften von Heinrich Brüning, was Hitler misstrauisch machte. Krebs überbrachte 1931 „Mitteilungen von Kapitän Ehrhardt“, wie er den Freikorpsführer der nach ihm benannten Brigade Ehrhardt nannte.[74] Krebs hatte Zugang zu Adolf Hitler auf dem Obersalzberg, wo er ihm 1930 eine Einladung von Reichskanzler Brüning übermitteln sollte. Dort wurde er von Hitler „auf einer kleinen Terrasse in Begleitung seiner beiden Schäferhunde“ empfangen und ihm von Hitler auch die beiden Frauen vorgestellt, „die den Haushalt führten. Hitler stellte sie uns als seine Tante und seine Nichte vor, was in Bezug auf das Mädchen ein wenig unwahrscheinlich klang“. Krebs berichtet dann, dass er nach Beendigung der Teestunde mit dem jungen Mädchen, Geli, über die später, bis heute, viele Gerüchte nach ihrer Selbsttötung wenige Monate nach dem Treffen auf dem Obersalzberg kolportiert wurden, gesprochen hatte. Das waren die Geschichten, die Krebs verstand, in seine Darstellungen einzubauen.[75]
Implizit wurde aber deutlich, welche politische Bedeutung Albert Krebs zu diesem Zeitpunkt hatte, als er über seine Kontakte zu Gottfried Treviranus und Max Habermann eine Einladung von Reichskanzler Heinrich Brüning an Adolf Hitler überbringen und dessen Zusage zurückmelden konnte.
Albert Krebs hatte Adolf Hitler genau beobachtet und beschrieben. Er hatte miterlebt, wie akribisch Hitler seine Reden vorbereitete, bis in alle Einzelheiten, spontan scheinende rhetorische Wendungen in das Manuskript geschrieben hatte und auch Ausfälle und Wutausbrüche durchaus geplant waren. Und er hatte miterlebt, welche Störungen Adolf Hitler hatte und wie seine Entourage darauf reagierte:
„Während der Reichspräsidentenwahl brachte ich Hitler das während der Nacht gesetzte Druckexemplar seiner am Abend vorher gehaltenen Rede in das Hotel Atlantik. Die Situation, in der ich ihn dort zwischen der geplüschten und gegipsten Pracht der übergroßen Räume antraf, ähnelte einer komischen französischen Filmszene. Schon auf dem Flur vernahm ich den rhythmischen Ruf: ‚Mei Supp! Mei Supp!‘ in wechselnden Tonlagen. In der von Hitler und seinem Gefolge bewohnten Zimmerflucht stieß ich dann auf die Angehörigen dieses Gefolges, Adjutanten, Kraftfahrer, Leibfotografen und Leibjournalisten, die sich in den Vorzimmern herumräkelten und mit grinsender Respektlosigkeit den Ruf ‚Mei Supp! Mei Supp! … Noch einen Teller Supp … Sei Supp will er haben!‘ wie einen Spielball zuwarfen. Es war offenbar, dass es um Hitlers Frühstückssuppe ging; es war ebenso offenbar, dass diese Suppe bei Hitlers Gefolgschaft nicht recht in das Bild passte, dass sich die Anhänger von dem Führer und erhofften Reichspräsidenten gemacht hatten.
Unbewusst hat Hitler dann noch selbst einige Züge zur Korrektur des Propagandabildes von dem unerschütterlichen, keinen menschlichen Schwächen und Gebrechen unterworfenen Volkshelden hinzugefügt. Im letzten Zimmer fand ich ihn, wie er allein, mit krummen Rücken, müde und melancholisch wirkend, an einem runden Tische hockte und langsam seine Gemüsesuppe schlürfte. Ich musste neben ihm Platz nehmen; der mitgebrachte Sonderdruck wurde achtlos beiseite geschoben – sonst hatte er ihn immer sehr kritisch durchgesehen, nachdem ich einmal infolge des Versagens des Pressestenografen die Rede aus dem eigenen Gedächtnis hatte ergänzen müssen und dabei, wie Hitler bei der Durchsicht behauptete, ihn schulmeisterlich verbessert hatte –, und Hitler begann mich eindringlich und aus offensichtlicher Beängstigung heraus nach meiner Auffassung über vegetarische Ernährung zu befragen.“
Und Albert Krebs wusste von dieser Begegnung noch zu berichten:
„Unter den Leiden, die mir Hitler als Grund für seinen Übergang zu einer reformerischen Lebensweise aufzählte – Schweißausbrüche, Erregungszustände, Gliederzittern usw. –, befanden sich auch Magenkrämpfe. Diese Magenkrämpfe sah er als Vorboten einer zukünftigen Krebserkrankung an und glaubte, dass er nur noch wenige Jahre zur Vollendung seines Werkes vor sich hätte. ‚Ich habe keine Zeit zu warten!‘, erklärte er mir über den Suppenteller herüber. ‚Hätte ich Zeit, würde ich gar nicht kandidiert haben. Lange machte es der ‚Alte‘ sowieso nicht mehr. Doch ich kann kein einziges Jahr mehr verlieren. Ich muss in Kürze an die Macht kommen, um die gigantischen Aufgaben in der mir verbleibenden Zeit lösen zu können. Ich muss! Ich muss!“[76]
Das meinte ich mit der Befriedigung voyeuristischer Neugier, von denen heute ganze Gazetten und Journale ihre Auflagen steigern würden. Und die auch für die Verkaufszahlen der Krebs-Memoiren hilfreich war.
Krebs beschrieb dagegen Rudolf Heß als den naiven Beschützer Adolf Hitlers, der Krebs gegenüber gesagt hatte: „Ich will der Hagen in der Partei sein!“ Heß war nach Aussage von Krebs ein Mann, der sich über wichtige strategische Fragen keine Gedanken gemacht hatte. Als Krebs ihn 1931 fragte, was nach einem „totalen“ Sieg der Partei aus dem Reichstag und den Länderparlamenten werden solle, konnte Heß am Ende nur sagen: „Dem Führer wird im entscheidenden Augenblick das Richtige einfallen. Ihm ist noch immer das Richtige von der Vorsehung eingegeben worden!“[77] Auch zu Heß hatte Albert Krebs ständigen Kontakt, wobei dieser ihm schon 1930 gesagt habe: „Auch der Chef ist der Auffassung, dass Sie nicht den gehörigen Respekt vor ihm haben!“[78]
Krebs widersprach sich selbst in seiner Einschätzung. Einerseits schrieb er: „Aufs Ganze der politischen Entwicklung hin gesehen muss Heß darum zu den hauptverantwortlichen Trägern der faschistisch-totalitären Richtung innerhalb einer ursprünglich noch halbwegs demokratischen Volksbewegung gerechnet werden.“[79]
Am Ende resümierte er dann über Heß: „Wir haben uns trotz dieser Gegensätze immer ein gegenseitiges Wohlwollen bewahrt. Ich lehne es auch heute noch ab, in Heß einen ‚Verbrecher‘ zu sehen, sofern bei einer Tat oder einer Unterlassung auch die Absicht gewogen wird.“[80]
Auch mit Joseph Goebbels war Albert Krebs immer wieder zusammengekommen. „Die Hamburger schätzten ihn als Redner außerordentlich hoch, wahrscheinlich, weil seine glatte Dialektik, seine romanische Diktion und Pose, sein Witz und seine eiskalte Ironie ihrer eigenen bedächtigen, derben oder humorvoll schlauen Art so völlig fremd waren. Innerhalb der Hamburger Parteigenossenschaft wurde in jenen ersten Kampfjahren die Frage häufig erörtert, wer denn nun der bessere Redner sei, Hitler oder Goebbels. Viele stimmten für Goebbels, was nicht selten gleichzeitig einer Option für ihn als dem geeigneten Parteiführer gleichkam.“[81]
Die Wertschätzung für Goebbels wurde auch in der von Krebs gegebenen Charakterisierung deutlich:
„Überaus klug und vielseitig gebildet, überragte er nicht nur alle übrigen nationalsozialistischen Politiker an Intelligenz, sondern auch die meisten seiner übrigen Zeitgenossen. Zweifellos hätte er auch außerhalb des politischen Bereiches sich eine hervorragende Position als Journalist, Regisseur, Schriftsteller und Wissenschaftler erwerben können.“[82]
Joseph Goebbels, der Geschäftsführer im Gau Rheinland-Nord gewesen war, als dort Karl Kaufmann als Gauleiter fungierte, hatte zu diesem offenbar ein gespaltenes Verhältnis mitgenommen. Goebbels hatte 1931 Krebs gewarnt: „Nehmen Sie sich bei Kaufmann in acht. Wenn er den Mund auftut, lügt er.“ Zwei Tage vorher hatte Kaufmann seinerseits Krebs vor dessen Gespräch mit Goebbels gesagt: „Wenn Goebbels den Mund auftut, lügt er. Ich habe ihn in Elberfeld kennengelernt.“[83]
Freund – Feind – Parteifreund. Und Albert Krebs im inneren Zirkel der NS-Granden.
Krebs vermarktete seine Insidererfahrungen in der NSDAP, die belegten, dass er tatsächlich ein Wegbereiter des Nationalsozialismus gewesen war. Seine Geschichte ab 1934 zeigt, dass er auch dann noch ein Wegbegleiter des Nationalsozialismus blieb, ein Nutznießer, der in enger Verbindung stand zu dem mächtigen Hamburger Reichsstatthalter und NSDAP-Gauleiter Karl Kaufmann, dessen Protektion er genoss und der niemanden zum Senatsdirektor befördern konnte, ohne nicht auch die volle Unterstützung der Reichsleitung der NSDAP dafür zu haben. Insofern sieht man einigermaßen fassungslos darauf, dass Albert Krebs mit den Versorgungsbezügen eines Senatsdirektors pensioniert wurde. Aber es ist auch symptomatisch für eine Entnazifizierung, die nicht gelang, weil selbst ehemalige Gauleiter der NSDAP am Ende als „Entlastete“ von ihrer Schuld befreit wurden.
Albert Krebs starb am 26.6.1974 in Hamburg.[84]

Nachtrag
Ich hatte die Biografie von Albert Krebs schon abgeschlossen, als ich eines der Bücher, die Krebs in der Anlage D zu seinem Entnazifizierungs-Fragebogen am 9.5.1945 als eine seiner Veröffentlichungen angegeben hatte, in die Hand bekam und las: „Erzählungen vom tapferen Herzen“, Hans Koehler-Verlag 1939.[85]
Eine dieser Erzählungen handelt von einem ehemaligen Mitglied des Rotfrontkämpfer-Bundes, Jensen, der zu den SA-Männern übergelaufen war und jetzt von seinen ehemaligen Genossen als Verräter beschimpft wurde. Jensen nahm in SA-Uniform als Saalschutz an einer NS-Veranstaltung teil und wurde dort in eine Saalschlacht verwickelt, weil Kommunisten diese Veranstaltung sprengen wollten. Jensen hatte sich für die SA entschieden und seine ehemals besten Freunde standen auf der anderen Seite. Die Erzählung hat ein doppeltes Ende. Sie war von Albert Krebs als Märtyrer-Geschichte angelegt. Am Ende lauerten die ehemaligen Genossen dem SA-Mann Jensen auf, der nach durchzechter Nacht vor seiner Haustür zusammengeschlagen „in schwarzer Blutlache“ lag, während seine wartende Freundin in der Kammer im oberen Stock die Fenster schloss. Vorher hatten SA und SS erfolgreich den Saal von den Störern in brutaler Schlacht befreit: „Der Saal war leergefegt. Blutend und zerfetzt sang die SA über den Trümmern: ‚… schon flattern Hitler-Fahnen über Barrikaden.‘“ Vorher hatte Jensen gehört: „Die Treue ist das Mark der Ehre!“
Der Höhepunkt dieser Erzählung war die Rede des Sturmführers der SA-Abteilung, der auch Jensen angehörte. Sie soll hier wiedergegeben werden, um zu zeigen, was Albert Krebs noch 1939 veröffentlichte. Auch wenn es nur eine Erzählung war, mit Interpretationsmöglichkeit, gibt es eine Interpretation, die Albert Krebs entlastet und die ihn nicht als üblen, nationalsozialistischen, militaristischen Propagandisten erscheinen lässt?
„Der Sturmführer begann zu erzählen aus dem Krieg und den Kämpfen der Freikorps gegen Bolschewiken, Spartakisten, Polen und Franzosen. An der Ruhr war er gewesen, in München und Oberschlesien, im Baltikum und in Berlin, Soldat und Landsknecht seit seinem 17. Jahr.
Jensen hörte mit offenem Mund zu; kalte Schauer liefen ihm über den Rücken. O, er hatte schon manches erfahren in seinem Leben, mehr Böses als Gutes; er kannte die Not und den Hunger und er kannte die Menschen. Jetzt aber war ihm, ein heißer Atem wehe ihm ins Gesicht. Er ahnte die Flamme die sich selbst verzehrend, die Welt verwandelt.
‚Ja, Jungens, damals erst haben wir angefangen, bewusst Menschen zu töten. Natürlich, auch vorher schon sind sie von unseren Kugeln und Handgranaten gefallen. Doch das ist so im Krieg. Wir haben sie nicht gehasst; tapfere Kerle, die für ihr Volk standen.
Seit 1921 haben wir getötet, mit Überlegung, kalt, voll Hass; die Verräter, die Spitzel, die Schweinehunde, die ihr Volk verkauften …‘
Der Sturmführer starrte vor sich hin: ‚Es war nicht schön, Jungens! Glaubt nur ja nicht, dass es schön war. Es musste ja sein, aber man vergisst es nicht. Dann säuft man! Dann reißt man ein Mädchen in den Arm, um das warme, lebendige Blut zu spüren. Tote haben kalte Hände, die lassen nicht los, was sie einmal gefasst haben.
Wir werden zahlen müssen! Jawohl, alles muss bezahlt werden … Ist auch gut so. Zu einem braven Bürger taugen wir doch nicht mehr. Trinkt, Jungens!‘ Der Sturmführer schlug mit der Faust auf den Tisch. ‚Trinkt und singt! Geschichte macht man mit Blut, und wo gesät wird, muss das Korn in die schwarze Erde.‘
Der SA-Mann Jensen verstand nicht alles, was sein Sturmführer sagte, aber er verstand genug, um zwei Stunden später seinen Weg tapfer zu Ende zu gehen.“[86]
Für mich ist es unfassbar. Dieser Autor, Albert Krebs, wurde 1940, ein Jahr nach Veröffentlichung dieser Erzählungen, Senatsdirektor in der Hamburger Kulturbehörde. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurde seine stramme nationalsozialistische Gesinnung als weniger schlimm angesehen, weil er Männer des 20. Juli gekannt hatte. Und nach seiner Pensionierung bekam er Versorgungsbezüge auf der Grundlage eines Senatsdirektors und erhielt mehrere Werkverträge, um seine Erinnerungen und Aufzeichnungen für die Forschungsstelle des Nationalsozialismus aufzuschreiben.
Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1 Lebenslauf Albert Krebs vom 5.8.1940, BArch, R 9361/V/25838, Bl. 1780
2 Zeugnis vom 31.10.1924, Personalakte Albert Krebs, StA HH, 363-4_285
3 Albert Krebs: Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei, Stuttgart 1959, S. 13. Siehe zum DHV auch: Peter Rüttgers: Der Deutschnationale Handlungsgehilfen-Verband (DHV) und der Nationalsozialismus, Vortrag auf der Tagung „Die deutschen Gewerkschaften zwischen 1933 und 1945. Kapitulation und Anpassung. Wartestand und Widerstand“, abgedruckt in: Historisch-Politische Mitteilungen (Hrsg. Konrad-Adenauer-Stiftung) Nr. 9/2009, S. 81 ff.
4 Krebs 1959, S. 40.
5 Entnazifizierungsakte Krebs, StA HH, 221-11_F (P) 1383
6 Krebs 1959, S. 40.
7 Ebd.
8 Siehe dazu: Thomas Krause: Hamburg wird braun. Der Aufstieg der NSDAP 1921–1933, Hamburg, 1987, S. 74 ff.
9 Krebs 1959, S. 52.
10 Siehe: Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Koblenz 2013, S. 606.
11 Krause 1987, S. 89 f.
12 Frank Bajohr: Hamburgs „Führer“. Zur Person und Tätigkeit des Hamburger NSDAP-Gauleiters Karl Kaufmann (1900–1969), in: Landeszentrale für politische Bildung: Sieben Beiträge, Hamburg 1998, S. 123.
13 Lebenslauf Albert Krebs vom 5.8.1940, BArch, R 9361/V/25838, Bl. 1780.
14 Krebs 1959, S. 73.
15 Schreiben vom 20.5.1932, BArch, OPG-Akte, OPG_F0065, Bl. 1066 und 1068.
16 Friedrich-Karl von Plehwe: Reichskanzler Kurt von Schleicher. Weimars letzte Chance gegen Hitler, Esslingen 1983.
17 Schreiben vom 25.5.1932, BArch, OPG-Akte, OPG_F0065, Bl. 0992 und 0994.
18 Bajohr 1998, S. 127.
19 Schreiben von Albert Krebs vom 13.4.1934, BArch, OPG-Akte, OPG_F0065, Bl. 0984.
20 Schreiben vom 27.4.1934, BArch, OPG-Akte, OPG_F0065, Bl. 0990.
21 Walter Buch an Karl Kaufmann am 5.5.1934, BArch, OPG-Akte, OPG_F0065, Bl. 0982. Siehe auch: Jochen von Lang: Der Sekretär. Martin Bormann. Der Mann, der Hitler beherrschte, Augsburg 2004.
22 Krebs 1959, S. 155.
23 Krebs 1959, S. 156.
24 Zeugnis vom 30.9.1934, Personalakte a. a. O.
25 Hamburgisches Staatsamt vom 26.2.1938, Personalakte a. a. O.
26 Dienstvertrag vom 19.4.1938, Personalakte a. a. O.
27 Ernennungsurkunde vom 20.4.1940, Personalakte a. a. O.
28 Niederschrift über die Vereidigung vom 10.9.1940, Personalakte a. a. O.
29 Krebs 1959, S. 116.
30 Mitteilung vom 18.6.1941, Personalakte a. a. O.
31 Hans-Dieter Handrack: Das Reichskommissariat Ostland. Die Kulturpolitik der deutschen Verwaltung zwischen Autonomie und Gleichschaltung 1941–1944. Hannover Münden 1981, S. 232.
32 www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-2648 ; siehe dazu auch: Uwe Danker: Der gescheiterte Versuch, die Legende der „Sauberen Zivilverwaltung“ zu entzaubern. In: Robert Bohn: Die deutsche Herrschaft in den „germanischen Ländern“ 1940–1945. Stuttgart 1997, S. 173. Auch die hervorragende Forschungsarbeit: Reichskommissariat Ostland. Tatort und Erinnerungsobjekt, eine Publikation des Instituts für Schleswig-holsteinischen Zeit- und Regionalgeschichte der Universität Flensburg und des militärgeschichtlichen Forschungsamtes, herausgegeben durch Sebastian Lehmann gemeinsam mit Robert Bohn und Uwe Danker, Paderborn – München – Wien – Zürich 2012.
33 Krebs 1959, S. 212.
34 Krebs 1959, S. 212 f.
35 Alle Angaben laut Personalakte, a. a. O.
36 de.wikipedia.org/wiki/Albert_Krebs_(Gauleiter)
37 Schreiben an Bürgermeister Rudolf Petersen vom 26.5.1945, Personalakte a. a. O.
38 Personalakte a. a. O.
39 Mitteilung vom 3.9.1945, Personalakte a. a. O.
40 Vermerk vom 19.8.1945 mit unleserliche Unterschrift, Personalakte a. a. O.
41 Vermerk vom 10.9.1945, Personalakte a. a. O.
42 Ausschnitt: Hamburg bleibt rot, herausgegeben von der NSDAP, S. 196.
43 Schreiben vom 2.11.1945, Personalakte a. a. O.
44 Ebd.
45 Fachausschuss vom 8.8.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
46 Vermerk vom 27.12.1946, Personalakte a. a. O.
47 Schreiben von Erich Wandschneider vom 17.12.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
48 Ebd.
49 Ebd.
50 Berufungsausschuss 3 für die Ausschaltung von Nationalsozialisten vom 3.11.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
51 Ebd.
52 Schreiben vom 22.10.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
53 Schreiben vom 1.2.1946, Entnazifizierungsakte a. a. O.
54 Fachausschuss Nr. 7 vom 23.10.1947, Entnazifizierungsakte a. a. O.
55 Zentralstelle für Berufungsausschüsse vom 10.10.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
56 Schreiben vom 11.10.1949, Entnazifizierungsakte a. a. O.
57 Entnazifizierungs-Fragebogen Krebs, undatiert, Personalakte a. a. O.
58 Schreiben von Albert Krebs vom 25.11.1949, Personalakte a. a. O.
59 Schreiben von Heinrich Landahl vom 28.11.1949, Personalakte a. a. O.
60 Einspruch vom 2.12.1949 und Wiedereinstellungsantrag vom 11.1.1950 Personalakte a. a. O.
61 Vermerk vom 25.1.1950, Personalakte a. a. O.
62 Schreiben vom 11.1.1951, Personalakte a. a. O.
63 Vertrag vom 28.11.1951, Personalakte a. a. O.
64 Schreiben vom 20.12.1952, Personalakte a. a. O. Die Studierenden der Schauspielklasse empfanden die Vorträge als „zu wissenschaftlich und zu wenig auf ihre konkrete Situation bezogen“.
65 Siehe Drucksache für die Senatssitzung Nr. 786, verteilt am 30.8.1954. Personalakte a. a. O.
66 Krebs 1959, S. 46.
67 Krebs 1959, S. 47.
68 „Hamburger Abendblatt“ vom 21.4.1952.
69 „Hamburger Abendblatt“ vom 20.7.1953.
70 Michael Schwartz: Funktionäre mit Vergangenheit. Das Gründungspräsidium des Bundes der Vertriebenen und das „Dritte Reich“, München 2013; und Siegfried Schütt: Theodor Oberländer – Eine dokumentarische Untersuchung, München 1995.
71 Erich Lüth: Die Hamburger Bürgerschaft 1946–1971, Hamburg 1971, S. 66 ff. und S. 183–186.
72 Siehe die Biografie Hans Wenke, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 2, Hamburg 2017, S. 208 ff.
73 „DER SPIEGEL“ Nummer 24 vom 8.6.1960, S. 30 ff.
74 Krebs 1959, S. 145.
75 Krebs 1959, S. 141 f.
76 Krebs 1959, S. 135
77 Krebs 1959, S. 170.
78 Ebd.
79 Krebs 1959, S. 149.
80 Krebs 1959, S. 175.
81 Krebs 1959, S. 160.
82 Krebs 1959, S. 168.
83 Krebs 1959, S. 166 und S. 162.
84 Personalakte a. a. O.
85 Anlage D zum Entnazifizierungsfragebogen, Entnazifizierungsakte a. a. O.
86 Albert Krebs: Zwischen Abend und Morgen, in: Albert Krebs: Erzählungen vom tapferen Herzen, Hamburg 1939.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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