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Dulsberg

Stadtteil Dulsberg in der NS-Zeit
Das Wohngebiet Dulsberg war seit seiner Erbauung in den 1920er Jahren immer ein Arbeiterstadtteil. Es ist kein ‚gewachsenes’ Quartier, sondern auf dem Reißbrett geplant. Der im Juli 1943 fast vollständig zerstörte Stadtteil wurde nach dem Krieg in seiner alten Struktur und Gestaltung wieder aufgebaut und stellt noch immer ein vielbesuchtes Beispiel modernen Wohnungsbaus und moderner Stadtentwicklung dar.
Ein eigenständiger Stadtteil wurde Dulsberg erst 1951. Bis ins 20. Jahrhundert gehörte das Gebiet als östliche Feldmark zum Dorf Barmbek und später zum Stadtteil Barmbek, begrenzt im Norden von Barmbek-Nord und Bramfeld, im Osten und Süden von Wandsbek. (…)
Während der Zeit der Weimarer Republik galt der Stadtteil aufgrund der Zusammensetzung der Einwohner und hoher Wahlergebnisse für Sozialdemokraten und Kommunisten als das „rote“ Dulsberg. Am 6. November 1932, den letzten Reichstagswahlen vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, gewannen auf dem Dulsberg SPD und KPD deutlich mehr Stimmen als im Hamburger und im Reichsdurchschnitt, die NSDAP deutlich weniger. Bei den Reichstagswahlen am 5. März 1933, also nach der Machtübernahme der NSDAP, zeigte sich ein anderes Bild: Zwar hatte die SPD gegenüber den November-Wahlen auf dem Dulsberg nur wenig eingebüßt, ihre absolute Stimmenzahl war sogar noch gewachsen. Die Kommunisten verloren jedoch gut ein Fünftel ihrer Stimmen. Die Nationalsozialisten steigerten ihren Anteil um zwei Fünftel auf fast 35 Prozent. Dennoch hatten die beiden Arbeiterparteien auf dem Dulsberg zusammengenommen immer noch die absolute Mehrheit der Stimmen.

    Deutsches Reich    Hamburg    Dulsberg
    November    März    November    März    November    März    
    1932    1933    1932    1933    1932    1933
SPD    20,4%    18,3%    28,6%    26,9%    35,2%    34,1%
KPD    16,9%    12,3%    21,9%    17,6%    27,1%    20,4%
NSDAP    33,1%    43,9%    27,0%    38,8%    24,5%    34,9%

Reichstagswahlergebnisse 6.11.1932/5.3.1933 im Vergleich
Quelle: Statistische Mitteilungen über den hamburgischen Staat, Nr. 30 und Nr. 31, Hamburg 1932 und 1933 sowie eigene Berechnungen
Die starke Verankerung der Arbeiterparteien in Barmbek insgesamt, insbesondere aber auf dem Dulsberg, war der NSDAP schon vor der Machtübernahme Anlass für vielfältige Provokationen und Auseinandersetzungen, insbesondere durch martialische Aufmärsche durch Barmbek und Dulsberg, ähnlich denen in Altona ( Altonaer Blutsonntag). Darüber sind bisher nur wenige Einzelheiten bekannt. Von einem Marsch aus dem Jahr 1932 berichtete ein Zeitzeuge: „Der Zug ging über die Nordschleswiger Straße weg Richtung Ahrensburger Straße [heute Krausestraße ]. Auf den Flachdächern war angeblich Polizei, unten die SA. Es war ein Schußwechsel hin und her. […] Welche Jahreszeit war, kann ich nicht sagen. Aber das eine weiß ich, daß man bei uns noch in Fenster geschossen hatte.“ Ingrid Reichert, seinerzeit Anwohnerin der Schlettstadter Straße , berichtete: „Die hatten große Scheinwerfer und haben mit den Scheinwerfern in die Fenster geleuchtet. Und darum mußten wir Kinder uns verstecken.“ Der vorherige Zeitzeuge ergänzte: „Und dann wurde geschossen …“ Von einem Fackelzug am 1. März 1933 – wenige Tage vor den letzten Reichstagswahlen − existieren Augenzeugenberichte: „Vor 1932 hätte kein SA-Zug es gewagt, durch Barmbek zu marschieren. Und dann hat unser Schönfelder mit Polizeipräsident Danner diese Demonstration durch ‚Barmbeker Land’ erlaubt. … Erst oben am Dulsberg, … da ging die Schießerei los!“ erzählte Zeitzeuge Walter Todt, 1934 emigriert. Am 2. März 1933 begann der Artikel über den Fackelzug im nationalsozialistischen „Hamburger Tageblatt“: „Der eherne Marschtritt der braunen Kolonnen, die sich gestern stundenlang durch das rote Barmbek wälzten, hat das rote Untermenschentum fast um den Verstand gebracht.“
Die Zeitzeugen berichten, dass die Gefahren des heraufziehenden Nationalsozialismus auf dem Dulsberg schon vor der Machtübernahme am 30. Januar 1933 deutlich gesehen wurden. Dennoch: „Der 30. Januar 1933 [der Tag der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler] war ein Schock für die ganze Umgebung hier auf dem Dulsberg.“
Viele der von der Geschichtsgruppe Dulsberg Befragten erzählten von Widerstandshandlungen von Kommunisten, Sozialdemokraten, unabhängigen sozialistischen Gruppen und Einzelpersonen in der Anfangszeit der NS-Herrschaft. Über den Widerstand der KPD auf dem Dulsberg ist nur wenig Konkretes bekannt. Zu den kommunistischen Widerständlern, die dort gewohnt haben, gehörten die frühere Bürgerschaftsabgeordnete Magda Langhans und das Mitglied der zehnköpfigen illegalen KP-Bezirksleitung Wasserkante Arthur Ogrowski.
Anders als die KPD und kleinere sozialistische Gruppen wie der Internationale Sozialistische Kampfbund (ISK), die Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und die Kommunistische Partei/Opposition (KPO) waren die Sozialdemokraten kaum auf die illegale Arbeit vorbereitet. Nach dem Verbot der SPD organisierten sie sich auf dem Dulsberg und in Barmbek vor allem in Gruppen, die überwiegend aus Reichsbanner- und Schufo-Leuten bestanden (Schufo = Schutzformation, militante Eliteeinheiten des Reichsbanners zum Schutze der von Nationalsozialisten bedrohten sozialdemokratischen Veranstaltungen). Anfangs zählten diese Gruppen 10 bis 15 Mitglieder, nach den ersten Verhaftungen wurde die Arbeit in Kleingruppen mit drei oder fünf Leuten organisiert. Nur zwei bis vier Personen kannten sich. Allein der Gruppenleiter hatte Kontakt zur nächsthöheren Ebene. Aufgrund dieser Organisationsform blieben einige Schufos der Gestapo längere Zeit verborgen. Hierzu zählte auch die Schufo 11 (Barmbek-Süd, östlich der Hamburger Straße , Dehnhaide ), zu deren Organisationsgebiet auch der Dulsberg gehörte.
In der Reichsbannerkameradschaft 11 bildeten die Dulsberger die Abteilung B. Leiter des illegalen Widerstandes der Sozialdemokraten am Dulsberg war der Gewerkschafter Peter Haß, der diese Funktion auch nach seiner Emigration 1934/35 zusammen mit seinem bereits vorher emigrierten Bruder Otto Haß wahrzunehmen suchte. Dabei gab es innerhalb der sozialdemokratischen Widerstandsgruppen am Dulsberg unterschiedliche Meinungen, sowohl was die Führung des Kampfes als auch was die Qualität des eingeschmuggelten Materials anging.
Mit fortschreitender Festigung des nationalsozialistischen Systems wurde die Widerstandsarbeit immer risikoreicher. Bei einer Verhaftungswelle im Oktober 1934 wurden aus den Frank’­schen Laubenganghäusern (u. a. Ferdinand Roschmann, Henry Bokamp) und den Straßen im Bereich Elsässer Straße und Nordschleswiger Straße / Alter Teichweg insgesamt etwa 15 Sozialdemokraten (darunter Stamer, Kretschmer und Hans Huth) wegen Verbreitung illegaler Druckschriften und anderer Vorwürfe verhaftet und zum Teil zu langjährigen Zuchthaus- und Gefängnisstrafen verurteilt. Als eine der letzten Gruppen des Widerstandes gegen die Nationalsozialisten wurde Ende 1936/Anfang 1937 die Widerstandsgruppe der Schufo 11 aufgedeckt. Wie ihr Leiter Otto Grot berichtete, wurden 40 Mitglieder der Schufo 11 in vier Prozessen im Januar 1938 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu Zuchthaus- und Gefängnisstrafen, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte und Polizeiaufsicht verurteilt. Später trafen sich einige dieser Schufo-Leute im „Bewährungsbataillon 999“ wieder. August Bode, der einen Erlebnisbericht zur Dulsberger SPD ab 1922 verfasst hat, gab die Zahl der verurteilten Sozialdemokraten aus dem Widerstand auf dem Dulsberg mit etwa zwanzig an.
Es gelang den Nationalsozialisten erst nach und nach, auf dem Dulsberg Fuß zu fassen. In der seit 1935 erschienenen NSDAP-Parteizeitung „Gaunachrichten“ wurde die Parteiorganisation detailliert vorgestellt. Die für den Dulsberg zuständigen Personen wohnten zu einem nicht geringen Teil in anderen, oft entfernten Stadtteilen. Die Ortsgruppe Dulsberg-West hatte ihre Geschäftsstelle in der Probsteier Straße 27. Ortsgruppenleiter war Franz Hirschler. Die Adresse der Ortsgruppe Dulsberg-Ost lautete Straßburger Straße 77, Ortsgruppenleiter war ein B. Brecht. Die Hitler-Jugend veranstaltete Turn- und Sportabende in den Schulen Ahrensburger Straße , Amalie-Dietrich-Weg und Graudenzerweg. Der Bund Deutscher Mädel (BDM) hatte eine Adresse in der Eupener Straße in einem BDM-Heim. Die Leiterin, Hertha Krüger, wohnte aber nicht auf dem Dulsberg, sondern in der Oberaltenallee . Es gab auf dem Dulsberg ( Alter Teichweg 9, Haus K) einen Ableger der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung e. V. und des Deutschen Jungvolks in der HJ ( Dulsberg-Süd 13), dessen Leiter in Poppenbüttel wohnte. Es ließen sich weitere Einrichtungen der NSDAP und ihrer Folgeorganisationen aufzählen.
Auch unter den Jugendlichen hielt sich Widerstandsgeist, wie Zeitzeugen berichteten: „In unserer Olivaer Straße waren nur zwei von zwanzig Jungen [der Jahrgangsgruppe 1919–21] in der Hitler-Jugend.“ Die Hitler-Jugend wurde statt HJ mit HI abgekürzt, Eingeweihte übersetzten die Abkürzung mit „Hitler-Idioten“. Hitler hieß „Dittmer“, die Formel „Hein Dittmer“ statt „Heil Hitler“ ließ sich vortrefflich norddeutsch grummeln, wenn der Grußpflicht nicht zu entkommen war.
Noch 1935 war die Begeisterung für die Hitler-Jugend und ihr nahestehende Organisationen in weiten Teilen des Dulsbergs ziemlich gering. Aus einer statistischen Übersicht im Auftrage des Gauleiters Karl Kaufmann ergibt sich, dass von den 435 Schülern der Schule Ahrensburger Straße (heute Krausestraße ) nur 70 (oder 16 Prozent) der Hitler-Jugend angehörten. Unter 234 untersuchten Hamburger Schulen nahm die Schule Ahrensburger Straße Rang 216 ein, befand sich also unter den Schulen mit geringer HJ-Quote. In der Schule Alter Teich­weg 119, die damals gerade erst gegründet worden war, konnte die HJ von 35 Schülern 7 (20 Prozent) zu den ihren zählen. An der heute nicht mehr zum Dulsberg gehörenden Schule Amalie-Dietrich-Weg waren 27 Prozent der Schüler Angehörige der Hitler-Jugend.
Dennoch schritten wie überall Anpassung und Opportunismus voran. In einigen Straßen verwandelten sich von einem Tag auf den anderen die drei Pfeile des Reichsbanners am Revers mancher „Volksgenossen“ in Hakenkreuze. Überall hatten meist SA-Leute, Haus- und Blockwarte das Sagen. Die SA nutzte das System der Haus- und Blockwarte, um durch Mundpropaganda Druck gegen Missliebige zu machen. Auch gegen Geschäftsleute. Als einen der ersten trafen die Boykottmaßnahmen den Fischhändler Paul Naschke, der in der Straßburger Straße 15 ein bis dahin florierendes Geschäft betrieben und aus seiner Sympathie für die Sozialdemokraten nie einen Hehl gemacht hatte. Er musste seinen Laden verkaufen. Am Alten Teichweg veranstalteten die NSDAP-Amtswalter regelmäßig Werbemärsche und forderten die Grußpflicht ein. „Mit einem Mal waren auch überall diese Fahnenhalter an den Fenstern.“
Der Anteil jüdischer Bürgerinnen und Bürger auf dem Dulsberg war vergleichsweise gering. Doch die Biographien auf den folgenden Seiten zeigen, dass auch auf dem Dulsberg Jüdinnen und Juden der Verfolgung und den Deportationen nicht entgingen. Als der Druck auf Andersdenkende, Andersgläubige und „nichtarische“ Menschen immer mehr wuchs, setzte auf dem Dulsberg der Exodus ein. Von vier auf dem Dulsberg praktizierenden jüdischen Ärztinnen und Ärzten emigrierten drei, Benno Hurwitz nahm sich 1938 in der Haft das Leben.
(…)
Zwischen 1939 und 1945 sind nach Schätzungen des Historikers Mark Spoerer insgesamt 13,5 Millionen Frauen und Männer (zivile Arbeitskräfte, KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene) zu Arbeiten in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft gezwungen worden. In Hamburg waren während der Kriegsjahre insgesamt rund 500.000 Menschen als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in etwa 1.000 Betrieben aller Wirtschaftszweige eingesetzt: Männer, Frauen und Kinder. Untergebracht waren sie in annähernd 1.300 Lagern, die über das gesamte Stadtgebiet verteilt waren. Viele der Arbeitskräfte aus Polen und der Sowjetunion waren noch minderjährig, als sie nach Hamburg verschleppt wurden. Auch Kinder, die zusammen mit ihren Eltern nach Hamburg kamen, mussten z. T. leichtere Arbeiten im Lager verrichten, in einigen Betrieben wurden Kinder ab zehn Jahren zur Arbeit herangezogen. Auf dem Dulsberg sind drei Lager bekannt, in denen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gefangen gehalten wurden: Am Alten Teichweg 68 bestand ein Lager der Firmen Tischfabrik Kobrow (C.), Hammonia Metallwarenfabrik Friedrich Rost und Tretorn Gummi- und Asbestwerke AG vom No­vember 1942 bis April 1943 mit zwei Baracken, das für 300 sowjetische Arbeiterinnen geplant war. Im April 1944 betrieben die Tretorn Gummi- und Asbestwerke AG am Alten Teichweg 13–27 ein weiteres Lager für 60 sowjetische Zwangsarbeiterinnen. Bei der Firma Walkhoff, Fischindustrie, am Alten Teichweg 55/57 wurden in einem so genannten Ostarbeiterlager mindestens 51 Personen (wahrscheinlich Frauen) gefangen gehalten und zur Arbeit gezwungen. (…)
Text von Ingo Wille, entnommen dem Buch von Ulrike Spaar und Björn Eggert: Stolpersteine in Hamburg. Biographische Spurensuche. Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung und dem Institut für die Geschichte der deutschen Juden. Hamburg 2011.

Quellen: Dulsberg Hart am Rand und mittendrin, Geschichtsgruppe Dulsberg, Hamburg 1992; Karl Ditt, Sozialdemokraten im Widerstand, Hamburg 1984; Hans-Jürgen Plaumann, Nacherkundungen zu „Spuren des Nationalsozialismus und des Widerstandes am Dulsberg“, Hamburg 1998; Ursel Hochmuth und Hans-Peter de Lorent (Hrsg.), Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985; Für Freiheit und Demokratie, Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in Verfolgung und Widerstand 1933–1945, Hamburg 2003; Hermann Weber/Andreas Herbst (Hrsg.), Deutsche Kommunisten, Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 2004; Friederike Littmann, Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945, CD, Hamburg 2007; KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Freundeskreis KZ-Gedenkstätte Neuengamme e.V., Hamburg 2007; Statistische Mitteilungen über den hamburgischen Staat, Nr. 30 und Nr. 31, Hamburg 1932 und 1933; Gaunachrichten, Veröffentlichungen der Kreise des Gaues Hamburg der NSDAP; http://www.reichsbanner-hessen.de/werwirwaren/75-schufos.html, Zugriff am 4.8.2011; Wohnstadt Hamburg, Mietshäuser der zwanziger Jahre zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise, Hrsg. Manfred F. Fischer/ Hermann Hipp/Manfred Plagemann; Hamburg und seine Bauten, 1953.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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