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  • Motivgruppe / Kategorie:  Kultur

Hans Bahn

( Hans (Johannes) Bahn )
(1.3.1890 Havelberg - 25.9.1959 Hamburg)
Leiter des Denkmalschutzamtes Hamburg 1934-1945
(zuletzt: Alte Rabenstraße 4)
wohnhaft (bis 1959): Sierichstraße 146

Hans Bahn wurde am 1. März 1890 in Havelberg (Brandenburg) geboren.

Sein Architekturstudium in Berlin und Danzig schloss er mit der Promotion („Tausend Jahre Entwicklung von der Jahrmarktauslage zum Großstadtschaufenster“) zum Dr. ing. ab. Im Ersten Weltkrieg leistete er kurzzeitig in Ostpreußen Kriegsdienst.

Ab 1922 war er in der Hamburger Verwaltung angestellt, zunächst im Baupflegebüro, danach im Denkmalpflegeamt, später auch bei der Gewerbeaufsicht und Wohlfahrt. Traditionell wurde in Hamburg Denkmalschutz, der zunehmend Bahns Interessensgebiet wurde, wenig geachtet oder finanziell angemessen ausgestattet. Die Finanzprobleme der Stadt in den 1920er- und 1930er-Jahren führten zu einer weiteren Verschlechterung – so wurde Bahn Anfang 1933 entlassen. Immerhin hatte er sich da schon als Architekturkritiker in einschlägigen Kreisen einen Namen gemacht.

1933 trat Bahn der NSDAP bei. Ab Oktober 1934 wurde er kommissarischer Leiter des Denkmalschutzamtes, welches der Behörde für Volkstum, Kirche und Kunst angehörte, die von Senator von Allwörden (1892-1955) geleitet wurde (bis 1938).[1]

 Der Altonaer v. Allwörden hatte seine politische Karriere in völkischen Kreisen begonnen, sich bereits 1925 der NSDAP angeschlossen (ebenso 1926 der SA) und gehörte ab 1933 zum engsten Kreis um Reichsstatthalter und Gauleiter Karl Kaufmann. Unter v. Allwörden wurde die Stilisierung des nationalsozialistischen Hamburg zum Zentrum niederdeutscher Bestrebungen vorangetrieben, was eine Betonung entsprechender heimatgeschichtlicher und volkskundlicher Traditionen einschloss. (So erfolgte u.a. 1935 unter v. Allwördens Federführung die Gründung der „Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ als zentrales organisatorisches Instrument dieser Bemühungen.) Damit waren für Bahns Denkmalschutz-Ansätze günstigere Rahmenbedingungen geschaffen.

Als „produktiver Architekturkritiker“ vor seiner Zeit als Denkmalpfleger hatte Bahn sich vor allem für „die Großkontorhäuser“ begeistert, und insbesondere „der konservative Revolutionär Fritz Höger“ wurde von Bahn geschätzt. „Es erhebt sich so nicht die Frage, ob er [= Bahn] im 'Dritten Reich' in der Tradition der zwanziger Jahre stand, sondern ob nicht schon die Hamburger Moderne der Weimarer Republik zu Teilen völkisch-reaktionär intendiert war; zumindest das Gebäude des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes, über das Bahn 1931 ziemlich emphatisch schrieb, gehört eindeutig in diesen Kontext.“[2] Auch Bahn war ein Vertreter des „Heimatgedankens“, was für ihn ab 1934 von Amts wegen hieß, alten, als erhaltenswert betrachteten Baubestand zu konservieren.

Hauptsächlich ging es dabei um Älteres aus der Zeit bis zum Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts: Für die Hamburger Innenstadt schwebte Bahn als sein zentrales Projekt die „Deklarierung der Cremon insel [am Nikolaifleet bzw. nahe der Nikolaikirche] und ihrer näheren Umgebung zur Denkmalschutzzone“ vor. „Ersatzbauten für Baulücken sollten sich in den Gesamtcharakter stilistisch einfügen, wobei hier auch im Geiste einer Traditionsinsel ein 'Sammelbecken all derjenigen Bauteile' sein sollte, 'die aus den Abbruchgebieten für den [vom Hamburger NS-Staat geplanten] Ost-West-Straßenzug anfallen und nicht verlorengehen dürfen'. (…) Störende Bauten wie die 'Produkte wilhelminisch-bürgerlicher Baukunst' seien durch Rekonstruktionen historischer Fassaden, durch Translozierung bzw. durch Einbau wertvoller Detailformen aus Abbruchhäusern zu verbessern. (…) Sie sind idealisierte Rekonstruktionen vermuteter oder erschließbarer historischer Zustände. Sie blenden alle späteren Veränderungen daran aus, am Befund oder auch am Analogieschluss orientiert. (…) Kernpunkt waren also der Gedanke an eine Traditionsinsel als Auffangbecken und die deutliche, einer damals vielfach noch verfolgten normativen Ästhetik folgende Einengung auf die Zeit vor der industriellen Revolution und vor der sog. Stilarchitektur der Gründerzeit, der kein Denkmalswert zugemessen wurde.“[3]

Diese Cremon insel-Pläne wurden nie realisiert;die Bombardierung Hamburgs im Sommer 1943 machten sie buchstäblich zunichte. Etwa vorhandenen Vorstellungen, die in dieser Richtung noch nach 1945 bestehen mochten, standen Trümmerbeseitigung, Bauschuttentsorgung und anschließende Neubauprogramme der 1950er-Jahre entgegen.

1935 jedoch vertrat Bahn seine Idee bei einer Ausstellung „Die Altstadt ruft“, wobei er das zukunftsweisende Argument aufbot, schließlich sei Hamburg kein „verjudetes New York“[4]. Sein Amt, formulierte er anlässlich einer anderen Ausstellung („Blut und Boden“), wolle „sich kämpferisch seinen Anteil erringen am Werden der neuen Zeit.“[5] Diesem Bekenntnis entsprach durchaus, dass Bahn „die 'Säuberung' der letzten Gängeviertel der Neustadt ( Rademachergang ) billigend in Kauf genommen (und durch Dokumentation begleitet)“ hat, wie auch seine der Bombenkatastrophe 1943 „jahrelang vorausgehenden Aktivitäten im vorbereitenden Luftschutz“ damit zu vereinbaren waren.[6]

Bahns Cremon insel-Pläne waren in der Hamburg Verwaltung nicht unumstritten, und, als er 1936 damit unabgesprochen in die Öffentlichkeit gegangen war („Hamburger Tageblatt, 15. April 1936), grundsätzlich gefährdet. Allerdings fand er Unterstützung durch den Regierenden Bürgermeister C. V. Krogmann. Der neue Kultursenator Hellmut Becker, Nachfolger v. Allwördens, gab dann für Bahns Vorhaben 1941 grünes Licht – aber wegen der Kriegsentwicklung bestand keine Chance mehr auf Verwirklichung.

Im Rahmen seines Amtsverständnisses wollte Bahn aber auch überhaupt volkskundlich bewahrend wirken. So wollte er beispielsweise im 1935 neu gestalteten Parkgelände „Planten un Blomen“ „eine kleine Sammlung“ von (translozierten) niederdeutschen Bauerhäusern aufstellen. Als 1938 die „Jahrestagung der deutschen Denkmalpflege“ in Hamburg stattfand (Thema: „Denkmalpflege und Großstadt“) ging es nicht nur um die gigantischen Elbufer-Pläne Hitlers bzw. Konstanty Gutschows, die das Gesicht Hamburgs drastisch verändert hätten (wären sie denn realisiert worden), sondern gleichzeitig auch um Bahns Konservierungsideen: So wurde u.a. auch eine kleine Ausstellung zu „Finkenwerder, Inventarisation einer Landschaft“ gezeigt[7], und in der Zeitschrift „Deutsche Kunst und Denkmalpflege“ erschien 1938 u.a. sein Aufsatz „Die Bauernhaustypen der Hamburger Landschaft“.

Ganz in Einklang mit völkischen und niederdeutschen Bestrebungen längst vor 1933, gab er 1936 die Losung aus „Ohne Heimatliebe keine Vaterlandsliebe!“[8], und 1942 hieß es in einer anderen Schrift Bahns: „Wir glauben, dass unser Volk ohne Tradition, ohne innere Bindung an die Leistungen der Vorfahren nicht den Weg in die Zukunft nehmen kann mit derjenigen Sicherheit, die der angeborene Instinkt verleiht. (…)“[9]

Hans Bahn war „1933 (…) der NSDAP beigetreten. Nach eigenem Bekunden beschränkte er aber seine Mitarbeit (…) bald auf das unbedingt Notwendige“.[10] Er war wohl, wurde daraus geschlossen, lediglich ein „Mitläufer aus Berufsidealismus“[11].

Dagegen wurde prononciert betont: „Die extrem konservative, völkische Tradition der Institution [Denkmalpflege] – die durchaus auch nach 1945 noch Spuren hinterlassen hat -, machte ihre Vertreter zu den prädestinierten Erfüllungsgehilfen des Nationalsozialismus, ob sie das bewusst so erstrebten, nur einfach in Kauf nahmen oder sogar gelegentlich in Frage stellten. Bahn war in diesem Sinne Nationalsozialist und hat nationalsozialistisch ausgerichtete Denkmalpflege betrieben, daran kann gar kein Zweifel bestehen. Niedersächsische Bauernhäuser und die in der geplanten 'Denkmalzone Cremon ' stilisierte Bürgerhaustradition in sozialhygienischer und niederdeutsch-völkischer Deutung bestimmen die Ziele seiner Arbeit.“[12]

Am 18. August 1945 wurde Hans Bahn von der britischen Militärverwaltung beurlaubt, am 1. Dezember 1945 in den Ruhestand versetzt. Heimatbewegten, niederdeutschen Kreisen war er danach noch ein Begriff.[13]

Am 25. September 1959 ist er in Hamburg gestorben.

Autor: Ralph Busch, 2016

Anmerkungen
1 Angaben zu Hans Bahns Leben und Wirken nach: Birte Pusback, „Hans Bahn und die Hamburger Denkmalpflege 1934-1945“, in: Ruth Heftrig/Olaf Peters/Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“. Theorien, Methoden, Praktiken, Berlin 2008, S. 337-346; Manfred F. Fischer, „Hans Bahn (1934-1945)“, in: Manfred F. Fischer/Elke Först, Denkmalpflege in Hamburg. Idee – Gesetz – Geschichte (= Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg 19), Hamburg 2000, S. 49-56, dazu: Hermann Hipp, „Rezension zu Fischer/Först“, „Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte“ 87/2001, S. 242/243; siehe auch: Hermann Hipp, „Amtliche Erinnerung. Denkmalpflege und Stadtplanung in Hamburg vor und nach dem Zweiten Weltkrieg“, in: Peter Reichel (Hg.), Das Gedächtnis der Stadt. Hamburg im Umgang mit seiner nationalsozialistische Vergangenheit (= Schriftenreihe der Hamburgischen Kulturstiftung 6), Hamburg 1997, S. 61-80
2 Hipp, „Rezension“ (wie Anm. 1), S. 242/243
3 Fischer (wie Anm. 1), S. 52/53
4 Ebd., S. 52
5 Ebd., S. 50
6 Hipp, „Rezension“ (wie Anm. 1), S. 242
7 Fischer (wie Anm. 1), S. S. 50
8 Zitiert nach Pusback (wie Anm. 1), S. 342
9 Zitiert nach ebd. - Die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft drückte sich etwa auch in der (geplanten) Verwendung der Cremon insel-Häuser aus: In der Catharinenstraße Nr. 7 sollte sich das „Haus der Seefahrenden Hitlerjugend“ (wohl: „Marine-HJ“) befinden, in Nr. 8 und 9 sollte das „Kolonial-Messe-Haus-Projekt“ einziehen, Nr. 17 war als „Haus Vereinigung Niederdeutsches Hamburg“ vorgesehen (siehe den Plan von 1941, in Fischer/Först (wie Anm. 1), S. 53 (vgl. Hipp , „Amtliche Erinnerung“ - wie Anm. 1 -, S. 64, wo irrtümlich von einem „Bund niederdeutsches Hamburg“ gesprochen wird).
10 Fischer (wie Anm. 1), S. 50
11 Ebd.
12 Hipp, „Rezension“ (wie Anm. 1), S. 242. Diese Einschätzung der Rolle und Einstellung Bahns ist kein Widerspruch zu Hipps früherer Feststellung: „Er ist gleichwohl kein kämpferischer Blut-und-Boden-Nazi gewesen, sondern ein sich als Fachmann verstehender (…) Denkmalpfleger.“ (Hipp, „Amtliche Erinnerung“ - wie Anm. 1 -, S. 63)
13 Ein Beispiel: Hans Bahn hatte in der niederdeutsch-bewegten Zeitschrift „Mitteilungen aus dem Quickborn“ (33/1939-1940, S. 192) dem Heimat- und Volkskundler Ernst Finder 1940 zum 75. Geburtstag gratuliert. Er bescheinigte Finder dabei, dieser habe bereits 1922 „einer späteren Zeit eine Einstellung zur Volkstumspflege vorweg[genommen], die heute nationalsozialistisches Gemeingut geworden ist“. Als nach Ende der NS-Zeit, 1951, ein Buch Finders („Die Elbinsel Finkenwärder“, zuerst 1940) neu herausgebracht werden sollte, waren sich Christians-Verlag, der „Verein für Hamburgische Geschichte“ und der Überarbeiter, Adolph Albershardt, einig, in der Neufassung einen Text von Hans Bahn anzufügen: „Zwei Finkenwärder Haustypen“ (S. 332-337 in dieser Auflage). Der Geschichtsverein fand im Vorwort „Zum Geleit“, dies sei „eine wertvolle Ergänzung der Finderschen Ausführungen über die Bauweise auf der Insel“. Es war ein Text aus vergangenen Tagen (die beigefügten Haus-Darstellungen stammten von Bahns Mitarbeiter Gädtgen, datiert auf Mai 1935): Hans Bahn sprach darin vom Finkenwerder „Volkstum“, der Finkenwerder Bewohner wurde als „Bauer und Fischer“ vorgestellt und die Haustypen wurden als Ausdruck eines „Menschenschlags“ gedeutet, deren Gebäude „Endergebnis einer tausendjährigen Ableitung vom germanischen Einraumhaus“ seien.
 

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Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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