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Asta Hampe

( Prof. Dr. rer.pol. und Dipl.-Ing. Asta Hampe )
(24.5.1907 Helmstedt – 22.10.2003 vermutlich Hamburg)
Ingenieurin und Volkswirtin
Holzdamm (damalige Adresse der Klosterschule = Unterrichtsanstalten des Klosters St. Johannis, gegr. 1872 als erste höhere Mädchenschule in Hamburg)
Hohenzollernring 110 (Privatanschrift als Dr. DiplVolksw in HHer Adressbuch z.B: von 1957)
Brahmsallee 24 (Privatanschrift als Dr.Doz in: HHer Adressbuch, Bände 1960-1962, Bd. II, 629)
Rothenbaumchaussee 32 (Wohnadresse)
(Wirkungsstätten) Universität Hamburg; Krankenhaus Barmbek; Exportfirma Kunst & Albers, Alsterdamm 16/19; Firma Philips-Valvo, Stresemannallee 101 (1939 hieß diese Straße Horst-Wessel-Allee ?)

Asta Hampe gehört zu der Generation, die fast das ganze 20. Jahrhundert miterlebte: Kaiserzeit, zwei Weltkriege, dazwischen Notjahre nach 1918, Inflation, Weimarer Republik. In der Epoche des Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 durchlief sie unterschiedliche „Karrieren“. Am Konzept des Wiederaufbaus und der Wohnungspolitik seit den 1950er Jahren war sie ebenfalls beteiligt. „Zähes Durchhalten kennzeichnet diese Generation, Unerschrockenheit und auch ein Optimismus, der nach Rückschlägen stets zu neuem Beginn treibt. Diese Eigenschaften (besaß) Asta Hampe in besonderem Maße; hinzu traten ihr Elan und ihr unermüdlicher Einsatz für fortschrittliche Maximen und Methoden, mit dem sie das Herz der jungen Kolleginnen gewann“. Wie sie in den 1950er und 1960er Jahren die leidenschaftlichen Debatten über Gleichberechtigung, zumal von Frauen in den vermeintlich männlichen Domänen der Wissenschaft, führte (vor dem Hintergrund solcher Thesen wie „Geistigkeit ist ein Privileg der Männer", "Logisches Denken liegt der Frau nicht", "Frauen, die diesen Beruf ausüben, sind keine Frauen mehr"; und so äußerte sich ein Theologe: "Gottes schlechteste Geschöpfe") – wie sie später das Thema Frauenquote propagierte. Wie ein zeitgeschichtlicher Bilderbogen liest sich das Interview-Porträt von Birgit Zich (Zich 2001, Seite 61-70).
Geboren in Helmstedt als eines von vier Kindern der Besitzer der Kammgarspinnerei Hampe (gegr. 1823), machte sie in Hamburg 1926 das Abitur. Sie hatte zwei Schwestern, ihr älterer Bruder blieb im 1. Weltkrieg vermisst. Nach dem Besuch der Klosterschule, dem ersten Frauengymnasium in Hamburg, studierte die junge Asta Physik und Ingenieurwissenschaften an der Technischen Hochschule TH München. Dort war sie eine von fünf Frauen unter 500 Männern. Die Neigung zur Technik war ihr schon als Kind eingegeben worden. Von Vater und Onkel wurde sie in deren Familienbetriebe mitgenommen. Das waren eine Kammgarnspinnerei (um 1899 waren dort etwa 100 Personen beschäftigt, davon etwa 80 Frauen, die Vorarbeiterinnen mussten sie mit einem Knicks begrüßen) und die Seifenfabrik Friedrich Hampe.
Die Jahre nach dem 1. Weltkrieg waren geprägt durch viele technische Entwicklungen: Die Rundfunktechnik nahm 1918 ihren Anfang. Junkers baute im 1. Weltkrieg Ganzmetall-Flugzeuge, 1924 flog der erste Zeppelin über den Atlantik, vier Jahre später fand die Atlantiküberquerung in Ost-West-Richtung statt. Bei Asta fing alles mit einem Radio an: 1924 bastelte sich die Schülerin einen kleinen Radioapparat. Den Bauplan hatte sie einer einschlägigen Fachzeitschrift entnommen. „Fasziniert von der neuen Technik beschloss Asta Hampe, Ingenieurin zu werden. Ihr Vater wollte das nicht, er sagte: ‚Du heiratest ja doch bald, du kannst wie deine Mitschülerinnen Schreibmaschine lernen, und dann gehst du irgendwo hin und tippst.’ So hatte sie sich das nicht gedacht. Zum Glück erhielt sie Unterstützung von ihrem Onkel und ihrem Großvater, die beiden haben dann das Studium finanziert“ (Zich 2001, S. 61 f.).
Nach dem Vorexamen und Firmenpraktika wechselte sie an die TH Berlin zum Studium der Fernmeldetechnik. In Berlin reagierten die 200-300 männlichen Kommilitonen nicht mehr – wie in München – mit Getrampel auf die immerhin drei Studentinnen im Fach Theoretische Elektrotechnik. Ihre Diplom-Hauptprüfung legte sie in der Fachrichtung Fernmeldetechnik, Abt. Maschinenbau, ab. 1929 und 1935 hatte die im Rahmen von Auslands-Aufenthalten in London, Exeter, und Sheffield ihre englischen Sprachkenntnisse vertieft (Qu: Selbstauskunft in der Beitrittserklärung zum „Deutschen Frauenwerk“ v. 1.11.1935) .
Die frisch gebackene Dipl.-Ing. arbeitete in verschiedenen Firmen als Ingenieurin und Physikerin. Ab 1933 jedoch stießen junge Akademikerinnen zunehmend auf Diskriminierung im Beruf. Wieder in Hamburg, wurde ihr nach nur einem halben Jahr als Physikerin im Krankenhaus Barmbek gekündigt mit der offiziellen Begründung des zuständigen Senators „Physik ist kein Frauenberuf – Hampe ist zu entlassen“. Ihre Flexibilität und Abenteuerlust führte sie als Angebotsingenieurin zu der Ostasien-Exportfirma Kunst & Albers; das damals größte Handelshaus im „russischen Fernen Osten“ stiftete u.a. ethnologische und zoologische Sammlungen an Museen.
In Hamburg wohnte sie in der Rothenbaumchaussee 32. Am 1. November 1935 trat sie in die „Abteilung Reichsverbund Deutscher Akademikerinnen“ im „Deutschen Frauenwerk“ ein. In der Beitrittserklärung gab sie unter „Spezialgebiete und besondere Interessen“ an: Hochfrequenztechnik, Sozialpolitik und Arbeitsschutz“. Damals war sie bereits Mitglied der Arbeitsfront und des Verbandes Deutscher Elektrotechniker VDE (Qu: Selbstauskunft in der Beitrittserklärung zum „Deutschen Frauenwerk“ v. 1.11.1935). Als nächste liegt ihre „Aufnahme-Erklärung als Einzelmitglied in das „Deutsche Frauenwerk“ vor; dort bestätigt sie ihre Mitgliedschaft im VDE im NS Bund Deutscher Techniker NSBDT, dem damaligen Zusammenschluss aller technisch-wissenschaftlichen Verbände und Vereine unter Führung des Hauptamtes für Technik. Das „Hauptamt für Technik war eine Parteidienststelle der NSDAP. Aus den fünf angebotenen „Reichs-Abteilungen wählte Asta Hampe: Volkswirtschaft – Hauswirtschaft (Qu: Bundesarchiv, Aufnahme-Erklärung für Mitgl.-Nr. 862349 Asta Hampe v. 18.5.1938).
Ihre Beitritts-Erklärung zur „Hochschulgemeinschaft Deutscher Frauen (in der Nationalsozialistischen Studentenkampfhilfe des NS-Studentenbundes der NSDAP) datiert in Hamburg vom 19. Juni 1938.
Am 14. November 1939 beantragte sie die Aufnahme in die NSDAP. Mit der Mitgliedsnummer 7491265 wurde wurde sie am 1. Februar 1939 in der NSDAP_Gaukartei für die Ortsgruppe Hamburg notiert (Original ist im Bundesarchiv Berlin).

1939 übernahm Asta Hampe für kurze Zeit die Leitung des Versuchslabors bei Philips-Valvo.
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs suchte die Kriegsmarine nach Physikern. Asta Hampe bewarb sich und erhielt eine Dienstverpflichtung von der Kriegsmarine zum Nachrichtenmittel-Versuchskommando nach Kiel: „Sie musste die Laborarbeiten machen und ein Mann nahm ihre Arbeit unter den Arm, ging dann auf das Schiff und probierte ihre Arbeit dort aus. Das hat sie immer geärgert“ (Zich 2001, 65).
1943 konnte sie nach Hamburg zurückkehren. Dort begann sie ihre zweite Laufbahn mit einem weiteren „Männerstudienfach“: Sie studierte „Volkswirtschaft an der Universität Hamburg. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Rahmen der allgemeinen Neuorganisation war es für Asta Hampe mit ihrer für damalige Zeiten ungewöhnlichen Expertise vermutlich relativ einfach, die Entnazifizierungsphase erfolgreich zu überstehen: 1947 promovierte sie mit dem zeitgemäßen Thema: „Der Einfluss der kriegsbedingten Gebäudezerstörung auf den städtischen Bodenkredit“
Als Expertin wurde sie Mitarbeiterin bei wohnungswirtschaftlichen Spitzenverbänden und ab 1951 Assistentin von Prof. Dr. Albert von Mühlenfels und Lehrbeauftragte der Statistik an der Universität Hamburg, was dann auch ihr Schwerpunktthema geblieben ist (Zich 2001, 64).
„1957 habilitierte sich Asta Hampe mit der wirtschaftstheoretischen Schrift: ‚Die freie Mietpreisbildung’ (publiziert Stuttgart 1958). Danach wurde die außerordentliche Professorin an der Universität Hamburg, und 1962 erhielt sie einen Ruf an den neu geschaffenen Lehrstuhl ‚Wirtschaftsstatistik’ der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Philipps-Universität Marburg. Dort hatte sie die einmalige Chance, dieses Fach ganz neu aufzubauen, was sie mit Leidenschaft getan hat. Eine Generation von Wirtschaftswissenschaftlern wurde in diesem damals sehr modernen Gebiet von ihr geprägt“ (Tilsner 2003/2004, S. 50-51).
Asta Hampe wirkte nachhaltig im Deutschen Akademikerinnenbund DAB. Sie war 1947 Gründungmitglied der Gruppe Hamburg. In diesem Verband leitete sie von 1976 bis 1981 den Hochschulausschuss und kämpfte im DAB, aber auch außerhalb, immer sehr engagiert für die Rechte der Frauen in der Wissenschaft.
Zahlreiche Mitgliedschaften in entsprechenden Wissenschaftlichen Gesellschaften und viele Veröffentlichungen kennzeichnen ihren wissenschaftlichen Lebensweg. Sie war auch ständiges Mitglied im Wohnungswirtschaftlichen Beirat des Bundesministeriums für Wohnungsbau bis zu dessen Auflösung. Nach ihrer Emeritierung kehrte Asta Hampe 1974 nach Hamburg zurück. Schon während ihres Studiums in Berlin hatte sie die Gemeinschaft Deutscher Ingenieurinnen gegründet, mit der sie 1931 dem DAB beitrat. 1990 war sie In Initiatorin und Mitbegründerin des Deutschen Hochschullehrerinnenbundes.
Ihr Privatleben war geprägt von Ihrer Leidenschaft fürs Reiten, aber auch für andere Sportarten. Mit ihrer Lebensgefährtin, Dipl.- Bibliothekarin Ady Röper, besuchte sie auch bis ins sehr hohe Alter immer wieder die Veranstaltungen des Akademikerinnenbundes Hamburg und die nationalen und internationalen Tagungen des DAB: „Liebe Asta Hampe, wer Sie persönlich kannte, war nicht nur von Ihrer gewachsenen Autorität, sondern auch von Ihrer klaren und stringenten Sprache beeindruckt. Bis zuletzt waren Sie geistig beweglich und interessiert an allem, ein Vorbild und Wunschbild für uns Jüngere (...). Der Deutsche Akademikerinnenbund DAB und alle wissenschaftlich ausgebildeten Frauen haben Ihnen sehr viel zu verdanken und bei allen, die Sie kannten, werden Sie unvergessen bleiben. (...) Wir nehmen Abschied von unserer lieben Kollegin in Prof. Dr. rer.pol. und Dipl-Ing. Asta Hampe und trauern um eine treue Freundin der Frauenarbeit, die mehr als 55 Jahre unser Mitglied war“. (vgl. Tilsner 2003/2004, 51).
Text: Dr. Cornelia Göksu

Quellen zur Mitgliedschaft in NS-Organisationen (alle im Bundesarchiv):
1.) Aufnahme-Erklärung „Deutsches Frauenwerk“, Abt. Reichsbund Deutscher Akademikerinnen (Mitglied der Internat. Federation of University Women) v. 1.11.1935, Gau: Schleswig oder hamburg, Mitgliedsnummer: 224
2.) Aufnahme-Erklärung „Deutsches Frauenwerk“, Gau Hamburg, v. 18.5.1938, Mitgl.-Nr. 862349.
3.) Beitritts-Erklärung zur „Hochschulgemeinschaft Deutscher Frauen in der Nationalsozialistischen Studentenkampfhilfe des NS-Studentenbundes der NSDAP, unterzeichnet am 19.6.1938, rückwirkend vom 1.Juni 1938, Mitgl-Nr. 696
4.) Karte der NSDAP-Gaukartei, NSDAP_Mitgl-Nr. 7491265, Aufnahme beantragt am 14.11.39, Aufnahme: 1.2.40.
5.) Schriftliche Bestätigung der alten Mitgl-Nr. Studentinnen in der „Hochschulgemeinschaft“, Beitritt 1.6.1938,
vermutlich zwecks Aufnahme des zweiten Studiums der Volkswirtschaft ab ca. 1943.

Quellen zur Biografie:
– Lieselotte Tilsner, Nachruf in: Konsens, Mitgliederperiodikum DAB, Heft 2003/2004, S. 50-51
– Birgit Zich: Mit einem Radio fing alles an. Prof. Dr. Asta Hampe – Ingenieurin und Volkswirtin. In: Biographien von Naturwissenschaftlerinnen des Deutschen Akademikerinnen Bundes e.V. Eine Interviewreihe der DAB-Arbeitsgruppe „Frauen in Naturwissenschaft und Technik“ = Festschrift zum 75-jährigen Bestehen des DAB, online unter dem LINK: dab-ev.org/material/DAB-Gruppen/Biogr-Gesamt.pdf
– Der Impuls, das Abitur machen zu wollen, erfolgte über den Hausunterricht bei einer „richtigen Studienrätin für Deutsch und Geschichte“, die an einem Gymnasium in Belgard in Hinterpommern tätig war; vgl. Artikel bei Wiki über die mit Asta Hampe befreundete Donald-Duck-Übersetzerin Erika Fuchs.

Publikationen von Asta Hampe:
Die genannte Dissertation sowie die Habil-Schrift und viele weitere Publikationen sind in den Hamburger Wissenschaftlichen Bibliotheken zugänglich unter Campus-Katalog.
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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