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Fritz Jöde

(2.8.1887 Hamburg – 19.10.1970 Hamburg)
Musikpädagoge, führend in der Jugendmusikbewegung
Hinschallee 12 in Hamburg Rahlstedt (Wohnadresse in den 1950er-Jahren)
Georg-Bonne-Straße 50 (Wohnadresse 1960)
Bestattet: Friedhof Hamburg-Nienstedten, Rupertistraße 37
Jödeweg , seit 1977 Hamburg Nienstedten

Fritz Jödes Vater war Schuhmachermeister und Vorsitzender des Hamburger Gesangvereins des Arbeiter-Bildungsvereins. Er selbst besuchte direkt nach der Volksschule von 1902 bis 1908 das Hamburger Lehrerseminar. Anschließend wurde er Hilfslehrer an einer Volksschule. Autodidaktisch bildete er sich musikalisch weiter (u. a. Klavier, Theorie, Harmonielehre, Stimmbildung) und wechselte 1909 an die private Realschule Dr. Wahnschaffe, wo er bis 1914 Sport, Zeichnen und Musik unterrichtete. Währenddessen legte er 1912 die Prüfung zur festen Anstellung im Hamburgischen Schuldienst ab. An der Wahnschaffe-Schule gründete er im Hamburger Bund für Jugendwandern eine „Zugvogel“-Gruppe und wurde später Bundesleiter.

Im Februar 1915 wurde Jöde als Soldat eingezogen – zunächst zur Ausbildung in einer Garnison in Altona, dann von Juni bis Oktober 1915 als Gefreiter der Infanterie an der Ostfront. Dort wurde er verwundet und lag bis März 1916 im Lazarett. Anschließend reklamierte ihn die Hamburger Oberschulbehörde als Garnisonsdienstunfähigen zum Schuldienst und er wurde nicht wieder einberufen. Während des Ersten Weltkriegs vertonte er Kriegspropaganda für die Reihe „Kriegslieder fürs deutsche Volk mit Noten“ Verlag Eugen Diederichs, die unter anderem „Jeder Schuß ein Russ’“ oder „Jeder Stoß ein Franzos’“ hießen und vor allem in Schulen weite Verbreitung fanden.

1917/18 gehörte er zu den Mitbegründern der Jugendmusikbewegung (genauer, des in Norddeutschland beheimateten Teils, der sich in der Musikantengilde organisierte), und gab als deren Schlüsselwerk die Aufsatzsammlung „Musikalische Jugendkultur. Anregungen aus der Jugendbewegung“ heraus. Auch engagierte er sich für die pädagogischen Reformideen jener Zeit und beteiligte sich am „Wendekreis“, einer Vereinigung sich als revolutionär verstehender Hamburger Lehrerinnen und Lehrer, die eng mit der Jugendbewegung verbunden war. Außerdem wirkte er im sozialen Aufbauwerk des Hamburger Volksheims mit. Anfang 1920 ließ er sich vom staatlichen Schuldienst beurlauben und arbeitete am „Wendehof“ in der Lüneburger Heide. Dieser war aus der nach dem Ersten Weltkrieg in Hamburg gegründeten Versuchsschule „Wendeschule" hervorgegangen und folgte dem sehr freien Konzept der Selbsterziehung. Das Experiment scheiterte nach nur fünf Monaten.

Ende Mai 1920 wurde Jöde wegen seiner Leistungen im Bereich der Volksmusikpflege und seiner Begabung nach Leipzig beurlaubt, wo er bis Ende Oktober 1921 Musikwissenschaft unter anderem bei Hermann Abert studierte. Anschließend kehrte er in den Schuldienst nach Hamburg zurück und führte auch musikpädagogische Kurse für Lehrinnen und Lehrer durch. Außerdem wurde er Schriftführer der Zeitschrift „Die Laute“, die er in „Die Musikantengilde“ umbenannte.

Im April 1923 erhielt er einen Ruf als Professor an die Berliner Staatliche Akademie für Kirchen- und Schulmusik Dort gründete er noch im selben Jahr die erste staatliche Jugendmusikschule. Zusammen mit dem jüdischen Pianisten, Musikpädagogen und Kulturpolitiker Leo Kestenberg, der in Berlin die Musikabteilung des Zentralinstituts für Erziehung und Unterricht am Preußischen Kultusministerium leitete, reformierte er die musikalische Elementarpädagogik in Volksmusik und Jugendmusik. Er lehnte Konzerte, konzertante Kirchenmusik, Hausmusik und Unterhaltungsmusik ab und förderte stattdessen das „Offene Singen“ im Freien, an dem stets Hunderte von Menschen teilnahmen.

Innerhalb der Jugendmusikbewegung kam es allerdings zunehmend zu Konflikten, die 1929 auf einer Tagung eskalierten. An Jöde erging der Vorwurf, mit seinen „theoretischen und stark weltanschaulich durchsetzten Schriften (…) leider viel häufiger auf mindere als auf vornehme und klare Menschen gewirkt“ zu haben. Verschiedene Kollegen legten ihm eine mehrjährige Produktionspause nahe, was ihn jedoch nicht kümmerte.

1930 wurde Jöde an der Berliner Staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik Leiter des Seminars für Volks- und Jugendmusikpflege. 1931 sah er sich offenbar erheblichen öffentlichen Angriffen (unter anderem in der Presse) ausgesetzt, die ihm eine Nähe zum Sozialismus und Kommunismus unterstellten. Darauf reagierte er im Oktober desselben Jahres mit einem langen Schreiben an den damaligen Direktor der Akademie Hans Joachim Moser. Zunächst betonte er, dass er niemals einer Partei angehört hätte, und damit auch keiner sozialistischen oder kommunistischen, sondern dass man sich bei der Musikarbeit grundsätzlich „von der Bindung an irgend eine Partei frei halten muss“. Desweiteren rechtfertigte er seinen Austritt aus der evangelischen Kirche kurz nach seiner ersten Eheschließung 1913. Er hätte nichts zu tun gehabt „mit der Kirchenaustrittsbewegung der Linkspartei“, sondern allein mit den „damaligen Zuständen der Kirche in Hamburg“. Seine gleichwohl „starke Bindung zur religiösen Frage“ würden die zahlreichen geistlichen Lieder in seiner Arbeit deutlich genug machen. Noch immer sei es ihm aber „unmöglich, wieder in eine Kirche einzutreten, wo ein solcher Kirchenstreit herrscht“. Unter der Überschrift „Meine Stellung zu vaterländischen Liedern“ stritt er zudem vehement ab, dass er solche nicht mögen würde und zitierte unter anderem aus seinem Sammelwerk „Frau Musika“ die Strophen: „Sichres Deutschland, schläfst Du noch / Flamme empor! / Deutschland, Deutschland über alles, / Wach auf, du deutsches Land, / Stimm an mit hellem, hohen Klang, / Wenn alle untreu werden, / Wie mir deine Freunden winken, und / Kein schöner Land.“ Zur Unterstützung legte er ein Heft seiner Musikantenlieder bei, dass „Stand und Bund“ hieße und zahlreiche vaterländische Lieder enthielte. Unter „Meine Stellung zum Volkstum überhaupt“ wies er zudem darauf hin, dass das Singen des Volkslieder und des Kinderliedes „eine der elementarsten Volkstumsäußerungen überhaupt“ sei und äußerte sich schließlich noch ausführlich zu der „Frage meines Aussendienstes in den Bünden.“ Danach strebte er mit seiner Arbeit an, „zu wirken in allen Kirchen und allen Parteien, soweit sie nicht Menschenhass und Zerstörung propagierten“ und hätte infolgedessen seine Arbeit „auf der einen Seite sehr wohl auch der Fürsorgeerziehung und der Gefängniserziehung mit Hilfe von Singstunden zur Verfügung gestellt, wie der inneren Aufbauarbeit der Reichswehr, bei der ich auch mit Singstunden beginne und für die bereits ein Liederheft zur Verbreitung des Liedes unterwegs ist.“

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 sollte Jöde seiner Meinung nach infolge einer massiven Kampagne von NS-Machthabern seines Amtes enthoben werden. Dagegen protestierten im Mai 1933 eine Reihe von Unterstützerinnen und Unterstützern – darunter die damalige Direktorin der Hamburger Elise-Averdieck-Schule Jula Dietz, der Berliner Stadtverordnete der NSDAP Hellmuth Döhler und der Reichsjugendführer des jungdeutschen Ordens Erich Eggeling – beim Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in Berlin mit folgender Erklärung: „Im Protest gegen die masslosen und ungerechtfertigten Angriffe der Gegner Professor Fritz Jödes erklären die Unterzeichneten, dass sie die Arbeit Professor Jödes unbeschadet von Abweichungen im einzelnen als deutsche Aufbauarbeit und als Dienst am deutschen Volke betrachten, die sich in jeder Beziehung mit den Zielen deckt, die von der deutschen Freiheitsbewegung verfolgt werden. Sie halten deshalb die Mitwirkung Professor Jödes bei dieser Aufbauarbeit für unbedingt nötig und selbstverständlich“.

Ende Juni 1933 trat Fritz Jöde wieder in die evangelisch-lutherische Kirche ein – da er erkannt habe, dass sich die Kirche nun selbst zum Aufbruch vorbereite und er daher mit seiner Musikarbeit nun auch von innen her helfen möchte, „dass aus dem Geist des deutschen Kirchliedes und des Geist unseres sich einigen Volkes eine neue Kirche“ entstünde.

Ende August 1933 unterschrieb er den Diensteid der öffentlichen Beamten: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“

Im Juni 1934 veröffentlichte er eine Erklärung „In eigener Sache“. Darin verlangte er „von der Reichsleitung der nationalsozialistischen Partei“, ein „klares Ja oder Nein“ zu seiner Person und seiner Arbeit, da nach wie vor einerseits anerkannt würde, dass er sein Lebenswerk „in den Dienst der Erneuerung unseres Volkstums auf dem Gebiet des Liedes und der Musik“ stellte, andererseit aber „Männer an entscheidenden Stellen“ seine Arbeit ablehnten und „mit Hilfe von Machtbefugnissen ein Zusammenkommen im Aufbau verhinderten“.

Im Februar 1935 beurlaubte der Reichs- und Preußische Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Fritz Jöde „wegen des Verdachts dienstlicher Verfehlungen“ bis auf Weiteres von seinem Amt als Professor an der Akademie für Kirchen- und Schulmusik. Im März 1935 leitete er gegen ihn ein „Dienststrafverfahren mit dem Ziele der Dienstentlassung“ ein. Der Grund seien „sittliche Verfehlungen gegen mehrere minderjährige Schülerinnen, gegen gleichfalls minderjährige Teilnehmerinnen des (…) Seminars für Volks- und Jugendmusikpflege (…) sowie Studentinnen der Akademie.“ Jöde wurde vorläufig seines Dienstes enthoben, bis auf Weiteres wurden 50 Prozent seiner Dienstbezüge einbehalten. Kurz darauf wurde er bei gleichzeitiger Bewilligung einer Rente für die Dauer von fünf Jahren entlassen.

1937 zog Jöde nach München, wo er freiberuflicher Mitarbeiter des Jugendfunks am Reichssender und 1938 Leiter der dortigen HJ-Spielschar wurde. Regelmäßig holte die Stelle für politische Beurteilungen der NSDAP in den folgenden Jahren Auskünfte bei den Ortsgruppen seiner jeweiligen Wohnorte über Jödes „politische Zuverlässigkeit“ ein, die stets ohne Beanstandungen waren.  Im August 1938 etwa schrieb die Ortsgruppe München, Danziger Freiheit: „Jöde, Fritz (…) wird gut beurteilt. Er dürfte sich jetzt voll und ganz für Partei und Staat einsetzen. Vor kurzem (nach der Sperre) stellte der Genannte einen Antrag auf Aufnahme in die Partei und berief sich dabei auf den Hauptamtsleiter Schulte-Strathaus im Stab des Stellvertreters des Führers.“ Ernst Schulte Strathaus war Literatur- und Buchwissenschaftler sowie Antiquar und von 1935 bis 1941 Amtsleiter für Kunst- und Kulturfragen im Stab des Hitler-StellvertretersRudolf Heß.

Tatsächlich beantragte Jöde die Aufnahme in die NSDAP am 29. Dezember 1939 und wurde zum 1. Januar 1940 Parteigenosse (Mitglieds-Nummer 7.792.080). Außerdem war er Mitglied der Hitlerjugend, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt NSV sowie der Reichskulturkammer geworden. Seit 1939 arbeitete er bereits als Lehrer an der Reichshochschule für Musik Mozarteum in Salzburg und war dort zudem Gaumusikbeauftragter des Gaus Salzburg der Hitlerjugend. Von 1940 bis 1944 gab er auch die Zeitschrift für Spielmusik heraus. 1941 genehmigte ihm die Reichsschrifttumskammer „für die Herausgabe schriftlicher Arbeiten den Decknamen Friedrich Eosander“. 1943 trat er wieder aus der NSDAP aus. Im selben Jahr kündigte er in Salzburg und siedelte nach Braunschweig über, wo er rund ein Jahr lang an der Staatsmusikschule beschäftigt war. 1944 zog er wieder nach Bad Reichenhall, wo er bereits während seiner Zeit am Mozarteum gewohnt hatte. Dort war er „im Kriegseinsatz“ an einem Forschungsinstitut für Flugzeugbau tätig. Im Herbst 1945 übernahm er die evangelische Kantorei des Ortes und arbeitete zusätzlich als Privatmusikerzieher. Außerdem organisierte er Konzerte, darunter 1943 „in engster Zusammenarbeit mit dem Hauptkulturamt der Reichspropagandaleitung der NSDAP“ die „Studentischen Tage deutscher Kunst“ in Prag.

Zwei Jahre nach Kriegsende, im Juli 1947, kehrte Jöde nach Hamburg zurück, und leitete bis zu seinem Ruhestand 1952 an der Schulbehörde das Amt für Jugend- und Schulmusik. Parallel übernahm er 1949 die Leitung des Seminars für Privatmusikerziehung an der Städtischen Musikschule, nach deren Umwandlung in eine Staatliche Hochschule die Hauptabteilung Musikerziehung an der Hamburger Musikhochschule. Diese Tätigkeit übte er noch bis 1953 aus In den folgenden Jahren engagierte er sich weiter privat in der Jugendmusikbewegung. 1967 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand und 1970 starb er mit 84 Jahren an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs.

Zu Jödes Verhalten in der Zeit des Nationalsozialismus kommt Rainer E. Schmitt, Professor für Musikpädagogik an der Universität Heidelberg, zu folgendem Ergebnis: „1. Jöde war während der gesamten NS-Zeit mit Ausnahme des letzten Kriegsjahres, in dem er zum „Kriegsdienst verpflichtet wurde, musikpädagogisch sowohl in Deutschland als auch im europäischen Ausland aktiv. Ein generelles Berufsverbot bestand für ihn zu keiner Zeit. 2. Jöde nahm für sich selbst innerhalb der musikalischen Jugendbewegung weiterhin das ‚Führerprinzip‘ in Anspruch. Durch diese Stellung, die er bewusst behauptet und von seinen Anhängern bestätigen lässt, wird seine Position gegenüber Angreifern gestärkt. 3. Jöde kümmert sich in den Jahren unmittelbar vor und nach der NS-Machtergreifung besonders intensiv um das Image seiner Person. Dazu nutzte er vor allem die persönlichen Kontakte zu einflussreichen Freunden in Politik und Musikwirtschaft sowie die Printmedien. 4. Jöde tat alles, um mit seiner Arbeit den national­sozialistischen Machthabern zu gefallen. Von einer unpolitischen Haltung kann angesichts dieser Tatsache keine Rede sein. 5. Jöde war im Hinblick auf seine politische Verhaltensweise während der NS-Zeit sowohl Überlebenstaktiker als auch Opportunist. Er handelte in dieser Zeit oft auf zwei Ebenen, einer öffentlichen und einer privat vertraulichen, von denen er je nach Situation unterschiedlich Gebrauch macht (…) Betrachtet man im Überblick das Verhältnis Jödes zum Nationalsozialismus nach dessen Machtergreifung, so ergibt sich kein einheitliches Bild. Zum einen ist sich die NS-Führung offen­sichtlich des besonderen Ansehens, das Jöde in weiten Kreisen der Bevölkerung genießt, durchaus bewusst und vermeidet daher ein generelles Auftritts- und Arbeitsverbot. Dies wäre auch nicht im Sinne nationalsozialistischer Politik gewesen, der eine Förderung des Singbedürfnisses weiter Bevölkerungs­kreise ebenso entgegenkam wie Jödes ‚Weihegesänge‘ seiner 1933 in einer Auflagen­höhe von 7000 Exemplaren herausgegebenen Sammlung ‚Deutschland im Lied‘. Es scheint, dass man - zumindest nach 1934 - Jödes Arbeit als eine der nationalsozialistischen Idee förderliche ansah, wie sonst hätte man ihn 1937 an­lässlich eines Musikkurses im Gartensaal der Bayerischen Reitschule in München einen Vortrag über ‚Menschenformung in schöpferischem Musi­zieren‘ halten lassen oder 1941 zu Singleiterlehrgängen der Kriegsmarine ver­pflichtet (PW 26). Gegen Repressalien unterer NS-Stellen kann sich Jöde dank seiner guten Verbindungen und Kontakte zu höheren Stellen meist erfolgreich zur Wehr setzen. So will das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Abteilung Musik ‚Bedenken vorläufig zurückstellen und Auslands­vorträge Jödes auf Antrag von Fall zu Fall genehmigen‘, wie die NS-Parteizentrale in München am 1.12.1937 schriftlich mitteilt (PW 6). Von gleicher Stelle erfolgt am 26.5.39 die Nachricht, dass der Reichs­minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung ‚gegen seine früheren Vorbehalte nunmehr Ihrer [Jödes] Verwendung in der Arbeitsgemeinschaft für Instrumentalunterricht an den Bayerischen Volksschulen ohne Einschränkung zustimme‘ (VT 10). Der NS-Führung war also offensichtlich daran gelegen, Jödes Aktivitäten zwar nicht zu unterbinden, diese aber durch häufige Wechsel von Einschränkungen und Genehmigungen unter politischer Kontrolle zu halten. Jöde aber ging es zu dieser Zeit schon um mehr als nur den Erhalt der musikalischen Jugendbewegung. Er strebte danach, seine Ideen über die Grenzen des Reiches hinaus auch im Ausland zu verbreiten und auf diesem Weg bei den Völkern Europas eine allgemeine Musikbewegung zu gründen. (…) Zum Schluss der hier vor­ge­nommenen und sicher nicht abgeschlossenen ‚Nachträge‘ bleibt festzustellen, dass sich Fritz Jöde - ganz im Gegensatz zu manchem seiner Freunde und An­hänger - der politischen Wirksamkeit seines Handelns zu jeder Zeit bewusst war und dies in entscheidenden Augenblicken auch zu nutzen verstand. Von politischer Enthaltsamkeit oder gar von einer unpolitischen Haltung, auf die er und viele seiner Anhänger öfters hinwiesen, kann keine Rede sein, im Gegenteil: Jöde zieht die zur Wahrung seiner Interessen notwendigen politischen Fäden in der Regel im Hintergrund, und er tut dies, wie verschiedene Beispiele gezeigt haben, durchaus geschickt. Daher glaubte man nach 1945 auch seiner Behauptung, dass es ihm ‚ausschließlich um ein musikpädagogisches Wirken ohne jeden politischen Hintergrund‘ ging (ES 3).“ [1]

Text. Frauke Steinhäuser

Quelle:
1 Rainer Schmitt: Von der Politik eines Unpolitischen – Nachträge zum „Fall Jöde“ in den Jahren 1927 -1945 In: Schoenebeck, Mechthild von [Hrsg.]: Vom Umgang des Faches Musikpädagogik mit seiner Geschichte. Essen: Die Blaue Eule 2001, S. 142ff. (Musikpädagogische Forschung; 22)
Die im Zitat angegebenen Zitatnachweise finden Sie in dem Aufsatz von Schmitt. Der Aufsatz ist nachzulesen unter
www.pedocs.de/volltexte/2015/10224/pdf/Schmitt_Von_der_Politik_eines_Unpolitischen_2001.pdf

Staatsarchiv Hamburg 332-5 Standesämter 2143 u. 2750/1887; Thomas-M. Langner, „Jöde, Fritz“, in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 452 f., Onlinefassung: www.deutsche-biographie.de/pnd118557629.html; Bundesarchiv Berlin, Sammlung Berlin Document Center (BDC), Personenbezogene Unterlagen der Reichskulturkammer (RKK), R 9361-V/23488 u. R 9361-V/23489; Nicolas Detering/Michael Fischer/Aibe-Marlene Gerdes, Populäre Kriegslyrik im Ersten Weltkrieg, Münster, 2013 (Kriegslieder); Franz Riemer, Fritz Jöde und der Hohe Meißner, in: Jürgen Reulecke (Hrsg.), 50 Jahre danach – 50 Jahre davor. Der Meißnertag von 1963 und seine Folgen, Göttingen, 2014, S. 163 ff.; Franz Riemer, „Musik will leben und gelebt werden“. Fritz Jöde, die Jugendmusikbewegung und der AMJ, in: Arbeitskreis Musik in der Jugend (Hrsg.), Intervalle 2014, Wolfenbüttel, 2014, S. 4 ff.; Robert Götze, Volksheim (Hamburg) – 2. Phase von 1920–1929, in: www.stadtteilarbeit.de/themen/theorie-stadtteilarbeit/lp-stadtteilarbeit.html?id=89-hamburger-volksheim-ii-lp (Zugriff 20.2.2017); Rainer Schmitt, Von der Politik eines Unpolitischen – Nachträge zum „Fall Jöde“ in den Jahren 1927–1945, in: Mechthild von Schoenebeck (Hrsg.), Vom Umgang des Faches Musikpädagogik mit seiner Geschichte. Essen, 2001, S. 142 ff., www.pedocs.de/volltexte/2015/10224/pdf/Schmitt_Von_der_Politik_eines_Unpolitischen_2001.pdf (Zugriff 20.2.2017)
 

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NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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