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Das Kollegium einer Vorzeigeschule in der Nazizeit

( Hartnack, Wallis, Reisener, Kumlehn, Waage, Tiedemann, Hess, Bock, Rohlf, Piper, Storjohann, Heinrich, Wulff, Seggelke, Behn, Jeziorsky )
Jahnschule, Bogenstraße 34

Text von Hans-Peter de Lorent aus seinem Buch: Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz. Bd. 1. Hamburg 2016, 404-423.

Was der Nationalsozialismus aus einem durchschnittlichen Kollegium zu machen im Stande war, kann am Beispiel der Jahnschule aufgezeigt werden. Dabei konzentriere ich mich auf die Knabenschule, Bogenstraße 34, wobei auch die Schulleitung der Mädchenschule im selben Gebäude erwähnt wird und es einen Personenaustausch zwischen beiden Kollegien über die Jahre gegeben hat. Schulleiter war Peter Jacobsgaard, der aus der reformpädagogisch geprägten, im Curiohaus beheimateten, „Gesellschaft der Freunde“ gekommen war und der eine Institutsschule für den pädagogischen Nachwuchs leiten sollte. Die schlimmsten Auswüchse im Lehrerkollegium sind sicherlich bei Rudolf Fehling, Hans Einfeldt und Walter Behn festzustellen. Darum werden diese drei extremen Nationalsozialisten ausführlicher portraitiert. (1)

Die erschreckende Erkenntnis bei Durchsicht fast aller Personalakten und Entnazifizierungsakten des Jahnschul-Kollegiums, die im Hamburger Staatsarchiv aufbewahrt werden, lautet: Bis auf eine Ausnahme sind alle Männer des Kollegiums Mitglieder der NSDAP und anderer NS-Organisationen gewesen. Die Tatsache, dass ein alter und in der Lehrerschaft bekannter Demokrat wie Peter Jacobsgaard am 1.5.1937 in die NSDAP eintrat, ebenso wie der verehrte und langjährige Sozialdemokrat Fritz Köhne, der als Schulrat für den Volksschulbereich 1933 im Amt geblieben war, mag Schleusen geöffnet haben. Sicher mag auch die Tatsache, dass der Gauleiter der NSDAP und Reichsstatthalter Hamburgs, Karl Kaufmann und der Hafen-Wirtschaftsführer Rudolf Blohm ihre Kinder in die Jahnschule schickten, dazu beigetragen haben.

Die Rekonstruktion der Biografien der meisten Kollegiumsmitglieder ist im Detail schwierig, weil deren Personalakten vielfach nicht erhalten geblieben sind, wohl aber die Entnazifizierungsakten, die in der Regel die Mitgliedschaften in NS- Organisationen enthalten. Viele zusätzliche Informationen, konkret und subjektiv, habe ich den Gesprächen mit Uwe Storjohann entnommen, die ich am 21.6.2012, 15.8.2012 und 13.9.2012 geführt habe und die von Lena Griem schriftlich festgehalten wurden.

 

Rudolf Hartnack,geb. am 3.7.1881 in Marne, Dithmarschen.
Rudolf Hartnack besuchte in Marne das Realgymnasium, danach die Präparandenanstalt in Barmstedt und das Lehrerseminar in Bad Segeberg. Seit 1905 war Hartnack Lehrer in Hamburg, später Soldat im Ersten Weltkrieg.

Hartnack wurde nach 1933 Mitglied im NSLB, in der NSV und dem Reichskriegerbund. Er arbeitete nebenbei als niederdeutscher Schriftsteller und veröffentlichte plattdeutsche Gedichte: „Baven un ünn“ (Oben und unten) und trat als launiger Redner bei Feiern in der Jahnschule auf. Der Chronist des Kollegiums berichtete: „Das traditionelle Mahl wird trefflich eingeleitet durch Hartnäckische Begrüßungsworte.“ (2) Auch Uwe Storjohann erinnerte ihn als einen netten, launigen Lehrer. (3)

Vom 1.1.1930 bis 1934 war Hartnack Stellvertretender Schulleiter hinter Jacobsgaard an der Schule Kielortallee , wurde in der Nazizeit abgesetzt, weil er einer Freimaurerloge angehörte. Er war das einzige Mitglied des Kollegiums der Jahnschule, das nicht Mitglied der NSDAP wurde, die Freimaurer nicht aufnahm. (4)

Befremdlich wirken die vielen Persilscheine, die Hartnack nach 1945 schrieb, ausdrücklich auf seine Nicht-NS-Mitgliedschaft hinweisend. Man findet diese Persilscheine in den Personalakten von SA-Mann Rudolf Fehling, beim SS-Mann Walter Behn und auch für den HJ-Verbindungsmann Hans Einfeldt, dessen Anleiter Rudolf Hartnack gewesen war. (5)

Es zeigt sich, das Jahnschul-Kollegium fühlte sich miteinander verbunden, und es gab eine objektive und gefühlte Verbindung mit dem NS-System. Hartnack, der als niederdeutscher Schriftsteller plattdeutsche Gedichte schrieb, schaffte es, 1940 ein Bändchen zu veröffentlichen unter dem Titel: „Baven un ünn“, übersetzt: „Oben und unten". Und darin gab es deutliche Bekenntnisse zum Militärischen und zur NS-Bewegung. So etwa im Gedicht „Steckt Füür an“.

Ich habe es übersetzt und da lautet es so:

„Steckt Feuer an
Die Glocken klingen,
die Lieder singen,
die Fahnen tanzen im Wind.
Steckt Feuer an,
ruft Mann für Mann:
Das Deutsche Reich ist gegründet!
Ein Mann macht war,
was tausend Jahr
ein deutscher Traum nur blieb.
Nun steht zuhauf,
es gibt nur einen Ruf:
Dem Führer Dank und Liebe!
Die Hörner sollen schallen,
die Büchsen knallen.
Macht all die Fenster hell.
Von Österreich
zum Nordseedeich
sind einig wir zur Stelle.
Die Glocken klingen,
die Lieder singen,
die Fahnen tanzen im Wind.
Steckt Feuer an,
ruft Mann für Mann:

Das Reich, das Reich ist gegründet!“ (6)

Auch der Nicht-Parteigenosse Hartnack hatte mitgejubelt und wurde dafür 1940 mit der Veröffentlichung seiner Gedichte belohnt. Vor diesem Hintergrund ist es besser zu verstehen, warum er so viele Persilscheine schrieb.

 

Franz Wallis, geb. 10.9.1903 in Brunsbüttelkoog.
Franz Wallis war Lehrer seit dem 1.5.1927, an der Jahnschule seit 1934. Uwe Storjohann sagte über ihn: „Wallis war in der SS bzw. SA, sogenannter Dithmarscher Nazi, ein sehr eitler und auf sein Äußeres bedachter Mann. Nachdem dieser aus Dithmarschen an die Jahnschule wechselte und diese Tatsache in der Dithmarscher Tageszeitung als ‚Großereignis‘ verkündet wurde und die neuen Hamburger Kollegen dies mitbekamen, wurde er von diesem Moment an in seinem Auftreten etwas weniger ernstgenommen. Dennoch unterhielt er anscheinend gute Kontakte zur Partei und der Parteiorganisation. Als Wallis an die Schule kam, gehörte er einer nationalsozialistisch extrem eingestellten Minderheit des Kollegiums an.“(7)

Ab dem 25.3.1943 wurde Wallis zur Wehrmacht eingezogen, dort beim Heeresnachschub als Leutnant tätig und geriet 1945 in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er nach drei Jahren am 29.3.1948 zurückkehrte.

In seinem Entnazifizierungsfragebogen gab er keine SA- oder SS-Mitgliedschaft an, wohl aber den Beitritt zur NSDAP am 1.5.1937, auch eine stv. Blockleitertätigkeit, ebenfalls war er organisiert bei der NSV ab 1934 und dem NSLB seit 1934, dort auch als Blockwalter tätig. Wallis bagatellisierte sein Engagement und schrieb: „Bis zu meiner Kinderlandverschickungszeit 1940 war ich jeweils für kurze Zeit als Blockhelfer und vertretungsweise als Blockleiter, sowie als Ortsgruppenmitarbeiter beschäftigt (Mitarbeiter bei Fest- und Feiergestaltung, Mitarbeit bei der Verschickung der Heimatszeitung an die Soldaten der Ortsgruppe usw.).“ (8) Vorzugsweise wurden möglichst unpolitische Tätigkeiten aufgezählt.

Wie bei vielen Rückkehrern aus der Kriegsgefangenschaft gestaltete sich die Entnazifizierung 1948 deutlich milder. Wallis wurde als entlastet eingestuft, verließ Hamburg und ging als Lehrer nach Dithmarschen zurück. (9)

 

Hermann Reisener, geb. 17.3.1897
Hermann Reisener besuchte das Lehrerseminar und war bereits 1920, mit 23 Jahren, festangestellter Lehrer, nachdem er als Soldat auch schon einige Monate am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte.

1930/31 gehörte Reisener zum Kollegium der Kielortallee 18 unter Schulleiter Jacobsgaard.

Reisener trat 1933 in die SA ein, ebenfalls in den NSLB und wurde am 1.5.1937 Mitglied der NSDAP. An jährlichen Wehrübungen 1936, 1937 und 1938 nahm er teil, die jeweils ein bis zwei Monate dauerten und für die er vom Schuldienst freigestellt und durch die Reisener noch vor dem Krieg zum Leutnant befördert wurde. (10)

In den Gesprächen mit Uwe Storjohann beschrieb er Reisener als einen „der allerschlimmsten Lehrer und übelsten Nazis überhaupt“. Reisener sei vor dem Eintritt in die Partei „Stahlhelm“-Führer gewesen und wurde dann 1933 in die SA überführt. Reisener sei „bekennender Nazi gewesen und schlimmer als Fehling“. Er war auch Turnlehrer an der Jahnschule und Storjohann beschrieb den Psychoterror den Reisener besonders dem Schüler Gutzeit antat: So habe er den Schüler Gutzeit im Turnunterricht an einer Sprossenleiter turnen lassen, wobei Reisener den Jungen immer wieder durch die Sprossen habe fallen lassen und ihn erst in letzter Sekunde an den Füßen festgehalten habe. Ähnliches ereignete sich während einer Barkassenfahrt auf der Elbe, wo er den Jungen kopfüber über Bord baumeln ließ, den Schopf kurz über der Wasseroberfläche. „Der Höhepunkt dieser Schikane war im Frühjahr 1935 erreicht, während die Jungen für die Feier anlässlich des Führergeburtstags eine turnerische Aufführung probten. Der ungelenke Gutzeit sollte die Pyramidenspitze sein, wohlwissend, dass dieser die Aufgabe nicht würde erfüllen können. Der Vater des Schülers Gutzeit hatte wohl von den Schikanen erfahren und kam genau zu diesem Zeitpunkt dazu und war so erzürnt, dass es schließlich zu einer Prügelei zwischen Vater Gutzeit und Reisener kam“. Storjohann erzählte, dass sowohl die Schüler als auch Schulleiter Jacobsgaard erfreut über diese Abreibung gewesen seien. Als Turnlehrer habe Reisener seinen Hang zum Sadismus an den Schülern ausgelebt. Es gab aber offenbar auch eine andere Seite, laut Uwe Storjohann: „Sein anderer Unterricht hingegen ist eine wahre Freude gewesen. Gab Reisener eine Vertretungsstunde ist diese eine wahre Wonne gewesen. Er hat dann sein schauspielerisches Talent zum Geschichtenerzählen gezeigt.“ (11)

Reisener musste seinen Entnazifizierungsfragebogen am 26.6.1945 ausfüllen. Seine Akte ist erstaunlich kurz gehalten, keine Leumundszeugnisse, keine Problematisierung seiner frühen SA-Aktivitäten. Er wurde am Ende vom Ausschuss in Kategorie V (Entlasteter) eingruppiert und arbeitete dann wieder als Lehrer an der Schule Paul-Sorge-Straße in Niendorf. 1955 wurde er frühzeitig pensioniert. (12)

 

Ernst Kumlehn, geb. 16.10.1899 in Hamburg
Ernst Kumlehn, den Uwe Stojohann in einem Atemzug mit Hermann Reisener einen „Chauvinisten“ nannte (13), wurde als 18-Jähriger im Ersten Weltkrieg als freiwilliger Soldat schwer verletzt und als 40 % Kriegsbeschädigter aus dem Lazarett entlassen. Das hat offenbar sein weiteres Leben stark geprägt. Als die NSDAP eine Wohlfahrtseinrichtung für Schwerkriegsbeschädigte und Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges gründete, die „Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung“ ( NSKOV), arbeitete Kumlehn dort neben der Schule bis 1940 als Sachbearbeiter. Sonst war er noch Mitglied im Deutschen Frontkämpferbund, in der NSV seit 1933, in dem VDA und seit 1937 in der NSDAP. Er wurde ebenfalls als Entlasteter entnazifiziert (14) und arbeitet nach dem Krieg weiter als Lehrer an der Schule Elbgaustraße .

Kumlehn war ebenfalls über das Lehrerseminar Lehrer geworden, arbeitete schon seit dem 1.4.1920 als festangestellter Lehrer in Hamburg, also schon als 20-Jähriger.  Auffällig erscheint der häufige Schulwechsel Kumlehns. Nach den mir vorliegenden Lehrerverzeichnissen arbeitete Kumlehn im Schuljahr 1924/25 an der Schule Steinhauerdamm 6, im Schuljahr 1930/31 an der Schule Wallstraße , im Schuljahr 1932/33 an der Schule Burgstraße 35 und im Schuljahr 1935/36 an der Jahnschule. Schon im Lehrerverzeichnis 1938/39 wurde er an der Volksschule Kurze Mühren 39 geführt. Man kann darüber spekulieren, warum keine Schule Kumlehn auf längere Sicht gehalten hat.

Wieso Uwe Storjohann den Lehrer Ernst Kumlehn als „Chauvinisten“ bezeichnete und welche Auswirkungen offenbar das Trauma der jugendlichen Kriegserfahrung mit schwerer Kriegsverletzung auf den späteren Lehrer Kumlehn hatte, zeigt ein Bericht, den Kumlehn über einen 14-tägigen Schullandaufenthalt mit seiner 6. Klasse in der Zeit vom 15.9. bis 30.9.1934 geschrieben hat.

Als Zielsetzung des Schullandaufenthaltes nannte Kumlehn:

„Der Nationalsozialismus setzt als Hauptfaktoren der Jugenderziehung der keineswegs in den Hintergrund gedrängten Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten durch die Schule voran:

·       Körperliche Ertüchtigung

·       Charakterbildung an sich und

·       Einführung in nationalpolitisches Denken auf der Grundlage des Volksgemeinschaftsdenkens.

Alle Maßnahmen der Jugenderziehung kennen nur das eine Ziel, dass die Jugend dem Nationalsozialismus und damit dem neuen Staat mit Leib und Seele verfällt. Aufgabe der Schule ist es, mit den anderen Erziehungsmächten, Landjahr und Hitlerjugend gleichen Schritt zu halten. Das Schullandheim hat so eine Schlüsselstellung innerhalb der gesamten deutschen Nationalerziehung inne; denn, gewachsen und geformt aus dem Geist der ‚vom Wandervogel zur SA‘ führte und heute in der HJ und der Bewegung lebt, ist es der Schmelztiegel der Volksgemeinschaft.“ (15)

Und, da nur wenige Einblicke in die konkrete Erziehungsarbeit mit den Schülern der Jahnschule in dieser Zeit gibt, sei der von Kumlehn skizzierte Tagesverlauf im Schullandheim zitiert

7 Uhr 45. Flaggenparade!

‚Hermann Löns, der Heidesohn, Dichter und Jägersmann zog aus der Lüneburger Heide nach Frankreich in den grossen Krieg. Am 26. September 1914 starb der freiwillige, fast 50 Jahre alte Landsturmmann den Heldentod für Deutschlands Glück.‘ Unsere Fahnen sinken auf Halbmast zu stillem Gedenken.

8 Uhr. Frühstück. Wir reichen uns die Hände: ‚Wir werden Deutschland nicht verderben lassen! Und wenn auch alle Völker Deutschland hassen, wir stehn für Deutschland ein in jedem Streit!‘

19 Uhr 30. Es dunkelt schon über der Heide. Auf der Heide strasse marschiert schweigend die junge Mannschaft nach Schierhorn. Wir halten am Dorfeingang. Fackeln flammen auf. Marschgesang verkündet dem Heidedorf unser Kommen. Am Ehrenmal für die Gefallenen des Weltkrieges halten Fackelträger die Wacht. Wir halten zur Gedenkfeier an. ‚Auf der Lüneburger Heide, in dem wunderschönen Land‘ ….. der deutsche Spruch erklingt im Chor. Unser Klassenführer redet kurz und schlicht von der Kameradschaft der Millionen Feldgrauen und ihrem Opfertod für Deutschland, von der Hingabe an Deutschland, die die Kämpfer, alte und ganz junge, beseelte, die ihr Leben für das dritte Reich gaben, für uns. Wir senken die Fahne und tragen den Kranz aus Eichenlaub in das Ehrenmal unter den Klängen des Liedes vom guten Kameraden. ‚Die Fahne hoch..‘

Das Lied der Deutschen steigt zum Himmel empor. Marschtritt dröhnt durch die Nacht. Singend kehrt unsere Marschkolonne unter leuchtendem Sternenhimmel heim: Unser Kamerad Hermann Löns marschiert mit uns mit! Wir tragen in hämmerndem Herzen den Glauben an Deutschland mit.“

Und zum Schluss fasst der Lehrer und „Chauvinist“ Kumlehn, noch einmal zusammen, was der „nationalpolitische“ Effekt seiner Arbeit sein sollte, sicherlich nicht für die kritische Nachwelt, sondern für die damalige Obrigkeit geschrieben:

 

„Nationalpolitische Stellung:
Die Klasse bildet eine festgefügte Gemeinschaft. Klassenführer und Jungen sind Kameraden. Die jugendgemässe, soldatische Ordnung schenkte den Jungen das beglückende Gefühl der Zusammengehörigkeit mit den Marschkolonnen der Bewegung. Die Kameradschaft – und immer wieder die Kameradschaft erzieht die Jungen, bildet ihren Charakter, überwindet schlechte Eigenschaften und Gewohnheiten, gewöhnt an Einordnung und Disziplin, beweist, wer Führernatur ist, hebt alle sozialen Unterschiede auf, führt zum Erleben der gewaltigen Idee der deutschen Volks- und Schicksalsgemeinschaft. Kein Tagesverlauf glich dem anderen; doch durch alle zog sich wie ein roter Faden das Erleben nationalsozialistischer Weltanschauung. Aus dem Faden aber wird eine feste Kette und diese zum geschmiedeten Glied der Volksgemeinschaft der deutschen Zukunft.

Im nächsten Jahr wollen wir wieder fort, und alle sollen mit, möglichst 4 Wochen, darum wird jetzt im Winter gearbeitet, dass es nur so raucht. Und wir werden es schon schaffen durch – K a m e r a d s c h a f t.“

 

Richard Waage, geb. 30.9.1901 in Hamburg
Richard Waage, nach der Schule durch das Lehrerseminar gegangen, war mit 21 Jahren schon festangestellter Lehrer an der Schule Lehmweg 14. Waage wurde jung Stv. Schulleiter an der Jahnschule.

Da keine Personalakte von Richard Waage vorliegt, sind Daten über ihn spärlich. Er war sicherlich schon seit dem 1.4.1933 NSDAP-Mitglied, möglicherweise auch der SA. Als Stv. Schulleiter fungierte er mit gut lesbarer Schrift als Chronist des Kollegiums, der somit manches überlieferte. Besonders wichtig für Waage war das von ihm geschriebene Kapitel: „Der Soldat in der Jahnschule“. Waage begnn mit dem Satz: „In unserem Kollegium befindet sich eine ganze Reihe Vertreter alten und neuen Soldatentums.“ Er nannte die Namen Bock, Fehling, Haaris, Hartnack, Jacobsgaard, Reisener, Rohlf, Storjohann und Tiedemann. Bitter für Richard Waage, dass die knapp älteren Fehling, geb. 1897, Reisener, geb. 1899 und Tiedemann, geb. 1898 schon dabei gewesen waren, als die Patrioten in den Ersten Weltkrieg zogen, Waage, geb. 1901, aber nicht. Zum Glück: „In den Revolutionswirren der Nachkriegszeit diente R. Waage im Freikorps Hamburg-Bahrenfeld.“ Und weiter:

„Infolge der Wehrverfassung des Nachkriegsdeutschlands fanden die jüngeren Kollegen keine Gelegenheit, die für jeden Deutschen selbstverständliche Pflicht des Wehrdienstes zu erfüllen. Erst nach dem nationalsozialistischen Umbruch 1933 (wurde) durch Volkssport-Lehrgänge der nationalen Wehrverbände der Versuch gemacht, die bis zu einem gewissen Grade durch den Vertrag von Versailles noch immer eingeschränkte Wehrertüchtigung des deutschen Volkes wieder einzuleiten. Bis zur Erklärung der Wehrfreiheit des deutschen Volkes durch den Führer im März 1935 haben diese Volkssport-Lehrgänge wesentlich dazu beigetragen, den Geist der Wehrhaftigkeit auch in der Nachkriegsgeneration wieder zu wecken und zu pflegen.“ (16)

Waage schrieb, dass die Lehrgänge von der SA, SS und dem Stahlhelm geleitet wurden und nannte auch die Schulschutz-Lehrgänge, „Fortbildungen zur Eingliederung der jungen Lehrerschaft in die nationale Bewegung und die Vorbereitung auf die nationale Aufgabe der Schule insbesondere den Turnunterricht“.

Diese Ausbildung wurde von SS-Führern geleitet ,,fanden wöchentlich an einem Nachmittag auf der Kampfbahn im Stadtpark, dann auf den HSV-Plätzen in Ochsenzoll statt.“

Stolz berichtete Waage dann, „in der neuen Wehrmacht dienen von uns bisher: R. Fehling, H. Reisener und R. Waage“. Und seine Übungen zählt er präzise, detailliert auf. Von 1935 bis 1938 zusammengerechnet über 7 ½ Monate. Belohnung: Im Februar 1938 wurde Waage zum Leutnant ernannt.

Der Wermutstropfen für das Kollegium: „Die Übungszeiten dieser Kollegen lagen zum großen Teil innerhalb der Schulzeit, ohne dass die Behörde Vertretungslehrkräfte schicken konnte. Einige Mitglieder des Kollegiums wurden durch die Übernahme der Vertretung stark belastet.“ (17)

Im September 1939 zog Richard Waage dann in den Krieg, für den er so intensiv geübt hatte. Am 24.9.1942 starb er „den Heldentod für Führer, Volk und Vaterland“ bei einer Schlacht 4 km südöstlich von Snijawino, im Belagerungsring von Leningrad. (18)

Zurück ließ Richard Waage seine Frau,

Elsa Waage, geb. Boie, geb. 13.1.1896 in Hamburg, die er kurz vor seinem Kriegseintritt noch geheiratet hatte.

Elsa Waage wurde von ehemaligen Schülerinnen und Schüler der Jahnschule als stramme Nationalsozialistin bezeichnet, Mitglied der NSDAP seit 1.5.1937, ebenso im NSLB und in der NSV. Uwe Storjohann verband mit ihr das Bild: „Die rothaarige Frau mit einem Tamburin in der Hand unter der Hakenkreuzfahne. Sie hat in der Mädchenschule in der Bogenstraße 34 den NS-Frühsport eingeführt. Ihr Spitzname. ‚Die Rotgebeizte’.“ (19)

Elsa Waage wurde problemlos entnazifiziert und arbeitete nach 1945 weiter als Lehrerin an der Schule Moorkamp 3. Sie wurde 1961, 65-jährig, pensioniert. (20)

Henry Tiedemann, geb. 18.6.1898 in Hamburg
Henry Tiedemann kam auch über das Lehrerseminar in den Schuldienst. Er machte am 24.3.1919 seine Prüfung, 20-jährig und arbeitete ab 1923 an der Schule Kielortallee 18 mit Peter Jacobsgaard. Tiedemann war Mitglied im NSLB (ab 1933), in der NSV (ab 1935) und trat am 1.5.1937 in die NSDAP ein. Er wechselte mit Jacobsgaard an die Schule Bogenstraße 36 und blieb auch nach dem Krieg als Lehrer bis zur Pensionierung 1962 an der Jahnschule. (21)

Max Hess, geb. 15.9.1902 in Suhl/Thüringen
Max Hess besuchte die Volksschule in Hamburg von 1908-1917, danach das Lehrerseminar. 1923 absolvierte er die Prüfung und wurde 1924 als Lehrer fest angestellt. Hess kam von der Schule Lutterothstraße 78 in die neu gegründete Jahnschule 1934

Wie die meisten anderen Mitglieder des Kollegiums trat Hess 1933 dem NSLB bei, war in der NSV (1936) und in der NSDAP seit 1937.

1943 zog Hess in den Krieg, gehörte zu den Besatzungstruppen in Holland und wurde im November 1944 von der Britischen Armee in Gefangenschaft genommen. Bis zum 20.2. 1947 war er Kriegsgefangener in England, danach wurde er in Hamburg entnazifiziert. In Hamburg ist er danach wieder in Niendorf an der Schule Sootbörn 22 als Lehrer tätig gewesen. (22)

Rudolf Bock, geb. 26.8.1884 in Schanzfeld, Kreis Osterode.
Rudolf Bock gehörte wie die meisten anderen dem NSLB seit 1933, der NSV, für die er als Zellenwalter ein Jahr arbeitete und der NSDAP ab 1.5.1937 an; außerdem auch dem NS Reichskriegerbund.

Auch Rudolf Bock hatte schon dem Kollegium Kielortallee 18 angehört und war mit in die Bogenstraße gewechselt. Nach 1945 arbeitete Bock weiter als Lehrer und wurde1950 pensioniert. (23)

Otto Rohlf, geb. 31.10.1896 in Hamburg
Otto Rohlf war ebenfalls Mitglied im NSLB (seit 1933), in der NSV (1934, zeitweise als Blockwart) und in der NSDAP seit 1937. Darüber hinaus noch im NS Reichsbund für Leibesübungen. Auch er wurde problemlos entnazifiziert und arbeitete nach 1945 weiter an der Jahnschule bis zu seiner Pensionierung. (24)

Paul Piper, geb. 5.11.1881
Paul Piper gehörte dem NSLB ab 1935 an, der NSV ab 1935 und der NSDAP ab 1.5.1937. Problemlose Entnazifizierung, Weiterarbeit an der Jahnschule nach 1945 bis zur Pensionierung 1948. (25)

Adolf Storjohann, geb. 23.12.1889 in Hamburg
Adolf Storjohann war eine besondere Person im Jahnschul-Kollegium, nicht nur weil über ihn durch seinen Sohn Uwe Storjohann in dessen Erinnerungen einiges Familiäres durchaus kritisch veröffentlicht wurde. Storjohann war seit dem 1.4.1943 als Konrektor der Stellvertreter Jacobsgaards an der Schule, in dem Jahr, als Hamburg zu einem großen Teil zerstört wurde und Schule geregelt nicht mehr stattfinden konnte, dafür Kinderlandverschickungen (KLV) verstärkt organisiert wurden. So war Adolf Storjohann zwischen 1942 und 1944 mit Schülern der Jahnschule in KLV- Lagern in Landshut und Ungarn, auch als Lagerleiter.

Besonders war die Person Storjohann aber auch deswegen, weil er größere Schwierigkeiten bei der Entnazifizierung bekam. Storjohann, war wie die anderen Kollegen der Jahnschule, Mitglied des NSLB (seit 1933), der NSV (seit 1935) im VDA seit 1934 und auch in der NSDAP seit dem 1.5.1937. Und 1939 war er im Eppendorfer Weg , für die Häuser Nr.179 bis 193, Blockwart der Partei geworden. Im Entnazifizierungsverfahren wurde das von der Britischen Militärregierung als Funktionärstätigkeit als „Politischer Leiter“ gewertet. (26)

Uwe Storjohann beschrieb die Situation, in der der bisherige Blockwart diese Funktion Adolf Storjohann übergab. Adolf Storjohann versuchte abzuwehren- erfolglos. Als Blockwart bemühte er sich dann angeblich, zu schlichten und zu vermitteln, Denunziationen nicht weiterzuleiten, sondern die Denunzierten zur Vorsicht anzuhalten.

Familie Storjohann stand durchaus nicht in Gegnerschaft zum neuen Regime. Uwe Storjohann beschrieb seinen Vater so:

„Mein Vater war kein Nazi, er war Nationalsozialist. Das ist ein Unterschied – kein gravierender, aber doch erwähnenswert. Er spricht meinen Vater frei von dem Verdacht, ein skrupelloser Karrierist oder ein buckelnder Opportunist gewesen zu sein, er ist indessen ohne Bedeutung für die Bemessung ethischen und politischen Fehlverhaltens. Also kein Rechtfertigungsversuch, sondern nur die Erwähnung der Tatsache, daß mein Vater zu jenen im späten Kaiserreich ausgebildeten Hamburger Volksschullehrern gehörte, die ihre pädagogische Identität aus der Verquickung der Begriffe „national“ und „sozial“ ableiteten, wobei das Nationale überwog.“ (27)

Am Ende des „Tausendjährigen Reichs“, also 1945, war Adolf Storjohann kuriert. Aber die Entnazifizierung wurde für ihn schwierig. Am 20.3.1946 wurde er auf Befehl der Britischen Militärregierung als Lehrer entlassen. Erst nach einem achtzehn monatigen Verfahren wurde die Entlassung aufgehoben, Storjohann als Lehrer wieder zugelassen, aber vom Konrektor zum Lehrer zurückgestuft.

Ausschlaggebend für seine Entnazifizierung waren auch hier die positiven Leumundszeugnisse. Sowohl Nachbarn aus dem Block des Eppendorfer Weg s bezeugen Storjohann ausgleichendes Wirken. Peter Jacobsgaard stellte am 30.3.1946 fest, dass Storjohanns „Verhalten im Lehrkörper ohne Tadel war“. Er habe „sich nie um Politik gekümmert und auch nie im Sinne des Nationalsozialismus auf den Lehrkörper einzuwirken versucht“. (28)

Und der kommissarische Schulrat Otto Wommelsdorf, vormals Lehrer an der Schule Eduardstraße , nannte Storjohann einen „Freund und Förderer der Jugendbewegung und des internationalen Austausches“. Wommeldorf erklärte sich Storjohanns Blockwarttätigkeit „aus seiner Hilfsbereitschaft und sozialen Einstellung“. (29) Storjohann arbeitete dann seit seiner Wiedereinstellung 1947 an der Schule Sootbörn 22 in Niendorf und wurde am 1.4.1955 pensioniert. (30)

Hedwig Heinrich, geb. 20.3.1892 in Liebstadt/ Ostpreußen
Die Schulleiterin der Mädchenschule der Jahnschule, Bogenstraße 34, während der NS-Zeit war schon von 1931bis 1933 Schulleiterin in Hamburg an der Schule Lutterothstraße 80 gewesen. Die NS-Behörde hatte sie abgesetzt und ließ sie vom 1.8.1933 bis zum 31.3.1935 wieder als Lehrerin arbeiten. Danach wurde sie wieder als Schulleiterin an der Bogenstraße 36 eingesetzt und blieb dieses bis 1945 neben Peter Jacobsgaard. Und auch nach 1945 leitete Hedwig Heinrich die Mädchenschule weiter bis sie 1957, 65-jährig, pensioniert wurde.

Auch Hedwig Heinrich war Mitglied des NSLB seit dem 1.5.1933, in der NSV (ab 1934) und trat, wie Peter Jacobsgaard, am 1.5.1937 in die NSDAP ein. Von Schulleitungen wurde der Parteieintritt zu diesem Zeitpunkt erwartet und eine nochmalige Absetzung wollte Hedwig Heinrich offensichtlich nicht riskieren. (31)

Johannes Wulff, geb. 1.7.1900 in Kiel
Johannes Wulff besuchte nach Übersiedlung seiner Eltern von Kiel nach Hamburg 1908 die Volksschule Tornquiststraße bis 1914 und wechselte dann als Schüler an die Realschule in der Bogenstraße . Nach der Obersekunda-Reife im Januar 1917 trat er über in das Lehrerseminar in der Binderstraße 34. Im Juni 1914, noch 17-jährig, meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, wurde Soldat im Infanterie Regiment 76 (RIR 76), kam im Oktober an die Front nach Flandern und beendete den Krieg am 2. Dezember 1918, nachdem er „den 500 km langen Rückmarsch gut überstanden“ hatte, wie er im Lebenslauf in seiner Personalakte schrieb. (32) Danach meldete sich Wulff zum berüchtigten Freikorps Bahrenfeld, wie auch der spätere Stellvertretende Schulleiter der Jungenschule der Jahnschule, Richard Waage. Dem Freikorps gehörte Wulff bis zum 1.4.1920 an, bis er dann wieder das Lehrerseminar besuchte, wo er am 16.2.1922 die Abschlussprüfung bestand.

Als Lehrer arbeitete Wulff danach an der Schule Böhmkerstraße und wechselte im März 1935 an die Jahnschule, Bogenstraße 36. (33)

Auf Vorschlag von Oberschulrat Albert Mansfeld wurde Wulff am 11.6.1937 als Stv. Schulleiter eingesetzt, einen Monat nach seinem Eintritt in die NSDAP. Im NSLB war Wulff schon seit 1933 organisiert. Zu Kriegsbeginn 1939 wurde Wulff wieder an die Front geschickt, nach einer Kriegsverletzung am 11.12.1940 dann als Gefreiter aus der Genesendenkompanie 376 entlassen und am 15.2.1941 für den Krieg unabkömmlich (uk) gestellt.

Als Schule in Hamburg kaum noch durchgeführt werden konnte, arbeitete Wulff in der Kinderlandverschickung (KLV), ab 1.3.1943 als Lagerleiter im KLV-Lager Schwandorf in der Oberpfalz für Schülerinnen der Jahnschule.

Wulff wurde 1945, für mich bei seiner Vita durchaus überraschend, problemlos entnazifiziert und als Entlasteter eingestuft. (34) Sein Arbeitsort blieb weiter die Jahnschule (Mädchen), immer noch als Stv. Schulleiter. 1950 wurde Wulff mit fünfzehn Stunden abgeordnet an das Pädagogische Institut der Universität Hamburg als Leiter des Schulpraktikums. Und als sich Hedwig Heinrich am 31.3.1957 pensionieren ließ, schlugen der Findungsausschuss und das Kollegium Wulff einstimmig zum Schulleiter vor. Er galt als „sehr befähigter Pädagoge“, dessen „humorige Art“ es ihm leicht machte, „Kontakt zu Eltern und Lehrern zu finden“. 1959 wurde er nach zwei Jahren einstimmig bestätigt und leitete die Jahnschule (Mädchen) bis zu seiner Pensionierung am 30.9.1962.

Johannes Wulff starb am 12.12.1990. (35)

Heinrich Seggelke, geb. 17.6.1904 in Großelbe (Kreis Marienburg)
Heinrich Seggelke, Sohn eines Landwirts, besuchte von 1918 bis 1924 das Lehrerseminar in Northeim in Holstein. Nach bestandener Prüfung 1924 arbeitete er zwei Jahre im Gemeindeschuldienst. Danach kam er 1926 als Lehrer nach Hamburg und unterrichtete seit 1928 an der Schule Kielortallee 18 unter Schulleiter Peter Jacobsgaard, mit dem er 1934 auch an die Bogenstraße wechselte. (36) Seggelke war einige Jahr Klassenlehrer von Uwe Storjohann und wurde von ihm als „Anhänger der Reformpädagogischen Bewegung“ bezeichnet und „als guter Lehrer, der auch menschlich angenehm war“. (37)

Auch Seggelke trat am 1.5.1937 in die NSDAP ein, war von Dezember 1939 bis September 1940 Blockleiter, bevor er Soldat wurde. Vom 1.10.1940 bis 1945 war er als Wetterdienst-Inspektor in der Oberpfalz stationiert, eine Zeitlang soll er auch mit seiner Familie für die Deutsche Luftwaffe nach Wien gegangen sein, wie Uwe Storjohann berichtete.

Seggelke kehrte erst im Dezember 1945 nach Hamburg zurück, möglicherweise nach kurzer Gefangenschaft. Nach einem schnellen Entnazifizierungsverfahren wurde er als entlastet eingestuft. Seine kurze Blockleiter-Tätigkeit für die NSDAP hatte ihn für die Brit. Militärregierung verdächtig gemacht, aber der Entnazifizierungsausschuss mit dem ehemaligen Schulrat Gustav Schmidt wertete diverse Leumundszeugnisse, u.a. vom ehemaligen sozialdemokratischen Senator Otto Weinheber zugunsten Seggelkes, so dass er weiter als Lehrer arbeiten konnte. (38)

Am 11.4.1953 wurde er als kommissarischer Schulleiter an der Jahnschule (Jungen) eingesetzt und am 19.5.1954 stimmten 31 der 32 Anwesenden für seine endgültige Bestellung als Schulleiter. Er blieb es bis zu seiner Pensionierung am 12.9.1969. (39)

 

Wilhelm Behn, geb. 26.1.1906 in Hamburg
Wilhelm Behn, von Uwe Storjohann als zweiter der drei Reformpädagogen an der Jahnschule bezeichnet, wurde in den 1950er Jahren mit seinen „Tierfreund“-Sendungen im Schulfunk des NDR bekannt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem zum Schuljahr 1939/40 an die Jahnschule gewechselten SS-Mann Walter Behn, der an anderer Stelle portraitiert wird.

Wilhelm Behn, Sohn eines Oberzollsekretärs, ging in Hamburg zur Schule in den Realschulen Seilerstraße und Weidenstieg , dann auf der Lichtwarkschule, einer Reformschule, wo er 1924 Abitur machte. Von 1924 bis 1930 studierte er an der Universität Hamburg und bestand am 1.10.1930 die Prüfung für das Lehramt für Volksschulen „mit Auszeichnung“. Prüfer waren Prof. William Stern und Prof. Gustaf Deuchler. Der Psychologe Stern, der nach 1933 als Jude emigrieren musste und Deuchler, einer der Fachbereichsdirektoren, der nach 1933 Vorlesungen in SA- Uniform hielt. (40)

Wilhelm Behn wurde als Hilfslehrer eingestellt. !935 kam er an die Jahnschule und führte parallel für das Pädagogische Institut biologische Exkursionen durch.

Während des Krieges wurde Wilhelm Behn von 1940-1945 als Wehrmachtsbeamter beim Luftwaffenkommando Nordost in Uetersen eingesetzt, Amtsbezeichnung: Wetterdienstassistent auf Kriegsdauer.

Am Ende des Krieges war Behn kurz im Sammellager Eiderstedt interniert, wo er nach einem Schreiben von Schulrat Gustav Schmidt ausgelöst wurde, weil er „zum Wiederaufbau des Schulwesens dringend gebraucht“ würde. Er arbeitete danach weiter an der Jahnschule und wechselte am 1. Januar als Dozent und Studienleiter an das Pädagogische Institut. Seit 1946 produzierte Wilhelm Behn beim Nordwestdeutschen Rundfunkt (NWDR), später NDR, Schulfunksendungen zu biologischen Themen. Damit wurde er bekannt. Die Sendungen waren sehr beliebt: „Belauschte Tierwelt“, „Der kleine und große Tierfreund“. Das „Hamburger Abendblatt“ schrieb darüber: „Wilhelm Behn, Autor und Sprecher der Tierfreund-Sendereihe im Schulfunk des NDR, hat auch unter Erwachsenen viele begeisterte Zuhörer. Seine Art, Tiere in Wald und Fluss, aber auch bei Hagenbeck, zu beobachten und zu belauschen, ist oft spannend wie ein Kriminalroman. Zugleich aber liebenswürdig und voll echten Gefühls für die Wunder der Natur.“ (41)

Die Aufnahmen der Sendungen sind noch heute erhältlich.

Von ähnlicher Lebendigkeit und Beliebtheit war der Biologieunterricht Behns bei den Jahnschülern.

Die politischen Zugehörigkeiten Behns während der NS-Zeit entsprechen der „Norm“ des Jahnschul-Kollegiums. Auch Wilhelm Behn wurde am 1.5. 1937 NSDAP- Mitglied. Er war ebenfalls Mitglied im NSLB seit 1933 und in der NSV seit 1924, dort auch Blockwart von 1937 bis 1940.

Auch Wilhelm Behn wurde bereits am 18.9.1945 entnazifiziert und von der Britischen Militärregierung für den Schuldienst bestätigt. (42)

Walter Jeziorsky, geb. 9.3.1903 in Hamburg
Walter Jeziorsky war der dritte, von Uwe Storjohann als Reformpädagoge bezeichnete Lehrer der Jahnschule. Jeziorsky, in Hamburg geboren, als Volksschüler in der Bismarckstraße unterrichtet, absolvierte danach das Lehrerseminar an der Hohen Weide und war bereits 1925, 22-jährig, festangestellter Lehrer in Hamburg. Er war früh mit den führenden Köpfen der Hamburger Reformpädagogen-Bewegung in Kontakt gekommen. William Lottig, einer der Protagonisten der „Pädagogik vom Kinde aus“, hatte als Ausbilder an der Seminarschule gearbeitet. In der „Gesellschaft der Freunde“ lernte er einige Reformpädagogen kennen. So etwa Carl Götze, den späteren Oberschulrat für das Volksschulwesen. In Eimsbüttel hatte Jeziorsky im von Fritz Köhne und Heinrich Behnken gegründeten Volksheim Eimsbüttel gearbeitet. Und an der ersten Station seiner Lehrertätigkeit, der Schule Eduardstraße , war er mit dem Kunsterzieher und Bildgestalter Otto Wommelsdorf zusammengetroffen.

Fritz Köhne, 1927 zum Schulrat berufen, war es, der Walter Jeziorsky, damals 28-jährig, zum jüngsten Schulleiter Hamburgs berief, an der neu gegründeten Schule Osterbrook 17, Ostern 1931. Hartwig Fiege, kaum zwei Jahre älter, wurde Jeziorskys Stellvertreter. (43) Fiege beschrieb die Arbeit Jeziorsky sin den aufgewühlten Zeiten gegen Ende der Weimarer Republik:

„Walter Jeziorsky meisterte die schwere Aufgabe, unser Kollegium im Geiste einer gemäßigten Schulreform zu fruchtbarer Zusammenarbeit zu führen, mit Geschick und Takt durch sein Vorbild, Beratung mit einzelnen Kollegen und die sachliche Auseinandersetzung in den wöchentlichen Konferenzen. Der Arbeitseifer und der jugendliche Schwung seiner Kollegen kam ihm entgegen.“ (44) Die Nazis setzten Jeziorsky 1933 als Schulleiter ab und schickten ihn im folgenden Jahr als Lehrer an die Jahnschule, wo er sich mit Besessenheit daran machte, mit seiner Grundschulklasse eine Art des selbsttätigen Unterrichts auszuprobieren.

„Er war zu der Überzeugung gekommen, dass die herkömmliche Art des Unterrichts in geschlossener Klassenfront für die Übung im Lesen, Rechtschreiben und Rechnen nicht sinnerfüllt und nicht ergiebig genug war. Darum schuf er in mühevoller Kleinarbeit Hilfsmittel, die interessant und anschaulich jedem einzelnen Schüler ermöglichen sollten, in eigener Weise zu üben, die seiner Begabung, seiner Leistungsstufe und seinem Arbeitstempo entsprach.“ (45)

Jeziorsky entwickelte einen ausgeklügelten, didaktisch und methodisch aufgefächerten Lehrplan für die Sachkundearbeit an der Grundschule. Das von ihm dazu produzierte Unterrichtsmaterial stellte er im Ausstellungsgebäude der Schulbehörde in der Spitalerstraße aus. Dort, wo kurz darauf eine große rassekundliche Ausstellung inszeniert wurde.

Jeziorsky veröffentliche darüber hinaus einige Aufsätze in der Hamburger Lehrerzeitung unterm Hakenkreuz, prominent jeweils auf der ersten Seite beginnend. Die Arbeiten erwiesen sich als pädagogisch, didaktisch und methodisch revolutionär und prägend nicht nur für den Grundschulunterricht bis in die heutige Zeit. Aufmerksam gelesen findet sich darin nicht eine einzige Zeile der Anbiederung an die neue Zeit, an Politik, Sprache und Propaganda der Nationalsozialisten. (46)

Die Veröffentlichung an so herausgehobener Stelle in der vom NSLB gleichgestalteten Hamburger Lehrerzeitung verwundert. Man kann sie als Anerkennung für den Vollblutpädagogen Walter Jeziorsky werten. Was nicht minder ungewöhnlich gewesen wäre. Möglicherweise wollten sich die NS-Schulfunktionäre auch mit einem Walter Jeziorsky in ihrem Organ schmücken. Erleichtert wurde es durch die Tatsache, dass Jeziorsky vor der zweiten Veröffentlichung am 1.5.1937 in die NSDAP eingetreten war, vorher, 1933 dem NSLB und der NSV. (47)

Man kann es als Opportunismus werten, andere würden sagen, es war ein nötiger Selbstschutz für einen Gefährdeten. Wahrscheinlich war es beides. Und es fällt auf, dass alle drei reformpädagogisch aktiven Jahnschullehrer, Jeziorsky, Seggelke und Wilhelm Behn seit 1937 in verblüffender Weise synchron handelten. Das dürfte kein Zufall gewesen sein: Sie traten am 1.5.1937 der NSDAP bei, wie auch Peter Jacobsgaard und die meisten anderen im Kollegium, die noch keine Parteimitglieder waren. Sie waren Mitglieder des NSLB und engagierten sich sozial in der NS Volkswohlfahrt (NSV) und Jeziorsky absolvierte seinen Kriegsdienst wie Walter Behn und Heinrich Seggelke ab 1940 bis Kriegsende bei dem Reichswetterdienst der Luftwaffe. (48)

Ich vermute, dass Schulleiter Peter Jacobsgaard bei alledem Mentorendienste geleistet hatte.

Walter Jeziorsky wurde 1945 prompt entnazifiziert und im Herbst 1945 als Schulleiter an der Jahnschule eingesetzt. Schon 1947 folgte Jeziorsky dem Ruf an das Pädagogische Institut, wo er als Dozent und später Professor für Grundschulpädagogik Generationen von Hamburger Lehrerinnen und Lehrer ausbildete, für die „Jezi“ eine prägende „Lichtgestalt“ als Lehrerbildner wurde. Auch in der GEW blieb Walter Jeziorsky ein anregender und streitbarer Geist, was ich als HLZ-Schriftleiter in den 1980er Jahren mehrfach selbst erlebte und bezeugen kann.

Er starb am 12.4.1992.

Problematisch fiel aus meiner Sicht Jeziorskys Rückblick auf die Schule unterm Hakenkreuz in Hamburg aus. In einem Gespräch, das Rainer Petersen und ich mit Walter Jeziorsky und drei weiteren KollegInnen 1979 führten, sagte Jeziorsky: „Trotz alledem gab es in der pädagogischen Arbeit keine wesentlichen Einschränkungen. Die damals verkündeten neuen Erziehungsziele wurden heimlich belächelt. Man hörte es sich an, diskutierte nicht darüber, weil das zwecklos war und machte in der Klasse weiter, wie bisher.“ (49)

Das mag Jeziorskys Einstellung nach 1933 charakterisieren. Alles Augenmerk auf die pädagogische Arbeit zu richten. Aber es blendete aus, was auch an der Jahnschule um ihn herum mit jüdischen Schülerinnen und Schülern passierte, wie die Fehlings Reiseners, Kumlehns, Einfeldts und Walter Behns innerhalb und außerhalb der Jahnschule agierten und kennzeichnet auch ein wenig die Lebenslügen einer ganzen Pädagogengeneration, der bezogen auf ihr persönliches Handeln zum Teil wenig vorzuwerfen ist.

Text: Hans-Peter de Lorent

Anmerkungen
1. Siehe die Biografien Peter Jacobsgaard, Hans Einfeldt, Rudolf Fehling und Walter Behn in diesem Buch.
2. Richard Waage in der Schulchronik der Jahnschule am 1.4.1937, StA HH, 362-9/14_2 Chronik.
3. Uwe Storjohann in einem Gespräch am 21.6.2012.
4. StA HH, 221-1_Ed 2007
5. Siehe deren Biografien in diesem Buch.
6. Rudolf Harnack: Baven un ünn, Falken-Verlag Hamburg 1940, S. 14.
7. Storjohann im Gespräch am 21.6.2012.
8. Entnazifizierungsakte Wallis, StA HH, 221-11_KAT 31863
9. Ebd.
10. Entnazifizierungsakte Reisener, StA HH, 221-11_Ed 6008
11. Storjohann in Gesprächen am 21.6.2014 und am 15.8.2014.
12. Entnazifizierungsakte Reisener, a.a.O.
13. Uwe Storjohann: „Hauptsache überleben“, Hamburg 1993, S. 207 .
14. Entnazifizierungsakte Kumlehn, StA HH, 221-11_Ed3031
15. Alles zitiert nach StA HH, 362- 9/14_2 Chronik
16. Richard Waage: Der Soldat in der Jahnschule, StA HH, 362-9/14_2 Chronik
17. Festgehalten von R. Waage am 18.1.1939 in der Chronik, a.a.O.
18. Chronik, a.a.O.
19. Uwe Storjohann im Gespräch am 21.6.1913.
20. StA HH, 221-11_Ed 1320 und Lehrerverzeichnisse 1953/54 und 1962/63.
21. Personalakte StA HH, 361-3_57843 und Entnazifizierungsakte Tiedemann, StA HH, 221-11_Ed 3164
22. StA HH, 221-11_POW 1423
23. StA HH, 221-11_Ed 2122
24. StA HH, 221-11_Ed10512
25. StA HH, 221-11_Ed 1833
26. StA HH, 221-11_Ed1989
27. Uwe Storjohann, 1993, a.a.O., S 33.
28. StA HH, 221-11_Ed 4318
29. Ebd.
30. Ebd.
31. StA HH, 221-11_Ed1989
32. StA HH, 361-3_Nr. 3803
33. Ebd.
34. StA HH, 221-11_Ed3146
35. Angaben nach seiner Personalakte StA HH, 361-3_Nr. 3803.
36. StA HH, 361-3_A 1493
37. Storjohann im Gespräch am 21.6.2012.
38. StA HH, 221-11_Ed 12592
39. StA HH, 361-3_A 1493
40. Siehe auch Biografie Deuchler in diesem Buch.
41. „Hamburger Abendblatt“ vom 2.8.1962.
42. StA HH, Lehrerprüfungsamt A 119 Bd 1; StA HH, 361-6_ HWDP IV_3074; StA HH, 221-11_Ed 4004
43. StA HH, 361-6 HPW IV_1315
44. Hartwig Fiege: Nachruf Walter Jeziorsky, HLZ 6-7/ 92, S. 49.
45. Ebd.
46. Walter Jeziorsky: Gesichtspunkte für den Aufbau eines Lehrplans für die sachkundliche Arbeit in der Grundschule, in: HLZ 47/ 1936, S.444 ff. und Walter Jeziorsky: Sachkunde, ihre Methodik und das Problem des Gesamtunterrichtes, in: HLZ 24/1937, S. 261 ff.
47. StA HH, 221-11_Ed 1650
48. Ebd.
49. Das Gespräch mit Walter Jeziorsky, Anne Banaschewski, Käthe Jacob und Ludolf Mevius ist abgedruckt in: Ursel Hochmuth/Hans-Peter de Lorent: Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985, S. 144 ff.
 

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Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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