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Emma Lange

(2.11.1891 Hamburg – 5.4.1971)
Schulleiterin an der Schule Schanzenstraße 15
Eimsbütteler Chaussee 90 (Wohnadresse 1939)

Dr. Hans-Peter de Lorent hat das Portrait über Emma Lange verfasst und in seinem Buch „Täterprofile Band 2“ veröffentlicht.

Eine der wenigen Frauen im Hamburger Schulwesen, die sowohl in der Weimarer Republik als auch während der NS-Zeit eine Rolle gespielt hat, war Emma Lange. Sie war sozial engagiert und hatte sich der Mädchenerziehung verschrieben. Als Schulleiterin der Schule Schanzenstraße 15 gewählt, musste sie ihr Amt 1933 aufgeben, arbeitete an ihrer Schule aber weiter als Lehrerin, engagierte sich im NSLB als Leiterin der Gaufachschaft für Mädchenerziehung. Als die Leiter und Lehrer der Schule zur Wehrmacht gerufen wurden, übertrug man Emma Lange 1943 erst die Stellvertretung der Schule und dann die Schulleitung. Nach rascher Entnazifizierung wurde sie am 1.8.1945 wieder als Schulleiterin eingesetzt. Sie war keine Täterin, aber ein Rädchen im Getriebe, das zum Funktionieren des Systems beitrug.

Emma Lange wurde am 2.11.1891 in Hamburg als Tochter des Kaufmanns Ernst Lange geboren. Ihr Leben war geprägt durch harte soziale Bedingungen. In ihrem Lebenslauf, den sie für ihre erneute Schulleiterbestellung am 14.3.1945 schrieb, stellte sie zwar fest: „Ich verlebte inmitten meiner vier Geschwister eine frohe Jugendzeit.“ Die währte allerdings nicht lange: „Leider verloren wir in meinem 6. Lebensjahr meinen Vater. Von der Zeit an mußte meine Mutter allein für unseren Unterhalt und unsere Erziehung sorgen.“1 Das mag ihr Frauen- und Mädchenbild geprägt haben.

Wie noch zu zeigen sein wird, fühlte sich Emma Lange zeitlebens für ihre Mutter und ihre zwei Schwestern und zwei Brüder verantwortlich und unterstützte sie nach Kräften, insbesondere als ihr zweiter Vater, der Kaufmann Karl Petersen im April 1911 plötzlich an einer Blutvergiftung starb.2

Emma Lange besuchte acht Jahre lang eine Hamburger Volksschule und trat danach in das Hamburger Lehrerinnen-Seminar über, das sie nach fünf Jahren am 11.3.1911 mit durchweg guten Noten in der ersten Lehrerprüfung erfolgreich abschloss.3 Sie finanzierte ihre Lehrerausbildung mit täglich ein bis zwei Privatstunden im Hause des Hamburger Kaufmanns Robert Heidrich, „dessen zwei Kinder ich bis zur Einjährigen-Reife führte“.4

Anschließend begann sie ihre Lehrtätigkeit an der Volksschule Schanzenstraße 105, an der sie in unterschiedlichen Positionen bis zu ihrer Pensionierung tätig blieb.

Ihr soziales Engagement und ihre nicht versiegende Arbeitskraft bewies sie auch dadurch, dass sie seit ihrem 15. Lebensjahr bis 1933 in allen Sommerferien „ehrenamtlich in der Tageskolonie Moorwärder gearbeitet hatte“. Sie schrieb, sie sei „infolge meiner langjährigen Mitarbeit in allen Fragen der Mädchenbetreuung maßgeblich am Ausbau der Kolonie“ beteiligt gewesen.5

Emma Lange war 1932 zur Schulleiterin gewählt worden, nachdem der langjährige Schulleiter, Hermann Grünhagen, am 1.3.1932 in den Ruhestand getreten war. Damals waren mit Emma Lange zwölf Lehrerinnen und drei Lehrer im Kollegium der Schule. Ein Jahr später, als die Nationalsozialisten die Schulpolitik bestimmten, standen Schulleiterinnen in „Führerfunktionen“ nicht hoch im Kurs, Emma Lange wurde durch einen Kollegen der Schule Rellinger Straße , Hellmuth Riecks, abgelöst, sie arbeitete weiter als Lehrerin an der Schule und im sozialen Bereich. „Im Kriegsjahr 1914 rief mich die Behörde für Jugendfürsorge zur ehrenamtlichen Jugend- und Waisenpflegerin in meinem Schulbezirk. Dieses Amt habe ich im Jahre 1938 infolge größerer Inanspruchnahme durch meine Arbeiten für den NSLB niederlegen müssen, da ich 1933 zur Gausachbearbeiterin für Mädchenerziehung ernannt worden war und einige Jahre später Mitarbeiterin unserer Reichszeitung (NS-Mädchenerziehung) wurde.“6

Emma Lange definierte sich nicht politisch, sondern sozial, ihr Anliegen war die Mädchenerziehung und sie merkte nicht, dass sie durch ihr Engagement durchaus eine politische Funktion im nationalsozialistischen Hamburger Schulwesen innehatte. Sie war, wie sie selbst erklärte, seit dem 1.5.1933 Mitglied des NSLB, in der NS-Frauenschaft ab dem 1.6.1934, in der NSV seit 1934, trat auch am 1.5.1937 in die NSDAP ein, von außen gesehen, ohne Not, da sie zu diesem Zeitpunkt von ihrem Schulleitungsamt entpflichtet war.7

Ausgehend von ihrer Funktion als Gauverantwortliche für die Mädchenerziehung war Emma Lange seit 1933 mit „Einzelvorträgen im Rahmen der Lehrerfortbildung und in Schulungslehrgängen auch in der Lehrerinnenfortbildung“ aktiv.8

Später sollte es für Emma Lange hilfreich sein, dass sie von Beginn ihrer Lehrertätigkeit an der Schule Schanzenstraße 105 mit Fritz Köhne, der dort als Lehrer arbeitete, freundschaftlich verbunden war. Als sie sich aufgrund großer familiärer Not am 25.10.1938 an den Präsidenten der Schulverwaltung, Karl Witt, um Unterstützung wandte, nannte sie ihre Leumundszeugen: „Herr Schulrat Köhne, der mich aus gemeinsamer Lehrtätigkeit seit 27 Jahren kennt, sowie Fräulein Dr. Barrelet, die mich in meiner Tätigkeit im NSLB seit 1933 genauer kennen lernte, sind bereit, meine Glaubwürdigkeit zu bezeugen.“9

Das Schreiben von Emma Lange an die Schulverwaltung enthielt die Bitte um finanzielle Unterstützung. Es soll in einem Auszug zitiert werden, weil es ihre unfassbare persönliche soziale Not dokumentiert, aber auch bezeichnend ist dafür, wie die Lebensverhältnisse in den geschilderten Jahren waren:
„Als im April des Jahres 1911 mein zweiter Vater, der Kaufmann Karl Petersen, plötzlich an einer Blutvergiftung starb und meine Mutter und drei Geschwister unversorgt zurückließ, war es selbstverständlich, daß ich, solange die Ausbildung meines älteren Bruders, der Lotse werden wollte, dauerte, restlos mein Geld meiner Mutter zur Verfügung stellte, um meinen Bruder in seiner Ausbildung, die er sich selbst ersparen mußte, nicht zu behindern. Mitte Juli 1914 bekam er nach bestandener Prüfung für weite Fahrt sofort die Stelle eines II. Offiziers bei der Kosmos-Linie und hätte von diesem Tage ab mich in meinen häuslichen Verpflichtungen entlastet, wenn er gekonnt hätte. Nach einer lebensgefährlichen Flucht aus Antwerpen hat er vom ersten Kriegstage an ununterbrochen Frontdienste geleistet, bis er auf einem Fluge über England am 11. Dezember 1917 den Heldentod erlitt. Ich habe meinen Bruder, als er den zwingenden Wunsch äußerte, als Flieger dem Vaterlande dienen zu wollen, in die Hand versprochen, bis zuletzt für unsere Mutter zu sorgen und meinem jüngeren Bruder, der damals noch ein Kind war, die Ingenieurlaufbahn zu ermöglichen. Dies Versprechen habe ich nur unter schwerstem Verzicht auf eigenes Lebensglück und dadurch, daß ich täglich mehrere Privatstunden gab, halten können. Meine jüngere Schwester, die nach vierjähriger Berufsausbildung eine sichere Stellung bekleidete und mich in meinen Verpflichtungen unterstützen wollte, starb 1919 plötzlich. 1923 hatte mein jüngerer Bruder seine Ausbildung als Schiffbauingenieur abgeschlossen. Er konnte aber trotz bester Zeugnisse, da die Werften still lagen, jahrelang in seinem Berufe keine Beschäftigung finden. Zu allem Unglück erkrankte er 1924 schwer an einer Lungenentzündung. Da er damals in keiner Kasse war, mußte ich, um Arztkosten, Tag- und Nachtschwester und eine lange Pflege bezahlen zu können, 300 Mark Vorschuß von der ‚Gesellschaft der Freunde‘ und 200 Mark Vorschuß von unserer Behörde erbitten. Es hat über ein Jahr gedauert, bis ich dieses Geld abbezahlt hatte. 1929 erkrankte meine ältere Schwester, die ihrer zarten Gesundheit wegen niemals einen Beruf ergreifen konnte, daher auch in keiner Kasse war, sehr schwer, wie das anliegende Attest bescheinigt. Seit 1932 leidet meine jetzt 79-jährige Mutter an einer nicht mehr heilbaren Altersverschleimung.“10

Emma Lange führte weiter aus, welche Ausgaben damit verbunden waren, aber auch was dies für sie persönlich bedeutet hatte:
„Infolge der laufenden Verpflichtungen und der angeführten, ungewöhnlich großen Ausgaben habe ich in meiner 27-jährigen Tätigkeit noch nicht ein einziges Mal eine Erholungsreise machen können. Meine ebenso lange ehrenamtliche Beschäftigung als Jugend- und Waisenpflegerin in meinem Schulbezirk, sowie meine 26-jährige Arbeit am Aufbau der Tageskolonie Moorwärder, in der ich Sommer für Sommer unter den Kindern zubrachte, ließen mich einen kleinen Ausgleich für den Verzicht auf eigene Kinder und körperliche Erholung finden.“11

Dies alles nötigt Empathie für Emma Lange ab.

Nichtsdestotrotz war Emma Lange, sozial engagiert und aus eigener Sicht unpolitisch, durch ihre NSLB-Funktion für die Mädchenbildung ein nützliches Rädchen im Getriebe des Systems.

Zumindest bedenklich war, was Emma Lange in ihrer Funktion als Gau-Sachbearbeiterin für Mädchenerziehung 1936 in der HLZ schrieb. Da hieß es:

„Die neue Mädchenerziehung steht vor der Aufgabe, echtes Frauentum, auf das allein die Pflichten der Frau im Volke und in der Familie gestellt sind, zu bilden. In den Hamburger Volksschulen für Mädchen zeigt sich heute viel ernstes Mühen, durch Erziehung zu rassisch-völkischem Denken und Handeln den Sinn für Rasse­reinheit schon mit der heutigen Jugend tief in der Volksseele zu verankern. Aus der Verbindung der Schule mit den feierlichen Anlässen an den großen Tagen der Nation und aus den vielen kleinen stimmungsvollen Volkstumsfeierstunden erwächst ein Wachsein für viele Frauen unseres Volkes, eine langsame Vertiefung nationaler Gesinnung. Vielerlei praktische Versuche beweisen den ernsten Willen, alles Werkschaffen der Mädchen in der Volksschule so auszurichten, daß schon hier die Grundlage für eine gesunde Entwicklung hausmütterlicher Fähigkeiten vorbereitet werde; es soll Untüchtigkeit der Frauen bei den ihnen allen gemeinsamen Aufgaben mehr und mehr ausgeschaltet werden.“12

Damit war Emma Lange schon mehr als ein Rädchen im Getriebe. Auch mit Sätzen wie: „Es muß uns gelingen, jene Besinnung, aus der heraus der Nationalsozialismus neue Kulturmöglichkeiten erschließen will, bis in die Grundschule hineinzutragen und um unsere Mädchen eine Atmosphäre heiterer Ruhe zu schaffen, in der die in rührender Einfachheit oft schon im kleinen Kinde angelegte Mütterlichkeit am besten behütet werden kann; es muß uns gelingen, das der Mädchenschule eigene innere Leben im lebendigen Zusammenhang mit der Familie zu bringen, der wichtigsten erzieherischen Lebensform unseres Volkes. (…) Es wäre leicht, die Verinnerlichung der Mädchenbildung zur Vollendung zu führen, könnten wir jedes Ideal, von dem wir sprechen, auch zugleich vorleben. (…) Und mahnt nicht vor allem unser Führer uns, die Kraft des Idealbildes nicht gering zu achten?“13

Emma Lange schrieb von „einem leuchtenden Vorbild jener typisch deutschen Mutter, der lebenstüchtigen, opferwilligen Frau, die nur helfen und beglücken will und dadurch bis ins hohe Alter Beraterin und Lenkerin ihrer Kinder und treue Gefährtin ihres Mannes bleibt. Gelänge es uns darüber hinaus, dann noch, das reifere Mädchen so weit zu führen, daß es gefühlsmäßig erfaßt oder auch nur erahnt, daß das Warten- und Schweigenkönnen, das gütige Übersehen eines Unrechtes zur Größe der mütterlichen Frau gehört und daß die Tugenden, die unser Führer von jedem Deutschen fordert: ‚Treue, Tapferkeit und Opfersinn‘ auch im Leben jeder deutschen Frau Bedeutung haben, wird es leicht ein Vorbild finden, nach dem es sich, wenn auch zuerst unbewußt, zu erziehen beginnt.“14

Das ist aus heutiger Sicht schon ziemlich gruselig.

Als im Laufe der Kriegszeit immer mehr Lehrer und Schulleiter, auch der Schule Schanzenstraße 105 in den Kriegsdienst gezogen wurden, machte die Schulverwaltung Emma Lange 1943 zunächst zur stellvertretenden Schulleiterin und anschließend übergab man ihr sogar wieder die Schulleitung der Schule. Schulrat Backeberg schrieb einen sehr positiven Befähigungs- und Leistungsbericht über sie am 26.10.1944. Darin hieß es:

„Fräulein Emma Lange steht seit vielen Jahren in Hamburg mit an führender Stelle für die besonderen Belange der Mädchenerziehung. Sie ist eine Führungspersönlichkeit im besten Sinne.“15 Er bescheinigte ihr „Tüchtigkeit im öffentlichen Leben. Sie hat einen sicheren Blick für die Notwendigkeit des Augenblicks sowie die große Linie. Jegliches Geltungsbedürfnis ist ihrem Wesen fremd. Fräulein Lange ist eifrig bemüht, auf den Gebieten der Psychologie und der Methodik des Unterrichts auf dem Laufenden zu bleiben. Ihr Unterricht in den oberen Klassen der Volksschule ist erfolgreich. Sie ist eine geschickte Gestalterin des Lehrergesprächs. Organisatorische Begabung ist ihr eigen. Sie kann vorgeschlagen werden als Rektorin.“16

Aus dem Archiv der Schule Schanzenstraße 105 sind drei Schreiben der Schulleiterin Emma Lange erhalten geblieben, die deutlich machen, was in den Zeiten 1943 bis 1945, in der ein geregelter Unterricht nicht mehr möglich war, an Problemen für Schulleitungen entstanden.

Am 1.11.1943 wandte sich Emma Lange an den zuständigen Schulrat Dietrich Ossenbrügge:

„Durch Zufall erfahre ich heute morgen, daß im Erdgeschoß und im ersten Stock des Schulhauses Schanzenstraße 105 eine feste Wand im Treppenhausbogen hochgemauert werden soll, um im Katastrophenfall die in die Schule geflüchteten Volksgenossen (die Schanzenstraße ist Auffangschule) ganz von den im 1. bis 3. Stock untergebrachten 400 Italienern zu trennen. Gegen das Hochziehen solcher Wände ist als dringlicher Grund anzuführen, daß die Flure des Erdgeschosses und des ersten Stockes dadurch stockdunkel werden, daß ferner der für die Italiener im Erdgeschoss eingebaute 200-Liter Kaffeekessel in das erste Stockwerk verlegt werden müßte, wodurch nochmals eine Flurwand stark beschädigt werden würde. Lehrer, Hausmeister, Kinder und gegebenenfalls Obdachlose sind vom Zugang zu den Toiletten abgeschlossen. Hiermit im Zusammenhang muß der Schulverwaltung mitgeteilt werden, daß das saubere Schulhaus, da wir seit der Katastrophe weder Wasser noch Heizung haben, jetzt bereits völlig verschmutzt ist. Ungeziefer und ekelerregender Auswurf pp. werden in immer stärkerem Maße beobachtet. Die Latrinen und die Unsauberkeit auf dem Hofe sind für unsere das Schulhaus eng umwohnenden Volksgenossen berechtigte Gründe zunehmenden Anstoßes und bedauerlich anwachsender Unzufriedenheit.“17

Einen Monat später schrieb Schulleiterin Emma Lange an die Bauabteilung der Schulverwaltung, und es wurde deutlicher, mit wem die Schule das Gebäude teilen musste: „Beschädigte Schulaborte durch das Militär-Interniertenlager Arbeitskommando 1028 (400 Italiener).“18

Dies sagte nun mehr über die Lebensbedingungen der internierten Italiener in einer Hamburger Schule aus: „Seit etwa 14 Tagen benutzen die 400 in die Schule gelegten Italiener unsere im Keller liegenden Schulaborte, während sie bis dahin zwei auf dem Hofe angelegte Latrinen aufsuchen mußten. In dieser kurzen Zeit sind, da die Aborte trotz der Wasserspülung ständig verstopft sind, – es sind für 400 Italiener, die 16 Mädchenaborte naturgemäß nicht ausreichend – drei Abortbecken zertrümmert worden, nicht etwa aus Mutwillen, sondern aus Unkenntnis bei dem Versuch, die stark verstopften Becken zu durchspülen. Da die Hausmeistertoilette an dasselbe Rohr angeschlossen ist, wird sie bei jeder Verstopfung ebenfalls unbrauchbar. Ich bitte die Bauabteilung der Schulverwaltung, sich dieser Angelegenheit anzunehmen, denn wenn weiterhin die Toilettenbecken so zahlreich zertrümmert werden, werden für die Kinder, wenn wir das für den Unterricht noch brauchbare Erdgeschoß für Schulzwecke verwenden sollten, keine Toiletten vorhanden sein. Außerdem muß ich die Bauabteilung darauf aufmerksam machen, daß die Italiener an ihren freien Sonnabendnachmittagen und ihren Sonntagen in großer Zahl ihr Zeug auswaschen, wobei in allen Stockwerken der Flurboden im weiten Umkreise um die Wasserbecken herum stundenlang unter Wasser steht.“19

Es gab noch eine Steigerung. Am 23.5.1945, als der Krieg zu Ende war, teilte Emma Lange der Schulverwaltung mit, wie die italienischen Militärgefangenen das Kriegsende begangen hatten:
„In der Nacht vom 6./7. Mai haben die Italiener, die in den oberen drei Stockwerken der Schule untergebracht sind, die Türen zu den der Schulverwaltung vorbehaltenen Räumen des Erdgeschosses erbrochen, sowie sämtliche Materialschränke, die Schreibtische der Leiter und das gesamte wertvolle Lehr- und Lernmaterial beider Schulen gestohlen. Nach dem in den folgenden Tagen die Schlösser wieder in Ordnung gebracht worden waren, die Türen zum Teil vernagelt wurden und die Materialräume von geschulten Packern der Transportfirma Pommerenke mit Bänken, Schränken und Turmgeräten vollständig zugebaut worden waren, ist trotzdem aus einem dieser Räume einige Tage später das Klavier der Schwerhörigenschule nachts in das Lager geholt worden und von dort einen Tag später mittags aus dem hinteren Treppenhaus der Schule weggeschleppt worden, so daß die im Erdgeschoß untergebrachte englische Wachmannschaft, die inzwischen abgelöst worden ist, diese Plünderung nicht bemerkt hat. Leider sind sämtliche Bemühungen der Schulverwaltung und eine sofortige Durchsuchung des Lagers erfolglos geblieben. Bedauerlicherweise werden weiterhin täglich Schulbänke, Schränke und Stühle immer wieder aus den verschlossen gehaltenen Räumen gestohlen und zu Kleinholz zertrümmert, womit sich die Italiener ihre kleinen eisernen Öfen heizen, die in fast jedem zweiten Klassenraum stehen. Ich bitte die Schulverwaltung, die englische Militärbehörde um Hilfe zu ersuchen, daß sie veranlassen möge, daß durch Anschlag im Lager unter Strafandrohung bekannt gemacht wird, daß die Diebstähle von Schulmöbeln schwer bestraft werden, und daß die englische Wache beauftragt werden möge, einzuschreiten, daß die Schulmöbel nicht zu Kleinholz zertrümmert werden.“20

Emma Lange hatte noch ein anderes persönliches Problem. Sie war seit 1943 total ausgebombt und wohnte ebenfalls in der Schanzenstraße 105.21

Mit der Entnazifizierung hatte sie hingegen kein Problem. In ihrem Fragebogen hatte sie zwar ihre NSLB-Mitgliedschaft ab dem 1.5.1933 angegeben, aber wahrheitswidrig bei der Zusatzfrage: „Ämter bekleidet?“ geantwortet: „Nein.“22

Sie wurde am 1.8.1945 von dem noch im Amt befindlichen Schulrat Backeberg, der kurz darauf suspendiert wurde, mit der Schulleitung der Schule Hohe Weide 12 beauftragt, aber am 25.9.1945 dann mit der Schulleitung ihrer alten Schule Schanzenstraße 105 beauftragt. Wahrscheinlich trat Emma Lange so deutlich sozial und pädagogisch aktiv in Erscheinung, dass ihre NS-Mitgliedschaften, insbesondere im NSLB, dagegen völlig verblassten. Als Schulrat Robert Werdier am 10.3.1947 für ihre Bestätigung als Schulleiterin einen Bericht verfassen musste, stellte er fest:
„Frau Emma Lange war bis 1933 gewählte Leiterin der Mädchenschule Schanzenstraße 105, wurde dann von den Nazis abgesetzt und im Sommer 1945 wieder in ihr altes Amt eingeführt. Sie ist in jeder Beziehung vorbildlich. Auch Lehrer und Studenten des Sonderlehrgangs der Hohen Weide, die hier ihre praktische Arbeit ableisten, rühmen die pädagogische Arbeitsfreudigkeit der Leiterin und des Kollegiums. Gerade die Schanzenstraße ist mir dafür ein Beweis, dass es bei einer Schule nicht so sehr auf das Gebäude ankommt, sondern auf den Geist, der Lehrkörper, Elternschaft und Kinder zusammenhält. Ich bitte, Frau Lange zu bestätigen.“23

Fritz Köhne zeichnete diesen Bericht ab und die Unrichtigkeit, dass Emma Lange nicht erst im Sommer 1945, also in der Nach-Nazizeit, wieder als Schulleiterin eingesetzt wurde, sondern schon bevor, fiel nicht weiter ins Gewicht.

Emma Lange blieb eine geachtete Schulleiterin der Nachkriegszeit, weiter sozial aktiv und an der Mädchenbildung interessiert. Über den Anfang nach dem Krieg schrieb Emma Langes Nachfolgerin, Ingrid Möller:
„Als schließlich im Sommer 1945 der Unterricht wieder aufgenommen wurde, war das Haus durch die vorhergegangene Belegung durch italienische Soldaten und Ausgebombte, durch Dienststellen verschiedener Art in seinen oberen Stockwerken vorerst nicht für Schulzwecke zu gebrauchen. Im Erdgeschoß wurden die ersten Klassen notdürftig eingerichtet und mit wenigen Lehrkräften, die alle zwei Klassen mit mehr als 60 Kindern führten, begann der Schulbetrieb wieder. Schnell stieg die Zahl der Kinder, so daß zeitweise auf eine Lehrkraft 65 Schülerinnen fielen. Neben dem Unterricht galt es in diesen ersten Nachkriegsjahren vor allem der äußeren Not abzuhelfen. Lebertran und Essen wurden in der Schule verteilt, bei der Schuhsohlenbeschaffung versuchte man zu helfen. Statt 350–400 Kinder wie in den Vorkriegsjahren besuchten schließlich 1000 Mädchen die Schule, so daß 1946 Schichtunterricht eingeführt werden mußte. Dank Frau Langes stetiger Bemühungen, oft in Zusammenarbeit mit der Elternschaft, normalisierte sich allmählich der Unterrichtsbetrieb, das ganze Haus konnte schließlich von der Mädchenschule übernommen werden und ein ruhigeres Arbeiten beginnen.“24

Eine ehemalige Schülerin, H. Ruchatz, erinnerte sich an Emma Lange:
„Unsere Schulleiterin war Fräulein Emma Lange, eine sehr warmherzige und verständnisvolle Frau, aber auch Respekt einflößend. Sie sprach in einem ruhigen Tonfall, ihre braunen Augen hinter dicken Brillengläsern guckten jedem immer freundlich entgegen. Ihre damals kaum grauen, dunklen Haare trug sie zu einem Zopf geflochten und dann zu einer Haarkrone aufgesteckt. Ihre Figur war rundlich und wirkte sehr mütterlich. Meiner Erinnerung nach trug sie fast immer knöchellange Röcke und langärmelige Blusen mit einer Wollweste oder -jacke darüber und dunkle Schnürstiefel. Aber das kann auch nur eine Erscheinung der damaligen Verhältnisse gewesen sein, denn Schuhzeug gab es nicht zu kaufen. Viele meiner Schulkameradinnen kamen, so lange es die Witterung noch zuließ, barfuß. Für die heutige Zeit waren wir alle sehr eigenartig gekleidet. Wer erinnert sich nicht an die Mäntel aus Wolldecken und die Stricksachen aus den aufgeribbelten amerikanischen Zuckersäcken? Ich hab nie mehr so viele rote Faltenröcke bei Mädchen gesehen wie im Sommer 1946. Sie waren aus den Fahnen genäht worden.

Nach der Einschulung waren ungefähr sechs Wochen oder etwas mehr vergangen, als uns Fräulein Schmonses sagte, am morgigen Tag würde der Schulrat und eine Delegation der britischen Militärbehörde kommen, und wir sollten uns ordentlich am Unterricht beteiligen. Am nächsten Morgen, es war wohl ein stilles Übereinkommen zwischen uns allen gewesen, hatte jeder sein bestes Kleidungsstück an und wer hatte, dem thronte am Ende seiner Tolle eine Haarschleife im Haar, genannt ‚Butterlecker‘, oder war eine solche in die Zöpfe eingeflochten. Es wurden noch einige Stühle in unsere Klasse gestellt. Dann erschien Fräulein Lange mit der ganzen Gefolgschaft. Der Schulrat im Anzug begrüßte Fräulein Schmonses mit Handschlag, die Engländer in Uniform nickten ihr zu. Geräuschlos hatten wir uns erhoben, sagten ‚Guten Morgen‘ und sangen stehend ein Lied. Diesmal gab Fräulein Lange das Zeichen zum Hinsetzen. Jetzt begann der Unterricht. Wir bekamen ein Märchen vorgelesen. Zu meiner Verwunderung wurde Fräulein Schmonses hochrot im Gesicht, als sie mit dem Vorlesen begann. Ich guckte zu der Besuchergruppe und merkte erst jetzt, daß auch eine Frau unter den Engländern saß. Statt der langen Hose trug sie einen uniformfarbenen Rock und dazu farblich abgestimmte Seidenstrümpfe, für damalige Zeiten etwas absolut Schickes. Während über die Gesichter des Schulrates und Fräulein Langes häufig ein Schmunzeln lief, blieben die Gesichter der Engländer ernst. Als das Klingelzeichen das Unterrichtsende angekündigt hatte, erhob sich Fräulein Lange, lobte unsere Mitarbeit und sprach dann zu den Engländern auf Englisch. Heute ist das wohl in so einem Falle eine Selbstverständlichkeit, aber damals waren wir mucksmäuschenstill, lauschten auf jedes Wort, und Fräulein Langes Ansehen wuchs und wuchs. Noch am nächsten Tag war unser aller Gesprächsstoff Fräulein Lange, unsere Schulleiterin, die so gut Englisch sprechen konnte.“25

Zu Frau Langes Pensionierung schrieb Landesschulrat Ernst Matthewes:

„Über 40 Jahre haben Sie Ihre Kraft und Ihre Liebe der Jugend geschenkt. Sie haben helle und dunkle Tage des Hamburger Schulwesens miterlebt, von dem Aufbruch neuer pädagogischer Kräfte über die Blütezeit des Schulwesens in Hamburg bis zu dem Niedergang unserer Schule. Und in den bitteren Tagen nach dem Zusammenbruch haben sie tapfer Hand angelegt, um die schlimmsten Folgen zu beseitigen helfen. Immer aber stand hinter Ihrem Wirken ein warmherziger, gütiger, aber auch ein kluger, umsichtiger Mensch. Ich darf es ihnen am Ende ihrer Dienstzeit sagen: Sie haben Kindern, Kollegen und Eltern sehr viel gegeben, und wir alle waren und sind sehr stolz auf Sie, denn Sie haben in ihrer bescheidenen und unauffälligen Lebensarbeit Pflichterfüllung und Menschlichkeit, sachliche Tüchtigkeit und Güte zu einer schönen Einheit gebracht.“26

Emma Lange antwortete darauf: „Ich hätte vorher niemals geglaubt, daß es so schwer sein könnte, eine Arbeit aufgeben zu müssen, die man viele Jahre lang gern getan hat. Daß nun mal Sie, lieber Herr Matthewes, davon wissen, daß es mir mit Herrn Werdiers Hilfe gelungen ist, die schon fast zerstörte Schule wieder so aufzubauen, wie sie mir aus ihrer besten Zeit – als auch Herr Köhne hier als Lehrer wirkte – vor Augen stand, habe ich dankbar aus Ihren Worten empfunden.“27

Die Menschlichkeit und das soziale Engagement sollen und können Emma Lange nicht bestritten werden, eine politische Eintrübung in den dunklen Jahren der NS-Herrschaft muss dennoch konstatiert werden.

Emma Lange starb am 5.4.1971.28

Das Buch von Hans-Peter der Lorent: „Täterprofile, Band 2, Hamburg 2017“ ist in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg erhältlich.

Anmerkungen
1 Personalakte Emma Lange, StA HH, 361-3_A 3972
2 Laut Schreiben von Emma Lange vom 25.10.1938, Personalakte a.a.O.
3 Entlassungszeugnis vom 26.3.1911, Personalakte a.a.O.
4 Lebenslauf, Personalakte a.a.O.
5 Ebd.
6 Ebd. Zu den Schulleiterbestellungen siehe die Hamburgischen Lehrer-Verzeichnisse für die Schuljahre 1932–1933 und 1935–1936, herausgegeben von der Gesellschaft der Freunde und dem Verein Hamburger Volksschullehrerrinnen, bzw. dem Nationalsozialistischen Lehrerbund.
7 Alle Angaben laut Entnazifizierungsakte Emma Lange, StA HH, 221-11_Ed 1991
8 Lebenslauf, Personalakte a.a.O.
9 Schreiben vom 25.10.1938, Personalakte a.a.O. Zu Fritz Köhne siehe: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 61ff.; sowie: Caesar Hagener: Fritz Köhne – Mythos und Wirklichkeit, in: Ursel Hochmuth/Hans-Peter de Lorent (Hrsg.): Hamburg: Schule unterm Hakenkreuz, Hamburg 1985, S. 244ff.; zu Sophie Barrelet siehe: de Lorent 2016, S. 352ff.
10 Ebd.
11 Ebd.
12 Emma Lange: Mädchen Erziehung in den Hamburger Volksschulen, HLZ 51/52-1936, S. 470f.
13 Emma Lange 1936, S. 470.
14 Emma Lange 1936, S. 471.
15 Befähigung-und Leistungsbericht 26.10.1944, Personalakte a.a.O.
16 Ebd.
17 Schreiben vom 1.11.1943, StA HH, 362-3/2_Abl. 2006/1, 40
18 Schreiben vom 1.12.1943, StA HH, 362-3/2_Abl. 2006/1, 40
19 Ebd.
20 Schreiben vom 23.5.1945, StA HH, 362-3/2_Abl. 2006/1, 40
21 Laut Personalakte, a.a.O.
22 Entnazifizierungsakte a.a.O.
23 Bericht vom 10.3.1947, Personalakte a.a.O.
24 Schule Altonaer Straße 100 Jahre, 1884–1984, Festschrift, Hamburg 1984, S. 76.
25 Schule Altonaer Straße 100 Jahre, 1884–1984, Festschrift, Hamburg 1984, S. 81ff.
26 Schreiben vom 29.6.1957, Personalakte a.a.O.
27 Schreiben vom 31.7.1957, Personalakte a.a.O.
28 Laut Personalakte, a.a.O.
 

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Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
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Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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