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Adolf Lambeck

(19.11.1887 Stöckte, Kreis Harburg - 26.8.1952)
Sprachheilehrer, Leiter der Schule für Sprachkranke an der Altonaer Straße 58, Gründer der Fachzeitschrift „Die deutsche Sonderschule“, Mitbegründer der „Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogen in Deutschland“
Kurzer Kamp 21 (Wohnadresse 1939)

Dr. Hans-Peter de Lorent hat das Portrait über Adolf Lambeck verfasst und in seinem Buch „Täterprofile Band 2“ veröffentlicht.

Eine zwiespältige Person im Hamburger Schulwesen in der Zeit des Nationalsozialismus war Adolf Lambeck. Er war Leiter der Gaufachschaft Sonderschulen im NSLB. Einerseits hatte er sich schon in der Weimarer Zeit als Sprachheillehrer in Veröffentlichungen und in der Praxis bei der „Frühbehandlung sprachkranker Kinder“ verdient gemacht. Andererseits wurde er nach 1933 zu einem der Protagonisten der Sterilisation von „Erbkranken“. Erstaunlich, dass Lambeck, seit 1935 Schulleiter in Hamburg, nach 1945 nahezu unbeschadet wieder als Schulleiter arbeiten konnte.

Merkwürdigerweise existiert keine Personalakte mehr von Adolf Lambeck im Hamburger Staatsarchiv. Und dies, obwohl Lambeck objektiv eine auffällige Rolle im Hamburger Schulwesen gespielt hatte.

Und auch seine Entnazifizierungsakte ist dünn. Darin erklärte Lambeck:
„Ich bin am 1.5.1937 in die Partei eingetreten. Bereits Ende 1933 wurde ich als Mitglied des NS-Lehrerbundes mit der Bearbeitung der Fragen der Schulen für Taubstumme, Blinde, Sehschwache, Schwerhörige und Sprachkranke und der Hilfsschulen und ihrer Lehrkräfte als Fachschaftsleiter beauftragt. Ich habe dieses Amt also jahrelang geführt, ohne Parteimitglied zu sein. Ich bin nicht darüber informiert, ob ich mit dem Eintritt in die Partei als Fachschaftsleiter auch Mitglied des Korps der Politischen Leiter geworden bin. Zu Vorträgen, Besprechungen oder anderen Veranstaltungen eines Führerkreises bin ich nie eingeladen worden, noch habe ich daran teilgenommen. Eine Uniform habe ich weder besessen noch jemals getragen.“1

Seinen Fragebogen hatte er am 28.6.1945 abgegeben. Als Zeuge zeichnete OSR Fritz Köhne ab.2 Und Köhne war es auch, der unter der oben wiedergegebenen Erklärung Lambecks handschriftlich ergänzte:
„Ist als politischer Funktionär nicht in Erscheinung getreten; als Fachmann für die Heilung von Sprachgebrechen allgemein anerkannt und geschätzt.“3

Auch ungewöhnlich, ein dermaßen direktes Eintreten für einen zu Entnazifizierenden auf dessen Unterlagen.4

Adolf Lambeck gab zudem an, vor 1933 Mitglied der „Gesellschaft der Freunde“ und der DVP gewesen zu sein. Außerdem fügte er eine Liste mit 20 fachpädagogischen Aufsätzen, Schriften und Vorträgen hinzu, zur Hälfte vor der NS-Zeit datiert.5

Die Veröffentlichungen von Adolf Lambeck insbesondere nach 1933 sollen noch genauer betrachtet werden, führten sie doch dazu, dass die Erziehungswissenschaftlerin mit sonderpädagogischem Schwerpunkt, Prof. Inge Krämer-Kilic, einen Aufsatz veröffentlichte unter der Überschrift: „Adolf Lambeck – ein strammer Nazi und verdienter Leiter einer Hamburger Sprachheilschule bis 1950?“6

Adolf Lambeck war am 19.11.1887 in Stöckte, Kreis Harburg, geboren worden.7 Er besuchte das Lehrerseminar in Hamburg, am 1.6.1908 wurde er in Hamburg als Volksschullehrer fest angestellt.8

Anschließend arbeitete er als Lehrer im Hamburger Volksschuldienst, 1913/14 an der Knaben- und Mädchenschule Fuhlsbüttelerdamm 115.

„1922 trat er, im Alter von 35 Jahren, seinen Vorbereitungsdienst an der Sprachheilschule an. Zusammen mit Heinrich Möhring legte Lambeck 1924 die Sprachheillehrerprüfung ab und nahm seine Lehrtätigkeit an der Sprachheilschule ‚links der Alster‘ auf. Kurz nach Beginn seiner Berufstätigkeit als Sprachheillehrer im Jahr 1925 begann er, nach einer relativ kurzen Zeit praktischer Tätigkeit, zu publizieren und veröffentlichte bis 1927 jährlich ein bis zwei Arbeiten in verschiedenen Zeitschriften, die sich anfangs ausschließlich fachwissenschaftlichen Fragestellungen widmeten. Lambeck profilierte sich in fachwissenschaftlicher Hinsicht, indem er sich nach Angaben von Hans Wendpap ab 1940 auf die Behandlung von Kindern mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten spezialisierte. Zu diesem Themenkreis liegt eine Publikation aus dem Jahr 1936 vor.“10

In der „Gesellschaft der Freunde“ hatte sich Adolf Lambeck 1925 mit dem Hauptaufsatz der Ausgabe Nummer 46 in der HLZ profiliert, der auf der Titelseite begann: „Frühbehandlung sprachkranker Kinder“.11

Dieser Aufsatz war sicherlich ein Meilenstein für die Hamburger Lehrerschaft, sich mit einem Problem zu befassen, dem sie im Schulalltag mit Hilflosigkeit begegnete und wofür Lambeck eine fachkundige Hilfe anbot.

Krämer-Kilic bescheinigte diesem Aufsatz:
„Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich um eine Arbeit mit sprachheilpädagogischer Schwerpunktsetzung handelt, der ein humanistisches Menschenbild zugrunde zu liegen scheint. Standespolitische, bzw. staatspolitische Überlegungen und Argumente spielen in dieser Publikation keine Rolle.“12

Adolf Lambeck war 1927 Mitbegründer und Vorstandsmitglied sowie Schriftführer der „Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogen in Deutschland“ geworden. Krämer-Kilic stellte fest, dass dieser Verband „vergleichsweise fortschrittliche“ Positionen vertrat und dokumentierte.13

Im Zuge der Gleichschaltung nicht nur pädagogischer Organisationen durch die Nationalsozialisten ab 1933 wurde diese Arbeitsgemeinschaft in den NSLB eingegliedert. Lambeck vermerkte dazu:
„Die Krisenzeit drängte die ‚Arbeitsgemeinschaft‘ bald in die Verteidigung, und nach der nationalsozialistischen Erhebung hat sie 1933 ihren Arbeits- und Wirkungskreis dem NS-Lehrerbund anvertraut, der nun nach den Jahren der Besinnung einen neuen Zeitabschnitt für die Sprachheilarbeit einleiten will.“14

Krämer-Kilic kommentierte dieses so: „Lambecks Aussage, dass die ‚Arbeitsgemeinschaft‘ ihren Arbeits-und Wirkungskreis freiwillig dem NS-Lehrerbund ‚anvertraut‘ habe, stellt sicherlich eine Verzerrung der Realität dar. Ihr Vorsitzender Wilhelm Schleuß gehörte den Freimaurern an und war deshalb eine den nationalsozialistischen Machthabern missliebige Person, außerdem zählte die ‚Arbeitsgemeinschaft‘ eine Anzahl von Juden zu ihren Mitgliedern.“15

Wilhelm Schleuß war jahrelang auch Schulleiter der Schulen für Sprachkranke in der Stiftstraße 69  und später der Rostocker Straße 62 gewesen, an denen Lambeck als Lehrer zwischen 1925 und 1933 tätig war.16  Schleuß  wurde als Freimaurer am 1.4.1933 nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, 64-jährig, in den Ruhestand versetzt.17

Jetzt begann die Zeit von Adolf Lambeck. 1933 mit der Fachschaftsleitung der Gaufachschaft Sonderschulen betraut, wurde er 1935 als Schulleiter der Schule für Sprachkranke in der Altonaer Straße 58 eingesetzt. 1934 hatte er die Fachzeitschrift „Die deutsche Sonderschule“ gegründet, „die als Ziel hatte, die nationalsozialistische Weltanschauung in der Sonderschularbeit zu verankern und dies auch durch spezielle Schulungen und Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte zu erreichen versuchte. Die Zeitung sollte der  ‚volksbiologischen, bevölkerungspolitischen und rassenhygienen  Aufgabe der Sonderschulen und deren Mitwirkungspflicht an der Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses’ dienen.“18

An dieser Stelle lohnt ein Blick in Lambecks Veröffentlichungen während der NS-Zeit. 1935 beschrieb Lambeck die Aufgaben der von ihm geleiteten Fachschaft im NSLB:
„Der Fachschaft 5 gehören alle Lehrer an den Sonderschulen an. Sie soll nach dem Willen der Hauptamtsleitung (Reichsleitung) alle Personen umfassen, die berufsmäßig ‚defektes Schülermaterial‘ erzieherisch und fürsorgerisch betreuen. Es ist dabei ohne Belang, ob die Behinderungen der Zöglinge auf körperlichem, geistigem oder moralisch-sittlichem Gebiete liegen, und ebenso, ob der Mangel aus der Anlage entspringt oder durch die Einflüsse der Umwelt bedingt ist. Es sind die Kinder, bei denen es besonderer Mittel in der Erziehung und im Unterricht bedarf, um die auch in ihnen angelegten Kräfte zu wecken und zu entwickeln, um junge Menschenkinder, die ohne diese besonderen Hilfen gänzlich versagen und nutzlos untergehen würden. Vom Volksganzen aus gesehen handelt es sich um den Teil, der, um ein Wort des Führers hier zu gebrauchen, auf der negativen Seite des Lebens steht oder der zum mindesten in Gefahr ist, sich den Schädlingen am Volkstum zuzugesellen. Die gemeinsame Aufgabe des Rettens und Erhaltens aber auch des Ausmerzens und die gesteigerte Verantwortung, die aus der Erziehungsaufgabe an diesem defekten Schülermaterial dem Ganzen gegenüber erwächst, geben der Fachschaft das einigende Band.“19

Im Einzelnen beschrieb Lambeck die zentrale Aufgabe nach einer Tagung zum Thema „Nationalsozialismus und Sonderschule“:

„Ein Besinnen auf die Stellung und Aufgaben der Schule im neuen Staat ist notwendig, ein Besinnen auf die Grenzen der pädagogischen Tätigkeit und auf die Verpflichtung vor dem Volksganzen. Es besteht kein Zweifel darüber, daß für die Unterbringung und Erziehung der Kinder, die die Mitglieder der Fachschaft 5  berufsmäßig zu betreuen haben, vielerorts unverhältnismäßig hohe Ausgaben entstanden sind, die sich unser schwer um sein Dasein ringendes Volk besonders dann nicht erlauben kann, wenn sie an einem unverbesserlichen Menschenmaterial verschwendet werden. Die Sonderschullehrerschaft fühlt sich verpflichtet, an einem Wandel mitzuwirken, aus dem Erfahrungsbereich Vorschläge zu einer Verringerung der Kosten zu machen und durch Absonderung der Nichtbildungsfähigen und Untüchtigen die Arbeit produktiv zu gestalten.“20

Lambeck machte auch das Spannungsverhältnis deutlich:
„Ebenso hält sie sich auch für berufen, Forderungen nach einem radikalen Abbau der Sonderschuleinrichtungen zurückzuweisen unter Hinweis darauf, daß eine Ertüchtigung vieler Behinderter bis zur wirtschaftlichen Vollwertigkeit wohl möglich und nachweisbar ist, und daß die Einsparung notwendiger Ausgaben in der Gegenwart eine ungeheure Belastung für die Zukunft bedeuten würde. Die Sonderschulen können so lange nicht entbehrt werden, als es behinderte Kinder gibt.“21

Danach beschrieb Adolf Lambeck, dass sich die Fachschaft in zwei Hauptversammlungen mit der „Grundlegung und Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933“ beschäftigt hatte:
„Man hat dieses Gesetz das ‚Fachschaftsgesetz‘ genannt in dem Sinne, daß die Sonderschullehrer in besonderem Maße berufen sind, an dem Wirksamwerden dieser Maßnahmen zur Volksgesundung mitzuarbeiten. Auch hier galt es zunächst einmal durch eine klare eindringliche Darstellung der tatsächlichen Lage und der daraus erwachsenden Gefahren für das Volkstum alle Kräfte zur Mitarbeit wachzurufen, eine unzweideutige und entschieden politische Einstellung zu dem Gesetz bei allen Mitgliedern zu erreichen. Daß die Vorträge aus der ärztlichen Praxis herausgehalten wurden (Oberarzt Dr. Kreyenberg, Alsterdorfer Anstalten, und Physikus Dr. Holm, Gesundheitsbehörde), machte sie umso wirkungsvoller. Es muß erreicht werden, daß alle Sonderschullehrer zu tätigen Mitarbeitern an der Durchführung des Gesetzes werden. Dazu müssen die geknüpften Beziehungen zu dem Erbgesundheitsgericht ausgebaut werden.“22

Dahinter stand die Tatsache, dass der ärztliche Leiter der Alsterdorfer Anstalten, Gerhard Kreyenberg, es erreicht hatte, dass die Schulverwaltung 1934 eine Anordnung verfügte, sämtliche Hamburger Hilfs- und Sonderschüler und ihre Familien auf „Schwachsinn“ zu untersuchen, mit dem Ziel, sie gegebenenfalls sterilisieren zu lassen.23

Zur richtigen Einordnung muss dazu festgestellt werden, dass dieses Gesetz durchaus auf Positionen aufsetzte, die es schon in der Weimarer Republik gegeben hatte. So schrieb der Schriftleiter der Hamburger Lehrerzeitung, C. Hermann Müller, schon 1930:
„Man müßte und würde alles schlechte Erbgut von der Fortpflanzung ausschließen, alles Gute in der Fortpflanzung begünstigen. Eine sehr einfache und plausible Schlußfolgerung, deren Schwierigkeit, so scheint es lediglich in der praktischen Erkennung und Begrenzung des Schwachen bestünde … Aber unüberwindlich sind die Schwierigkeiten sicher nicht.“24

Heike  Joost stellte fest: „Die Lehrerschaft stand, wenigstens soweit es um die Selektion ging, zu einem sehr großen Teil hinter der sozialdarwinistischen  Theorie.  Nach 1933, als der Sozialdarwinismus zur Staatsideologie erhoben wurde, verstärkten sich die Angriffe auf die Hilfsschule, wobei auf das schon bekannte Argument der Unrentabilität der Schule für ‚Minderwertige‘ zurückgegriffen wurde. Die Folge war, daß an vielen Orten Sonderschulen schließen mußten oder Lehrerstellen gekürzt wurden.“25

Quantifiziert sah es so aus, „daß nach einer Einzelstatistik für Hamburg bis zum 31.12.1934 bei 2770 Anträgen in 2179 Fällen die Unfruchtbarmachung beschlossen wurde“.26

Und: „Die Gleichsetzung von ‚Hilfsschüler‘ und ‚Schwachsinniger‘ schon in der Weimarer Republik wurde vielen Schwachsinnigen durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses zum Verhängnis:  ‚Der  angeborene Schwachsinn als Kriterium für die Sterilisation muß den Schüler nahezu pauschal treffen, da die Heilpädagogen, die Hilfsschullehrer, die Ärzte und die Psychologen drei Jahrzehnte lang den Hilfsschüler mehr oder weniger als ‚Schwachsinnigen‘ umschrieben haben.‘“27

Es haben somit viele eine schwere Verantwortung auf sich geladen. Und Adolf Lambeck gehörte dabei zu den Protagonisten. In seinem Aufsatz: „Die Auswahl der Kinder für die Sonderschule“ 1935, schrieb Lambeck: „Nach dem Durchbruch der nationalen Revolution wurden Stimmen laut, die den radikalen Abbau oder gar die Auflösung sämtlicher Sonderschulen forderten. Die Rufer im Streit verwechselten den Kampf des Nationalsozialismus gegen die Krankheit, gegen das Krankhafte in unserem Volkstum und gegen die Ausbreitung der Minderwertigen, mit einem Kampf gegen die Kranken, gegen die bedauernswerten Opfer einer verkehrten Bevölkerungspolitik der vergangenen Jahrzehnte.“28

Scharfe Kritik äußerte Ingrid Krämer-Kilic  an der 1939 erstellten Schrift von Adolf Lambeck: „Neubau des Sonderschulwesens“29:

„Diese Arbeit trägt die Handschrift eines Pädagogen, der vom nationalsozialistischen Geist völlig durchdrungen ist. Individuelle, humanistische Belange des Kindes werden an keiner Stelle des Textes erwähnt, geschweige denn abgewogen oder gar diskutiert. Es handelt sich um eine Zusammenstellung von am nationalsozialistischen Gedankengut orientierten Parolen und Festlegungen, die in wenig strukturierter Form dargestellt werden und scheinbar keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben. Im Vergleich zu früheren Arbeiten springt der veränderte Sprachduktus förmlich ins Auge, der die ‚rassenhygienischen‘, utilitaristischen und sozialdarwinistischen Gedanken, die den inhaltlichen Schwerpunkt des Textes darstellen, transportiert. Da ist die Rede von ‚Menschenmaterial‘‚ ‚Schülerreserven‘, ‚negativer Auslese‘, ‚Ballast‘ und ‚hochwertigen Menschen‘. Wie bereits erwähnt, fehlen Aussagen, die den einzelnen Menschen und seine Lebenssituation mit einer Behinderung in den Blick nehmen, in diesem Text vollständig. Lambeck scheint 1939, im Jahr des Kriegsbeginns, beseelt zu sein von der Idee, dass die Sonderschulen ein Instrument des Staates sind, mit deren Hilfe quasi die letzten Reserven für die Umsetzung der nationalsozialistischen Idee aus dem deutschen Volk gepresst werden können.“30

Nach Adolf Lambeck wurde die Existenz von Sonderschulen durch zwei Hauptaufgaben legitimiert: „Der rassenpolitischen und der der Mitwirkung an der Leistungssteigerung des gesamten Volkes. Sonderschulen sind demnach ‚Instrumente des Staates‘, die dadurch eine Zuständigkeit für das Wohlergehen der Menschen mit Behinderungen aufgeben. Ihr gesamtes Wirken stellen sie in den Dienst von Zielen wie ‚negativer Auslese‘, der ‚Aufartung des gesamten Volkes‘ und der Bereitstellung einer ‚Arbeitsarmee‘ zur Unterstützung des Ausbaues der Rüstungsindustrie und der Kriegsvorbereitung.“31

Lambeck setzte sich für eine „schärfere Erfassung“ von Kindern mit Behinderungen und eine strengere Selektion der „Nichtbildungsfähigen“ aus allen Sonderschulen ein. Inge Krämer-Kilic schrieb dazu:
„Aufgrund der Erhebung solcher Forderungen und der Mitwirkung an ihrer Unterstützung lieferten Lambeck und andere Sonderschullehrer den nationalsozialistischen Machthabern die Kinder und Jugendlichen, die z.B. im Rahmen der Aktion T4 1942 getötet wurden.“32

„T4“ war die Abkürzung für die Adresse der damaligen Zentraldienststelle T4 in Berlin: Tiergartenstraße 4. „Die Aktion T4 ist eine nach 1945 gebräuchlich gewordene Bezeichnung für die systematische Ermordung von mehr als 70.000 Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen in den Jahren 1940 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa 1945 während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Die systematische Ermordung ‚unwerten Lebens‘ wurde bis zur bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht und dem Untergang des ‚Dritten Reichs‘ ausgeübt.“33

Adolf Lambeck hatte sich als Schulleiter einer Sonderschule für sprachkranke Knaben und Mädchen besonders mit Kindern beschäftigt, die mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (LKG) geboren worden waren. Uwe Schmidt schrieb dazu: „Auf operativem Wege und durch eine konsequente Sprachtherapie werden Kinder mit einer LKG heute rehabilitiert und nehmen am gesellschaftlichen Leben teil. Aus Sicht der nationalsozialistischen Erbbiologie waren sie dagegen als ‚Erbgeschädigte‘ von der biologischen Reproduktion auszuschließen, und das hieß Sterilisierung. Von einem Sprachheillehrer wie Lambeck hätte man eigentlich erwarten können, dass er auf Grund seiner Kenntnisse und sprachpädagogischen Erfahrungen diesen Weg nicht mitgehen würde. Es ist zwar nicht nachweisbar, dass er Schüler der von ihm geleiteten Schule zur Sterilisation angezeigt hat, doch hielt er die Erblichkeit der LKG für überwiegend erwiesen. Er persönlich und die von ihm geleitete Gaufachschaft des NSLB identifizierten sich daher mit dem Erbgesundheitsgericht und mit der im Reichsschulpflichtgesetz vom 1. November 1938 festgeschriebenen Absicht einer ‚Ausscheidung der Nichtbildungsfähigen‘.“34

Inge Krämer-Kilic führte im Juli 1999 ein Gespräch mit der Enkelin von Adolf Lambeck: „Im Gespräch mit seiner Enkelin wurde deutlich, dass Lambeck ein verschlossener, zynischer und ernster Mann war, dessen Leben z.T. erheblich durch seine Lungenerkrankung bestimmt war. Sie kann sich an Sprachheilschüler erinnern, die ins Haus nach Hamburg-Fuhlsbüttel kamen und von ihm therapiert wurden. Nach ihrer Einschätzung war er weniger an Geld interessiert, da die Familie sehr wohlhabend war, sondern er wollte diesen Kindern helfen. Ehrlich erschüttert war sie, als sie vom Inhalt der Veröffentlichungen ihres Großvaters im Nationalsozialismus erfuhr, zumal sie von seinem politischen Engagement während dieser Zeit bisher nichts wusste. Nachdem sie Einblick in seine Schriften genommen hatte, sagte sie fast wörtlich: ‚Ich hätte nie gedacht, dass mein Opa vielleicht am Tod von Kindern mitschuldig war!‘ Heute existieren in der Familie keine Texte des Autors. Seine Enkelin erinnert sich dunkel, dass ihre Mutter (Lambecks Tochter) irgendwann nach dem Krieg viele Bücher und Papiere weggeworfen habe.“35

Und: „Aufgrund ihrer Kenntnis von Persönlichkeitsmerkmalen Adolf Lambecks sieht seine Enkelin das Streben nach persönlicher Karriere und die Durchsetzung von standespolitischen Interessen als die wahrscheinlichsten Beweggründe für sein Engagement während des Nationalsozialismus an. Dass sein Handeln durch irgend eine Form von Zwang, zum Beispiel finanzieller Art, geprägt gewesen sein könnte, schließt sie aus.“36

Nach Krämer-Kilic ergeben sich noch andere Schlussfolgerungen:
„Die Ergebnisse unserer Recherchen stützen ebenso die Annahme, dass ein intensiver persönlicher Karrierewunsch, der Versuch die Sprachheilschulen als Institutionen hoffähig zu machen bzw. zu retten sowie eine mögliche Faszination an der nationalsozialistischen (Erziehung-)Ideologie, die wahrscheinlichsten Triebfedern für sein Engagement waren. Ein persönliches Karrierestreben kann daraus abgeleitet werden, dass er in zwei Verbänden, die inhaltlich konträre Positionen vertraten, herausragende Funktionen inne hatte, nämlich in der ‚Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik in Deutschland‘ und im NSLB. Die rasche Folge und vergleichsweise große Anzahl von seinen Veröffentlichungen belegen ein starkes Streben nach fachlicher Anerkennung. Schließlich wurde er vermutlich ziemlich unmittelbar nach seinem Eintritt in die NSDAP mit einer Schulleiterstelle ‚belohnt‘.“37

Der letzte Punkt ist nicht zutreffend. Die Schulleiterstelle, die man Lambeck 1935 gab, war die „Belohnung“ für seine Arbeit im NSLB. Personalverantwortlicher im Hamburger NSLB war OSR Albert Mansfeld, der zugleich für die Sonderschulen als Oberschulrat verantwortlich zeichnete. In die NSDAP trat Lambeck 1937 ein, als die Parteimitgliedschaft für Lehrer und Beamte wieder möglich war.

Krämer-Kilic hielt auch fest, dass Lambeck besonders mit seiner Publikation in der HLZ 1925 noch ganz andere Positionen vertreten hatte als 1939:

„Lambeck verfügte zweifellos über umfangreiche fachliche Kenntnisse im Bereich der Sprachheilpädagogik. Sein ursprünglich vorhandenes starkes fachwissenschaftliches und praktisch-therapeutisches Engagement für die Belange von Kindern und Sprachgestörten scheint unumstritten und wurde anhand seines Aufsatzes ‚Zur Frühbehandlung sprachkranker Kinder‘ belegt. Dieses Engagement wurde vermutlich ganz besonders durch die Schließung von Sonderschulen Mitte der Dreißigerjahre angestachelt. Mit seiner Arbeit über ‚Nationalsozialistische Erziehung in der Sprachheilschule‘ hebt er die Sprachheilschule als besondere Schulform unter den Sonderschulen hervor, welche die nationalsozialistische Erziehungsideologie umsetzt und für die sich staatliche Investitionen mehr als für andere Sonderschulen lohnen. In dieser Publikation aus dem Jahr 1935 wird die nationalsozialistische Erziehungsideologie vergleichsweise umfassend rezipiert und auf die Sprachheilschule übertragen. Lambeck schließt sich damit dem seinerzeit als modern geltenden ‚Mainstream‘ einer nationalsozialistischen (Un)Pädagogik an, die das Individuum völlig negiert und Staat und Volksgemeinschaft über alles stellt. Vergleicht man den Inhalt dieser Arbeit mit dem seiner Publikation aus dem Jahr 1925, so ist ein grundsätzlich verändertes Menschen- und Gesellschaftsbild des Autors festzustellen. Inwieweit er sich aus opportunistischen Gründen dem pädagogischen Mainstream anschließt und diesen auf die Sprachheilschule übertragen will, um damit seiner Karriere und der Institution zu dienen, oder ob der Haltungsänderung eine tiefe Überzeugung zugrunde liegt, ist aus der heutigen Perspektive nicht mehr zu rekonstruieren.“38

Und in ihrer abschließenden Beurteilung kam sie zu dem Ergebnis:
„Trotz unserer Beweisführung anhand von Lambecks Schriften, deren Inhalt vermuten lassen, dass er ein ‚strammer Nazi‘ war, bleiben Widersprüche und Zweifel über die eigentliche Motivation seines Handelns. Vermutlich steht Adolf Lambecks Wirken während des Nationalsozialismus stellvertretend für viele Menschen, die – getrieben von dem Wunsch Gutes zu tun – die politischen Zeichen der Zeit nicht erkannt haben und korrumpiert durch persönliches Machtstreben zu willfährigen Handlangern des Systems wurden. Sie trugen damit zu dessen Stabilisierung bei und entfernten sich immer mehr von dem eigentlichen Auftrag professioneller Helfer.“39

In seinen Entnazifizierungsfragebogen hatte Adolf Lambeck als Nebentätigkeit ab dem 1.8.1942 noch aufgeführt: „Leiter der Sprachabteilung in der Nordwestdeutschen Kieferklinik, Hamburg Reservelazarett VIII, Sprachbehandlung bei Kindern und Verwundeten. Gesundheitsverwaltung.“40

Das Entnazifizierungsverfahren mit der starken persönlichen Unterstützung von Fritz Köhne fand praktisch nicht statt. Auch Krämer-Kilic stellte dazu fest:

„Ebenso überrascht die Tatsache, dass Lambeck trotz seiner herausragenden Funktionen im NSLB und dem Inhalt seiner Publikationen als einer der ersten Lehrer von der englischen Besatzungsmacht bereits ab August 1945 wieder als Leiter der Sprachheilschule Karolinenstraße in Hamburg eingesetzt wurde. Somit konnte er seinen Dienst vermutlich von jeglicher Entnazifizierung unbehelligt nahtlos wieder aufnehmen.“41

Möglicherweise hatte gerade auch Lambecks Arbeit in der Kiefernklinik für Kinder und Verwundete dabei eine Rolle gespielt.

Als der lungenkranke Adolf Lambeck im 62. Lebensjahr 1950 in den Ruhestand trat, kam Schulrat Gustav Schmidt zu der Pensionierungsfeier. Gustav Schmidt, eine wichtige Person in den Entnazifizierungsverfahren, aber anders als Fritz Köhne mit einem kritischen Blick auf die Aktivitäten der zu Entnazifizierenden während der NS-Zeit, war 1950 für die Schule Lambecks als Schulrat zuständig und möglicherweise auch ein Unterstützer Lambecks in dem kurzen Entnazifizierungsverfahren 1945. Darüber gibt es aber keinen sicheren Beleg. Das „Hamburger Echo“ berichtete kurz unter der Überschrift „Helfer der Sprachkranken“: „In einer kleinen Schulfeier dankte Schulrat Schmidt dem Scheidenden, dessen Lebensarbeit es war, den bedauernswerten Stammlern, Stotterern, und anderen Sprachgestörten zu helfen. Er setzte sich besonders für die Behandlung vorschulpflichtiger Kinder ein und arbeitete im Zusammenwirken mit der Nordwestdeutschen Kiefernklinik geschickte Operationsmethoden für Kinder mit Gaumen- und Lippenspalten aus. An seine Schule in der Carolinenstraße 35 war eine öffentliche Beratungsstelle für Sprachkranke angegliedert. Wegweisende fachwissenschaftliche Arbeiten über die Heilung von Sprachleiden hatten Lambeck und seine Hamburger Arbeit in der medizinischen und pädagogischen Fachwelt des In- und Auslandes bekannt gemacht.“42

Auf der Feier am 30.1.1950 trug der Kollege Rudolf Brenke für Adolf Lambeck ein Gedicht vor, in dem es hieß:
„Freund! Dein offener Blick und deine gelassene Miene
heißt uns, den Kummer des Abschiedes sparen; doch tief in der Brust Dir
selber bewegt sich das männliche Herz. Wer möchte es ihm wehren?
Denn du verläßt das Haus, das Dir wie Dein eigenes lieb war,
das Du gehütet, gepflegt, gefördert als treuer Verwalter,
strebend gefestigt mit Fleiß, unterbaut mit erfahrenem Weitblick ,
wachsam geschützt, als Irrwahn es tückisch bedrohte,
dem Du die Blüte der Jahre geweiht in redlichem Tagwerk.“43
Als „Irrwahn es tückisch bedrohte“: Es waren immer die anderen, vor denen man sich schützen musste, den eigenen Beitrag negierend.

Adolf Lambeck bedankte sich am nächsten Tag mit einem Schreiben an das Kollegium, weil er bei der Feier „nicht imstande gewesen war, in Worte zu fassen, was ihn bewegte“. Es gab darin einen Passus, der als Hinweis auf eine kritische Selbstreflexion interpretiert werden könnte:
„Es wird mir der Gedanke an diesen Tag eine liebe Erinnerung sein und ein Beweis, daß wir uns trotz allem in Treue und Kameradschaft nahe gestanden haben und in gemeinsamer Arbeit glücklich gewesen sind. Ich sagte, trotz allem, denn was ich gefehlt und versäumt habe in meinem Beruf, das ist gestern nicht gesagt worden; darüber habe ich mir aber selber eine kleine Rede gehalten und es mir auf mein Konto geschrieben.“44

Adolf Lambeck starb am 26.8.1952.45

Das Buch von Hans-Peter der Lorent: „Täterprofile, Band 2, Hamburg 2017“ ist in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg erhältlich.

Anmerkungen
1 Entnazifizierungsakte, StA HH, 221-11_Ed 3063
2 Ebd.
3 Ebd.
4 Siehe zu Köhne den Abschnitt: Die unvollendete Entnazifizierung, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, besonders S. 61ff.
5 Entnazifizierungsakte a.a.O.
6 Inge Krämer-Kilic: Adolf Lambeck – ein strammer Nazi und verdienter Leiter einer Hamburger Sprachheilschule bis 1950? bidok - Bibliothek, http://bidok.uibk.ac.at.library/kilic-lambeck.html. Umfangreicher dargestellt in: Inge Krämer-Kilic/Hendrik Hauschild: „Du stotterst ja!“: Sprachbehindertenpädagogik im Nationalsozialismus; eine exemplarische Betrachtung der Hamburger Verhältnisse, Münster 2000.
7 Entnazifizierungsakte a.a.O.
8 Laut Hamburgisches Lehrerverzeichnis Schuljahr 1932–33, hrsg. von der Gesellschaft der Freunde, Hamburg.
9 Laut Verzeichnis Hamburger Volksschullehrer und -Lehrerinnen, Schuljahr 1913–14, hrsg. von der Gesellschaft der Freunde.
10 Krämer-Kilic 2000, digitale Fassung, S. 3. Hans Wendpap war Lehrer an der von Lambeck geleiteten Schule Altonaer Straße 58 gewesen und hatte 1962 eine „Chronik der Schule für Sprachkranke am rechten Alsterufer , Karolinenstraße 35“ geschrieben: „40 Jahre Dienst an sprachkranken Hamburger Kindern“.
11 Adolf Lambeck: Frühbehandlung sprachkranker Kinder, HLZ 46/1925, S. 929.
12 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 8; Krämer-Kilic/Hauschild 2000, S. 104.
13 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 4.
14 Zitiert nach: Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 14.
15 Ebd.
16 Laut Hamburgisches Lehrerverzeichnis Schuljahr 1925–26 und Schuljahr 1932–33.
17 Laut Hamburgisches Lehrerverzeichnis Schuljahr 1935–36.
18 Iris Groschek: Unterwegs in eine Welt des Verstehens. Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart, Hamburg 2008, S. 142.
19 HLZ 6/1935, S. 66.
20 Ebd.
21 Ebd.
22 HLZ 6/1935, S. 67.
23 Siehe: Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 128.
24 C. H. Mueller: Erziehung und Zucht, HLZ/1930, S. 615.
25 Heike Joost: Die Grundlagen der NS-Schulpolitik in Bezug auf die Sonderschulen, in: Reiner Lehberger/Hans-Peter de Lorent (Hg.): „Die Fahne hoch“. Schulpolitik und Schulalltag in Hamburg unterm Hakenkreuz, Hamburg 1986, S. 215.
26 Ebd.
27 Ebd. Siehe auch in: Lehberger/de Lorent 1986 die Aufsätze von: Britta Bruhnhöver: Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und seine Vermittlung im Unterricht, S. 70ff.; Stefan Romey: „Unheilbar und nicht mehr arbeitsfähig“, S. 256ff.; Sieglind Ellger-Rüttgardt: Frieda Stoppenbrink- Buchholz: Eine Hamburger Heilpädagogin, S. 243.
28 Adolf Lambeck: Die Auswahl der Kinder für die Sonderschulen, HLZ 9/1935, S. 98.
29 Adolf Lambeck: Neuaufbau des Sonderschulwesens. In: Gehörgeschädigte und sprachgestörte Kinder. Beiträge der Lehrer. Im Auftrage der Gauverwaltung des NS-Lehrerbundes, Hamburg 1939, S. 5ff.
30 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 9; Krämer-Kilic/Hauschild 2000, S. 106.
31 Ebd.
32 Ebd.
33 https://de.wikipedia.org/wiki/Aktion_T4.
34 Uwe Schmidt 2010, S. 126.
35 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 1f.; Krämer-Kilic/Hauschild 2000, S. 95f.
36 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 10.
37 Ebd.
38 Ebd.
39 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 10f.
40 Entnazifizierungsakte a.a.O.
41 Krämer-Kilic, digitale Fassung, S. 3.
42 „Hamburger Echo“ 2.2.1950.
43 Enthalten in: StA HH, 362-10/2_32
44 Schreiben vom 31.1.1950, StA HH, 362-10/2_32
45 Laut Auskunft der Altregistratur der Behörde für Schule und Berufsbildung in Hamburg vom 18.7.2017.
 

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Von Hamburger NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Zuschauer/innen ... Eine Hamburg Topografie.

NS-Dabeigewesene

Aufsätze

Erklärung zur Datenbank

Stand Januar 2024: 914 Kurzprofile und 332 sonstige Einträge.

Diese Datenbank ist ein Projekt in Fortsetzung (work in progress). Eine Vollständigkeit ist niemals zu erreichen. Sie startete online im Februar 2016 mit rund 520 Profilen und mehr als 200 weiteren Einträgen und wird laufend ergänzt und erweitert werden. Wissenschaftliche Institute, Gedenkstätten, Universitäten und zum Thema forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können gern ihre erarbeiteten Profile in diese Datenbank stellen lassen.

Quellenangaben, die sich auf Webseiten beziehen, sind die zum Zeitpunkt der Recherche gefundenen. Sollten Sie veraltete Links oder Aktualisierungen bzw. Verschiebungen der Inhalte feststellen, freuen wir uns über Hinweise.

Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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