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Herbert Manig

(16.7.1900 Hamburg – 3.3.1978 Hamburg)
Schulleiter an der Sprachheilschule Rostocker Straße
Wietreie 86 in Hamburg-Volksdorf (Wohnadresse 1939)

Dr. Hans-Peter de Lorent hat das Portrait über Herbert Manig verfasst und in seinem Buch „Täterprofile Band 2“ veröffentlicht.

Nicht spektakulär aber exemplarisch ist die Biografie von Herbert Manig, insbesondere auch in Bezug auf sein Entnazifizierungsverfahren. Ähnlich wie der Sprachheillehrer Adolf Lambeck verfügte Manig über einen gewichtigen Fürsprecher, als er sich nach seiner Entlassung 1945 wieder um Einstellung in den Hamburger Schuldienst bemühte. In seinem Verfahren erlebte man die klassische Form der Umdeutung von NS-Aktivitäten, gezielt wurde Manig unterstützt von anderen NS-Belasteten. Hilfreich war für ihn auch, dass der Sonderschulbereich mit Schülern für sogenannte Sprachkranke auf soziales Engagement hindeutete und Manigs Aktivitäten im NSLB darauf reduziert wurden, dass er lediglich Gausachbearbeiter für Geländesport gewesen sei. Trotzdem wurde Manig nicht sofort wieder eingestellt.

Herbert Manig wurde am 16.7.1900 in Hamburg als Sohn des Tischlermeisters Friedrich Manig und seiner Frau Bertha geboren. Nach Besuch der Volksschule wechselte er auf das Lehrerseminar, wo er am 1.4.1921 die erste Lehrerprüfung ablegte. Nach der zweiten Prüfung wurde Manig am 16.7.1923 fest angestellter Lehrer in Hamburg und arbeitete an der Schule Papendamm 5.

Ähnlich wie Adolf Lambeck interessierte sich Herbert Manig für die Arbeit mit sprachkranken Kindern. Er absolvierte den Vorbereitungsdienst und legte 1926 die Sprachheillehrerprüfung ab und nahm seine Lehrtätigkeit an der Sprachheilschule Stiftstraße ab, an der auch Adolf Lambeck arbeitete.1

 Am 1.5.1933 trat Herbert Manig in die NSDAP ein, gleichzeitig in den NSLB und die SA. Auffällig ist, dass er in allen Organisationen aktiv war.2 Später, im Entnazifizierungsverfahren würde er angeben, Gausachbearbeiter für den Geländesport gewesen zu sein. Dabei war sein Aufgabenfeld wesentlich umfassender. Er arbeitete von Beginn an in der Abteilung Schulung und war dort Beauftragter für Amtsträger- und Führerlager, hatte also mit Qualifizierung und Propaganda für wichtige Funktionäre des NSLB zu tun. In der NSDAP fungierte Manig als Zellenleiter für die Siedlung der Baugenossenschaft Wietreie , über die noch zu sprechen sein wird. Seine Funktion in der SA als Rottenführer war vergleichsweise gering.

Auffällig ist auch, dass Manig als ausgebildeter Volksschul- und Sonderschullehrer im Kriegsdienst zum Oberleutnant befördert wurde, offensichtlich bescheinigte man ihm in der Wehrmacht Führungskompetenz.3 Anders als Adolf Lambeck trat Herbert Manig nicht als NS-Propagandist in der Hamburger Lehrerzeitung in Erscheinung. Welche wichtige Funktion die Arbeit des Gauschulungsamtes hatte, kann genauer in den Biografien Albert Henze und Wilhelm Gundlach in dem ersten Band der „Täterprofile“ nachgelesen werden4, aber auch in der Biografie von Hellmuth Dahms, dem Gauschulungswalter, wie die Abteilungsleiter in der NS-Zeit genannt wurden, der Abteilung Schulung im NSLB Hamburg.5

Die formale Funktion von Herbert Manig lag schwerpunktmäßig in der organisatorischen Absicherung der Lehrerlager. Am 15. und 16.4.1936 hatte Hellmuth Dahms in seiner Funktion als Gauschulungswalter des NSLB in Hamburg Richtlinien für sechs Bereiche der Lagerschulung erlassen: „Die Leibeszucht in den Lagern, Feiergestaltung, Beurteilung der Schulungsteilnehmer, Geistesschulung im Lehrerlager und Planung, Durchführung und Abschluss.“6 Die Arbeit in den Lehrerlagern diente der persönlichen und ideologischen Schulung, sie war im NSLB verbunden mit der Gauhauptstelle Presse und Propaganda, die von Wilhelm Gundlach7 geleitet wurde, der auch Leiter der Gauführerschule war. Herbert Manig arbeitete eng zusammen mit dem Beauftragten für Berichte und Propaganda, Heinrich Wiegank. Mit der Lagerschulung war auch das Ziel der Kaderrekrutierung verbunden, heute würde man von Personalentwicklung sprechen. Die Teilnehmer an den Lehrerlagern erhielten anschließend eine Beurteilung. Es wurden Beurteilungsrichtlinien entwickelt, die dazu beitragen sollten, die „Ausrichtungs- und Auslesearbeit des NSLB und der NSDAP“ voranzutreiben. „Aufgrund der Bewährung im Lager wurde in sechs Stufen eine Eignungshierarchie aufgebaut: Der Beurteilte wurde für geeignet angesehen als Lagerleiter oder als Gruppenführer, er rangierte als ‚wertvolles‘ Gruppenmitglied, als Helfer oder als normales Gruppenmitglied, das nicht weiter auffiel, aber mitmachte. An unterster Stelle stand der ‚Einzeling‘, der sich absonderte, aus dem Gruppenleben herausfalle und vielleicht sogar abgelehnt wurde.“8

Stellvertretender Gauamtsleiter und verantwortlicher Leiter der Gauhauptstelle Organisationen und Personal war der Oberschulrat für die Volks- und Sonderschulen, Albert Mansfeld9, für den die Auswertung der Lagerschulung wichtige Anhaltspunkte bei der Besetzung von Funktionsstellen im Hamburger Schulwesen bot. Insofern war auch damit zu rechnen, dass der Organisator dieser Lagerschulen, Herbert Manig, sich durch diese Arbeit für eine Schulleiterstelle empfahl.

Im Mai 1934 fanden Lager zur Ausbildung von Schulschutz-Unterführern und zur Ausbildung künftiger Schulleiter statt, im Juli wurden Lager durchgeführt für HJ-Führer, die in die Rassenpolitik eingewiesen wurden. Am 5.12.1934 kündigte OSR Theodor Mühe an, dass künftige Lehrer an Volksschulen und an den höheren Schulen in Zukunft nach ihrem Studium an einem sechswöchigen Schulungslager teilnehmen müssten.10

Mit zunehmendem Zwangscharakter kündigte der NSLB-Hamburg im Mai 1935 für die Jahre 1935, 1936 und 1937 in den schulischen Sommerferien und während der Schulzeit dreiwöchige Lagerschulungen an. Immer stärker wurden danach diese Lager mit der Arbeit der Gauführerschule der Hamburger NSDAP verbunden.

„Das Gewicht, das die nationalsozialistischen Potentaten in Hamburg der Lagerschulung beimaßen, und die Vernetzung der Organisationen über die Lagerschulung kam durch eine Tagung zum Ausdruck, die am 5. Dezember 1937 in der Hamburger Musikhalle durch Gauschulungsleiter Albert Henze eröffnet wurde und an welcher Gauleiter Karl Kaufmann, der stellvertretende Gauleiter Harry Henningsen, sämtliche Schulungsleiter der NSDAP, die Schulungsbeauftragten der Gliederungen (NSLB, NSV, HJ) sowie Vertreter von Wehrmacht und Reichsarbeitsdienst teilnahmen. Ausgehend von den Grundbegriffen der nationalsozialistischen Weltanschauung, die ein Ringen von Idee und Gegenidee sei, mahnte der Hauptschulungsleiter zur ‚restlosen weltanschaulichen und haltungsmäßigen Klärung und Festigung‘. Der ‚Führer‘ habe die Schulung immer wieder als eines der allerwichtigsten Arbeitsgebiete der Bewegung herausgestellt. Es müsse sich über die Lagerschulung eine völlig einheitliche politische Willensbildung durchsetzen, die den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus verwirkliche. Durch Auslese und Formung werde so der notwendige Nachwuchs an Ideenträgern entstehen.“11

An allen diesen Aktivitäten war Herbert Manig beteiligt. Für Veranstaltungen, die in der Dienstzeit lagen, beantragte er Dienstbefreiung, so für zwölf Tage im Gauschulungsamt Trittau vom 11. bis zum 23.1.1937. Darüber hinaus nahm Herbert Manig bei Lehrern das SA-Sportzeichen ab. Teilnehmer an Lehrgängen des NSLB zur Ausbildung von Geländesportlehrern mussten sich bei Manig in der Schule Rostocker Straße anmelden.12

Aber Manig war eben nicht nur Gausachbearbeiter für den Geländesport, wie es verharmlosend bei der Entnazifizierung vermerkt wurde.

Bei seinem NSLB-Engagement war eine schulische Karriere vorgezeichnet. Im Schuljahr 1935/36 fungierte Herbert Manig als stellvertretender Schulleiter an der Sprachheilschule für Knaben und Mädchen Rostocker Straße 62, sein Schulaufsichtsbeamter war OSR Albert Mansfeld, ihm aus dem NSLB bestens vertraut. Im Kreis Altona bekam Manig es zu tun mit einem anderen emsigen Nationalsozialisten, dem Schulrat Karl Schlotfeldt.13

Herbert Manig war am 20.4.1938 zum kommissarischen Schulleiter der neu eingerichteten Sprachheilschule in Altona, Adlerstraße 84, ernannt worden. Für den nächsten Karriereschritt erstellte Schlotfeldt einen Befähigungsbericht, in dem es hieß:
„Herr Manig hat mir in allen Klassen nacheinander lispelnde, stammelnde, näselnde und stotternde Kinder vorgeführt und die mit ihnen erzielten Erfolge gezeigt. Ich hatte ferner Gelegenheit mich eingehend zu unterrichten, in welcher Weise das einzelne Kind betreut wird und wie an dieser Anstalt Sprachheilpädagoge, Schulfacharzt und Elternhaus aufs engste und beste zusammenarbeiten. Ebenso erfreulich war für mich die Feststellung, daß Herr Manig bemüht ist, seine Schule auch räumlich zur Erfüllung ihrer besonderen Aufgaben schlicht und würdig herrichten zu lassen. Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Herr Manig mit seiner ganzen Person und Kraft und in steter Fühlungnahme mit den übrigen Schulleitern in Altona an dem Ziel arbeitet, die Kinder von ihrem Sprachleiden zu befreien und sie schnellstens wieder den Bezirksschulen zurückzuführen, und daß er in diesem Streben von seinen Mitarbeitern unterstützt und als der geeignete Führer des Kollegiums anerkannt wird.“14 OSR Albert Mansfeld notierte darunter: „Das vorstehende Urteil bestätige ich.“15 Am 30.1.1939 wurde Manig endgültig zum Schulleiter ernannt und auf eine freie Stelle als Oberlehrer für Sprachkranke gesetzt.16

Am 15.12.1939 erhielt Herbert Manig den Einberufungsbefehl und zog in den Krieg, in dem er am 1.7.1942 zum Oberleutnant befördert wurde.17 Die nächste Nachricht in seiner Personalakte ist eine Aktennotiz von Schulrat Gustav Schmidt vom 14.1.1946: „Herr Herbert Manig meldet sich aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurück. Auf Befragen gibt er an, dass er seit 1933 Mitglied der NSDAP gewesen ist und das Amt eines Zellenleiters bekleidet hat. Ich eröffne ihm daraufhin, dass er nicht wieder sein Amt als Schulleiter ausüben darf und versetze ihn an die Sprachkrankenschule Carolinenstraße 35.“18

Hier schlossen sich Kreise. Gustav Schmidt war langjähriger Haus-Nachbar von Herbert Manig und die Schule, an die er Manig versetzte, wurde schon wieder geleitet von Adolf Lambeck, der schon bis Ende der NS-Zeit dort als Schulleiter fungierte, mit dem Manig vor 1933 an der Sprachheilschule Stiftstraße zusammengearbeitet hatte und der im NSLB die Funktion des Leiters der Gaufachschaft für Sonderschulen bekleidet hatte.19 Herbert Manig befand sich also auf vertrautem Terrain. Dennoch wurde Manig eine Woche später, am 22.1.1946 mit sofortiger Wirkung beurlaubt, am 12.3.1946 aus dem Beamtenverhältnis entlassen. Vergleicht man die Fälle Lambeck und Manig erscheint die Ungleichbehandlung erstaunlich und resultierte wohl daraus, dass Manig am 1.5.1933 in die NSDAP eingetreten war und als Zellenleiter fungierte, während Lambeck erst 1937 Parteimitglied wurde, aus meiner Sicht aber inhaltlich und von seiner NSLB-Funktion mindestens ebenso verstrickt war wie Herbert Manig.

Während Adolf Lambeck als wichtigsten Fürsprecher Fritz Köhne an seiner Seite hatte, schrieb im Fall Manig Schulrat Gustav Schmidt ein politisches Gutachten, das insofern bemerkenswert war, da Schmidt ein kritischer Nicht-Nationalsozialist gewesen war und sich in den Entnazifizierungsverfahren sonst als kritische Instanz erwies.20

Umso überraschender, wie sehr er sich für seinen Nachbarn Herbert Manig einsetzte, wobei Schmidt dabei seinem wichtigen Kriterium bei der Beurteilung von Nationalsozialisten folgte, nämlich darauf zu sehen, wie die Personen sich menschlich verhielten und ob sie Druck auf Personen mit anderer politischer Einstellung ausübten. Schmidt schrieb am 6.7. 1947, im Vorfeld des Berufungsverfahrens gegen die Entlassung von Herbert Manig:
„Herr Manig ist mir seit ungefähr 1926 bekannt; wir waren damals Mitglieder der Baugenossenschaft Ratsmühle und wurden später Nachbarn in der Wietreie in Volksdorf. Über sein politisches Verhalten von 1933–45 kann ich folgendes aussagen:
1. Als 1933 alle Vereine gleichgeschaltet wurden, standen wir auch in unserer Baugenossenschaft vor der Aufgabe, den Vorstand und den Aufsichtsrat möglichst mit Parteigenossen zu besetzen. Herr Manig erhielt in einer Verhandlung mit dem Ortsgruppenleiter die Zusage, daß alle Mitglieder in ihren Ämtern bleiben durften. Herr Manig war der einzige Pg im Vorstand, im Aufsichtsrat saß kein Pg. Ich war Vorsitzender des Aufsichtsrates, und ich bezeuge, daß Herr Manig in den folgenden Jahren in seiner ausgezeichneten Arbeit für die Genossenschaft sich nie von der Parteizugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit eines Genossen hat leiten lassen; er hat für alle gleichmäßig gut gesorgt.

2. 1936 wurde ich durch einen eifrigen Parteigenossen aus der Nachbarschaft bei der Schulverwaltung angezeigt, weil ich es wagte, den Heil-Hitler-Gruß eines Amtswalters mit dem Tagesgruß und Hutziehen zu erwidern. Herr Manig mußte als Zellenleiter über mich berichten; seinem Bericht verdanke ich es, daß ich von Unannehmlichkeiten von Seiten der Behörde verschont blieb.

3. Als 1937 sehr viele Beamte auf den Druck ihrer Behörde hin der NSDAP beitraten, kam Herr Manig zu mir, um mit mir über die Gründe meiner Weigerung zu sprechen. In einer langen Unterredung habe ich ihm offen und unzweideutig meine Ablehnung begründet. Er hat von meinen freimütigen Äußerungen niemals Gebrauch gegen mich gemacht; ein enger, sturer Pg hätte mir sehr schaden können.

4. In unserem Verkehr untereinander und in den Familien hat sich durch unsere politisch auseinanderstrebenden Meinungen nichts geändert; selbst nach 1942, als ich vom Reichsstatthalter als Beamter entfernt worden war, blieb alles beim alten.

5. Bei mir als einem Gegner der NSDAP kamen manche Leute aus der Nachbarschaft, um sich in politischen Dingen Rat zu holen. Dabei habe ich nie gehört, daß der Zellenleiter Manig sein Parteiamt irgendwie benutzt hat, um Andersdenkende unter Druck zu setzen; im Gegenteil ist mir einige Male versichert worden, daß er sich den Wünschen anderer wilder Pg entgegengestemmt habe.

Ich halte Herrn Manig für einen ehrlichen Menschen, der sich damals 1933 der NSDAP gläubig angeschlossen hat, der sich nicht blind gegen die Fehler innerhalb seiner Partei verschloß, der duldsam gegen Leute mit anderer Meinung war. Irgendeine gemeine oder schädliche Handlung ist mir nicht bekannt geworden; ich halte ihn solcher Taten auch nicht für fähig.

Was mir dienstlich als Schulrat über Herrn Manig bekannt geworden ist, sage ich gerne in einer mündlichen Verhandlung oder in einem amtlichen Gutachten aus.“21

Gustav Schmidt versuchte dabei, die politische Stellungnahme von einem amtlichen Gutachten zu trennen. Darin blieb er seinem Prinzip treu, eine charakterliche Bewertung von den politischen Funktionen einer Person zu trennen. Aus meiner Sicht hat er dabei vernachlässigt, wie schwerwiegend die politische Verstrickung von Herbert Manig war. Für problematisch halte ich auch, dass Schmidt durch seine langjährige Bekanntschaft zum Nachbarn Manig schwerlich zu einer unvoreingenommenen Bewertung in der Lage war.

Gustav Schmidt hatte schon dem Entnazifizierung-Ausschuss angehört, der am 27.2.1946 eine Stellungnahme zum Entnazifizierungsfragebogen von Herbert Manig abgegeben hatte. Darin hieß es unter Hinweis auf die Bekanntschaft und Nachbarschaft zwischen Manig und dem Schulrat Schmidt:
„1933 trat Herr Manig voller Enthusiasmus in die NSDAP ein, und stellte seine Energie und Organisationfähigkeit der Partei und dem NSLB zur Verfügung, weil er ernsthaft überzeugt von der Wahrheit der nationalsozialistischen Doktrin war. In diesem guten Vertrauen organisierte er Lehrerlager, wo die Lehrer mit der Ideologie der regierenden Partei vertraut gemacht wurden und ein quasi militärisches Training in Geländesport bekamen.“22

Im Weiteren wurden dieselben Argumente wiederholt, die Gustav Schmidt 18 Monate später in seiner persönlichen Stellungnahme anführte. Zusammenfassend schrieb der Beratende Ausschuss:

„Es zeigt den ehrlichen, aufrechten Charakter von Herrn Manig.“23

Gustav Schmidt war sicherlich überzeugt von seiner persönlichen Einschätzung. Trotzdem bekommt sein Gutachten für mich den Charakter einer Gefälligkeit für jemanden, der während der Nazizeit in einer sehr persönlichen Angelegenheit in der gemeinsamen Siedlung sich für die Interessen Gustav Schmidts eingesetzt hatte.

Schlimmer war aus meiner Sicht allerdings, dass auch Adolf Lambeck sich am 2.7.1947 mit einer „Auskunft“ für Herbert Manig zu Wort meldete, den er nach seiner eigenen und unkomplizierten Entnazifizierung mit Hilfe von Fritz Köhne als Schulleiter unterschrieb. So sahen „Persilscheine“ aus:
„Ich kenne Herbert Manig seit seinem Eintritt in die Sonderschularbeit (etwa 1925) aus der Beobachtung und aus der Zusammenarbeit.

In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg hatte es sich für die Hamburger Sonderschulen, die damals noch im Ausbau begriffen waren, als zweckmäßig erwiesen, mit den maßgebenden Parteien der Hamburger Bürgerschaft enge Fühlung zu halten. Die Kollegien der Sonderschulen veranlaßten daher ihre Mitglieder, in den Parteien, denen sie innerlich nahe standen, auch die Mitgliedschaft zu erwerben und dann in den Lehrergruppen der Parteien mitzuarbeiten. Herbert Manig hat auf dringenden Wunsch seines Kollegiums (Schule für Sprachkranke, Rostocker Straße 62) die Mitgliedschaft in der Deutschen Volkspartei erworben. Und nach Auflösung derselben ist er der NSDAP beigetreten, um auch dort für die Sonderschulen zu arbeiten.“24 Politischer Opportunismus als abgesprochenes Programm von den Kollegen der Hamburger Sonderschulen – oder der Versuch eines Beteiligten, einen Kollegen und sich selbst im Nachhinein reinzuwaschen?

Lambeck weiter: „Es ist bekannt, daß die NSDAP dem Gedanken der Sonderschule feindlich gegenüberstand. Die Sonderschulen haben während der ganzen zwölf Jahre der Herrschaft dieser Partei um ihren Bestand und um die Rechte ihrer Schülerschaft kämpfen müssen. Wenn in Hamburg die größten Gefahren von der Sonderschule abgewendet werden konnten, und wenn die Rechte der behinderten Kinder im ganzen gewahrt geblieben sind, so ist das auch der aufklärenden Arbeit der Kollegenschaft zu verdanken; diese Arbeit war aber nur durch ein persönliches Eintreten bei den entscheidenden Parteiführern zu leisten. Die Mitarbeit Herbert Manigs in der NSDAP ist auch in dieser Richtung zu sehen und zu beurteilen.“25

Und auch ein anderer, der damals mitgemacht hatte, ein Dabeigewesener, ursprünglich Reformpädagoge, der mit Schülern das Lagerleben mit Naturerfahrungen propagierte, John Wöhlert, nach 1945 Rektor der Heinrich-Wolgast-Schule, sang jetzt ein Hohelied auf Herbert Manig: „Ich habe die Verbindung mit Herrn Manig aus sachlichen Gründen gesucht. Herbert Manig war Lehrer in St. Georg. Meine Schule lag im selben Stadtteil. Das Schicksal unserer Jungen war also das gleiche, soweit es die Umwelt und auch die soziale Lage betraf. In St.Georg war nicht das Schulleben – Unterricht und Schulerziehung –, sondern das Jungenleben in Gefahr. Es fehlte der Raum, die Natur und vor allem jegliche Führung, damit aus Kindern Jungen wurden. Turnen, Wandern, Bootfahrt, Werken und Lager wurden für uns die Wege, um die Jungen zur männlichen Haltung zu formen. Das war der Weg meiner Schule (Heinrich-Wolgast-Schule, Borgesch 15) seit 1920.

Etwa ab 1930 suchte ich nach Lehrer-Kameraden, die diese zeitlich außerordentliche, soziale Schulaufgabe erfüllen konnten. Sie erforderte Opfer an Zeit, Kraft und Glauben über die gesetzliche Schularbeit hinaus. Es sammelte sich nur langsam ein Kreis der Gleichgesinnten. 1934 wurden wir von der HJ scharf bedrängt, die unser Ziel als ihre Arbeit (‚Jungendienst‘) erklärten und die Zeit jenseits des Unterrichts als ihre Zeit beanspruchten. Darum schlossen sich die Kameraden enger zusammen. Es wurde nun auch zielbewußte Kameraden geworben. Einer der Kameraden, der zu uns kam, war Herbert Manig. Er hat uns mit seiner energischen, kritischen Natur oft geholfen. Seine organisatorische Begabung hat uns die Arbeit erleichtert. Das Gesamtergebnis war, dass die Arbeit in St. Georg trotz aller Störungsversuche der HJ weiterlief. Es wurde bis zum Kriegsbeginn der Werk- und Turnabend fortgesetzt und fast alle Jungen der Schule ab 10 Jahre gingen alljährlich ins Lager oder mit dem Schulboot auf Fahrt. Die Ablehnung jeglicher politischen Schulung und die alleinige Erfüllung der sozialen Aufgabe in St.Georg erforderte in jenen Jahren ein starkes Einsetzen der Person. Herbert Manig hat diesen Einsatz gewagt.“26

So wurde reformpädagogische Arbeit mit der Lagerbildung des NSLBs verbunden und auch noch behauptet, hier wäre es ausschließlich um gemeinsame Naturerfahrungen gegangen, jenseits jeglicher „politischer Schulung“. Alte Kameraden hielten auch nach 1945 zusammen.

Gustav Schmidt hatte am 4.10.1947 für die Sitzung des Berufungsausschusses noch ein „Amtliches Gutachten“ geschrieben, da Manig immer noch nicht wieder eingestellt worden war. Darin hieß es: „Im Lehrerbund war M. Sachbearbeiter für Geländesport. Auch hier setzte er sich wieder mit seiner Persönlichkeit für das ein, was er für richtig hielt. Dabei habe ich immer erfahren, daß er auch in dieser Tätigkeit die Meinungen anderer achtete und zu würdigen versuchte; mir ist kein Fall bekannt geworden, daß M. jemand verfolgt hätte wegen anderer politischer Ansichten. Er glaubte an seine Ideale, gestand anderen aber die Freiheit anderer Überzeugung zu.“27

Anders sah das Schulrat Hans Brunckhorst, der am 19.8.1947 festgestellt hatte, Manig habe an seiner Schule von den Junglehrern und Junglehrerinnen verlangt, „daß sie sich aktiv politisch betätigen sollten. Herr Manig ist seiner Gesinnung, Haltung und Tätigkeit nach als ausgesprochener Vertreter des Nationalsozialismus in seinem üblen Sinne anzusprechen und müsste dementsprechend behandelt werden.“28

Der Berufungsausschuss für die Ausschaltung von Nationalsozialisten befasste sich am 12.11.1947 mit dem Fall Manig. Er entschied, Herbert Manig als Oberlehrer für Sprachkranke zu bestätigen und in Gruppe IV einzustufen. In der Begründung hieß es: „Manig hat durch zahlreiche, glaubwürdige Leumundszeugnisse bewiesen, dass er sich während seiner Zugehörigkeit zur NSDAP politisch einwandfrei geführt hat und dass er sich darüber hinaus auch aktiv zugunsten politisch anders Denkender eingesetzt hat.“ Die Einschränkung: „Jedoch erschien es bei seinem frühen Eintritt in die NSDAP und seiner Zugehörigkeit zur SA sowie seines Amtes im NSLB geboten, ihm die während des NS-Regimes zuerkannte Stellung eines Schulleiters abzuerkennen.“29

Es dauerte noch bis zum 18.2.1948, bis Herbert Manig den Dienst als Lehrer an der Schule, die er bis 1945 als Schulleiter geleitet hatte, wieder aufnehmen konnte, an der Sprachheilschule Rostocker Straße . Bis dahin hatte er als Hilfsarbeiter bei einer Maschinenbaufirma gearbeitet, um die materielle Existenz seiner Familie zu sichern.30

In der Folgezeit bemühte sich Herbert Manig über Jahre, seine Amtsbezeichnung als Schulleiter zurückzubekommen und auch die entsprechende Besoldung. Am 10.2.1953 beschloss der Leitende Ausschuss, ihn in Kategorie V einzustufen. Als Schulleiter wurde er aber nicht wieder eingesetzt und auch die Amtsbezeichnung erhielt er nicht.

Zum 31.3.1963 versetzte ihn die Behörde auf eigenen Antrag in den Ruhestand.

Nachtrag: Ingrid Krämer-Kilic und Hendrik Hauschild veröffentlichten 2001 ein Buch über Sprachbehindertenpädagogik im Nationalsozialismus – eine exemplarische Betrachtung der Hamburger Verhältnisse. Darin führten sie ein Gespräch mit der 1931 geborenen Frau M., die als Kind eine Sprachbehinderung hatte. Ihr Vater, ein Blankeneser Jurist, war ein „Bundesbruder“ von Herbert Manig im „Verein deutscher Studenten“ gewesen. „Sie erinnert sich an ihn als ‚Onkel Herbert‘, der ein ‚fanatischer Nationalsozialist‘“ war. Manig empfahl ihren Eltern die Umschulung der „sprachkranken“ Tochter auf die neu gegründete Altonaer Sprachheilschule.“31 So unterschiedlich können Erinnerungen sein.

Herbert Manig starb am 3.3.1978.32

Das Buch von Hans-Peter der Lorent: „Täterprofile, Band 2, Hamburg 2017“ ist in der Landeszentrale für politische Bildung, Hamburg erhältlich.

Anmerkungen
1 Alle Angaben laut Personalakte, StA HH, 361-3_A 1450 und Hamburgisches Lehrerverzeichnis von 1924–25, hrsg. von der Gesellschaft der Freunde.
2 Entnazifizierungsakte, StA HH, 221-11_Ed 10354
3 Personalakte a.a.O.
4 Siehe die Biografien von Albert Henze und Wilhelm Gundlach, in: Hans-Peter de Lorent: Täterprofile Bd. 1, Hamburg 2016, S. 162ff. und 746ff.
5 Siehe die Biografie von Hellmuth Dahms in diesem Buch.
6 Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 460.
7 Siehe die Biografie Gundlach, a.a.O.
8 Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 460.
9 Siehe die Biografie Albert Mansfeld, in: de Lorent 2016, S. 118.
10 StA HH, 361-2 VI_33 und HLZ 28/1934, S. 455f.
11 Uwe Schmidt: Hamburger Schulen im „Dritten Reich“, Hamburg 2010, S. 468f.
12 Siehe HLZ 5/1935, S. 57.
13 Siehe die Biografie Karl Schlotfeldt, in: de Lorent 2016, S. 254ff.
14 Befähigungsbericht v. 27.9.1938, Personalakte a.a.O.
15 Ebd.
16 Personalakte a.a.O.
17 Personalakte a.a.O.
18 Personalakte a.a.O.
19 Siehe die Biografie Lambeck in diesem Buch.
20 Siehe den Abschnitt: Die unvollendete Entnazifizierung in: de Lorent 2016, S. 38ff. und die Biografie Henze, ebd., S. 162.
21 Politisches Gutachten vom 6.7.1947, Entnazifizierungsakte a.a.O.
22 Aus dem Englischen von mir übersetzt, Beratender Ausschuss v. 27.2.1946, Entnazifizierungsakte a.a.O.
23 Ebd.
24 Schreiben vom 2.7.1947, Entnazifizierungsakte a.a.O.
25 Ebd.
26 Ebd.
27 Schreiben vom 4.10.1947, Entnazifizierungsakte a.a.O.
28 Schreiben vom 19.8.1947, Personalakte a.a.O.
29 Entscheidung vom 12.11.1947, Entnazifizierungsakte a.a.O.
30 Personalakte a.a.O.
31 Inge Krämer-Kilic/Hendrik Hauschild: „Du stotterst ja!“: Sprachbehindertenpädagogik im Nationalsozialismus; eine exemplarische Betrachtung der Hamburger Verhältnisse, Münster 2000. S. 90.
32 Personalakte a.a.O.
 

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Vor etlichen Jahren hat die Landesszentrale für politische Bildung Hamburg die Stolperstein-Datenbank www.stolpersteine-hamburg.de ermöglicht und gibt seit rund zehn Jahren gemeinsam mit dem Institut für die Geschichte der Deutschen Juden unter der Projektleitung von Dr. Beate Meyer und Dr. Rita Bake von der Landeszentrale für politische Bildung die Publikationsreihe „Stolpersteine in Hamburg, biografische Spurensuche“ heraus. Mit dieser Datenbank „Die Dabeigewesenen“ möchte die Landeszentrale für politische Bildung nun den Blick auf diejenigen lenken, die das NS-System stützten und mitmachten. Denn:

Eine Gesellschaft, die sich eine offene und freie Zukunft wünscht,
muss [...] über eine Kultur verfügen, die nicht auf dem Verdrängen
und Vergessen der Vergangenheit beruht.“ (Mario Erdheim Psychoanalytiker) 1)

Diese aktuell immer noch so wichtige Aussage bildet den inhaltlichen Ausgangspunkt dieser Datenbank. Sie enthält eine Sammlung mit Kurzprofilen über Menschen, die auf unterschiedlichste Weise an den NS-Gewaltverbrechen in Hamburg Anteil hatten, z.B. als Karrierist/innen, Profiteur/innen, Befehlsempfänger/innen, Denunziant/innen, Mitläufer/innen und Täter/innen. Aber auch sogenannte Verstrickte, die z. B. nach durchlittener Gestapo-Folter zum Spitzel wurden. Unter all diesen Dabeigewesenen gab es auch Menschen, die in keiner NS-Organisation Mitglied waren, die aber staatliche Aufträge - zum Beispiel als Künstler oder Architekt - annahmen und so von dem NS-System profitierten, im Gegensatz zu denen, die sich diesem System nicht andienten, deshalb in die Emigration gingen oder in Kauf nahmen, keine Karriere mehr zu machen bzw. kaum noch finanzielle Einnahmen zu haben.

Ebenso wurden solche Personen aufgenommen, die zum Beispiel vor und während der NS-Zeit den Idealen des Heimatschutzes und der Technik-Kritik anhingen und das NS-Regime dadurch unterstützten, indem sie staatliche Aufträge annahmen, die diesen Idealen entsprachen, da das NS-System solche Strömungen für seine Ideologie vereinnahmte.

Für die Datenbank „Die Dabeigewesenen“ wurden alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wie Medizin, Justiz, Bildung und Forschung, Verwaltung, Kirche, Fürsorge und Wohlfahrt, Literatur, Theater und Kunst, Wirtschaft, Sport, Polizei und parteipolitische Organisationen berücksichtigt.

„denn wir können (…) das ganze Phänomen des Mitmachens und des Ermöglichens, das ja in der NS-Zeit eine genauso große Rolle gespielt hat, wie die Bereitschaft, selbst aktiver Täter vor Ort zu sein - das alles können wir nur verstehen, wenn wir die verschiedenen Facetten der Täterschaft noch viel genauer betrachten, als das bisher geschehen ist." 2)

In vielen Profilen wird der weitverbreitete Enthusiasmus vieler Deutscher für den Nationalsozialismus, gegenüber „seiner Wirtschafts- und Sozialpolitik, seine Architektur, seine Weltanschauung" 3) etc. deutlich. Und es zeigt sich, dass Menschen das NS-System stützten, indem sie z. B., ohne darüber nachzudenken und ohne zu hinterfragen, bereitwillig moralische und soziale Normen des NS-Staats übernahmen.

Mit Schaffung der „Ausgrenzungsgesellschaft“ war es für die „Mehrheitsgesellschaft“ möglich, u. a. NS-Rassentheorien praktisch umzusetzen.

Diese Erkenntnis ist angesichts heutiger aktueller gesellschafts-politischer Entwicklungen von Bedeutung. In einem Interview zum Thema Fremdenfeindlichkeit bemerkte der Antisemitismusforscher Prof. Dr. Wolfgang Benz auf die Frage, ob aus der Geschichte zu lernen sei. „Wir könnten schon. Wir könnten zum Beispiel lernen, dass der Fremde nicht schuld ist an dem Hass, der ihm widerfährt. Es scheint tatsächlich schwierig zu vermitteln zu sein, dass das Opfer nicht dafür verantwortlich ist, dass es totgeschlagen oder misshandelt wird. Juden werden nicht verfolgt, weil an ihnen etwas ist, was sie zu Opfern macht, sondern weil die Mehrheitsgesellschaft Opfer braucht, und zwar zur eigenen Identitätsstiftung. Zuwanderer, Fremde, Andersgläubige werden ausgegrenzt. Das stärkt das Selbstgefühl der Mehrheit.“ 4)

Mit der Datenbank soll eine Hamburg Topographie der „Dabeigewesenen“ entstehen, um somit konkrete Orte des NS-Geschehens sichtbar zu machen. Deshalb werden auch nur diejenigen Dabeigewesenen aufgenommen, die zwischen 1933 und 1945 in Hamburg mit seinen Grenzen nach 1937 gelebt/gearbeitet haben. Neben Personenprofilen sind auch Adressen von NSDAP-Organisationen und -Einrichtungen zu finden. Darüber hinaus gibt es für einzelne Stadtteile Einträge, die die NS-Aktivitäten im Stadtteil beschreiben. In der Datenbank kann nach Namen, Straßen, Bezirken und Stadtteilen gesucht werden, damit also auch nach den Wohnadressen und/oder Adressen der Arbeitsstätten (soweit recherchierbar). Durch Hinzuziehen der Stolpersteindatenbank (hier sind die Adressen der NS-Opfer aufgenommen, für die bisher Stolpersteine verlegt wurden) und der virtuellen Hamburg-Stadt-Karte (sie verzeichnet die Zwangsarbeiterlager und Firmen, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben) wird eindringlich deutlich, wie dicht benachbart Opfer und Dabeigewesene in Hamburg gelebt und gewirkt haben. Mit diesen Informationen ist es immer schwerer, die altbekannte Entschuldigung aufrecht zu erhalten; wir haben doch nichts davon gewusst.

In den vorgestellten Profilen liegt der Fokus auf Handlungen und Einstellungen zum NS-Regime. Privates wird nur erwähnt, wenn es für die Haltung zum NS-Regime von Relevanz ist. Recherchegrundlage für diese Datenbank waren bereits vorhandene wissenschaftliche Veröffentlichungen (z. B. von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und dem Institut für Zeitgeschichte), Biographien, Sammelbände und Dissertationen zu Hamburg im Nationalsozialismus, aber auch in diversen Fällen Entnazifizierungsakten und andere Akten und Dokumente, die im Staatsarchiv Hamburg zur Verfügung stehen. Für die Adressenrecherchen wurden die digitalisierten Hamburger Adressbücher von 1933 bis 1943 der Staats- und Universitätsbibliothek genutzt. Trotz größter Sorgfalt beim Zusammentragen der Daten, ist es dennoch möglich, dass Schreibweisen von Namen variieren und Lebensdaten fehlerhaft sind. In den Profilen und den Beschreibungen der Funktionen sowie des „Wirkens“ des Dabeigewesenen konnte nicht komplett auf das NS-Vokabular – der Sprache der Täter – verzichtet werden, dennoch wurde versucht, diesen Anteil gering zu halten und neutralere Umschreibungen zu finden.
Die meisten der aufgeführten Personen wurden schnell nach Kriegsende durch die Entnazifizierungsstellen als entlastet eingestuft, sie mussten sich selten vor Gericht verantworten oder sie wurden aufgrund von Verjährung ihrer Taten nicht juristisch verurteilt. So stellt Can Bozyakali in seiner Dissertation z. B. zum Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht fest, dass auch in Hamburg bis Anfang der 1950er Jahre 63% aller Justizjuristen, die am Sondergericht tätig gewesen waren, wieder in den Justiz-Dienst eingestellt wurden. „[…] anhand dieser Werte [kann] von einer ‚Renazifizierung‘ gesprochen werden.“ 5)

Dr. Rita Bake, Dr. Brigitta Huhnke, Katharina Tenti (Stand: Anfang 2016)

1) Mario Erdheim: „I hab manchmal furchtbare Träume … Man vergißts Gott sei Dank immer glei...“ (Herr Karl), in: Meinrad Ziegler, Waltraut Kannonier-Finster: Österreichisches Gedächtnis. Über Erinnern und Vergessen der NS-Vergangenheit. Wien 1993.
2) Wolfram Wette: Deutschlandfunk-Interview am 20.11.2014, anlässlich seines neuen Buches: „Ehre, wem Ehre gebührt. Täter, Widerständler und Retter - 1933-1945“, Bremen 2015.
3) Raphael Gross: Anständig geblieben. Frankfurt a. M.  2010, S. 17.
4) Wolfgang Benz: „Ich bin schon froh, wenn es nicht schlimmer wird". Der Historiker Wolfgang Benz über die lange Geschichte der Fremdenfeindlichkeit in Deutschland – und was neu ist an den Pegida-Märschen. Interview: Markus Flohr und Gunter Hofmann, in ZEIT online vom 21. Dezember 2015. www.zeit.de/zeit-geschichte/2015/04/wolfgang-benz-pegida-antisemitismus-fremdenfeindlichkeit
5) Can Bozyakali: Das Sondergericht am Hanseatischen Oberlandesgericht: Eine Untersuchung der NS-Sondergerichte unter besonderer Berücksichtigung der Anwendung der Verordnung gegen Volksschädlinge, Frankfurt/ Main 2005, S. 235.

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