Namens-/Sachregister

Frauenbios

Gretchen Wohlwill

(27.11.1878 Hamburg - 17.5.1962 Hamburg)
Malerin der Hamburger Sezession
Garten der Frauen, Ohlsdorfer Friedhof, Fuhlsbüttler Straße 756 (Historischer Grabstein)
Johnsallee 14 (Wohnadresse und Wirkungsstätte/Atelier)
Bundesstraße 78, Emilie-Wüstenfeld-Schule (Wirkungsstätte)
Magdalenenstraße 12 (Wirkungsstätte/Atelier)
Flemingstraße 3 (Wohnadresse/Atelier/Wirkungsstätte)
Namensgeberin für: Gretchen-Wohlwill-Platz
„Es zieht sich nicht eigentlich ein roter Faden durch mein Leben, sondern Episode reiht sich an Episode, und meine Erlebnisse hängen an den Personen, mit denen ich mehr oder weniger zufällig zusammengetroffen bin“ [1]. „So ist mein Leben reich an Freundschaften gewesen, und dankbar muss ich sagen, ist es noch heute“ [1].
Diese beiden Sätze stehen am Anfang und Ende von Gretchen Wohlwills 1953 geschriebenen Lebenserinnerungen. Und so lesen sich ihre Aufzeichnungen auch wie eine Sammlung von Portraits. Aus Darstellungen von Familienmitgliedern, Kolleginnen aus der Schule, Malerfreundinnen und -freunden, Menschen, denen sie während ihrer Emigration in Portugal begegnete, setzt sich das Bild ihres Lebens quasi wie ein Mosaik zusammen.
Wandmalerei an der Emilie-Wüstenfeld-Schule in Hamburg, Foto: kulturkarte.de/Schirmer
Aber was nach den eingangs zitierten Worten fast spielerisch gelungen zu sein schien und durch die Freunde bestätigt wird, die Gretchen Wohlwill ausnahmslos als harmonische Persönlichkeit beschreiben – eine Wesensart, die sich auch in ihrem eher heiteren Werk zu spiegeln scheint -, war in Wahrheit mühsam abgerungen, geboren aus dem Bedürfnis nach unbedingter Nähe und Zusammenhang. Denn fährt man in der Lektüre der Lebenserinnerungen fort, so heißt es da: „Einen Ausspruch, der mir wahrscheinlich nur durch Erzählungen in der Erinnerung haftet, soll ich einmal getan haben, als Mutter mit uns Kindern in Niendorf an der Ostsee war, begleitet von unserer guten Kinderfrau Margarete Ording: ‚Süße Mutter und süße Deta, und alle beide mein’. Ich würde das nicht festhalten, wenn ich nicht meinte, dass es charakteristisch auch für mein späteres Leben wäre: Was ich liebte, wollte ich auch besitzen“ [1]. Und zum Tode der Mutter formulierte sie: „Am 9. Mai ging der einzige Mensch dahin, den ich ganz besessen hatte“ [1].
Noch deutlicher wird diese Sehnsucht in einem undatierten Brief an Emmy Ruben „Was Maetzel neulich sagte, war mir so aus der Seele gesprochen, dass nämlich, angenommen, die materielle Not sei eines Tages beseitigt oder gemildert, so bliebe doch immer die geistige Vereinsamung der Künstler u. ich möchte hinzufügen die seelische das Bedürfnis nach Verständnis u. Anteilnahme. Diejenigen deren Arbeiten scheinbar der Problematik entbehren, leiden unter solcher Vereinsamung ganz besonders. Solche Unproblematik ist ja auch nur scheinbar, der qualvolle Kampf um die Realisierung vollzieht sich mehr unter der Oberfläche als bei Anderen.“ Und in einem Brief an die Malerkollegin Alexandras Povorina heißt es: „...unendlich beglückend aber ist auch für mich das Erlebnis einer Seelenverwandtschaft. Alles wird mit in den einen Kreis hineinbezogen, da es aber eben ein irdischer ist, so sind wohl für mich viel mehr Schlacken, viel Qual und Unruhe dabei.“ (Brief vom 19. Juni 1927) [3].
Dass Gretchen Wohlwill ihre keineswegs glückliche Grundstimmung und ihr oft schweres äußeres Leben in einer Weise meisterte, dass sie jedermann als bezauberndes, ausgeglichenes Wesen erschien, ist wohl darauf zurückzuführen, dass sie sich den für sie wegweisenden Wahlspruch ihres bewunderten und verehrten Vaters zu eigen gemacht hatte: „Ich kenne nur Pflicht, Güte und Nächstenliebe“ [1].
Gretchen Wohlwill wurde als viertes Kind des Chemikers Emil Wohlwill und seiner Frau Luise geb. Nathan in Hamburg geboren. Der Vater, und durch seinen Einfluss auch die Mutter, wandten sich vom jüdischen Glauben ab und ließen auch in die Geburtsscheine ihrer Kinder „konfessionslos“ eintragen. Emil Wohlwill lehnte als Liberaler und Arbeiterfreund auch die so genannten Standesschulen ab, so dass Gretchen die Privatschule von Robert Meisner besuchte: „Es wurde nicht viel von uns verlangt, das Publikum war durchaus kleinbürgerlich und die Milieus keineswegs entsprechend meiner eigenen Häuslichkeit“ [1]. Die eigene Häuslichkeit, das war eine sehr musikalische Mutter, die ihre Begabung an die Tochter Sophie, die Pianistin wurde, und an die Geige spielenden Söhne Heinrich und Friedrich weitergegeben hatte und die für das tägliche Leben und die Erziehung der Kinder zuständig war, und ein Vater, der für die Kinder „Festtag“ bedeutete. Die Besuche in seinem Labor zählte Gretchen zu den aufregendsten Erlebnissen ihrer Kindheit. Der Schatten, der über dieser Kindheit lag und der Gretchen noch über viele Jahre begleiten sollte, war die häufige Krankheit und Behinderung der ältesten Schwester Marie, die von den übrigen Familienmitgliedern permanente Rücksicht verlangte.
Dem Unterricht in der Meisnerschen Schule folgte dann aber doch eine ihrer Herkunft und ihren Anlagen entsprechende Ausbildung. Nach einem Jahr Selecta, wobei Gretchen von allen Fächern die Kunstgeschichte am meisten interessierte, erfüllte sich 1894 ihr größter Wunsch: Sie wurde an der Kunstschule von Valeska Röver angemeldet und bekam eine Ausbildung bei Ernst Eitner und Arthur Illies. 1904/5 ging sie zur Fortsetzung ihrer Studien nach Paris und besuchte die Privatakademien Stettler und Dannenberg bei Lucien Simon und Jacques Emile Blanche. Wirklichen Gewinn aber zog sie erst aus einem zweiten Parisaufenthalt 1909/10, und das nicht nur, weil sie in der Matisse-Schule arbeiten konnte, sondern auch, weil ihr „endlich die Augen aufgegangen waren für die Großen der Gegenwart und die Kunst vergangener Zeiten“ [1]. Das stimmt allerdings nicht ganz – hatte sie doch schon früh gegenüber Alfred Lichtwark, dem damaligen Direktor der Kunsthalle, den Ende des 19. Jahrhunderts wiederentdeckten Vermeer als ihren Lieblingsmaler genannt, eine Vorliebe, die viel über ihre künstlerische Auffassungsgabe und ihr Wesen aussagt. Auch dass sie auf seine zweite Frage, was sie denn malen wolle, antwortete „Menschliche Figuren in ihrer Umgebung und Tätigkeit“, zeigt ihrer frühe künstlerische Reise. So zollte ihr Lichtwark denn auch Respekt und Beifall.
Nach der Rückkehr von ihrem ersten Parisaufenthalt richtete Gretchen Wohlwill sich im elterlichen Haus in der Johnsallee 14 ein Atelier ein. Da sie, selbstkritisch wie sie ihre Leben lang blieb, überzeugt war, es nicht zu außerordentlichen Leistungen zu bringen und das Gelernte praktisch anwenden wollte, begann sie zu unterrichten und bereitete sich selbständig auf das Zeichenlehrerexamen vor, das sie 1909 in Berlin ablegte. In Hamburg hätte sie dafür ein dreijähriges Studium an der Gewerbeschule absolvieren müssen. Ihr Sinn fürs Praktische zeigt sich auch darin, dass sie 1897 ihre Malstudien ganz bewusst für ein halbes Jahr unterbrach, um eine Haushaltsschule zu besuchen.
1910 wurde Gretchen Wohlwill als Kunsterzieherin an der Emilie-Wüstenfeld-Schule eingestellt. Diese Tätigkeit schien ideal. Sie verschaffte ihr eine finanzielle Grundlage, die sie selbstbewusst und noch in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise einigermaßen unabhängig machte, und da sie nur vier Tage in der Woche unterrichtet, blieb ihr Zeit für das eigene Schaffen. Doch im Unterricht machte ihr nur die Arbeit mit den Begabten wirklich Freude, und die Reduktion ihrer künstlerischen Existenz auf eine Dreitagewoche und die Reisen während der Schulferien führten dazu, da sie sich ständig gehetzt fühlte: „Wie ich mich auf die Ferien freue, das kann niemand ahnen, der nicht weiß, wie es ist, seine besten Kräfte für eine Sache, die ihm so gleichgültig ist, hergeben zu müssen [3], schreibt sie am 19. Februar 1926 an die Malerfreundin Alexandra Povorina.
Kurz nach dem Tode des Vaters im Jahre 1912 wurde der Familie das Haus in der Johnsallee gekündigt, weil es verkauft werden sollte. Man erwarb das Haus Magdalenenstraße 12, wo Gretchen Wohlwill sich wiederum ein Atelier einrichtete, das sie auch nach dem aus wirtschaftlichen Gründen notwendigen Umzug in den Mittelweg nach dem Tod der Mutter behielt. Es wurde zum Treffpunkt junger Künstler. 1928 zogen Gretchen und Sophie aus der riesigen kalten Wohnung am Mittelweg in die Flemingstraße 3. „Musik im Erdgeschoß, die Malerei im Dach“ [3], charakterisierte Hans Stock, Freund und Senatsdirektor der Kulturbehörde nach 1945, das einträchtige Zusammenleben der beiden Schwestern.
1933 wurde Gretchen Wohlwill wie die meisten Beamten und Beamtinnen jüdischer Abstammung aus dem Schuldienst entlassen. Doch obwohl sie auf einer Italienreise im Jahre 1930 im täglichen Umgang mit den Italienern schon „mancherlei vom Wesen und von den Schrecken des Faschismus“ erfahren hatte und sich fragte, „ob es überhaupt möglich ist, dass Kunst gedeiht, in einem Lande, in dem in solchem Maße die persönliche Freiheit beschränkt ist“ 1), und obwohl sie 1933 aus der Hamburgischen Künstlerschaft ausgeschlossen wurde und miterlebt hatte, dass die Hamburgische Sezession sich auflöste, um ihre jüdischen Mitglieder nicht ausschließen zu müssen, blieb sie wie viele andere seltsam sorglos. Sie war mit ihrer Kündigung „nicht unzufrieden“ [1], konnte sie doch endlich ihrer eigentlichen Arbeit frei nachgehen. Eine Emigration zog sie zunächst nicht in Erwägung. Stattdessen fasste sie den Plan, sich auf der Fischer- und Bauerninsel Finkenwerder ein Haus neben dem des Malers Bargheer zu bauen, den sie 1926 kennengelernt hatte und mit dem sie seitdem eng befreundet war: „Von ihm könnte und müsste ich Bände voll schreiben. Seit nunmehr 25 Jahren verbindet mich mit ihm eine seltene Freundschaft, die auf mein Leben größten Einfluss gehabt hat“ [1], beginnt Gretchen Wohlwill in ihren Lebenserinnerungen ihre Hommage an den um 23 Jahre jüngeren Eduard Bargheer.
Eduard Bargheer lebte auf Finkenwerder, das – heute kaum noch vorstellbar – in den 20er Jahren mit seinem ländlichen Milieu, den Fischern und der Elbe viele Hamburger Künstler und Künstlerinnen anzog. Gretchen Wohlwill besuchte den Freund oft und baute sich bald einen Anbau an sein Atelier, um in den Ferien und am Wochenende hier zu leben und zu arbeiten: „Das Zusammensein mit Bargheer ist immer anregend, viele Klippen sind in unseren Beziehungen, aber jedes Mal, das eine überwunden ist, werden wir fester und sicherer. Er hat die Eigenart, irgendwie Selbstverständliches nicht auszusprechen; das macht es mir oft sehr schwer und ich leide sehr darunter. Wir haben sehr gearbeitet, aber auch manche schöne Segelfahrt gemacht und viel gebadet und geschwommen. Das Atelier ist fertig, und als Raum und Beleuchtung sehr schön geworden, nur ist es bei Sonnenschein sehr heiß, bei feuchtem Wetter eisig kalt. An dem Menschen Eduard Bargheer habe ich, je näher ich ihn kenne, keinen unlauteren Zug gefunden, er imponiert mir durch sein Zielbewusstsein, das ihn kleine Rücksichten nicht kennen lässt. Schwer ist im Verkehr mit ihm seine große Erregbarkeit. Er ist so gänzlich unbanal, darum ist mir Ihre ehemalige Auffassung so unbegreiflich. Glücklich in jeder Hinsicht macht er mich nicht, aber ich könnte mir mein Leben jetzt auch nicht mehr ohne ihn denken.“ (Brief an Alexandra Povorina vom 22. August 1928) [3].
Gemeinsam unternahmen die beiden Reisen nach Holland und Belgien (1928), England (1929) sowie Italien und Paris (Dezember 1930 bis Ostern 1931, Gretchen Wohlwill war von der Schulbehörde ein Studienaufenthalt und ein Zuschuss von 400 M zu ihrem Gehalt gewährt worden). 1933 fuhren sie erneut nach Paris, und 1936 mit dem Motorrad nach Dänemark. Sie besuchten auf ihren Reisen Museen, in denen sie auch zeichneten und kopierten, und quartierten sich an Orten ein, wo sie tagsüber in der Natur arbeiteten und abends über das Gemalte diskutierten, sich korrigierten und – keineswegs unwichtig – aßen und tranken: „Ach, wie sehr wusste Gretchen die Qualität einer guten Küche und eines guten Kellers zu schätzen! Was für eine glänzende Köchin war sie, die immer wieder sagte: Glaubst du, daß jemand ein richtiges Rot findet, dem es gleich ist, was er als Speise in den Mund nimmt? Ich hingegen, so sagte sie, bin überzeugt, dass die Trauerklöße, die nicht essen und nicht trinken mögen, auch keine guten Maler sein können. Sie hatte ein sehr strenges Pflichtbewusstsein vor sich selbst und schon ein schlechtes Gewissen, wenn mal Tage ohne Arbeit vergingen. Sie war ganz unbestechlich in ihrem Urteil, sei es im Menschlichen oder im Künstlerischen. Wir besuchten zusammen viele Museen Westeuropas und ich werde nie ihre treffenden Urteile vergessen“ [3], erinnert sich Eduard Bargheer an die gemeinsame Reise nach Holland.
Bis zum Frühjahr 1939, als das von der Stadt gepachtete Gelände, auf dem sie ihr Haus gebaut hatte, gekündigt wurde, weil dort eine Flugzeugwerft entstehen sollte, verbrachte Gretchen Wohlwill die Sommer auf Finkenwerder, malte und segelte mit Bargheer auf dem gemeinsamen Boot: „Das Boot war für mich ein ganz neues Erlebnis, ein Quell des Glücks aber auch mancher Quälerei, denn, nachdem Eduard die Familie T. kennengelernt hatte, zog er es öfter vor, diese auf seinen Fahrten mitzunehmen“ [1].
Der Freund Eduard Bargheer urteilte rückblickend: „Nach meinem Dafürhalten war ihre glücklichste Zeit die in Finkenwerder, als sie ihr kleines Haus gebaut hatte, in dem sie eine Reihe von Sommern ihrer Arbeit lebte. Daneben haben wir viel auf der Elbe gesegelt, was sie zur Arbeit anregte. Sie liebte das Milieu der Fischer, die sie alle schätzten und gern hatten“ [3].
Auf Dauer konnte sie jedoch nicht an den Tatsachen vorbeisehen. 1937 wurden vier ihrer Arbeiten als entartet beschlagnahmt, 1938 ihre 1931 im Auftrag Fritz Schumachers für die Emilie-Wüstenfeld-Schule gemalten Wandbilder mit Bildern im Stil der nationalsozialistischen Propaganda übermalt [4]. Die Verordnungen der Nazis gegen die Juden machten das Leben „schwer und schwerer“, bis es „fast unerträglich geworden war“ [1]. Sie begann mit der Schwester das Für und Wider der Auswanderung zu erörtern. Sophie konnte sich nicht entschließen. Sie wurde nach Theresienstand deportiert und starb dort, wie auch der Bruder Heinrich, ehemaliger Direktor der Norddeutschen Affinerie. Gretchen emigrierte, nachdem sie eine frühere Einreiseerlaubnis hatte verfallen lassen, quasi im letzten Moment im März 1940, im Alter von 61 Jahren nach Portugal. Auf Ischia und in Neapel verbrachte sie mit Bargheer „die letzten guten Tage ... danach begann wohl die schwerste Zeit meines Lebens, schwerer als die letzte Nazizeit in Hamburg“ [1]. In Lissabon konnte sie bei der Familie ihres Bruders Fritz, Professor der Medizin, unterkommen, bis er in die USA weiterwanderte. Da sie so schnell wie möglich unabhängig werden wollte, versuchte sie, ihren Lebensunterhalt mit Stoffmalerei, Taschennähen und Sprach-, Literatur- und Malunterricht zu verdienen. Es war schweres Emigrantendasein in unheizbaren, primitiven Behausungen, voll Einsamkeit und Krankheit. Nach dem Krieg änderte sich das. Gretchen Wohlwill errang als Künstlerin nicht nur Anerkennung, sondern sogar Auszeichnungen: 1948 und 1952 erhielt sie den „Premio Francisco da Holanda“. Sie hatte eigene Ausstellungen und nahm an Gruppenausstellungen in Lissabon und Porto teil. Doch: „Die Sprache habe ich liebgewonnen, auch eine Reihe von Menschen. Das Land, Klima und die Stadt Lisboa sind mir immer fremd geblieben. Oft, plötzlich, habe ich mich an den Kopf gefasst: Wieso bist du hier, was willst du hier, das alles geht dich doch gar nichts an“ [1]. Nach zwei Besuchen in Hamburg in den Jahren 1950 und 51 entschloss sie sich 1952 zur Rückkehr, wiederum sehr schwer und mit tiefem Zweifel: „Noch heute weiß ich nicht, ob es das Rechte war. ... Schwer genug ist mir die Entscheidung gefallen; dann plötzlich habe ich alles Nachdenken abgeschnitten und bin gefahren“ [1], schreibt sie ein halbes Jahr, nachdem sie wieder in Hamburg ist. Am Ende ihre Lebens bezeichnet sie diese Hamburger Jahre, in denen sie in den Grindelhochhäusern eine Wohnung hatte, jedoch als die schönsten ihres Lebens, weil die Politik sie nicht mehr direkt berührte.
Gretchen Wohlwill starb 1962 im Alter von 83 Jahren. „Kaum je in meinem Leben sah ich eine solche Vitalität, die trotz schmerzlicher körperlicher Behinderung, die mit dem Alter ständig zunahm, überall erschien, wo auch immer etwas zu sehen, zu hören war oder Menschen zu treffen waren, die sie interessierten. Ausstellungseröffnungen, Konzerte, Theater und Ballett; Gretchen fehlte nirgendwo. Ganz zu schweigen von all den abendlichen Einladungen, die sie nie absagte, wenn es ihr nur einigermaßen gut ging. Sie war stets zu allem aufgelegt und hatte einen unbändigen Lebenshunger, der sogar mit dem Alter eher zu- als abnahm. Apropos Alter: sie wollte nichts davon wissen und hatte ein Recht dazu, denn im Grunde hat es das für sie nie gegeben. Wie viele müde, sogenannte ‚Junge Leute’ könnten sich beglückwünschen, wenn sie nur ein Fünkchen hätten von Gretchens Lebendigkeit, Schärfe und Urteilskraft, welche sich bis zuletzt bewahrt hat.“ (Eduard Bargheer in der Rede zur Gedächtnisausstellung) [3].
Das Selbstgrüblerische ihrer Künstlerinnenkollegin Anita Rée war Gretchen Wohlwills Sache nicht, so dass von ihr auch nur ein einziges Selbstportrait – bezeichnenderweise aus der Zeit um 1933 – existiert. Ihre Sujets waren Landschaften, Stillleben, figürliche Kompositionen, Portraits: In Ausdrucksform und Farbgebung blieb sie ihren Lehrern Matisse und Cézanne verpflichtet. Sie war stets auf der Suche nach der von Cézanne formulierten Harmonie parallel zur Natur: „Obwohl ich es aufgegeben habe, ‚vor der Natur’ zu malen, so sind es doch immer Erlebnisse aus der Natur, die ich versuche, übersetzt, auszudrücken“ [5]. In der abstrakten Malerei, wie sie nach 1945 im Umkreis von Willi Baumeister in Hamburg als zukunftsweisend betrachtet wurde, sah sie keine Lösung.
Wie Kritiken und Rezensionen zeigen, war Gretchen Wohlwill in den 20er und frühen 30er Jahren des 20. Jahrhunderts eine geschätzte Malerin und Graphikerin. Sie gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Hamburgischen Sezession und beteiligte sich an deren jährlichen Ausstellungen. Bis 1933 nahm sie an mindestens 15 Ausstellungen im In- und Ausland teil. Die Hamburger Kunsthalle und das Altonaer Museum kauften Bilder von ihr.
Gedenktafel, Foto: kulturkarte.de/Schirmer
Heute existiert ihr Werk nur noch in Fragmenten. Vieles, was sie bei ihrer Auswanderung Freunden zur Aufbewahrung gegeben hatte, fiel den Bomben zum Opfer. Der Teil ihrer Arbeiten aber, den sie für den wesentlichsten hielt, ging aus dem Versandlift verloren, der nach Kriegsende nach Portugal geschickt werden sollte. Arbeiten von Gretchen Wohlwill befinden sich in der Kunsthalle, im Altonaer Museum und im Museum für Hamburgische Geschichte. Der im Staatsarchiv aufbewahrte Nachlass ist 1989 an die Familie zurückgegangen.
1990 wurde eine Gedenkplatte an der Emilie-Wüstenfeld-Schule Bundesstraße 9 in Erinnerung an die jüdischen Lehrerinnen der damaligen Deutschen Oberschule für Mädchen, heute Emilie-Wüstenfeld-Schule angebracht.
Text: Brita Reimers
Zitate:
1 Gretchen Wohlwill: Lebenserinnerungen einer Hamburger Malerin. Bearbeitet von Hans-Dieter Loose. Hamburg 1984.
2 Mappe „Nachlass Ruben“. Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg, Handschriftenabteilung.
3 Zitiert nach.: Maike Bruhns (Hrsg.): Gretchen Wohlwill eine jüdische Malerin der Hamburgischen Sezession. Hamburg 1989.
4 Die Wandbilder wurden 1993 freigelegt und restauriert.
5 Geschriebene Selbstportraits. In: Der Kreis. Zeitschrift für künstlerische Kultur. Hrsg. v. d. Hamburger Bühnen, Nr. 10. 1933.
 

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Frauen, die in Hamburg Spuren hinterlassen haben
(Datenbank Stand: März 2024) Frauen stellen mindestens die Hälfte der Menschheit. Wenn es aber um Erinnerungen geht, sind es immer noch in der Mehrzahl Männer, die die Spitzenplätze einnehmen.

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Dezember 2023: Helga Schwarz

Wesentlich aktualisiert im Januar 2024: Emma Gertrud Eckermann
Januar 2024: Astrid Matthiae

Februar 2024: Gisela Engelin-Hommes, Barbara Ahrons

März 2024: Abel Margaretha Sophia Forsmann

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Die Zahlen allein für Hamburg sind ernüchternd: 2868 Verkehrsflächen sind nach Männern und Jungen (8) benannt (darin enthalten: Literarische Gestalten (86), frei gewählte männliche Vornamen (12) sowie nach Familien benannte Straßen (198). Letztere wurden zu den Männerstraßennamen zugezählt, weil hier in erster Linie die männlichen Familienangehörigen gemeint sind, die in vielen Fällen mit Namen genannt werden bzw. ihre Berufe aufgezählt werden).
Nur 474 Straßen sind nach Frauen und Mädchen (9) benannt. (Das sind 14% der nach Personen benannten Straßen. Darin enthalten sind: Literarische Gestalten (39), frei gewählte weibliche Vornamen (21) sowie nach Frauen und Männern benannte Straßen (66). Bei Letzteren handelt es sich in erster Linie um nachträglich nach Frauen mitbenannte Straßen, die ehemals nur nach den Nachnamen von bedeutenden männlichen Familienangehörigen benannt worden waren) (Stand: Januar 2024).

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Anzahl der Denkmäler und Erinnerungstafeln. Auch bei Ehrungen und Auszeichnungen wird oft an IHN und nur wenig an SIE gedacht.

Trotz aller Leistungen von Frauen scheint die Erinnerung an sie schneller zu verblassen, sind die Archive und Netze der Erinnerung besonders löchrig - erweist sich die Wertschätzung weiblichen Wirkens als gering. Wie oft heißt es, wenn auch Frauen geehrt werden könnten:

„Uns ist dazu keine Frau von Bedeutung bekannt!“

Ein Argument, das in Zukunft keine Chancen hat, denn es gibt jetzt diese Datenbank. Eine Bank, die ihren Anlegerinnen und Anlegern hohe Renditen verspricht, denn das Kapital ist das historische Wissen. Geschöpft aus Archivmaterialien, Lexika, Zeitungsartikeln und –notizen, aus veröffentlichten Biografien, zusammengetragen und erforscht von Einzelpersonen etc., bietet die Datenbank die beste Voraussetzung für eine hohe gesellschaftliche Wirksamkeit - im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Die Früchte dieser Datenbank sollen die Bedeutung von Frauen für Hamburgs Geschichte leicht zugänglich machen und selbstverständlich in den Alltag von heute tragen.

Im Mittelpunkt stehen verstorbene Frauen, die in Hamburg gewirkt und/oder gewohnt und die Spuren hinterlassen haben. Das können Autorinnen, Schauspielerinnen, Wohltäterinnen, Kneipenwirtinnen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, bildende Künstlerinnen, Sängerinnen, Unternehmerinnen, Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Juristinnen, Journalistinnen, Widerstandkämpferinnen gegen und Opfer des NS-Regime etc. sein – aber auch Täterinnen.

Wir stellen keineswegs nur „prominente“ Frauen oder hehre Vorbilder vor – sondern auch das Wirken und Leben der „kleinen Frau“ auf der Straße, die oft im Stillen gearbeitet hat, für die Familie, die Stadt, die Partei, die Kunst, für sich.

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