Namens-/Sachregister

Frauenbios

Ingrid Liermann

(18.4.1926 Hamburg - 11./12.6.2010 Hamburg)
Unternehmerin, Gegnerin und Opfer des Nationalsozialismus
Feuerbergstraße
Budapester Straße 38 (Wirkungsstätte: IKA-Stuben)
Bestattet: Öjendorfer Friedhof, Manshardtstraße 200, Grablage: 205-02-384
Ingrid Liermann kam als Tochter des ledigen Dienstmädchens Ida Erna Anna Liermann 1926 in armen Verhältnissen zur Welt. Die Chancen auf Bildung und ein gutes Einkommen standen für das Mädchen zu Beginn seines Lebens nicht gut. Während die Hamburger Wirtschaft insgesamt bis 1929 wieder boomte, kämpfte Ida Liermann um ihre und die Existenz ihrer Tochter. Da sie vom Dienstherren geschwängert war verlor die damals 17-jährige Ida Liermann noch während der Schwangerschaft ihre Unterkunft und Arbeit. Mutter und Tochter zogen in der Folgezeit häufig um und Ida Liermann versuchte sich ein Auskommen mit Gelegenheitsarbeiten, wie z.B. als Reinemachefrau zu sichern. Durch das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz erhielten uneheliche Kinder seit 1924 automatisch einen Amtsvormund. Die alleinige elterliche Gewalt der Mutter zu übertragen schien in der Weimarer Republik undenkbar. Nach 1934 hatte dies fatale Folgen für Ingrid. 1934 war die NS-Täterin Käthe Petersen (1903-1981) in der Hamburger Sozialbehörde als Sammelpflegerin für sog. "geistig gebrechliche" bzw. "gemeinschaftswidrige " Frauen tätig und verfügte nicht selten die Sterilisation ihrer Mündel. "Unerbittlich kämpfte sie ( Käthe Petersen, K.N.) für eine weitergehende der Vormund- und Pflegschaften bei den staatlichen Ämtern und für die Verdrängung privater Vormünder und Pfleger aus ihren ehrenamtlichen ausgeübten Stellungen, weil diese zu schwach gegenüber ihren weiblichen Mündeln und pädagogisch unfähig sein." [1]Ingrid Liermann unterstand also der Sammelpflegschaft Käthe Petersens, für die Zwang und Gewalt Mittel waren zu selektieren und NS-Werte durchzusetzen. [2]
Nach der Machtübernahme 1933 veränderte sich aber auch das unmittelbare Wohnumfeld von Ida Liermann und ihrer Tochter Ingrid. Bei einer Alsterfahrt auf einem Kanu erlebte Ingrid als kleines Mädchen wie Kommunisten und Nationalsozialisten sich mit Paddeln schlugen. Ida Liermann war während der Zeit des Nationalsozialismus Sympathisantin der Kommunisten. Die Heirat mit einem NSDAP-Anhänger verhinderte nach Ingrids Ansicht vermutlich, dass ihre Mutter inhaftiert wurde. Im Gängeviertel, wo Mutter und Tochter in den 30iger Jahren wohnten erlebt Ingrid wie ihre Spielkameradin, die jüdischer Herkunft war, von einem Tag auf den anderen verschwand. Die Deportation jüdischer Mitbürger mag der Grund dafür gewesen sein, dass Ida Liermann den Namen von Ingrids Erzeuger nicht preisgab. Er war Jude.
Als Ingrid mit 13 Jahren im Pflichtjahr den Dienst bei einem Bauern, der sie sexuell bedrängte verweigerte, galt sie als auffällig. Sie war wie andere Mündel wie eine moderne Leibeigene, "[...] deren Wert, zumal wenn sie zwangsasyliert waren, nur noch in ihrer Arbeitskraft bestand." [3] Was nun folgte war die stetige Verweigerung Ingrids sich in diese verordnete Arbeitspflicht und unter das NS-Frauenbild unterzuordnen. Dieses Frauenbild bestand in der Vorbereitung der Frauen auf die Rolle als Ehefrau und Mutter im Haushalt. Durch ihre Orientierung auf Frauen geriet Ingrid außerdem in Wiederspruch zu diesem Frauenbild. Als bekannt wurde, dass sie sich zu anderen Mädchen hingezogen fühlte wurde sie im Heim bestraft: "Liermann kalt (baden, K.N.)" hieß es dann. [4]
Mehrere Zwangsaufenthalte in der Averhoffstraße, in der Feuerbergstraße und ab 1942 im sog. "Versorgungsheim" Farmsen und Ausbrüche führten bei Wiederergreifung zu Dunkelarrest.5 Als am 3. Mai 1945 die Hansestadt an die Briten übergeben wird ist Ingrid vor der Verfolgung durch Käthe Petersen noch nicht sicher. Bis März 1947 versuchte die NS-Täterin Petersen ihr Mündel wieder in Farmsen zwangsweise unterzubringen. Ingrid gelang es jedoch unterzutauchen. Mit ihrer Volljährigkeit im Alter von 21 Jahren endete vermutlich der Versuch von Käthe Petersen ihr Mündel im ehemaligen Versorgungsheim Farmsen zwangsweise unterzubringen. [6]
Ingrid Liermann und Freundin, Foto aus: Homosexuellenverfolgung in Hamburg 1919-1969. Bernhard Rosenkranz, Ulf Bollmann, Gottfried Lorenz, Hamburg 2009, S. 193
In den 50er Jahren kellnerte sie in den Ika-Stuben, einem Lokal, in dem sich Frauen trafen und liebten. Anfang der 60er Jahre übernahm sie die Ika-Stuben und baute ein Lokal auf, in dem Frauen aus ganz Europa Urlaub machten. In dieser repressiven Zeit, in der die Frauenrolle ausschließlich auf Ehe, Kirche, Haushalt und Familie ausgerichtet war lebten frauenliebende Mädchen und Frauen nur sehr versteckt. In den Ika-Stuben unter der Leitung von Ingrid und ihrer Lebensgefährtin Helga war es nun möglich sich frei zu bewegen und dem Versteckspiel ein Ende zu bereiten. Im Alltag war es Frauen in den 50er und 60er Jahren beispielsweise nicht möglich einen Anzug zu tragen oder als Frauenpaar zu tanzen.Ingrid zog es vor trotzdem einen Anzug auf der Straße zu tragen und war deshalb immer wieder Anfeindungen und Beschimpfungen ausgesetzt. Als sie einmal mit ihrer Freundin Helga im Alsterpavillon tanzen ging, wurden sie aufgefordert das Lokal sofort zu verlassen. [7] Frauenpaare wurden in der frühen BRD nicht geduldet.
Während ihrer Zeit in den Ika-Stuben war Ingrid stets für andere da. Nicht nur für die Besucherinnen des Lokals sondern auch für andere Bedürftige. Sie hat ihre Freigiebigkeit nie in den Vordergrund gestellt, nach dem Motto: "Das tut man, darüber spricht man nicht." [8] Als in Hamburg eine Wiedergutmachung für NS-Verfolgte erfolgte, zögerte sie nicht auch zugunsten einer weiteren Betroffenen Aussagen über die Zeit der NS-Verfolgung zu machen und verhalf dieser zu einer Beihilfe. Sie selbst erhielt ebenfalls eine Beihilfe für Menschen, die von NS-Unrecht betroffen waren. Diese Beihilfe gewährte nur die Freie und Hansestadt Hamburg, nicht der Bund. Bis zu ihrem Lebensende im Juni 2010 war Ingrid Liermann ein freigiebiger und großherziger Mensch, der sich für andere stark machte.
Text: Katja Nicklaus
1 Christiane Rothmaler, Die Sozialpolitikerin Käthe Petersen, in: Angelika Eibbinghaus (Hrsg.), Opfer und Täterinnen. Frauenbiografien im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1996, S. 107.
2 Zu den Mitteln und Maßnahmen mit denen Käthe Petersen diese Ziele verwirklichte und zu ihrer weiteren Biografie vgl. Rothmaler, Die Sozialpolitikerin Käthe Petersen, S. 98-123.
3 Rothmaler, Die Sozialpolitikerin Käthe Petersen, S. 107.
4 Aus einem Gespräch der Autorin mit Ingrid Liermann.
5 Interview mit Ingrid Liermann durch Petra Vollmer am 23.11.1994, S. 25 und auch Gespräche zwischen Ingrid Liermann und Katja Nicklaus.
6 StaHH 352-12, Gesundheitsbehörde Sonderakten, Ablieferung 1, Nr. 961. Hier Angaben zur Verfolgung von Käthe Petersen nach 1945.
7 Gespräch zwischen der Autorin und Ingrid Liermann.
8 Aus einem Gespräch zwischen Ingrid Liermann und Katja Nicklaus
 

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Frauen, die in Hamburg Spuren hinterlassen haben
(Datenbank Stand: März 2024) Frauen stellen mindestens die Hälfte der Menschheit. Wenn es aber um Erinnerungen geht, sind es immer noch in der Mehrzahl Männer, die die Spitzenplätze einnehmen.

Hammonia

Hamburger Frauenbiografien-Datenbank

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Stand März 2024: 1316 Kurzprofile von Frauen und 437 sonstige Einträge z. B. Vereine, Aktionen, Zusammenschlüsse und Überblicksdarstellungen zu Themen der Frauenbewegungen.

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Wesentlich aktualisiert im Januar 2024: Emma Gertrud Eckermann
Januar 2024: Astrid Matthiae
Februar 2024: Gisela Engelin-Hommes, Barbara Ahrons
März 2024: Abel Margaretha Sophia Forsmann
Wesentlich aktualisiert im März 2024: Albertine Kruse

Was erwartet Sie in der Frauenbiografie-Datenbank?

Die Zahlen allein für Hamburg sind ernüchternd: 2868 Verkehrsflächen sind nach Männern und Jungen (8) benannt (darin enthalten: Literarische Gestalten (86), frei gewählte männliche Vornamen (12) sowie nach Familien benannte Straßen (198). Letztere wurden zu den Männerstraßennamen zugezählt, weil hier in erster Linie die männlichen Familienangehörigen gemeint sind, die in vielen Fällen mit Namen genannt werden bzw. ihre Berufe aufgezählt werden).
Nur 474 Straßen sind nach Frauen und Mädchen (9) benannt. (Das sind 14% der nach Personen benannten Straßen. Darin enthalten sind: Literarische Gestalten (39), frei gewählte weibliche Vornamen (21) sowie nach Frauen und Männern benannte Straßen (66). Bei Letzteren handelt es sich in erster Linie um nachträglich nach Frauen mitbenannte Straßen, die ehemals nur nach den Nachnamen von bedeutenden männlichen Familienangehörigen benannt worden waren) (Stand: Januar 2024).

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Anzahl der Denkmäler und Erinnerungstafeln. Auch bei Ehrungen und Auszeichnungen wird oft an IHN und nur wenig an SIE gedacht.

Trotz aller Leistungen von Frauen scheint die Erinnerung an sie schneller zu verblassen, sind die Archive und Netze der Erinnerung besonders löchrig - erweist sich die Wertschätzung weiblichen Wirkens als gering. Wie oft heißt es, wenn auch Frauen geehrt werden könnten:

„Uns ist dazu keine Frau von Bedeutung bekannt!“

Ein Argument, das in Zukunft keine Chancen hat, denn es gibt jetzt diese Datenbank. Eine Bank, die ihren Anlegerinnen und Anlegern hohe Renditen verspricht, denn das Kapital ist das historische Wissen. Geschöpft aus Archivmaterialien, Lexika, Zeitungsartikeln und –notizen, aus veröffentlichten Biografien, zusammengetragen und erforscht von Einzelpersonen etc., bietet die Datenbank die beste Voraussetzung für eine hohe gesellschaftliche Wirksamkeit - im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Die Früchte dieser Datenbank sollen die Bedeutung von Frauen für Hamburgs Geschichte leicht zugänglich machen und selbstverständlich in den Alltag von heute tragen.

Im Mittelpunkt stehen verstorbene Frauen, die in Hamburg gewirkt und/oder gewohnt und die Spuren hinterlassen haben. Das können Autorinnen, Schauspielerinnen, Wohltäterinnen, Kneipenwirtinnen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, bildende Künstlerinnen, Sängerinnen, Unternehmerinnen, Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Juristinnen, Journalistinnen, Widerstandkämpferinnen gegen und Opfer des NS-Regime etc. sein – aber auch Täterinnen.

Wir stellen keineswegs nur „prominente“ Frauen oder hehre Vorbilder vor – sondern auch das Wirken und Leben der „kleinen Frau“ auf der Straße, die oft im Stillen gearbeitet hat, für die Familie, die Stadt, die Partei, die Kunst, für sich.

Darüber hinaus präsentieren wir Ihnen auch Orte, Einrichtungen, Vereine und Themen, die für Frauen von historischer Bedeutung waren und sind.

An dieser Datenbank wird kontinuierlich gearbeitet. Es werden laufend neue Namen und Rechercheergebnisse eingestellt.

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Die einzelnen Frauen sind in der Regel mit einer Adresse verzeichnet – für ihre Wohnung bzw. ihren Wirkungsort. Mehrere Umzüge und Ortswechsel können in der Regel nicht recherchiert werden.

Achtung: Die Namen und Verläufe von Straßen haben sich oft verändert. Wer wissen möchte, wo bestimmte Hausnummern heute zu finden sind, muss alte Stadtpläne oder u. U. Grundbucheintragungen einsehen. Es gibt beim Statistikamt Nord einen alte Kartei der so genannten "Hausnummerhistorien", in der sich alte und neue Hausnummern gegenüberstehen. Bei Umnummerierungen von Hausnummern aber auch bei Umbenennungen von Straßennamen kann hier eine raschere Auskunft möglich sein, als über den Vergleich von alten und neuen Lageplänen (freundliche Auskunft von Jörg-Olaf Thießen Staatsarchiv Hamburg). Wer dann noch nicht weiter kommt, sollte sich an das Staatsarchiv wenden. Viele Stadtpläne sind bereits online einsehbar.

Verantwortlich für die Datenbank:

Dr. Rita Bake
stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg a. D.
Gründerin des Gartens der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Die Datenbank wurde von ihr zusammengestellt und wird laufend von ihr ergänzt und erweitert.
Diverse Frauenbiografien sind von verschiedenen Autorinnen und Autoren verfasst worden. Die Namen der Autorinnen und Autoren finden Sie jeweils am Ende ihrer Beiträge. Es gibt auch eine Rubrik: Autorinnen und Autoren, in der Sie deren biografische Angaben finden.

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