Namens-/Sachregister

Frauenbios

Emily Ruete

(30.8.1844 Sansibar - 29.2.1924 Jena)
Schriftstellerin
An der Schönen Aussicht 29 (Wohnadresse)
Als Frau multipler Identitäten war die Hamburgerin Emily Ruete, geborene Sayyida Salme bint Said ibn Sultan, Prinzessin von Oman und Sansibar, eine ambivalente Denkerin und eine mutige Frau. Ihre Mutter, Jilfidan, war eine kaukasische Frau, die durch Zwangsmigration zu einer der Ehefrauen des Sultans wurde.
Salmes Geburtshaus Bet il Mtoni ist der älteste Palast auf Sansibar und liegt direkt am Meer. Sie lebte dort bis zu ihrem fünfzehnten Lebensjahr zusammen mit ihrer Mutter, ihren Halbgeschwistern und deren Müttern – circa 75 Frauen und Kinder – im Harem des Sultans. In dem multikulturellen Reich im Indischen Ozean lebten Menschen fast aller Weltregionen (Afrika, Oman, Indien und Europa) zusammen. Europäer*innen, die wirtschaftliche Interessen durchzusetzen suchten, verglichen Sansibar mit Paris.
Im Jahr 1866 migrierte Salme heimlich an Bord eines englischen Kriegsschiffs nach Hamburg, dem Geburtsort ihres zukünftigen Ehemannes Rudolph Heinrich Ruete, wo sie in einer Villa an der Schönen Aussicht 29 lebte. Für diese Reise gab sie ihren Status als Prinzessin des Osmani-Sansibarischen Reiches auf. Während der dreimonatigen Schifffahrt verlor sie ihr erstes Kind, konvertierte von einer Muslima zu einer Christin und ließ sich in Emily umtaufen. Sie gewann dadurch an sozialer Mobilität, doch die Anerkennung als gleiche Bürgerin blieb ihr, sogar innerhalb der Familie ihres Mannes, verwehrt.
Das Paar hatte drei weitere Kinder: Antonie (1868), Rudolph (1869) und Rosalie (1870). Im Jahr 1870 verwitwete sie. Ihr wurde zuerst in Sansibar und später in Hamburg und London ihre Erbschaft aberkannt. Auch später durfte sie ihr Vermögen nicht selbst verwalten und wurde juristisch entmündigt. Sie zog 1872 weiter nach Dresden, Darmstadt, Köln, Rudolstadt und Berlin. Im Jahr 1888 emigrierte sie nach Jaffa und Jerusalem und lebte von 1892 bis 1914 in Beirut. Später kam sie zurück nach Deutschland und starb im Beisein ihrer deutschen Kinder in Jena.
Um eine neue Finanzierungsquelle für das Leben ihrer Kinder zu suchen, hatte Ruete zunächst Arabischunterricht erteilt. Im Jahr 1886 verfasste sie ihre Autobiografie Memoiren einer arabischen Prinzessin in zwei Bänden auf Deutsch. Zuvor hatte sie sich selbst das Lesen und Schreiben beigebracht in einer Zeit, in der Bildung für Frauen weltweit sozial geächtet und sogar untersagt war. Ihre Memoiren wurden zum Bestseller und mehrfach ins Englische übersetzt.
Mit diesem Werk gilt sie als Pionierin der arabischen und ostafrikanischen Literatur. Ihre Schriften werden mit einem Märchen von Eintausend und einer Nacht verglichen und beeinflussen auch heute eine Reihe von Romanen und Filmen deutscher Autor*innen.
Mit ihren Veröffentlichungen agierte Ruete als kulturelle Übersetzerin im deutschen Kolonialreich. Sie stellte der eurozentrischen Wahrnehmung des Osmani-Sansibarischen Reiches ihre eigene frauenzentrierte Erzählung gegenüber. Ihr war die Unvollständigkeit dieser ethisch-politischen Aufgabe bewusst. So schrieb sie: „[E]s wird mir doch nicht gelingen, die schiefen und falschen Ansichten, welche in Europa und besonders in Deutschland über die Stellung einer arabischen Frau gegenüber ihrem Manne im Schwunge sind, gründlich auszurotten.“
Die Kosmopolitin Ruete hatte in der deutsch-tansanischen Kolonialzeit eine zwiespältige Position inne, die sie wie folgt beschrieb: „Eine schlechte Christin und etwas mehr als eine halbe Deutsche!“. Otto von Bismarck nutzte Ruetes Position aus, als er ihr 1885 die Reiseerlaubnis nach Sansibar erteilte, um wirtschaftliche Vorteile für deutsche Firmen und Gesellschaften vor Ort zu sichern. Nach fast zwanzig Jahren Abwesenheit besuchte Ruete mit ihren Kindern ihren Geburtsort. Einige Wochen später musste sie auf Befehl des Auswärtigen Amtes Sansibar verlassen.
Ihre Namensänderung und ihre religiöse und kulturelle Konversion reichten nicht aus, um das Gefühl der Heimatlosigkeit abzulegen. Sie berichtete von der Gastfreundschaft, die sie außerhalb Hamburgs erfuhr, nannte sich jedoch „nur ein[en] Fremdling in Deutschland“. Trotz Sprachkenntnissen sowie der finanziellen, politischen und intellektuellen Beiträge, die sie leistete, erfuhr sie Diskriminierung in vielerlei Formen. Sie berichtete über Exotisierungserfahrungen und erlebte Erniedrigungen seitens von Behörden und Institutionen. Doch lehnte sie weder die deutsche Kultur ab, noch grenzte sie sich vom Kolonialismus und Rassismus ab.
Zur Zeit ihres Lebens wurde der anti-Schwarze Rassismus zum gemeinsamen Nenner einer globalen Kultur der Entmenschlichung: Während Europa die sogenannte Rassenlehre lehrte, wurden auf Sansibar Menschen regelmäßig auf den Markt verkauft. Als Prinzessin besaß sie Plantagenarbeitende und zahlreiche dienende Menschen, über welche sie sich in ihren Memoiren abscheulich äußert. Als Bürgerin der Hansestadt profitierte Ruete von der Versklavungsökonomie auf Sansibar, da ein Drittel der Exporte der sansibarischen Plantagen nach Hamburg gingen. Unterschiedliche Versklavungsverhältnisse wurden sowohl von ihrem Vater, dem Sultan Said, seinem Sohn, Madschid, Ruetes Bruder und späteren Sultan von Sansibar, als auch von den europäischen Kolonialmächten (Portugal, Deutschland, England) und ihren Kolonialunternehmen in allen Bereichen der Gesellschaft vorangetrieben.
Ruetes Schriften sind zugleich Zeugenschaft und Quelle des Rassismus, sowohl im globalen Süden als auch im globalen Norden. Sie beschreibt ihren privilegierten doch streng regulierten Status im patriarchalen Reich und erzählt von ihren Erfahrungen des Sexismus und der rassistisch motivierten Ausgrenzung. Gleichzeitig traf sie rassistische Aussagen und bediente sich erniedrigender Begriffe, um gegen die Befreiung versklavter Menschen zu argumentieren. Sie sagte aber auch, dass eine Beendigung der Versklavungsökonomie mehr als ein moralisches Urteil benötige: Nur eine allumfassende Veränderung der Gesellschaft könne die Arbeitsrechte und die Freiheit in der Gleichheit von Menschen sichern, um die illegale Fortsetzung von Versklavungsverhältnissen absolut zu verhindern.
Die Schriftstellerin Ruete war eine subalterne Frau, d. h. eine Frau aus einem kolonialisierten Gebiet, die Rassismus in Hamburg erfuhr. Gleichzeitig war sie eine aristokratische nicht-weiße Frau, die Rassismus gegen Schwarze Menschen reproduzierte. Eine kritische Erinnerungskultur an die feministische Bedeutung Salmes/Ruetes Biografie erkennen diese Widersprüche an.
Ihr Leichnam wurde nach Hamburg zurückgebracht und neben ihrem Mann auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt.
Text: Dr. Tania Mancheno
 

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Frauen, die in Hamburg Spuren hinterlassen haben
(Datenbank Stand: März 2024) Frauen stellen mindestens die Hälfte der Menschheit. Wenn es aber um Erinnerungen geht, sind es immer noch in der Mehrzahl Männer, die die Spitzenplätze einnehmen.

Hammonia

Hamburger Frauenbiografien-Datenbank

Erklärung zur Datenbank

Stand März 2024: 1316 Kurzprofile von Frauen und 437 sonstige Einträge z. B. Vereine, Aktionen, Zusammenschlüsse und Überblicksdarstellungen zu Themen der Frauenbewegungen.

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Zuletzt eingetragene Namen

Wesentlich aktualisiert im Januar 2024: Emma Gertrud Eckermann
Januar 2024: Astrid Matthiae
Februar 2024: Gisela Engelin-Hommes, Barbara Ahrons
März 2024: Abel Margaretha Sophia Forsmann
Wesentlich aktualisiert im März 2024: Albertine Kruse

Was erwartet Sie in der Frauenbiografie-Datenbank?

Die Zahlen allein für Hamburg sind ernüchternd: 2868 Verkehrsflächen sind nach Männern und Jungen (8) benannt (darin enthalten: Literarische Gestalten (86), frei gewählte männliche Vornamen (12) sowie nach Familien benannte Straßen (198). Letztere wurden zu den Männerstraßennamen zugezählt, weil hier in erster Linie die männlichen Familienangehörigen gemeint sind, die in vielen Fällen mit Namen genannt werden bzw. ihre Berufe aufgezählt werden).
Nur 474 Straßen sind nach Frauen und Mädchen (9) benannt. (Das sind 14% der nach Personen benannten Straßen. Darin enthalten sind: Literarische Gestalten (39), frei gewählte weibliche Vornamen (21) sowie nach Frauen und Männern benannte Straßen (66). Bei Letzteren handelt es sich in erster Linie um nachträglich nach Frauen mitbenannte Straßen, die ehemals nur nach den Nachnamen von bedeutenden männlichen Familienangehörigen benannt worden waren) (Stand: Januar 2024).

Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Anzahl der Denkmäler und Erinnerungstafeln. Auch bei Ehrungen und Auszeichnungen wird oft an IHN und nur wenig an SIE gedacht.

Trotz aller Leistungen von Frauen scheint die Erinnerung an sie schneller zu verblassen, sind die Archive und Netze der Erinnerung besonders löchrig - erweist sich die Wertschätzung weiblichen Wirkens als gering. Wie oft heißt es, wenn auch Frauen geehrt werden könnten:

„Uns ist dazu keine Frau von Bedeutung bekannt!“

Ein Argument, das in Zukunft keine Chancen hat, denn es gibt jetzt diese Datenbank. Eine Bank, die ihren Anlegerinnen und Anlegern hohe Renditen verspricht, denn das Kapital ist das historische Wissen. Geschöpft aus Archivmaterialien, Lexika, Zeitungsartikeln und –notizen, aus veröffentlichten Biografien, zusammengetragen und erforscht von Einzelpersonen etc., bietet die Datenbank die beste Voraussetzung für eine hohe gesellschaftliche Wirksamkeit - im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit. Die Früchte dieser Datenbank sollen die Bedeutung von Frauen für Hamburgs Geschichte leicht zugänglich machen und selbstverständlich in den Alltag von heute tragen.

Im Mittelpunkt stehen verstorbene Frauen, die in Hamburg gewirkt und/oder gewohnt und die Spuren hinterlassen haben. Das können Autorinnen, Schauspielerinnen, Wohltäterinnen, Kneipenwirtinnen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen, bildende Künstlerinnen, Sängerinnen, Unternehmerinnen, Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen, Juristinnen, Journalistinnen, Widerstandkämpferinnen gegen und Opfer des NS-Regime etc. sein – aber auch Täterinnen.

Wir stellen keineswegs nur „prominente“ Frauen oder hehre Vorbilder vor – sondern auch das Wirken und Leben der „kleinen Frau“ auf der Straße, die oft im Stillen gearbeitet hat, für die Familie, die Stadt, die Partei, die Kunst, für sich.

Darüber hinaus präsentieren wir Ihnen auch Orte, Einrichtungen, Vereine und Themen, die für Frauen von historischer Bedeutung waren und sind.

An dieser Datenbank wird kontinuierlich gearbeitet. Es werden laufend neue Namen und Rechercheergebnisse eingestellt.

Wie nutzen Sie die Datenbank?

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Die einzelnen Frauen sind in der Regel mit einer Adresse verzeichnet – für ihre Wohnung bzw. ihren Wirkungsort. Mehrere Umzüge und Ortswechsel können in der Regel nicht recherchiert werden.

Achtung: Die Namen und Verläufe von Straßen haben sich oft verändert. Wer wissen möchte, wo bestimmte Hausnummern heute zu finden sind, muss alte Stadtpläne oder u. U. Grundbucheintragungen einsehen. Es gibt beim Statistikamt Nord einen alte Kartei der so genannten "Hausnummerhistorien", in der sich alte und neue Hausnummern gegenüberstehen. Bei Umnummerierungen von Hausnummern aber auch bei Umbenennungen von Straßennamen kann hier eine raschere Auskunft möglich sein, als über den Vergleich von alten und neuen Lageplänen (freundliche Auskunft von Jörg-Olaf Thießen Staatsarchiv Hamburg). Wer dann noch nicht weiter kommt, sollte sich an das Staatsarchiv wenden. Viele Stadtpläne sind bereits online einsehbar.

Verantwortlich für die Datenbank:

Dr. Rita Bake
stellvertretende Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung Hamburg a. D.
Gründerin des Gartens der Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof

Die Datenbank wurde von ihr zusammengestellt und wird laufend von ihr ergänzt und erweitert.
Diverse Frauenbiografien sind von verschiedenen Autorinnen und Autoren verfasst worden. Die Namen der Autorinnen und Autoren finden Sie jeweils am Ende ihrer Beiträge. Es gibt auch eine Rubrik: Autorinnen und Autoren, in der Sie deren biografische Angaben finden.

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