Vorab: Ist das eigentlich Klimaschutz?
Das Forschungsprojekt Klimafreundliches Lokstedt hatte das Ziel und den Auftrag, selbsttragende lokale Transformationsdynamiken durch Reallabore zu schaffen und dadurch Klimaschutz und Stadtteilentwicklung zu verbinden. Der Titel des Projekts „Klimafreundliches Lokstedt“ verdeutlicht den Anspruch langfristig einen gesamten Stadtteil klimafreundlich zu gestalten.
Die Herausforderung bestand in besonderem Maße darin, dass es sich bei diesem Stadtteil um ein gebautes Bestandsquartier handelt, bei dem Infrastrukturen, vorhandener Gebäudebestand und Alltagsroutinen der Bewohner:innen weitgehend stabil sind und einer Transformation tendenziell entgegenstehen. Es ging also darum, innerhalb der bestehenden Strukturen Ansatzpunkte für Transformationsprozesse zu entwickeln – und zwar in Zusammenarbeit von Universität, Bezirksamt, Stadtteilinitiativen und verschiedensten Praxispartner:innen.
Dabei stellt sich die Frage, in welchem Zusammenhang und auf welche Art und Weise die konkreten Wirkungen für den Klimaschutz dargestellt und „gemessen“ werden können. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung besteht vielfach die Erwartung der Angabe eines konkreten Einsparpotenzials in CO2.
Die Reduzierung auf konkrete CO2-Einsparungen greift zu kurz
Dieser enggeführten Erwartungshaltung konnte und sollte auf der Ebene der Stadtentwicklung allerdings nicht entsprochen werden. Klimaschutz im Kontext einer nachhaltigen Stadtteilentwicklung ist deutlich vielschichtiger und bedarf einer differenzierten Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven. Eine Reduzierung der Bewertung auf konkrete CO2-Einsparungen greift daher zu kurz, denn es geht zunächst darum, auf unterschiedlichen Ebenen überhaupt die Grundlagen für die Transformation zu schaffen.
Klimaschutz und Klimaanpassung als Beitrag zu einer nachhaltigeren Stadtteilentwicklung bedeuten zunächst eine übergreifende gesellschaftliche Veränderung, die sowohl die Verwaltung, die Politik wie auch die Bevölkerung umfasst. Materielle Elemente der Stadt, wie z.B. Gebäude, lassen sich relativ einfach klimafreundlicher erstellen. Das gilt allerdings vor allem bei Neubauten. Wenn ein bestehendes Gebäude involviert ist, das für den Neubau abgerissen werden muss, stellt sich bereits die Frage, in welchem Maße dieses in einer Gesamtbetrachtung noch als klimafreundlich bezeichnet werden kann.
Transformationen müssen vorbereitet und langfristig begleitet werden
Für eine tiefgreifende Veränderung von Stadtteilen in Richtung Klimafreundlichkeit bedarf es vielmehr eines umfassenderen Transformationsprozesses, der angefangen, vorbereitet, fortgesetzt und vor allem fortlaufend durchgeführt werden muss. Auch bestehende Entscheidungsstrukturen und Entscheidungsprozesse müssen dafür immer wieder hinterfragt werden. Dieses meint insbesondere die Strukturen und Prozesse in der Verwaltung und der Politik, aber auch die Praktiken der Bewohner:innen vor Ort. Es muss dabei gelingen, Lösungsansätze zu generieren, die Klimaschutz mit lokalen Zielen für die Stadtteilentwicklung verbinden und zusätzliche Qualitäten für die Alltagsorganisation der Bewohner:innen hervorbringen. Letztendlich geht es um (selbstverständliche und) nachhaltige Änderungen der Lebensgewohnheiten und Anpassungen der Bedürfnisse, verbunden mit einem langfristigen Bewusstseinswandel.
Vernetzung sorgt für Synergieeffekte und langanhaltende Wirkung
Eine dichte Vernetzung von zivilgesellschaftlichen, wissenschaftlichen, politischen, Verwaltungs- und weiteren städtischen Akteuren schafft dabei wichtige Voraussetzungen für die Transformation im Sinne von dauerhaften Strukturveränderungen zur systematischen Verbindung von Klimaschutz und Stadtteilentwicklung. Auf diesem Wege können Synergieeffekte und langanhaltende Wirkungen erzeugt werden, da die jeweilige Veränderung nicht mehr isoliert, einzeln oder erzwungen angesehen wird, sondern als gemeinschaftliche Verbesserung aus dem Quartier oder Stadtteil heraus.
Es wurde immer wieder deutlich, dass der Klimaschutz allein für die Akteur:innen nicht als Handlungsmotivation ausreicht. Für eine selbsttragende Dynamik muss stärker an anderen lokal vorherrschenden Qualitäten und Logiken angesetzt werden. Es geht darum, in den Modus des gemeinschaftlichen Umsetzens zu kommen. Dazu ist es notwendig, Vertrauen aufzubauen und Missverständnisse aufzuklären. Ganz zentral ist dabei, dass Aktivitäten mit einer gewissen Dauerhaftigkeit und Langfristigkeit und tatsächlich konkret vor Ort gefördert und begleitet werden, statt von irgendwo anders her initiiert und nur punktuell umgesetzt zu werden. Der Klimaschutz und die Motivation, sich daran zu beteiligen, müssen vor Ort entstehen und breit getragen werden. Durch eine frühzeitige Einbindung auf lokaler Ebene kann zudem die Akzeptanz für Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen wachsen und eine aktive Träger:innenschaft für transformative Maßnahmen gefördert werden.
Weiterhin muss der Klimaschutz langfristig in die Kernaufgaben aller Abteilungen in der Verwaltung, in die Vereinbarungen mit öffentlichen Trägern (Lenzsiedlung e.V.), in die Überlegungen von Vereinen und Stadtteilinitiativen eingebaut werden, damit dieses nicht immer als eine Zusatzaufgabe angesehen wird.
Gesellschaftliche Voraussetzungen sind zentral für die Umsetzung auf lokaler Ebene
Im Ergebnis können die Projektresultate daher nicht an einer tatsächlichen oder vermuteten CO2-Einsparung gemessen oder dargestellt werden, sondern an der Schaffung der gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine Transformation auf der lokalen Ebene: Vertrauen, Kommunikations- und Kompromissfähigkeit, Flexibilität, Einsatzbereitschaft, gegenseitige Kenntnis und Verständnis sowie eine wachsende Vernetzung. Die Akteur:innen vor Ort werden somit zur Grundlage für klimafreundliche Transformationsprozesse.
Dieses stellt letztendlich eine Kernanforderung für die Planung, Anwendung und vor allem Durchführung von Klimaschutz dar und erleichtert die Umsetzung der Maßnahmen aus dem gesamtbezirklichen integrierten Klimaschutzkonzept, insbesondere durch eine geänderte Anspruchs- und Erwartungshaltung bei der lokalen Bevölkerung und den lokalen Initiativen.
Überblick über die Ergebnisbausteine der Projektlaufzeit
Im Einzelnen sind im Laufe der vergangenen zwei Jahren der Projektlaufzeit mit dieser Perspektive eine Vielzahl an Aktivitäten und Forschungen durchgeführt worden. Es wurden Prozesse der Stadtentwicklung begleitet, lokale Vorhaben von Initiativen, Partner:innen und Institutionen unterstützt und eigene Ideen umgesetzt. Die dabei gemachten Erfahrungen und generierten Erkenntnisse sind in acht Ergebnisbausteine geflossen. Sie skizzieren kurz und knapp die Relevanz des jeweiligen Themas für städtische Transformationsprozesse sowie die lokale Ausgangslage, fassen die Ergebnisse zusammen und geben einen Ausblick in Möglichkeiten des Transfers und der Übertragbarkeit.
- Doing Verkehrswende: Ein Großteil der globalen Emissionen fallen auf den Verkehrssektor. Die Verkehrswende stellt damit einen großen Hebel für Einsparungen dar. Wo sind Anknüpfungspunkte für auto-alternative Verkehrsmittel?
- Verkehrslabore: Neue Ansätze für die Verwaltungspraxis? Aktuell werden in Hamburg mehrere Verkehrslabore durchgeführt. Doch Blaupausen, wie die Prozesse im Detail gestaltet werden, gibt es (noch) nicht. Innerhalb des Forschungsprojektes wurden Interviews mit Akteur:innen aus Politik und Verwaltung geführt, wie sich die Einrichtung des Verkehrslabors Grelckstraße gestaltete.
- Gemeinsame Lastenräder im Quartier: Das Auto nimmt im Mobilitätsalltag vieler Menschen eine große Rolle ein. Können Lastenräder eine Möglichkeit bieten, die Funktionen des Autos stellenweise zu übernehmen? Und wie ist es möglich, ein kostenloses Quartierlastenrad anzuschaffen und bereitzustellen?
- Lebendige Quartiere durch Verkehrsberuhigung? Tragen Verkehrsberuhigungen dazu bei, Quartiere zu beleben oder benötigt es hierfür weitere oder andere Instrumente? Das Projektteam hat das Verkehrslabor in der Grelckstraße forschend begleitet und gemeinsam mit dem Bezirksamt Eimsbüttel den Lokstedter Marktplatz LOMA eingerichtet.
- Stadtteilklimaarbeit – Nachhaltige Dynamiken vor Ort stärken: Wie können klimafreundliche Prozesse in einem Stadtteil angestoßen und unterstützt werden? Seitens des Projektes haben wir ein lokales Projektbüro eingerichtet – die Ideenwerkstatt – um klimafreundliche Impulse zu setzen und zur Vernetzung im Stadtteil beizutragen.
- Auf dem Weg zum klimaneutralen Verein: Der Verein Lenzsiedlung e.V. hat sich auf den Weg gemacht, klimaneutral zu werden und wurde dabei vom Projekt begleitet. Der Baustein stellt die Entwicklung in der Lenzsiedlung dar und welche Hürden und Chancen auftauchen, wenn Klimaschutz und soziale Arbeit zusammengebracht werden wollen.
- Doing Transition – Reallabore brauchen eine aktive Zivilgesellschaft auch in Krisenzeiten: In Reallaboren kommen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, Stakeholder:innen und Bürger:innen zusammen, um vor Ort Veränderungsschritte zu entwickeln, auszuhandeln und umzusetzen. Zu einer grundsätzlichen Herausforderung dabei gehört es, Betroffene und Freiwillige so einzubinden, dass sie sich für Veränderungen engagieren. Was hindert Menschen vor allem in Krisenzeiten aktiv zu werden? Warum sind Reallabore ein sinnvoller Ansatz?
- Verwaltungshandeln in Transformationsprozessen: Welche Rolle nehmen Bezirksämter in Transformationsprozessen ein und welche Hürden ergeben sich dabei? In diesem Baustein werden die Schlüsse, die sich aus der Projektzusammenarbeit ergeben haben, dargestellt.
Darüber hinaus haben wir eine Handlungsanleitung zur Durchführung eines Tauschtages erstellt.
Weitere Erfahrungen sind in den Sammelband des Begleitvorhabens SynVerZ geflossen:
- Reallabore für urbane Transformation – Methoden, Akteure und Orte experimenteller und ko-produktiver Stadtentwicklung am Beispiel der BMBF-Zukunftsstadtforschung