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Erinnerungen an 1962

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Anfang 1962 war ich Leutnant (22 Jahre alt) und Zugführer in der 3. (Funk-) Kompanie des Fernmelde- Bataillons 3 in Buxtehude. Da mein Kompaniechef auf Chef-Lehrgang in Feldafing war, vertrat ich ihn.

Unermüdliche Einsätze der Bundeswehr Unermüdliche Einsätze der Bundeswehr, wie hier in Kirchdorf

Erinnerungen an 1962


Außer einem Reserve-Offizier war ich damals der einzige Offizier in der 200-Mann-Kompanie; die Züge wurden von erfahrenen Feldwebeln geführt und hatten bei je 10–12 Funktrupps meist nur einen weiteren länger dienenden Unteroffizier. Die meisten Funktrupps wurden von älteren Wehrpflichtigen – damals noch W12 – geführt.

Meine Frau und ich hatten gerade eine Wohnung in Buxtehude zugewiesen bekommen, wohnten aber noch nicht dort, sondern richteten sie noch ein – so auch am Tag vor der Flutkatastrophe. Am späten Abend – wenige Stunden, bevor die Deiche brachen – fuhren wir noch ahnungslos über die Wilhelmsburger Reichsstraße nach Altona zu meinen Schwiegereltern.

Mitten in der Nacht rief mich dann der Reserveoffizier an und sagte, die Kompanie sei alarmiert worden wegen einer Sturmflut. Ich nahm das nicht sonderlich ernst, denn Sturmfluten waren für mich als geborenen Altonaer etwas, wo man an die Elbe fuhr und sich den überfluteten Fischmarkt ansah.

Als dann am Morgen danach der Strom immer wieder ausfiel und ich auch keine telefonische Verbindung zur Kompanie mehr bekam, fuhr ich zunächst zur Standortkommandantur Hamburg, um  mir Informationen einzuholen – da gab es aber keine, denn auch dort gab es keinen Strom und man wusste nicht einmal, wo man sich ein Stromerzeuger-Aggregat hätte besorgen können.

Ich erfuhr allerdings irgendwo, dass die Elbbrücken gesperrt seien. Um zur Kompanie zu kommen, bin ich daher elbaufwärts bis zu einer Brücke gefahren – wahrscheinlich bei Geesthacht – und von dort nach Buxtehude. Dabei musste ich etliche Umwege nehmen, weil Straßen wegen Überflutung gesperrt waren – ein Stück fuhr ich sogar auf einer Deichstraße und rechts und links war nur Wasser.

Die meisten der Hals über Kopf in das Alte Land geschickten Soldaten der Kompanie waren schon zurück gekommen; später erzählten einige von besonderen Erlebnissen in dieser Nacht.

Ein Trupp fand in einem Bauernhof ein altes Paar, das sich auf dem Dachboden erhängt hatte, ein anderer ging in eine Kneipe, wo schon das Wasser um die Theke spülte, und fragte nach einem Schnaps zum Aufwärmen; der Wirt fragte noch nach Geld und bekam dann voll eine Faust als Bezahlung.

Die letzten zwei oder drei Soldaten kamen aber erst nach zwei oder drei Tagen zurück. Ihr 5-Tonner war zwischen zwei Deichbrüchen eingeschlossen worden; sie fanden den Weg zurück, indem einer – mit Seil gesichert – bis zu den Hüften im Wasser voranging und ertastete, ob da noch eine Straße war.

Gleichzeitig kamen Anforderungen an Funkverbindungen für die Bezirksregierung in Lüneburg zu den jeweiligen Deichgrafen von Lüneburg bis Cuxhaven – das Fernsprechnetz war zu großen Teilen durch die Flut ausgefallen.

So hieß es für die Zurückgekehrten „Duschen, Umziehen, Funktrupp klarmachen!“ Im provisorischen „Gefechtstand“ Unteroffizier-Unterhaltungsraum saßen derweil meine Zugführer, der Spieß und ich zusammen und machten die Funkpläne „aus dem hohlen Bauch“.

Die Trupps wurden mit einigen Zusatzkanistern für ihre Stromerzeuger-Aggregate und EPA (Einsatzverpflegung im Paket) ausgerüstet und bekamen dann so „klare“ Befehle wie „Fahrt nach ..., da soll ein Deichgraf sein, meldet Euch bei dem und nehmt Funkverbindung mit Lüneburg auf. Wenn was nicht klappt, Funkverbindung mit der Kompanie aufnehmen.“ Es klappte – damals noch mit Morsen auf Kurzwelle!

Einen besonderen Einsatz hatten die beiden Funkschreibtrupps mit zusätzlicher Flugfunkausrüstung. Der eine fuhr zum Wilhelmsburger Kreisel, an dem sich ein Gefechtstand für alle von Süden her eingesetzten Kräfte – Bundeswehr, NATO-Verbündete, Feuerwehren etc. gebildet hatte.

Der andere fuhr auf dem gleichen Umwege, den ich genommen hatte, über die Elbe zum Flughafen Fuhlsbüttel, von dem aus die Hubschrauber starteten. Die Anforderungen vom Wilhelmsburger Kreisel wurden nach Fuhlsbüttel gefunkt; die Feinsteuerung der Hubschrauber erfolgte dann vom Kreisel aus über Flugfunk.

Am zweiten (?) Tage nach der Katastrophe kam einer meiner Wehrpflichtigen zu mir und sagte, seine Eltern wohnten auf einer Elbinsel und er wisse nichts von ihnen. Er bekam einen zweiten Soldaten dazu und einen Unimog (ohne Fahrbefehl und ähnlichen Verwaltungskram) und durfte auf eigene Faust nach seinen Eltern suchen – mit Erfolg. Diese beiden waren nach ihren Aussagen die ersten Helfer überhaupt auf dieser Insel; der Hamburger Senat hatte sie anscheinend „vergessen“.

Nach einiger Zeit konnte ich dann auch einmal raus zu meinem Trupp am Wilhelmsburger Kreisel. Die Wilhelmsburger Reichsstraße war bis dicht an den Kreisel heran überflutet; mit großer Bugwelle kamen die 5-Tonner auf dieser aus dem Flutgebiet; einige hatten etwas unter Dachpappe auf der Ladefläche – Tote.

Auf dem Rückweg überholte ich dann mit dem Jeep mit blubberndem Auspuff kurz vor Buxtehude auf der überfluteten B73 (die ging damals noch nicht über die Umgehungsstraße auf der Geest) ein Paddelboot!

Die Funktrupps bei den Deichgrafen brauchten ihre EPA nicht; sie wurden von den Dorfbewohnern liebevoll mit Essen versorgt und nahmen sogar gerne die bei Soldaten so gefürchteten EPA ab.

Besonderes Glück hatte der Funktrupp, der dort stand, wo die Flut einen Frachter auf die Wiese im Deichvorland gespült hatte. Aus dem Binnenland kamen etliche „Bauern-Mercedes“ (180D mit AHK), um sich das anzusehen. Sie fuhren auch auf die völlig durchnässte Wiese und sackten prompt ein. Der Funktrupp war mit einem Schützenpanzer ausgerüstet; zum Herausschleppen der steckengebliebenen Schaulustigen hervorragend geeignet – aber unter dem Preis für einen Kasten Bier wurde der Motor des Schützenpanzers nicht angeworfen!

Was mich im Rückblick besonders beeindruckt war, welchen Einsatzwillen die Wehrpflichtigen zeigten. Im sonstigen Dienstbetrieb drückten sich viele gerne, besonders wenn sie körperlich gefordert wurden. Da ging man gerne zum Truppenarzt mit „Knieschmerzen“ etc.

Hier hatten die meisten von 200 Mann bei bitterer Kälte und Sturm stundenlang im Wasser gestanden und wurden kurz nach ihrer Rückkehr wieder gefordert – es gab nach meiner Erinnerung keinen einzigen Fall von schwerer Erkältung oder gar Grippe!

Als dann die Wilhelmsburger Reichsstraße wieder befahrbar war, sah ich von dort aus ein zweistöckiges Holzhaus, das auf der Seite lag – solche Wucht hatten die eindringenden Wassermassen gehabt.

Ich selbst konnte von dann an auch in Uniform durch das traditionell „rote“ Altona gehen, ohne dabei verbal angegriffen zu werden.


Ulf Koppitz – Online veröffentlicht am 29.02.2012

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