Fachwerk in den Marschlanden
Ländliche Idylle pur erwartet Besucher nur rund 15 Kilometer von Hamburgs Innenstadt entfernt: Reetdachhäuser mit frisch gestrichenem Fachwerk säumen den Allermöher Deich. Dort scheint die Geschichte des alten Bauerndorfes Allermöhe wieder aufzuleben. Aufwändig gestaltete Fassaden und Verzierungen der um 1900 entstandenen Häuser lassen erahnen, wie wohlhabend die einstigen Bewohner waren. Auch die liebevoll gepflegten Gebäude am Moorfleeter Deich und Kurfürstendeich erinnern an die Vergangenheit des Ortes, der keine drei Kilometer von Bergedorf entfernt ist. Das Gebiet liegt im nördlichen Teil des Schwemmlandes und wird südlich durch die Dove-Elbe, einem abgedeichten Seitenarm der Unterelbe, begrenzt.
Auf einer Fläche von 8,7 Quadratkilometer wohnen über 1.300 Menschen, und sie haben damit vergleichsweise viel Platz: So kommen in Allermöhe 160 Einwohner auf einen Quadratkilometer, während es in Hamburg 2.388 Einwohner sind. In dem historisch anmutenden Stadtteil ist der Anteil der jungen Leute relativ hoch: 19,2 Prozent der Allermöher sind unter 18 Jahre alt, in ganz Hamburg beträgt der Anteil 15,7 Prozent. Entsprechend leben dort verhältnismäßig viele Familien. Mehr als ein Drittel (35,2 Prozent) der Haushalte haben Kinder, während es in Hamburg 17,5 Prozent sind.
Zwischen Rock, Rudersport und Besinnlichkeit
Junge und Junggebliebene erfreuen sich alljährlich am dreitägigen Freiluft-Rockfestival Wutzrock, das am Eichbaumsee stattfindet. Es wurde erstmals 1979 zur Unterstützung der Jugendzentrumsbewegung „JUZ, aber dalli!“ veranstaltet. Hintergrund war, dass Ende der 1970er-Jahre in Hamburg zahlreiche Jugendzentren (JUZ) geschlossen wurden, so auch im Stadtteil Bergedorf. Allerdings hätte Bergedorf nach damaligen Gegebenheiten und einem Verteilerschlüssel der Stadt Hamburg – pro 30.000 Einwohner ein Jugendzentrum – mindestens drei Jugendzentren haben müssen. Wutzrock gehört zu der Vereinigung von Festivals, die unter dem Motto „Umsonst und draußen“ seit den 1970er-Jahren gegründet wurden. Bands wie Fehlfarben, Deichkind und die Beginner spielten dort schon vor rund 5.000 Zuschauern.
Sportlich geht es an der Dove-Elbe zu: Dort liegt das Wassersportzentrum Hamburg-Allermöhe, zu dem das Landesleistungszentrum der Ruder- und Kanusportler gehört. Der Landesruderverband am Allermöher Deich ist übrigens der älteste Regattaverein Deutschlands. Interessierte können sich in der Gemeinschaft einbringen, ob sie nun ihr Vergnügen eher im Wanderrudern, im ambitionierten Breitensport, Leistungssport oder als Fan des Rudersports finden.
Eine 2.000 Meter lange Regattastrecke ist an dem Standort für internationale Wettbewerbe ausgelegt. Sie war bereits mehrfach Austragungsort von Deutschen Meisterschaften im Rudern, Kanurennsport und Kanupolo. Auch wurde dort 1999 der Nations Cup, die damals noch inoffiziellen U23-Weltmeisterschaften der Ruderer, veranstaltet. Für 2011 hatten sich die Ruderer erfolgreich um eine Weltcup-Regatta beworben.
Besinnlichkeit verströmt die evangelisch-lutherische Dreieinigkeitskirche, die am 2. Februar 1614 geweiht wurde. Die Kirche war nicht die erste in Allermöhe. Eine Urkunde von 1331 erwähnt den Verkauf von Kirchenglocken aus Allermöhe, Billwerder und Moorfleet, um sturmflutgeschädigte Deiche reparieren zu können. Der hölzerne Glockenturm aus dem 15. Jahrhundert, der noch von der Vorgängerkirche stammt, gilt als ältestes erhaltenes Bauwerk der Marschlande.
Sehenswert ist zudem der Flügelaltar, den der Hamburger Bildhauer und Holzschnitzer Hein Baxmann 1613 und 1614 schuf. Neben der Kirche, beim Ehrenmal der Gefallenen des Krieges von 1914 bis 1918, haben zwei alte Eisenglocken ihren Platz gefunden. Die Kirche hatte sie 1925 als Ersatz für die im Ersten Weltkrieg abgelieferte Bieber-Glocke angeschafft.
Früh besiedelt
Um 1150 starteten Siedler damit, die Sumpfwildnis im gezeitenabhängigen Stromgebiet der Elbe zu kultivieren. Mit Hilfe von Zugezogenen aus Holland bauten sie dort die ersten Deiche.
Der Ort Allermöhe wurde erstmals 1162 erwähnt – als Ansiedlung mit dem Namen „Anremuthe“ in einer Urkunde der Ratzeberger Diözese. Zu Hochdeutsch bedeutet der Name „an der anderen Mündung“ und bezog sich auf seine Lage an der Dove-Elbe.
1395 kaufte Hamburg neben Bill-, Ochsen- und Moorwerder auch Allermöhe von Holstein-Rendsburg. 1410 richtete Hamburg die Landherrenschaft Bill- und Ochsenwerder ein, der Allermöhe ebenfalls zugeordnet wurde. Ein Ratsherr vertrat fortan die Interessen der Stadt und setzte vor Ort Landvögte ein, die mit polizeilicher Gewalt ausgestattet wurden. Nachdem der Ort Anfang des 15. Jahrhunderts durch einen Deich geschützt worden war, wurde auch die Dove-Elbe im Jahr 1471 eingedämmt; Ebbe und Flut hatten damit auf die Marsch keinen Einfluss mehr.
Allermöhe entwickelte sich seit dieser Zeit als lang gestrecktes Straßendorf entlang der Deichlinie, denn nur in diesem Bereich eignet sich der Untergrund zum Bau von Häusern. Die dahinter liegenden Flächen wurden landwirtschaftlich genutzt, so betrieben die Bauern auf dem fruchtbaren Marschboden ertragreichen Ackerbau. Da sie dort mit überschüssigem Regenwasser und hohem Grundwasserstand zu kämpfen hatten, entstand ein komplexes Grabennetz. Zudem bedrohten immer wieder Deichbrüche das Gebiet.
Einträchtiger Handel
Viele Einwohner verdienten gut, indem sie ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse – darunter Äpfel, Erdbeeren und Schnittblumen – vor allem ans nahe Hamburg verkauften. Bis heute versorgen Allermöher Landwirte Hamburg und andere Regionen Deutschlands unter anderem mit Stiefmütterchen, Rosen, Tulpen sowie Saison-Gemüsesorten – und vieles ist Bio.
1830 wurde die bisherige Landherrenschaft Bill- und Ochsenwerder zur Landherrenschaft der Marschlande umstrukturiert. Als erster größerer nicht-landwirtschaftlicher Betrieb siedelte sich am Ende des 18. Jahrhunderts eine Kattundruckerei im Ort an.
Bereits in den 1920er-Jahren wurde erstmals eine große Siedlung namens Billwerder-Allermöhe an der Eisenbahnlinie nach Bergedorf und Berlin geplant – aber damals nicht umgesetzt. In den 1970er-Jahren wurde das Projekt wieder aufgenommen, so dass ab 1982 die Siedlungen von Neu-Allermöhe in den Stadtteilen Bergedorf und Allermöhe gebaut wurden. Neu-Allermöhe West und Neuallermöhe Ost bilden seit 2011 den Stadtteil Hamburg-Neuallermöhe.
Zugleich erhielt Allermöhe ein kleines Gebiet südlich der A 25, während die nördlich der Autobahn gelegenen Gebiete der Siedlung Alt-Nettelnburg dem Stadtteil Bergedorf zugeordnet wurden. Durch die Ausgliederung der Wohngebiete sank die Einwohnerzahl in Allermöhe stark: von mehr als 15.300 in 2009 auf rund 1.300 bis heute.