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Lohbrügge

Ein Sandparadies in der Stadt

Der historisch gewachsene Stadtteil besticht mit seiner weitläufigen Dünenlandschaft. Auch sonst präsentiert sich Lohbrügge recht außergewöhnlich: Mit einem dicken Wasserturm, einem rekordhaften Graffiti und Norddeutschlands größter Faschingsparty.

Christoph Bellin / bildarchiv-hamburg.de

Der Stadtteil in Zahlen

Fläche

13 km²

Einwohnerzahl

41.295 (31. Dez. 2023)

Bevölkerungsdichte

3177 Einwohner/km²


Lindwurm aus Beton

Wer mit dem Auto über die Bundesstraße 5 nach Lohbrügge fährt, sollte sich nicht von den Gewerbebauten und der Lärmschutzwand am Rand abschrecken lassen. Wenig später verwandelt sich das triste Bild und vor einem breitet sich ein grüner Stadtteil mit gepflegten Einfamilienhäusern aus, der an der Grenze zu Bergedorf liegt.

Einige Einfamilienhausviertel und Großsiedlungen stehen sich in dem 13 Quadratkilometer großen Gebiet allerdings direkt gegenüber. So entstand bis Mitte der 1970er-Jahre eine Gartenstadt mit mehreren Plattenbauten und Hochhäusern. Bekannt ist etwa der „Lindwurm“, ein grau-weißer Komplex aus 258 Wohnungen, der sich über 400 Meter am Röpraredder entlang schlängelt.

Nichtsdestotrotz punktet der Stadtteil mit seinen zahlreichen Grünflächen, Pflanzen und Bäumen. So liegt etwa in Lohbrügge-Nord der Park Grünes Zentrum, wo mehrere Spielplätze in einer weitläufigen Parkanlage verknüpft sind. Dort warten auf Freizeitfans auch eine Minigolf-Anlage, ein Boule-Platz, ein Rodelberg sowie Open-Air-Spieltische für Mühle und Schach. Am Gärtnerstützpunkt im Südwesten des Parks lockt im Frühjahr und Sommer ein farbenfroh blühender Garten. Dort kann man im Duftgarten, der unter anderem mit Rosen, Flieder und Lavendel bepflanzt wurde, seine Sinne erproben oder Finken, Papageien und Sittiche in der Vogelvoliere beobachten. Kleinere Seen bieten zudem zahlreiche schattige Plätze am Ufer.

Sand wie am Meer

Die Nähe zur Natur wird von den mehr als 39.000 Bewohnern geschätzt. Sie steuern gerne, genauso wie Besucher von auswärts, die Boberger Dünen an. Nach wenigen Schritten vom Parkplatz an der Boberger Furt meint man plötzlich in einer anderen Welt zu sein: Die Boberger Niederung offenbart sich als eine lang gestreckte Dünenlandschaft, Hamburgs letzte Wanderdüne.

Ihren Ursprung hat sie in der ausgehenden Weichsel-Eiszeit, als die Schmelzwassersande aus dem Elbe-Urstromtal verwehten und sich eine 30 bis 50 Meter hohe Binnendünenkette auftürmte. Ab 1840 wurde hier fast 100 Jahre Sand gefördert, um unter anderem die Bahntrasse Hamburg-Bergedorf aufzuschütten. Heute darf man große Teile der Boberger Dünen begehen, damit die Sandfläche frei von Bewuchs bleibt.

Die Stadt Hamburg bietet zum Beispiel die App „Natürlich Hamburg“ an, die Naturfans auf drei unterschiedlich langen Touren durch die Niederung begleitet. Per Audio informiert sie über Pflanzen und Tiere im 350 Hektar großen Naturschutzgebiet, ein Reservat für Libellen, Orchideen und die seltenen Ameisenlöwen. Das Gebiet ist zugleich Anlaufpunkt für Badefans: Der Boberger Baggersee ist das einzige Gewässer im Areal, in dem gebadet werden darf.

Über der Dünenlandschaft gleiten oft Segelflieger, die zur Landung auf die Grasbahn des Hamburger Segelflugplatzes ansetzen. Er liegt mitten im Naturschutzgebiet. Hier sind der Hamburger Verein für Luftfahrt und der Hamburg Aero Club Boberg (H.A.C.) zu Hause.

Behandlungsstätte für Verletzte

Eineinhalb Kilometer östlich liegt das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus Hamburg, von der Bevölkerung auch Boberg-Klinik genannt. Mehr als 2.000 Mitarbeiter sind dort, beim zweitgrößten Arbeitgeber im Bezirk Bergedorf (nach der Körber Technologies GmbH), beschäftigt. Das Krankenhaus beherbergt unter anderem Deutschlands größtes Querschnittgelähmten-Zentrum mit 120 Behandlungsplätzen und versorgt zudem schwer Brandverletzte.

Etwas in die Jahre gekommen ist das Gebäude der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg. Die in einem 1970er-Jahre-Betonbau untergebrachte Fakultät Life Sciences bildet mehr als 3.800 Studierende aus – bei maximaler Auslastung des Campus.

Der Campus war lange Austragungsort von Norddeutschlands größter Kostümparty, der „LiLaBe“ – steht für „Liebe, Lachen, Bergedorf“: Jedes Jahr tanzen auf der LiLaBe bis zu 8.000 Verkleidungswütige auf mehreren Tanzflächen zu Musik wie House, Schlager und Danceclassics, ob als blauer Schlumpf, verwegener Cowboy oder knuddeliger Bär. Auf der Fummelwiese, dem legendären Matratzenlager der Party, tummelt sich mancher Partygast mit besonderer Vorliebe. 

Kirche lädt zur Einkehr

Besinnlicher geht es in der Erlöserkirche zu, im neugotischen Backsteinstil errichtet und 1899 geweiht. Dank ihrer Lage am Geesthang ist sie schon von weitem zu sehen. Für ihren Bau spendeten die örtlichen Ziegeleibetriebe rund 130.000 Ziegelsteine. Finanziert wurde sie maßgeblich vom Gründer der Bergedorfer Eisenwerke, Wilhelm Bergner (1835-1904). Seine Frau Agnes stiftete die Buntglasfenster. Der Zyklus aus den elf hohen Fenstern ist in der Hamburger Region einmalig. Die Fenster wurden Ende des 19. Jahrhunderts in der Königlich Bayerischen Hofglasmalerei München gefertigt.

Direkt an der Kirche liegt der ehemalige Lohbrügger Friedhof. Er wird seit 1972 nicht mehr belegt und ist seit 1997 ein öffentlicher Park mit historischen Grabmälern. Sämtliche Wege des Friedhofs laufen auf das von Hugo Groothoff entworfene Mausoleum von 1900 zu. Dieses ließ Bergner für sich im neuromantischen Stil erbauen.

Ein Dickkopf im Wald

Sieben Jahre später errichtete die Großgemeinde Sande ein Wasserwerk mit einem 31 Meter hohen Turm, den sogenannten Sander Dickkopp. Sein plattdeutscher Name leitet sich zum einen von seiner Form ab – Dickkopp bedeutet Dickkopf – und zum anderen von seinem Standort im Waldgebiet Sander Tannen. Er belieferte Lohbrügge bis 1972 mit Wasser. 

Zudem beherbergte er in seinem Schaft seit 1908 eine Gaststätte mit Restaurationsgarten. Die Geschichte des traditionsreichen Lokals ist bewegt: Diverse Pächter versuchten dort ihr Glück. So war zuletzt bis Juli 2016 das Restaurant „Sander Dickkopp“ im Wasserturm zu finden, das jedoch schließen musste.

Nur rund 100 Meter entfernt wurde 1987 der Fernmeldeturm Hamburg-Lohbrügge gebaut. Der 137,5 Meter hohe Turm ersetzte einen Stahlgittermast, von der Bevölkerung scherzhaft „Eiffelturm“ genannt, aus den 1960er-Jahren.

Graffiti schafft Weltrekord

Und noch etwas weit Sichtbares findet sich in Lohbrügge: Das laut Guinness-Buch der Rekorde ehemals höchste Graffiti der Welt. Die Künstler DAIM, Darco, Loomit, Hesh, Vaine und Ohne sprühten das Graffiti – mehr als 300 Quadratmeter groß – 1995 unter organisatorischer Leitung von Lothar Knode an einer Hochhaus-Fassade am Otto-Schumann-Weg. 1.000 Sprühdosen benötigten die Künstler für ihr 30 Meter hohes und 11 Meter breites Werk. Es ist aus Schrift- und Bildelementen komponiert und enthält Zitate aus Meisterwerken der Wandmalerei. Der Rekord hielt bis 2002, dann wurde er von einem 43 Meter hohen Graffiti am Osdorfer Born überboten.

Lohbrügge verfügt über eine traditionelle Stadtteilkultur, etwa mit dem Bürgerverein Lohbrügge, dem DRK-Heim oder der Lohbrügger Bürgerbühne. Die Jüngeren steuern gerne das Stadtteil- und Kulturzentrum LOLA an; für Kinder und Jugendliche gibt es zudem das Bürger- und Jugendhaus Lohbrügge, den Mädchentreff „Dolle Deerns“ und einige weitere Jugendzentren.

Wen die Abwechslung außerhalb des Orts reizt, kann sich über eine gute Verkehrsanbindung freuen: An der Grenze zu Bergedorf befindet sich die gleichnamige S-Bahnstation, nur rund 20 Minuten dauert die Fahrt zum Hamburger Hauptbahnhof. Alternativ ist die Innenstadt mit dem Auto über die Bergedorfer Straße gut zu erreichen.

Nahe der S-Bahnstation bildet der Lohbrügger Markt das Zentrum des Stadtteils. Dort findet mittwochs und samstags der Wochenmarkt statt. Alternativ kann man seine Einkäufe in der Fußgängerzone erledigen. Um sie wiederzubeleben und die Kaufkraft zu stärken, plant ein Investor einen Neubau, der den einstigen Edeka-Markt Linow ersetzen soll. Dort sollen ab 2018 rund 155 Wohnungen entstehen.

Nah am sumpfigen Wald

Von der Zukunft zurück in die Vergangenheit: Das Gebiet des heutigen Lohbrügge wurde 1257 erstmals in einer Urkunde der Grafen Johannes und Gerhard von Holstein, Stormarn und Lauenburg erwähnt. Das alte stormarnsche Rodungsdorf „Lohbrugghe“ lag am Rande des sumpfigen Waldgebietes „Asbrook“ (Eschen-Bruch). Der Name Lohbrügge bezeichnet entsprechend mit der Vorsilbe „Loh“ einen Wald oder eine Waldlichtung, mit der Nachsilbe „brügge“ eine Brücke. Er ist damit auf einen Flussübergang zurückzuführen. Am Ende des Jahrhunderts gab es in dem Bauerndorf sechs Vollhufnerstellen.

Das Dorf Lohbrügge wurde 1303 dem Kloster Reinbek übereignet. Um 1518 wurden Sande und Ladenbek als Ortsteile von Lohbrügge genannt. Eine kurze wirtschaftliche Blüte fiel dem Dreißigjährigen Krieg (1618-48) zum Opfer. Mitte des 18. Jahrhunderts gingen die drei Dörfer, als Pfand vom dänischen König, an Hamburg. Doch schon kurze Zeit später gehörten sie wieder zu Dänemark. In Sande siedelten sich Handwerker an, Lohbrügge lebte hauptsächlich von der Landwirtschaft. Um 1850 hatten Sande und Lohbrügge zusammen rund 600 Einwohner und 1890, bedingt vor allem durch die Industrialisierung, bereits fast 3.500 Einwohner.

Wirtschaftlicher Aufschwung

Im Jahr 1846 wurde die Hamburg-Berliner Eisenbahn mit einem Bahnhof im südlichen Bergedorf eröffnet und entwickelte sich – mit ihrer Verlängerung nach Berlin – zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt in der Region. Sande gedeihte wirtschaftlich durch Industrie-Niederlassungen des Eisenwerks von Wilhelm Bergner, einer Nagelfabrik und mehreren Ziegeleien. Lohbrügge blieb weiterhin landwirtschaftlich ausgerichtet. Ende des 19. Jahrhunderts schlossen sich Sande, Lohbrügge und Ladenbek zu einer Großgemeinde unter dem Namen Sande zusammen.

Anfang des 20. Jahrhunderts begann man mit dem Abbau des Dünensandes im heutigen Naturschutzgebiet Boberger Niederung für die Aufschüttungen des Hammerbrooks, Billwerder und der Hamburger Innenstadt. Dabei wurden Tonscherben, Tongefäße, Pfeilspitzen, Klingschaber und kleine Jagdwaffen entdeckt. Boberg-Lohbrügge gilt als eines der wichtigsten Fundgebiete Europas für die mittlere und jüngere Steinzeit.

Altes und neues Lohbrügge

Nach einem Wunsch aus der Bevölkerung wurden 1929 Gemeinden Sande, Boberg und Ohlendorf zusammengelegt und ein gemeinsames „Lohbrügge“ daraus gemacht. 1937 wurde die Gemeinde Lohbrügge der Stadt Bergedorf zugeschlagen und im Rahmen des Groß-Hamburg Gesetzes zu einem Stadtteil Hamburgs.

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Gebiete zerstört und gleichzeitig wuchs die Bevölkerung stark. Daher wurde es notwendig, die Siedlungsgebiete außerhalb des Hamburger Stadtkerns auszuweiten. Das heutige Gebiet Lohbrügge-Nord war nach dem Krieg größtenteils eine landwirtschaftlich genutzte Fläche und kaum erschlossen. Um es als Wohngebiet zu nutzen, wurde es in den 1960er-Jahren als Baugebiet für eine Großsiedlung ausgewiesen. Verschiedene private und gemeinnützige Bauträgergesellschaften starteten 1961 mit dem Bau, der Mitte der 1970er-Jahre fertig war.

Durch diese Ausdehnung des Wohngebietes stieg die Bevölkerungszahl stark an und das historische Lohbrügge verschwand immer mehr. Erhalten ist die „Elefanten-Apotheke“ an der Lohbrügger Landstraße, in Anlehnung an die norddeutsche Backsteingotik gestaltet. Übrig blieb zudem die 1905 errichtete Villa mit Stall eines Sander Arztes am Lohbrügger Markt. Bis 2006 traten in der dortigen Kulturkneipe Spectrum Fernsehstars wie Hans-Joachim Kulenkampff, Brigitte Mira und Ulrich Tukur auf. Heute bringen hier Kids Leben in das Kinderkulturhaus KIKU. 

*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)