Wassersportparadies
Das 4,3 Quadratkilometer große Moorfleet in den Vierlanden erstreckt sich von der Dove-Elbe bis zur Andreas-Meyer-Straße und zum Mittleren Landweg. Sein ländliches Gesicht zeigt Moorfleet noch rund um die sehenswerte Kirche und am Moorfleeter Deich entlang der Dove-Elbe, deren Name sich ableitet von doofe oder taube Elbe. Heute zieht die Dove vor allem Wassersportler an: Ruderer, die pfeilschnell übers Wasser gleiten, Angler, die auf reiche Beute hoffen und Motorbootfahrer, deren Boote im Yachthafen vor Anker liegen.
Hübsches Dorf im Griff der Großstadt
Als wir den engen Sandwisch entlang fahren, öffnet sich auf Höhe der ehemaligen Schule der Blick auf die Elbe. Spiegelglatt und kilometerbreit schimmert das Gewässer in der Sonne, am anderen Ufer in Rothenburgsort liegt die bewaldete Wasserkunst Elbinsel Kaltehofe und rechts ragen die Schlote des Kraftwerks Tiefstack in den Himmel. Unterhalb der kilometerlangen Deichstraße ducken sich Reetdachhöfe, eine tiefrot gestrichene Stadtvilla und kleine Häuschen. Ein Idyll zwischen Industrieschloten und Autobahnschneisen! Einige Angler hocken am Elbufer, versteckt zwischen Gestrüpp und Weiden. Auf der Jagd nach Aal, Schlei, Hecht und Zander, die sich in diesem fischreichen Elbarm tummeln.
Vorsichtig fahren wir den unbefestigten, kurvigen Weg auf dem Asphaltdeich entlang und fühlen uns fast wie auf einer Serpentinentour im Gebirge. Wir passieren einen Anleger mit bunt gestrichenen Hausbooten, an deren Wänden das Gras hochrankt. Drei Namen stehen am Briefkasten, der sich bereits im Windschatten der Reederei Julius Grube befindet, wie das schmiedeeiserne Schild nebenan verrät. Auf dem Grube-Firmengelände steht ein gelber Kran inmitten eines meterhohen Unkrautteppichs, drapiert von ausgemusterten Maschinen, dahinter ein verrostetes gut 25 Meter hohes Schiffsdock, aus dem eifriges Hämmern und Klopfen ertönt. Hier zählt noch Arbeit und nicht der schicke Style, denkt man. Die 1890 gegründete Traditionswerft Julius Grube hat sich auf die Reparatur von Schiffen spezialisiert und produziert neuerdings auch Hausboote.
Hausbootszene
Moorfleet scheint ein Biotop für Menschen mit Sinn fürs Unperfekte zu sein. Wie die Künstlerin, die bis vor kurzem den Schwimmbagger Ilmenau am südlich gelegenen Holzhafen als Designplattform führte. Im verschlickten Holzhafen liegen auch funktionstüchtige Yachten, ausrangierte Schuten und alternative Wohnschiffe. Ein alter Kahn rostet in bedrohlicher Schieflage vor sich hin. Die Kais sind teils moosbewachsen und grüne, weiße und rote Hausboote, die schwimmenden Holzhäuschen ähneln, sind daran vertäut.
Die lädierte Schwimminsel Atoll, die mal als Forschungsschiff und später als Badeinsel vor Travemünde diente, dümpelt vor sich hin. Weil der Holzhafen nicht mehr ausgebaggert wird, erreichen ihn Schiffe nur noch bei Flut. Wohl deshalb hat sich der Hafen in einen Schiffsfriedhof verwandelt – und in ein Refugium für Hamburger, die dem Chic des Hamburger Westens entfliehen wollen.
St. Nikolai und Hufnerhaus
Zentrum des Orts ist die Kirche St. Nikolai. Innen beeindruckt sie durch den reich verzierten Altar, das Gestühl mit den geschnitzten Figuren, einen für protestantische Kirchen seltenen Beichtstuhl und die mit Sternen bemalte Decke, die an einen Schiffsrumpf erinnert. Auf dem Kirchenfriedhof liegt Heinrich Sengelmann, der Begründer der Alsterdorfer Anstalten, begraben. Als Pastor in Moorfleet eröffnete er schon 1850 eine innovative Schule für arme Kinder. Das Gemeindehaus befindet sich in einem historischen Fachwerkhaus mit gigantischer Reetdachscheune.
Ebenfalls am Moorfleeter Kirchenweg liegt das Hufnerhaus von 1660 – ein elegantes Landhaus in Fachwerkbauweise mit angebauter Scheune. Das Hufnerhaus gehört zu den letzten erhaltenen Lustvillen in den Vierlanden, in die sich großstadtmüde Kaufleute im 17. und 18. Jahrhundert gern zurückzogen. Schön anzusehen ist der ehemalige Gasthof Eggers und die Efeu bewachsene „Stubbe Villa“, Wohnsitz des gleichnamigen Kommissars in der Fernsehserie Stubbe.
Gewerbezone und Gärtnereien
Wo heute Golfer beim Bälleschlagen entspannen, lag bis in die 1980er-Jahre die Billesiedlung. Ein beispielloser Skandal entbrannte, nachdem bekannt wurde, dass die Siedlung auf dioxinverseuchtem Elbschlick stand. Die Stadt riss die Siedlung ab und entschädigte die Besitzer.
Nach dem Bau der Marschenautobahn A 25 siedelte sich im Osten Moorfleets zunehmend Gewerbe an. Das Autobahndreieck frisst sich krakenartig in die Marschinsel und bildet die Grenze von Dorf und Gewerbegebiet mit Lagerhallen von Budni, Maker und TNT.
Sattgrünes Unkraut sprießt mit Macht am Straßenrand – die letzten Boten der ehemals so üppigen Marschboden-Vegetation. Dreißig Gärtnereien wirtschafteten in Moorfleet bis zum Bau der A1, heute sind es noch sechs. Einer von ihnen ist Dirk Ebeling, der allerdings mit der Firma Dauerflor auf Kunstblumen umschwenkte und seit Jahren die Aida-Schiffe beliefert. Ein Naturereignis im Industrieghetto sind die nahezu 4.000 Möwen, die jedes Frühjahr auf dem Grasdach der Firma Fiege brüten.
Dorfgemeinschaft in Moorfleet
Viele Hamburger kennen den Stadtteil erst, seit Ikea 2003 seine Pforten in Moorfleet öffnete. Nun können Moorfleeter vor Ort Köttbullar und Hot Dogs verzehren, im Dorf selbst gibt es nur wenige Lokale und keine Lebensmittelgeschäfte.
Den täglichen Einkauf erledigen die Anwohner deshalb meist per Auto in Fünfhausen, Rothenburgsort oder Ochsenwerder. „Wir brauchen einen Discounter in Moorfleet“, sagt Manfred Meyer von der aktiven Arbeitsgemeinschaft Moorfleet, die erreichte, dass Senioren mittwochs mit dem Kirchenbus zum Einkaufen fahren können. Andere nehmen das Rad bis zur S-Bahn nach Tiefstack und Billwerder-Moorfleet oder zum 220er-Bus, so wie die Kinder auf dem Weg zur Schule nach Ochsenwerder und Kirchwerder.
Das soziale Miteinander in Moorfleet funktioniert bis heute gut, die meist alteingesessenen Bewohner wohnen trotz Verkehrslärm und manchmal schlechter Luft gern in diesem hübschen Straßendorf im Wilden Osten Hamburgs.
Geschichte von Moorfleet
In einer Bischofsurkunde von 1162 hieß Moorfleet noch Urenfleet („Ur“ bedeutet so viel wie „feucht“) – benannt nach einem alten Seitenarm der Elbe. Menschen siedelten ab dem 12. Jahrhundert im feuchten, aber nicht moorigen Land und errichteten bald einen ersten Deich. Seit 1623 ist der Name Morenvliet urkundlich belegt, der sich später zu Moorfleth wandelte und jahrhundertelang zu Billwärder gehörte.
Bereits 1395 erwarben Hamburger Stadtväter Moorfleet, um sich die Handelswege über die Elbe zu sichern. Da Bier ein Alltagsgetränk und anders als Wasser wegen der Reinheit hoch geschätzt war, bauten die Bauern vorrangig Hopfen und Gerste an und belieferten Hamburger Bierbrauer.
Immer wieder hatten die Bauern unter Flutkatastrophen zu leiden und ab 1813 unter den plündernden französischen Armeen. Um sich ein freies Schussfeld zu sichern, brannte man den Ort einfach nieder. Ab 1860 entstand das Industriegebiet Tiefstack, das bald mit einer Eisenbahn an die Stadt Hamburg angeschlossen wurde. 1894 trennte man das dichtbesiedelte westliche Rothenburgsort von Billwerder ab.
*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)