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Neuengamme

Geschichtsträchtig und ländlich

Neuengamme im äußersten Südosten der Hansestadt ist vielleicht Hamburgs dörflichstes Quartier geblieben. Die ehemalige Elbinsel gelangte schon früh durch Landwirtschaft zum Wohlstand. Allerdings wurde der Vierländer Stadtteil wegen des Konzentrationslagers Neuengamme auch zu einem Synonym für die NS-Verbrechen.

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Christoph Bellin / bildarchiv-hamburg.de

Der Stadtteil in Zahlen

Fläche

18,6 km²

Einwohnerzahl

3657 (31. Dez. 2023)

Bevölkerungsdichte

197 Einwohner/km²


Traditionell und bürgerlich

Neuengamme ist ein begehrter Wohnstadtteil mit familiärem Charakter. Heimatpflege, Nachbarschaftlichkeit und Traditionsbewusstsein werden unter den Einwohnern groß geschrieben. Architektonisch ist das immer noch sehr ländlich anmutende Neuengamme, das an die Stadtteilnachbarn Kirchwerder, Reitbrook, Allermöhe, Curslack und Altengamme grenzt, durch prächtige Fachwerkbauten geprägt. 

Die Fachwerkkaten stammen teilweise noch aus dem 16. Jahrhundert und sind fast sämtlich liebevoll restauriert. Neuengamme besitzt einen malerischen, gewachsenen Ortskern rund um die Johanniskirche. Man unterscheidet zwischen den Teilen Neuengamme oberwärts und Neuengamme niederwärts, das Ortszentrum befindet sich in „Oberwärts“.

Mittelalterliche Barockkirche

Die evangelisch-lutherische St. Johanniskirche wurde erstmals 1261 urkundlich erwähnt und im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert. Den mittelalterlichen Backsteinbau verkleidete man mit Feldsteinen, der Glockenturm kam 1630 hinzu. Die Holzkonstruktion steht unverbunden neben dem Kirchenschiff wie es für die Sakralarchitektur der Vierlande typisch ist.

Ebenfalls typisch für dieses Landschaftsgebiet ist die intakte Natur. Davon bietet Neuengamme reichlich, so reicht zum Beispiel das Naturschutzgebiet Kirchwerder Wiesen bis in den Stadtteil. Die Kirchwerder Wiesen sind mit einer Größe von 857 Hektar das größte Naturschutzgebiet Hamburgs und bieten in ihrem feuchten Marschgrünland einen Lebensraum für seltene Wiesen-, Sumpf- und Wasserpflanzen sowie für seltene und gefährdete Tierarten.

Gedenkstätte für NS-Verbrechen

Traurige Berühmtheit erlangte Neuengamme durch ein Konzentrationslager, das die Nazis 1938 auf einem alten Ziegeleigelände errichteten. Dort mussten bis 1945 über 100.000 Häftlinge Zwangsarbeit verrichten. Fast 43.000 Menschen starben wegen der unmenschlichen Bedingungen in dem KZ oder wurden gezielt von der SS ermordet.

Nach dem Krieg internierten die Briten in dem Lager NS-Funktionäre. Anschließend wurde das Gelände für den Strafvollzug genutzt, die Stadt Hamburg baute dort zwei Haftanstalten. 

Im Jahr 2006 wurde das letzte Gefängnis aufgelöst und das gesamte Areal zur KZ-Gedenkstätte Neuengamme, heute eine der größten dieser Art in Deutschland. Drei Rundwege führen über das 60 Hektar große Gelände, zudem informiert die Ausstellung „Zeitspuren“ über die Geschehnisse im Konzentrationslager. Im Haus des Gedenkens finden sich auf langen Stoffbahnen zudem die Namen der Menschen, die im KZ ermordet worden sind.

Ein flammendes Kreuz

Besondere Aufmerksamkeit zog Neuengamme im November 1910 auf sich, als ein riesiges Flammenkreuz drei Wochen den Himmel erleuchtete. Bei Wasserbohrungen wurde in fast 250 Meter Tiefe ein großes Gasvorkommen freigelegt. Das Erdgas schoss mit hohem Druck in drei Fontänen an die Oberfläche und entzündete sich.

Bis die „Flamme von Neuengamme“ schließlich nach drei Wochen gelöscht werden konnte, erlebte das Dorf einen wahren Sensationstourismus. In Sonderzügen reisten zehntausende Schaulustige aus Hamburg, aber auch aus vielen anderen Teilen Deutschlands an.

In der Folge wurden weitere Gasvorkommen und auch Öl entdeckt. Heute spielt die Gasförderung schon lange keine Rolle mehr, Energielieferant ist Neuengamme aber immer noch: 1995 ging der Windpark Neuengamme mit einer Leistung von 1.000 Kilowatt ans Netz. Seit vergangenem Jahr werden die Rotoren modernisiert, zwei weitere, 150 Meter hohe Windräder wurden ergänzt.

„Neue Erde“ mit fruchtbarem Marschland

Für den Stadtteilnamen „Neuengamme“ existieren zwei unterschiedliche etymologische Erklärungen. So soll auf dem Gebiet im 12. Jahrhundert eine Adelsfamilie „von Gamma“ beheimatet gewesen sein. Als wahrscheinlicher gilt die Ableitung von dem indogermanischen Wort „Gham“, das „Erde“ bedeutet.

Schriftliche Erwähnung findet die Elbinsel erstmals im 13. Jahrhundert als „Nova Gamma“ und „Nova Insula“. Beide Bezeichnungen sind lateinisch und legen mit dem Adjektiv „Nova“ (= neu) eine spätere, zusätzliche Dorfgründung nahe. Altengamme gab es demnach schon zuvor.

Die fruchtbaren Elbinseln zogen bereits früh Siedler an, allerdings war die Lage des Marschlandes zwischen den Armen der Elbe (Gose Elbe und Dove Elbe) Fluch und Segen zugleich. Denn der Hopfen- und Getreideanbau auf dem Boden der Vierlande brachte zwar reiche Ernten, doch die Siedlungen wurden auch immer wieder überschwemmt.

Deichbau und Wohlstand

Im ausgehenden Mittelalter setzte reger Damm- und Deichbau ein, der allerdings die Überflutungen (insbesondere in den Wintermonaten) nicht vollständig verhindern konnte. Trotzdem wuchs der Wohlstand im Elbinseldorf „Neuengamme“ kontinuierlich. Mitte des 16. Jahrhunderts galt „Neuengamme“ als reichster Ort der Vierlande, zu denen Curslack, Kirchwerder und Altengamme zählten. Verbindungsdeiche zwischen den Orten ermöglichten den Verkehr über Land, bald verbesserten auch Brücken die Anbindung der Dörfer in den Vierlanden.

Die landwirtschaftlichen Erträge steigerten sich noch einmal, als 1595 die ersten Schöpfwindmühlen den Betrieb aufnahmen und der nasse Untergrund entwässert werden konnte. Die Anbauflächen dehnten sich aus, Obst- und Gemüseplantagen kamen hinzu; ab 1675 auch Blumenzucht, die teilweise bis heute fortbesteht. Die Kunst der Blumenzucht hatte man den Niederländern abgeschaut, war doch die Nachfrage nach den dekorativen Blühpflanzen unter wohlhabenden Hamburger Bürgern groß.

Gemüsetransport per Ewer

Wegen des florierenden Handels setzte rege Kleinschifffahrt ein. Besonders ein Bootstyp machte im 18. und 19. Jahrhundert Karriere. Der sogenannte „Ewer“ war ein flachbödiger, robuster Kleinsegler. Der Mast ließ sich umlegen, um das Boot unter den Brücken der Wasserstraßen hindurch manövrieren zu können. 

Die Fahrzeuge, die von den Gemüsehändlern der Vierlande benutzt wurden, waren meist zwischen sieben und zwölf Meter lang und konnten auch getreidelt oder gestakt werden. Ende des 19. Jahrhunderts kamen Ewern mit Metallrümpfen auf, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Motoren ausgerüstet wurden.

Der Warentransport zwischen den Vierlanden und der Hansestadt verlagerte sich ab 1926 zunehmend auf die Straße: In diesem Jahr fuhren die ersten LKW mit Gemüse und Blumen nach Hamburg. Die Ewer hatten bald ausgedient. Durch das Groß-Hamburg-Gesetz wurde Neuengamme 1937 schließlich an die Hansestadt angeschlossen.

*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)