Mühle und historisches Fährhaus
Hat man die Brücke zwischen Nettelnburg und Reitbrook passiert, reckt sich die stattliche Reitbrooker Mühle in den Himmel. Der Galerieholländer von 1873 besitzt als einzige Hamburger Mühle originalgetreue Windmühlenflügel und beherbergt heute einen Futter- und Düngemittelbetrieb. Während der Öffnungszeiten kann das Innere der Mühle besichtigt werden.
Im Fachwerkhaus daneben wuchs Alfred Lichtwark auf. Der Sohn eines Müllers machte sich einen Ruf als Kunsthistoriker und -pädagoge, der als erster Museumsleiter die Kunsthallen-Sammlung systematisch aufbaute. Nach ihm ist die Lichtwarkschule benannt, eine Reformschule der 1920er-Jahre, die Helmut und Loki Schmidt besuchten.
Neben der Mühle liegt das Reitbrooker Fährhaus. 1605 vom Landvogt Odemann erbaut, erinnert es an die Zeit, als man die Dove-Elbe noch mit Booten überquerte. Darauf weist auch der historische Gemarkungsstein auf Allermöher Seite hin. Das mit einer Inschrift versehene denkmalgeschützte Fährhaus ist leider von einem meterhohen Zaun versteckt, so dass es von der Straße aus kaum auffällt. Dort wohnt Richard Herrling, ehemaliger Großbäcker, Investor und Betreiber einer gigantischen Biogasanlage in Reitbrook.
Am Vorderdeich
Die Straßen in Reitbrook sind schnell aufgezählt: Vorderdeich, Westerdeich, Hinterdeich und Siethwende – allesamt Deichstraßen. An der Mühle biegt man rechts ab in den Vorderdeich und fährt vorbei am Reiterhof Heitmann und der Gärtnerei Martens, die sich auf Orchideen und Blühpflanzen spezialisiert hat. Bracks, durch Deichbrüche entstandene Tümpel und historische Bauernhöfe sowie neuere Klinkerhäuser liegen am Weg.
Dahinter dehnt sich die Feldmark mit Kühen und der gewundenen Dove-Elbe. Einige Kanuten und Ruderer ziehen ihre Bahnen und ein Motorboot tuckert gemächlich vorbei. Mit dem Auto nur 20 Minuten vom Zentrum entfernt, findet man in Reitbrook eine ländliche Gegend, geprägt von der Viehhaltung und dem Ackerbau, für den sich der fette Marschboden bestens eignet.
Milchbauern Langeloh und Kohrs
Am Vorderdeich 275 lohnt sich ein Stopp. Am besten zu den Hofladen-Öffnungszeiten dreimal pro Woche vormittags und am Mittwoch von 15 bis 17 Uhr. Dann verkaufen Juniorchef Jan-Hendrik Langeloh und seine Eltern leckere Vorzugsmilch, Joghurt, Sahne und Quark. Die Langelohs und der Nachbarbetrieb Kohrs vertreiben ihre Milchprodukte überwiegend an Direktkunden in ganz Hamburg. Man staunt über die Armada an Autos, die zu Ladenöffnungszeiten im Hof parkt.
Zu den Kunden zählen Eltern mit Kindern, die das Milchholen für einen Ausflug in die Natur nutzen. Die Kinder freuen sich über die Katzen und streicheln die Kühe im Offenstall oder staunen über die vier Störche, die auf dem Horst thronen. Bei den alljährlichen Hoffesten im September, zu denen bis zu 3.000 Besucher kommen, wird deutlich, dass das Konzept der Direktvermarktung funktioniert.
Gemeindeleben in Reitbrook
Das Straßendorf ohne eigentlichen Ortskern ist nicht optimal ans öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen, da der 222er-Bus nur den Vorderdeich anfährt. Wer abends auf den Swutsch nach Hamburg oder Bergedorf möchte, kommt ohne Bus nicht mehr zurück. Ein Problem vor allem für junge Leute und ein Grund dafür, dass nahezu jeder Reitbrooker über 18 Jahre ein Auto besitzt.
Das Gemeindeleben Reitbrooks ist eng mit dem von Allermöhe verknüpft. So steht die gemeinsame Dorfkirche in Allermöhe an der Dove-Elbe, der Grenze zwischen beiden Stadtteilen. In der Liedertafel Frohsinn singen Chorbegeisterte aus Allermöhe und Reitbrook um die Wette und das gemeinsame Gemeindeblatt nennt sich „Die Brücke“.
Aus eigenen Kräften stemmt Reitbrook seine Freiwillige Feuerwehr und die dazugehörige Feuerwehrkapelle. Stolz ist man auf die Tennisgemeinschaft Elbe-Bille am Reitbrooker Hinterdeich, dem südlich gelegenen Pendant zum Vorderdeich. Der mitgliederstarke Verein in schönster ländlicher Lage bietet gepflegte Plätze, Flutlicht und ein kommunikatives Miteinander.
Erdöl, Wasserstoff und Mikroalgen in Reitbrook
Die eigenartigen Pferdekopfpumpen in Reitbrook weisen darauf hin: Tief unter dem Reitbrooker Marschboden lagern kostbare Erdöl- und Erdgasvorkommen. In den nächsten 20 Jahren soll nun vermehrt Erdöl gefördert werden. 20.000 Tonnen Öl im Jahr will der Ölkonzern Gaz de Suez künftig aus 3.000 Meter Tiefe hochpumpen. Nachdem man das schwarze Gold 1937 entdeckte hatte, förderte man 1949 bereits 350.000 Tonnen Erdöl.
Reitbrook ist außerdem ein Standort von Spitzentechnologie. So steht hier seit 2015 die weltweit modernste Stromanlage, mit der Hamburg die Energiewende fördern will. Eine E.ON-Tochter speist überschüssige Stromenergie aus Windstromanlagen ein, um Wasserstoff herzustellen, der nachhaltig Busse und Autos antreibt. Außerdem siedelte man 2008 ein Algen-Kraftwerk auf Reitbrooker Grund und Boden an. Initiiert von der Stadt Hamburg und dem Energiekonzerns E.ON werden Abgase mit Hilfe von Mikroalgen und CO2 in Biomasse umgewandelt.
Naturschutzgebiet Die Reit
Ganz im Westen Reitbrooks, dort wo Dove-Elbe und Gose-Elbe zusammenfließen, liegt das 92 Hektar große Naturschutzgebiet Die Reit. Früher befand sich hier eine Ziegelei, heute dehnt sich ein naturwüchsiges Feuchtbiotop mit Schilfröhrichten, Weiden und Birkenbruchwald, mit Tümpeln und Gräben aus. Hier nisten und rasten Sing- und Zugvögel wie Rohrdommel und Uferschnepfe. Einmalig in Hamburg: Auf der Straße genießen Kammmolche und Moorfrösche Vorfahrt, denn die seltenen Amphibien passieren sie rund ums Jahr. Eine Schranke schirmt Autos ab, Radfahrer und Wanderer dürfen sich frei bewegen.
Wer blaue Frösche beobachten möchte, sollte der Reit zwischen Ende März und Mitte April einen Besuch abstatten. Während der Paarungszeit stehen die Chancen gut, einen Moorfrosch zu sichten, der für die Damenwelt knallblau aufgemotzt durchs Unterholz hüpft. Ein seltenes Vergnügen, denn der kleine Frosch steht auf der Roten Listen und ist nur noch in wenigen Feuchtgebieten anzutreffen.
Reitbrooker Geschichte
Ragit hieß das heutige Reitbrook urkundlich belegt im Jahr 1162 – damals ein Feuchtgebiet, das mit Bruchwald, auch Brook, und mit Reet (Reit) bewachsen war. Sächsische Siedler errichteten auf Anweisung der dänischen Herrschaft bereits 1212 einen Ringdeich um Reitbrook und Neuengamme. Um das Jahr 1350 fiel Reitbrook in den Besitz des Klosters Reinbek und wurde ab 1575 von einem Landvogt verwaltet. Ein Name der in Zusammenhang mit dem Gebiet immer wieder fällt, ist Odemann, eine alte Reitbrooker Familie, die auch den Fährbetrieb über die Dove-Elbe führte.
Im Jahr 1768 ging Reitbrook als letztes Marschland in Hamburger Besitz über. Als drei Jahre später eine schwere Sturmflut das Gebiet verwüstet, lässt Landvogt Hermann Odemann neuartige Mühlen mit Förderschrauben an den Kanälen aufstellen. Sie dienten dazu, den Marschboden zu entwässern und somit Sturmfluten vorzubeugen. Dieses Entwässerungsprinzip bewährte sich in den folgende Jahrhunderten.
*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)