Pontons im ersten Quartier
Sacht bewegen sich die Wellen im Becken des Traditionsschiffhafens am Sandtorkai, auf den schwimmenden Pontons knarren die Gelenke. Etliche Touristen haben sich dort am Fischbrötchen-Pavillon niedergelassen und genießen die Kulisse, die gleichermaßen aus modernen Wohntürmen und historischen Schiffen wie der „Seute Deern“ besteht. Hier liegt das Herzstück des ersten, 2009 vollendeten Quartiers der HafenCity. 2025 soll der jüngste Stadtteil Hamburgs aus insgesamt zehn Quartieren bestehen – vom Sandtorkai bis zu den Elbbrücken.
Gebaut wird bis dahin quartiersweise von West nach Ost und von Norden nach Süden, an den Ufern von fünf Hafenbecken aus dem 19. Jahrhundert. Eine gewaltige Pionierarbeit: Es gilt, eine weitläufige Fläche von 157 Hektar zu gestalten. Europas größtes innerstädtisches Stadtentwicklungsprojekt hat dafür bereits ordentlich Kritik einstecken müssen. In der Presse war etwa von kalter Würfelarchitektur und vielen leerstehenden Geschäften im Viertel zu lesen, Einzelhändler hätten besonders unter dem flauen Wintergeschäft zu leiden.
Umstrittenes Projekt
Die Meinungen der Hamburger über die HafenCity sind geteilt. Zu zugig und zu wenig grün sei es dort, sagen die einen. Gestalterisch vielfältig, loben die anderen. Abends zu wenig los, monieren die nächsten. Inzwischen verhallen die Unkenrufe etwas. Bürger nehmen den jüngsten Stadtteil verstärkt an, der sich zunehmend über das Areal an der Elbe ausbreitet.
Bei gutem Wetter verwandeln sich die Marco-Polo-Terrassen unterhalb des Marco-Polo-Towers in eine Liegefläche voller Sonnenanbeter. Junge BMX-Fahrer üben auf den Stufen der Magellan-Terrassen wagemutige Sprünge, Büromenschen holen sich in der Mittagspause rasch einen Coffee-to-Go. Auch viele Touristen beleben das Büro- und Wohngebiet – darunter Kreuzfahrtgäste, die von der Queen Mary 2 oder einem anderen Riesenschiff am Cruise Center kommen.
Man sieht sie auf den zehn Kilometer langen Promenaden wandeln, mit den Stadträdern radeln oder einen der Anziehungsorte ansteuern, wie etwa das Automuseum Prototyp oder das Internationale Maritime Museum im ehemaligen Kaispeicher B. Davor steht die lebensgroße Bronzestatue von Klaus Störtebeker, Hamburgs berühmtesten Piraten, der 1401 ganz in der Nähe – auf dem Richtplatz vor den Toren Hamburgs – hingerichtet wurde. 1878 hat man bei den Bauarbeiten für den Grasbrookhafen den Schädel eines Piraten aus dem 15. Jahrhundert gefunden. Ob er tatsächlich dem berühmtesten aller Seeräuber gehörte, wurde wissenschaftlich allerdings nie bewiesen.
Von Familien angenommen
Bekannte Personen, die heute in dem Viertel leben, sind etwa – so wird jedenfalls gemunkelt – Boxweltmeister Wladimir Klitschko. Deutschlands erfolgreichste Schlagersängerin Helene Fischer soll in der Elbphilharmonie ein Apartment gekauft haben. Dabei sind längst nicht alle Wohnungen atemlos teuer, wie das Beispiel Dalmannkai zeigt: Dort kostet eine geförderte Wohnung 6,20 Euro pro Quadratmeter, eine Mietwohnung 12 bis 18 Euro und eine Eigentumswohnung 2.850 bis 3.500 Euro.
Und so wird die soziale Mischung in den derzeit über 1.700 Wohnungen der HafenCity immer vielfältiger, auch wenn die meisten Hergezogenen bisher aus dem gehobenen Mittelstand kommen. Knapp 17 Prozent der 2.500 Bewohner sind Familien mit Kindern, mehr als die Planer ursprünglich gedacht haben.
Es gibt einige Kitas, die Kinder können danach auf die Katharinenschule gehen. Zusammen mit Grundschülern aus der Alt- und Neustadt sowie der Veddel spielen sie dort in den Pausen – geschützt von fotografierenden Besuchern – auf einem der höchsten Schulhöfe Deutschlands, ein buntes Dach in 23 Metern Höhe. Eine weitere Grundschule soll 2018 eröffnet werden, ein Gymnasium/Stadtteilschule ein Jahr später.
Bewohner beteiligen sich
Für den täglichen Bedarf kaufen die Bewohner gerne im Supermarkt in der HafenCity ein oder auf dem Wochenmarkt. Viele von ihnen engagieren sich in Interessengemeinschaften und Netzwerken für „ihren“ Stadtteil. So waren Erwachsene wie Kinder an der Gestaltung des Spielplatzes im Grasbrookpark beteiligt, der auf Wunsch ein Piratenschiff auf einer Schatzinsel beherbergt. Vieles andere entsteht in der HafenCity noch, sie ist erst zu rund zwei Drittel fertig. Und so muss ihr wohl Zeit gegeben werden, sich zu entwickeln.
Eröffnung der Elbphilharmonie
Endlich vollendet ist Hamburgs neues Konzerthaus an der Elbe: Die gläserne Fassade der Elbphilharmonie , die vom Basler Büro Herzog & de Meuron geplant wurde, schimmert je nach Sonnenstand im maritimen Silberblau oder in Goldnuancen. Auf dem Backsteinsockel, den der ehemalige Kaispeicher A für den kristallinen Aufbau bildet, befindet sich auf 37 Metern Höhe eine Plaza – fast so groß wie der Hamburger Rathausmarkt.
Im Januar 2017 wurde das Konzerthaus feierlich eröffnet. Im großen Saal liegt der höchste Platz 17 Meter über dem Parkett. Die Anlage heißt daher auch „Weinberg-Parkett“ und ermöglicht jedem Zuschauer einen ungehinderten Blick auf die Bühne. Höchstens 30 Meter sitzen alle Konzertbesucher vom Dirigenten entfernt und damit so nah an den Künstlern wie in keinem anderen Konzerthaus weltweit.
Das architektonische und musikalische Wahrzeichen der Stadt beherbergt nicht nur zwei Konzertsäle und ein Studio, sondern auch ein Hotel und 55 Wohnungen in den oberen Stockwerken, deren Kaufpreis im Minimum bei 14.000 Euro pro Quadratmeter liegt. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass die Dachwohnung sogar nur für einen Quadratmeterpreis von 35.000 Euro zu haben ist – das wäre deutschlandweit ein Rekord für eine innerstädtische Wohnung.
Elbtower in der HafenCity
In der HafenCity entsteht als Abschlussprojekt der Elbtower. Das Hochhaus, das bis 2025 zwischen den Elbbrücken entstehen soll, wird 233 Meter hoch sein und soll als selbstbewusstes Statement der wachsenden Stadt Hamburg verstanden werden. Der Baubeginn ist für das Jahr 2021 geplant. Im Elbtower sind Räume für Einzelhandel und Gastronomie eingeplant, daneben sollen ein Hotel, ein Boarding Haus, Co-Working-Spaces, Fitness- und Wellnessbereiche sowie ein Kinderland integriert werden. Die Turmgeschosse sollen schließlich Flächen für Büros bieten.
Quartier mit Fischernetz aus Glas
Eins der nächsten Quartiere, das bebaut wird, ist das wasserseitige südliche Überseequartier. Noch liegt es brach, da Investoren sich nach der Finanzkrise zurückgezogen hatten. Doch ab 2017 wird die Baulücke geschlossen: Dort will der französische Immobilienkonzern Unibail-Rodamco 860 Millionen Euro in ein riesiges Geschäfts- und Erlebnisviertel investieren.
So soll im Herzen des Quartieres ein Einkaufszentrum mit knapp 200 Geschäften auf 68.000 Quadratmeter Verkaufsfläche entstehen – das ist so viel wie die gesamte Mönckebergstraße und die Spitalerstraße zusammen. Als Schutz vor Regen bekommen die Einkaufsstraßen ein fast zwei Fußballfelder großes Fischernetz aus Glas. Das Spezialglas soll teilweise mit Lichtschutzfolien bedruckt werden. Ein vergleichbares Dach gibt es nur beim Pariser Bauprojekt „La Canopee“. Gebaut werden auch zwei Hotels und ein Multiplexkino mit zehn Sälen und 2.700 Plätzen. Auf Wunsch des Senats entstehen zudem 500 Wohnungen.
Ein weiterer Bau im soll im Herbst 2018 im KPTN-Quartier fertiggestellt werden: Das Hotel Pierdei wird nicht nur 212 Zimmer besitzen, sondern dort ist auch ganz besonderes "Camping" möglich: Auf dem Dach des Hotels sollen vier Wohnwagen stehen. Ein weiteres Kino – eher klein, aber fein – plant Hans-Joachim Flebbe, Gründer der Cinemaxx-Kette, im vorgesehenen KPTN-Quartier. Der Unternehmer suchte schon seit 2008 nach einem Ort in Hamburg, an dem er sein neues Premium-Kinokonzept umsetzen kann: weg vom Popcorn-Kino, dafür Bedienung am Platz mit komfortablem Ledersitz. Die Astor Film Lounge soll im Herbst 2018 eröffnet werden.
Baubeginn im Baakenhafen
Das größte Wohnquartier der HafenCity mit etwa 2.000 Wohnungen wird es im östlich gelegenen Baakenhafen geben. Im Sommer 2016 beginnen die Bauarbeiten in der „Stadt für alle“. So wird das Areal von den Machern genannt, da dort neben exklusiven Wohnungen vor allem Sozialwohnungen, Gebäude für Genossenschaften und Baugemeinschaften errichtet werden. Zudem Wohnungen für Menschen mit Handicaps und chronisch Kranke.
Nicht nur barrierefrei, auch grün und verkehrsarm soll es in dem Quartier zugehen. Das Elbufer mit den alten Hafenkränen wird bepflanzt. Nicht mal jeder zweite Haushalt kann im neuen Quartier sein Auto parken. Die Bauherren wurden verpflichtet, ein Drittel der wenigen Stellplätze mit Ladestationen für E-Autos auszustatten. Die bisher sparsamen Radwege der HafenCity sollen zudem besser vernetzt werden. Im Frühjahr 2018 feiert außerdem ein weiterer Teil der HafenCity seine Eröffnung: Der Baakenpark verbindet sportliche Aktivitäten, erholsame Natur und außerdem das nördliche und das südliche Baakenhafen Quartier miteinander.
Ein Park mit Rodelberg
Weitere 700 Wohneinheiten entstehen derzeit im benachbarten Quartier „Am Lohsepark“. Dort wurde Mitte Juli 2016 die größte Grünfläche des Stadtteils mit einem großen Fest eröffnet: der Lohsepark. Er umfasst 4,6 Hektar, ist zentral gelegen und wird deshalb auch „Central Park der HafenCity“ genannt. In diesem Jahr wird noch eine weitere Grünfläche sichtbar werden, die künstlich geschaffene Halbinsel Baakenpark mit Plätzen für Basketball und zum Kicken. Zudem wird man auf einem 15 Meter hohem „Himmelsberg“ rodeln können.
Umsonst und draußen
Unter den Kulturangeboten ist die Veranstaltungsreihe elbsommer (ehemals Sommer in der HafenCity) besonders beliebt. Öffentliche Plätze und Promenaden von verwandeln sich von Juni bis August in Bühnen und Tanzparketts. Ob Poetry Slam oder Tangoabende: Das Programm bietet jährlich viel Abwechslung und ist kostenlos.
Wer mehr von den unterschiedlichsten Seiten des Stadtteils sehen möchte, kann neuerdings einen Amphibienbus nutzen, der an Land von der Haltestelle an der Brooktorkaibrücke bis zum Elbpark Entenwerder fährt. Über eine Rampe gleitet der Bus in die Elbe. Von dort aus schippert er mit seinen Gästen wieder zurück bis zum Brooktorhafen.
Nach einer Tour durch die HafenCity kann man sich wunderbar auf der Terrasse hinter dem Unilever-Haus, am Strandkai 1, entspannen. Sand gibt es dort zwar nicht, aber Liegestühle, in denen man seine Beine ausstrecken und weit über den Hafen blicken kann.
Die HafenCity ist übrigens mittlerweile auch als Ort für Fernseh- und Fotoproduktionen beliebt. Allein 2014 wurden dort mehr als 55 Filme und Videos gedreht, von „Die Kanzlei“ (ARD) und „Notruf Hafenkante“ (ZDF) bis zu Til Schweigers Kinoerfolg „Honig im Kopf“. Dazu kamen rund 40 Fotoshootings, unter anderem für die Herbst- und Winterkollektion des Onlinehändlers Otto. Die Produzenten schätzen das wechselnde Licht in der HafenCity, die Freiflächen und die neuzeitliche Architektur.
Mehrere Museen
Einen Gegenpol zur Moderne der HafenCity bildet die backsteinerne Vergangenheit auf ihrer Nordseite: Zwischen Deichtorhallen und Baumwall liegt die Speicherstadt, der weltgrößte zusammenhängende Lagerhauskomplex und Unesco-Weltkulturerbe.
Ihren Namen verdankt die Speicherstadt den in roten Backsteinen gehüllten Speichern, auf deren Böden früher Güter wie Kaffee, Tee, Kakao, Gewürze und Tabak lagerten. Heute befindet sich dort das weltgrößte Orientteppichlager. Die Gebäude beheimaten auch Museen wie das Speicherstadt-, Zoll- oder Gewürzmuseum, das Hamburg Dungeon und das Miniatur Wunderland mit der größten Modelleisenbahn der Welt.
Wohnviertel wird Lagerstätte
In dem Gebiet zwischen Zollkanal und Sandtorhafen lebten vom 17. Jahrhundert bis Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Hafenarbeiter und Handwerker. Rund 20.000 Menschen wurden zwangsumgesiedelt und die Wohnviertel abgerissen, um dort 1883 einen Lagerhauskomplex zu bauen. Der Hintergrund: Die Hamburgische Bürgerschaft hatte beschlossen, sich dem Zollgebiet des Deutschen Reiches anzuschließen.
Als Folge musste Hamburg die Zollfreiheit, die für das gesamte Stadtgebiet gegolten hatte, aufgeben. Nur das Freihafengebiet blieb zollfrei. Daher sollten die Lagerhäuser dort entstehen. Die Arbeiten schritten rasch voran und Kaiser Wilhelm I. weihte 1888 den ersten Abschnitt der Speicherstadt ein, die dann bis 1927 weiter ausgebaut wurde.
Von der Vision zur Umsetzung
50 Jahre später wurde die Idee der HafenCity bekannt. Am 7. Mai 1997 stellte Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Henning Voscherau (SPD) die „Vision HafenCity“ der Öffentlichkeit vor. "Es geht um die Rückkehr an die Elbe", sagte er vor Mitgliedern des traditionsreichen Überseeclubs. Die HafenCity sollte sich auf dem ehemaligen Hafen- und Industrieareal Hamburgs ausbreiten, daher ihr Name.
Im April 1999 lobte die Stadt einen städtebaulichen Ideenwettbewerb aus, der bereits ein halbes Jahr später entschieden wurde. Am 29. Februar 2000 verabschiedete der Senat den Masterplan für die HafenCity, 2005 zog der erste Bewohner ein. Seit dem 1. März 2008 ist die HafenCity zusammen mit der Speicherstadt offiziell ein Stadtteil im Bezirk Mitte.
2012 wurde der Betrieb der U-Bahnlinie U4 aufgenommen und zwei Jahre später die HafenCity Universität eröffnet. Wenn die HafenCity voraussichtlich 2025 fertiggestellt ist, wird sie Hamburgs Innenstadt um 40 Prozent vergrößern. Ab Dezember 2018 soll die U4 die HafenCity Universität mit der Endhaltestelle Elbbrücken verbinden. Dort soll die U-Bahn-Haltestelle auch mit der entstehenden S-Bahn-Station vernetzt werden. Im neuen Stadtteil werden 45.000 Menschen arbeiten, bis zu 14.000 Menschen wohnen und 5.000 studieren.
*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)