Ein traditioneller Arbeiterstadtteil
Drei Inseln, 47 Hektar Wohnviertel und viel Industrie – das ist die Veddel, einer der faszinierendsten und gleichzeitig kleinsten Stadtteile Hamburgs, dem man mitunter einen rauen Charme attestiert. Die Veddel liegt direkt hinter den Elbbrücken und setzt sich aus der Kleinen Veddel und der Peute zusammen. Zudem gehört ein nördlicher Streifen der Elbinsel Wilhelmsburg dazu. Die Flächennutzung ist dabei strikt getrennt: auf der Kleinen Veddel wird gewohnt, die Peute gehört der Industrie.
Eingerahmt von Bahngleisen und Autobahnen hat sich ein besonderes Quartier gebildet, denn die Identifikation der Einwohner mit ihrem Stadtteil ist groß, was der Veddel einen fast dörflichen Charakter verleiht. Das liegt auch daran, dass die Stadt Hamburg die Veddel lange eher stiefmütterlich behandelt hat, was sich erst mit dem Projekt „Sprung über die Elbe“ änderte. Die Veddel ist ein traditioneller Arbeiterstadtteil und beheimatet heute Einwohner aus knapp 50 Nationen. Der Stadtteil war um 1900 zudem das bedeutendste Zentrum Deutscher Auswanderer nach Amerika.
Von der Veddel über den großen Teich
Die Veddel war von 1850 bis 1939 der Startpunkt vieler Passagiere für die Überfahrt nach Amerika in die Neue Welt. Für rund 5.000.000 Menschen begann am „Port of Dreams“, dem Hafen der Träume, das Abenteuer Übersee mit der „Hamburg-Amerika Linie“, um in der Ferne neues Glück zu finden. Der Reeder Albert Ballin, Besitzer der „Hamburg-Amerika Linie“, baute auf der Veddel die Auswandererhallen, in denen die Passagiere vor der Reise bis zu 14 Tage in Quarantäne verbrachten. Das sollte verhindern, dass Krankheiten an Bord der Schiffe gelangen. Heute sind an gleicher Stelle drei der Hallen als Auswanderermuseum BallinStadt originalgetreu nachgebaut. Ursprünglich gab es über 30 Gebäude, darunter Schlaf- und Speisesäle, Bäder, Kirchen und Synagogen.
Direkt hinter dem Auswanderermuseum liegt heute der Ballin Park, der bis zum südlichen Ufer des Müggenburger Zollhafens reicht. Von dort sieht man auf der anderen Uferseite das IBA-Dock, ein schwimmenden Büro-Ponton und die Zentrale der Internationalen Bauausstellung (IBA), die im Zeitraum von 2007 bis 2013 unter dem Motto „Sprung über die Elbe“ auch einige Projekte auf der Veddel beinhaltete. Dazu gehört beispielsweise „die mügge“, eine Einrichtung zur Berufsqualifizierung für Jugendliche mit Bootswerkstatt und Freizeitmöglichkeiten.
Typisch hamburgische Klinkerbauten
An den Müggenburger Zollkanal schließt sich das Wohnviertel mit den roten, typisch hamburgischen Klinkerbauten an. Dort wurde eine schöne Uferpromenade, die gleichzeitig als Hochwasserschutzanlage dient, gebaut. Im Wohnquartier, genauer im Veddeler Stieg, ist der Brunnen, der von der Künstlerin Doris Waschk-Balz gestaltet wurde, einen Blick wert. Waschk-Balz ist für mehrere Kunstwerke in Hamburg verantwortlich, unter anderem für den Ottenser Torbogen und für den Brunnen am Großneumarkt, dem der Veddeler Brunnen mit seiner Figurengruppe leicht ähnelt.
Ein Stück nördlich davon, in der Nähe des Marktplatzes, findet man die Veddeler Fischgaststätte. Außen unscheinbar und innen mit rauem 70er-Charme gibt es dort den besten Backfisch der Stadt, heißt es. Seit 1932 wird in dem Kultlokal die nach Geheimrezept abgeschmeckte Hamburger Spezialität serviert.
Der größte Kupferproduzent Europas
Wechselt man von der Kleinen Veddel hinüber auf die Peute, zeigt sich das zweite Gesicht des Stadtteils. Dort dominieren große Industriehallen, Lagerhäuser und rauchende Schornsteine. Vor allem die Kupferhütte Aurubis, der größte Kupferproduzent Europas, prägt mit seinen drei riesigen Schloten das Bild der Peute. Als Wahrzeichen gilt dabei der Schornstein Esse VII, der 2007 in einer Lichtskulptur umgewandelt wurde und je nach Wetter seine Farbe ändert – ein wahrer Lichtblick zwischen Containerstapeln und grauen Industriehallen. Aufgelockert wird die Szenerie auf der Peute zudem von den vielen historischen Fabrik- und Lagerhallen. Die teils denkmalgeschützte Industriearchitektur gibt einen Einblick in die Geschichte des Arbeiterstadtteils.
Ein kleines Stück Tschechien
Zu dieser Geschichte gehört auch ein kleines Stück Tschechien beziehungsweise der früheren Tschechoslowakei. Denn auf der Veddel ist das osteuropäische Land ganz nah. An der Peutestraße befindet sich eine kleine Halbinsel zwischen Peutekanal und Peutehafen. Grün ist es dort, wodurch sich die Landzunge vom Rest der Peute abhebt. Zwischen den Bäumen steht dort ein Mietshaus, dahinter gibt es einen Swimming Pool. Steht man vor dem Grundstück, blickt man auf Tschechien. Seit 1929 ist das Gebiet nämlich als Folge des Versailler Vertrags für 99 Jahre an die Tschechische Republik verpachtet. Ebenso wie der Moldauhafen und Teile des Saalehafens, die am Westrand der Kleinen Veddel liegen. Die Hafenbecken, die zum Kleinen Grasbrook gehören, markieren tschechisches Staatsgebiet, was sich an vielen Schildern, die in deutscher und tschechischer Sprache verfasst sind, erkennen lässt – ein Stück internationaler, deutscher und Veddeler Historie.
Die Geschichte der Veddel
Diese beginnt wesentlich beschaulicher als mit Rauch, Staub, Schmutz und Lärm. Im Jahr 1568 taucht die Veddel erstmals auf einer Karte auf, damals noch als Weideland für die Milchwirtschaft. Darauf geht vermutlich auch der Name Veddel zurück, abgeleitet vom niederdeutschen Begriff Wede, der bewaldetes Weideland bezeichnet. Ab 1768 gehörte die Veddel dann zu Hamburg, damals noch inklusive der Großen Veddel, dem heutigen Kleinen Grasbrook. Nachdem 1888 der Freihafen angelegt wurde, wurde dieser zum Hafengebiet und die Kleine Veddel zum Wohngebiet. Verantwortlich für den Bau der Siedlung war der Reeder Robert Miles Sloman Jr., dessen Name auch heute noch häufig auf der Veddel zu finden ist,
Mit dem Bau der Auswandererhallen im Jahr 1901 bekam der Stadtteil zusätzliche Bedeutung und in den kommenden Jahrzehnten boomte die Veddel. 1928 wurde die Arbeitersiedlung nach den Plänen von Fritz Schuhmacher umgebaut. Die straßenlangen Backsteinbauten ersetzten die ursprüngliche Bebauung. In den 1930er-Jahren öffneten einige Bars, Kneipen und Cafés, die der Veddel den Spitznamen Klein St. Pauli einbrachten. Der Aufschwung endete mit dem Zweiten Weltkrieg, in dem der Nordteil der Veddel zerstört wurde. Auf der Elbinsel befand sich zur damaligen Zeit auch einer der größten Glockenfriedhöfe, auf dem knapp 10.000 bronzene Kirchenglocken darauf warteten, eingeschmolzen und schließlich für die Rüstungsindustrie verwendet zu werden.
So richtig erholte sich die Veddel in den folgenden Jahrzehnten nicht und wurde durch die zunehmend dominierende Industrie als Wohnstandort unattraktiv. Seit den 1980er-Jahren verließen dann viele der ursprünglichen Bewohner den Stadtteil. Erst durch die IBA, deren Projektzeitraum 2007 begann, entdeckte die Stadt mit dem Sprung über die Elbe die Veddel wieder, die nun wieder an Attraktivität gewinnt.
*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)