Bauliche Kontraste
Viele Hamburger kennen Hausbruch vor allem vom Durchfahren. Weil sie zum Beispiel von Harburg aus die Cuxhavener Straße (B 73) Richtung Buxtehude nehmen. Auf der einen Seite säumen Hänge mit mächtigen Bäumen die vierspurige Straße, auf der anderen Seite gibt's Einzelhändler und Geschäfte. Doch Hausbruch ist weit mehr: Wer die einzelnen Ortsteile erkundet, erblickt ganz unterschiedliche Gesichter des Stadtteils.
Nördlich der Neuwiedenthaler Straße befindet sich das „alte“ Hausbruch – mit kleinen, aber feinen Einfamilienhäusern, Doppelhäusern und Bürgerhäusern. Die Alteingesessenen erinnern sich gerne an den Dorfkrug, der heute ein griechisches Restaurant beherbergt.
Ganz anders sieht das Bild in Neuwiedenthal aus, einer Großsiedlung mit 4.600 Wohneinheiten im Plattenbaustil der 1960er-Jahre. Nach der Sturmflut 1962 wurden weitere Hochhäuser für Wohnungslose am Striepenweg gebaut. Das Zentrum der Siedlung besteht aus dem Einkaufszentrum Rehrstieg Galleria, das unter seinem Glasdach einige Läden beherbergt, darunter Fischgeschäft, Döner-Imbiss und Textildiscounter. Wer es verlässt, findet weitere Einzelhändler und Dienstleister entlang des Striepenwegs vor sowie den S-Bahnhaltepunkt Neuwiedenthal.
Neues Zuhause
In Neuwiedenthal leben zwei Drittel der Hausbrucher Bevölkerung – mehr als 11.000 Menschen aus sehr unterschiedlichen Nationen. Dort weht multikulturelles Flair: Da es am Rehrstieg früher Wohnunterkünfte für Spätaussiedler gab, wurde Neuwiedenthal schrittweise für viele Aussiedler aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion zur neuen Heimat. Zudem gehören rund 120 Familien aus der Türkei und Syrien zur Gemeinde der aramäischen Christen. Sie sind als Gastarbeiter nach Deutschland ausgewandert oder aus ihren Heimatländern geflüchtet.
Die Wohnsituation in der Großsiedlung hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Seit Anfang der 1990er-Jahre modernisieren die Vermieter kontinuierlich ihren Bestand, zudem ist die Siedlung seit 2013 Fördergebiet des Rahmenprogramms Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) und Gebiet der Städtebauförderung auf Bundesebene. Die Anstrengungen machen sich unter anderem an einem freundlicherem Aussehen der Häuser bemerkbar: frisch gestrichene Wände, neu gestaltete Eingangsbereiche, modernisierte Fenster.
Auch die Bewohner tun ihr Übriges zur Verschönerungskur, etwa mit liebevoll bepflanzten Gärten und Balkonen. Das ist natürlich noch längst nicht alles: Sie arbeiten in Vereinen und Organisationen aktiv an einer Verbesserung des Images von Neuwiedenthal und engagieren sich auf vielfältige Weise für ihre Mitbürger. Mittlerweile halten sie ihren Stadtteil für besser als seinen Ruf, viele sind zufrieden mit ihm.
Drache zum Spielen
So wurde etwa die Grünanlage beim „Neuwiedenthaler Treff“ nach ihrer Umgestaltung 2002 zu einem regen Anziehungspunkt. Hauptattraktion des Spielplatzes Drachenthal ist ein riesiger, bekletterbarer Drache aus Beton.
Kinder und Jugendliche toben zudem gerne auf einer Wiese, die mitten in der Großsiedlung liegt. Dort findet auch das Dorffest statt, das jedes Jahr mehrere tausend Stadtteilbewohner besuchen. Zwischen Strohballen und alten Treckern gibt es Ponyreiten, Gummistiefelweitwurf und Schubkarrenrennen zu den Klängen einer Musikkapelle im Bauernkostüm.
Gut besucht wird der Park am Rehrstieg, der 2016 nach einjähriger Bauzeit eröffnet wurde. Ein neuer Rundweg in zweifarbigem Asphalt, Loop genannt, zieht sich wie eine Schlaufe durch den 18.000 Quadratmeter großen Park. Am Spielhaus gibt es einen weiteren, kleineren Kreisweg. Nördlich davon ist ein neues Spielareal für Kinder bis sechs Jahren eingerichtet. Im Inneren des Loops sind ebenfalls Spielgeräte aufgestellt – und über den ganzen Park verteilt gibt es seither auch neue Bänke.
Seit 2015 können Kinder und Jugendliche dort auf einer Streetskateanlage sowie einer Ballsportanlage spielen. Insgesamt eine Million Euro wurde in die Grünflächen und Anlagen am Rehrstieg investiert. Das Geld kommt von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt, dem Bezirksamt Harburg sowie aus dem RISE-Programm.
Gesunde Ernährung
Bereits seit 2009 gibt es die Neuwiedenthaler Apfelschule. Bei diesem Kooperationsprojekt lernen Schüler der drei Grundschulen des Stadtteils viel über gesunde Ernährung und darüber, wo ihr Essen herkommt. Jeweils im Frühling, Sommer und Herbst geht es auf den Obstbauernhof Quast in Neuenfelde. Dort verfolgen die Kinder die Entwicklung der Früchte von der Blüte bis zur Ernte. Zudem wird ihnen so gezeigt, was es in unmittelbarer Umgebung zu erleben gibt. Schließlich grenzt mit dem Alten Land das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Europas an den Stadtteil.
Beim Abschlussfest pressen die Schulklassen ihren eigenen Apfelsaft der Marke „Neuwiedenthaler Apfelgold“. Das Nachbarschaftsprojekt ProQuartier hat das Konzept der Apfelschule entwickelt und organisiert dessen Umsetzung im Auftrag von zwölf Wohnungsunternehmen. 2014 erhielt die Apfelschule den Harburger Nachhaltigkeitspreis.
Wohnen und Wandern
Südlich der Cuxhavener Straße zeigt sich Hausbruch von einer weiteren Seite. Mit viel Wald, in dem sich gediegenere Einzelhäuser verteilen. Die Gebäude liegen oft an Hängen, versteckt hinter Zäunen. Bereits Anfang des 19. Jahrhunderts errichteten Naturliebhaber in den hügeligen Ausläufern des Waldgebiets Haake erste Land- und Ferienhäuser. Höhepunkt der Bautätigkeit waren die 1960er-Jahre: Gutverdienende bezogen repräsentative Einfamilienhäuser und Bungalows mit weitläufigen Gärten. Inzwischen sind etliche dieser Grundstücke auf die Erben übergegangen, die sie gerne in kleinere Parzellen aufteilen und als Baugrund verkaufen. Auf diesem Wege verliert sich zunehmend die Exklusivität und die Großzügigkeit der Wohnlage.
Dort, am südlichsten Teil von Hausbruch, gab es das einzige Bergwerk Hamburgs. 1917 stieß man bei einer Brunnenbohrung auf Braunkohle. Die Eigentümerin des Grundstücks ließ sich umgehend durch das Bergamt Celle die Schürfrechte für eine Fläche von mehr als vier Millionen Quadratmetern verleihen und verkaufte sie an eine Dortmunder Firma. Da nach dem Ersten Weltkrieg Kohle knapp war, wurde selbst das Vorkommen in Hausbruch von 1919 bis 1922 genutzt. Im Bergwerk Robertshall förderten 60 Männer mehr als 49.000 Tonnen Kohle für die Harburger Phoenix AG. Heute deuten auf das Bergwerk noch kraterartige Vertiefungen im Kiefernwald beim Ehestorfer Heuweg hin und die Mauerreste der Kohlewäscherei. Ansonsten ist ein Straßenname geblieben: Beim Bergwerk.
Hügelige Heide
Wanderer und Mountainbiker können in dem Waldgebiet zahlreiche abwechslungsreiche Routen erkunden. Es geht dabei oft rauf und runter: Erhebungen von bis zu 90 Metern prägen das Revier Hausbruch und ermöglichen eine weite Sicht auf die Umgebung. Dort wandert man durch die schöne Landschaft der Neugrabener Heide, einem Ausläufer der Fischbeker Heide.
Wer bei Speis und Trank rasten möchte, kann verschiedene Orte mit Terrassen ansteuern. Etwa das Berghotel Hamburg, das einst Große Sennhütte hieß und ein viel besuchtes Ausflugslokal für Wanderer und Urlauber war. Es ist über eine unebene Straße erreichbar, die sich den Wulmsberg hinauf schlängelt.
Wieder unten, bei der ehemaligen Kleinen Sennhütte, sind die größte geschnitzte Eule der Welt und der größte geschnitzte Bär der Welt zu sehen. Die Holzskulpturen hat der österreichische Bildhauers Erich Gerer gefertigt, der dort ein Atelier hat.
Braustätte verlagert
Im Osten Hausbruchs liegt schließlich das Gewerbegebiet Hausbruch, das Anfang der 1980er-Jahre in der Nachbarschaft des Geländes der Firma Beiersdorf aufgeschüttet und ausgebaut wurde. Hier sind Großunternehmen wie die Logistikzentrale Blume 2000 angesiedelt, und bald zieht auch die Holsten-Brauerei in den Stadtteil: Auf 65.000 Quadratmetern werden dann rund eine Million Hektoliter Bier im Jahr gebraut. Verwaltung, Vertrieb und Marketing bleiben in Altona, doch der dortige Produktionsstandort war mit seiner Größe nicht mehr ideal.
Der Name Hausbruch leitet sich übrigens aus dem Begriff Hürersbrook oder Hürsbrook ab. Die Vorsilbe „Hür“ steht dabei für Heuer, die Endung „-brook“ für einen Bruchwald. Bauern aus dem Umland durften sich Holz aus dem Erlenbruch für ihre hölzernen Geräte und Zäune mitnehmen. Dafür verlangten die damaligen Eigentümer des Waldes, die Bremer Erzbischöfe, eine Pacht – die Hür. Diese Erklärung ist 1973 von dem Heimatforscher Artur Conrad Förste aus Moisburg belegt worden. Er widersprach damit der Theorie, dass der Name Hausbruch von dem „Haus am Bruch“, einer Jagdhütte von Otto I. von Harburg, abstammt.
Beliebtes Ausflugsziel
Im späten 8. Jahrhundert wurde eine Burg auf dem Falkenberg in Hausbruch errichtet, die bis ins 13. Jahrhundert genutzt wurde und von der heute nur noch Wallreste zu finden sind. Um 1545 ließ Herzog Otto I. von Harburg ungefähr auf dem Gelände des heutigen Jägerhofs eine Schäferei errichten. Urkundlich erwähnt wurde Hausbruch erstmals 1553.
Die Umgebung war schon Ende des 19. Jahrhunderts ein beliebtes Naherholungsgebiet. Ausflügler aus Hamburg nahmen die Dampffähre nach Moorburg und wanderten weiter bis nach Hausbruch. 1899 wurde der Bahnhof Hausbruch an der Niederelbebahn Harburg-Cuxhaven eröffnet, so dass die Harburger Berge noch schneller als bisher erreichbar waren.
Damals gab es dort eine Sommerrodelbahn, einen Skilift sowie diverse Ausflugslokale. Übernachten konnte man zum Beispiel im Hotel und Pensionshaus Kaiserhof an der Cuxhavener Straße, direkt am Fuße der Haake und Emme. Ein weiteres um 1900 erbautes Hotel- und Ausflugslokal am Ehestorfer Weg nannte sich „Alpenglocke“, bevor es 1912 unter dem Namen „Heideburg“ in einem Wanderführer auftauchte. 1929 erwarb der Kirchenkreis Alt-Hamburg das Gebäude als Jugendfreizeitheim, heute residiert hier die Rudolf-Steiner-Schule.
Aussehen verändert
Seit 1938 gehört Hausbruch durch das Groß-Hamburg-Gesetz zu Hamburg. Nach dem Zweiten Weltkrieg bezogen viele Menschen Wochenendhäuser und Behelfsheime im Hausbrucher Raum, die in den folgenden Jahrzehnten ausgebaut oder durch vollwertige Häuser ersetzt wurden. In den 1980er-Jahren wurden nördlich des Rehrstiegs zahlreiche Reihenhaussiedlungen für Personen errichtet, die aufgrund der Hafenerweiterung in Altenwerder umsiedeln mussten.
Im Jahr 1984 wurde die S-Bahn-Linie S3 bis nach Neugraben eröffnet und der Bahnhof Hausbruch abgerissen. Die beiden Bahnübergänge wurden geschlossen und durch je eine Fußgänger- und Radfahrer-Unterführung ersetzt. Direkter innerörtlicher Straßenverkehr in Nord-Süd-Richtung ist seitdem nicht mehr möglich. Durch die geänderte Verkehrsanbindung gaben die meisten der – traditionell an der Cuxhavener Straße angesiedelten – Geschäfte auf. Aber eben nicht alle, wie die Fahrt entlang der Hauptverkehrsader des Stadtteils zeigt.
*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)