Zwei Gesichter
Grün zu wohnen bedeutet nicht unbedingt abseits zu leben. Bestes Beispiel dafür ist Farmsen-Berne im Bezirk Wandsbek. Anders als andere Stadtteile im Nordosten Hamburgs hat der Ort den Vorteil eigener U-Bahnstationen. Die Linie U1 fährt regelmäßig bis in die späten Abendstunden in die Innenstadt und zurück. Zudem verkehrt ein Schnellbus in die City. Diese ist innerhalb von einer halben Stunde erreichbar, sofern man nahe der Stationen wohnt.
Obwohl Farmsen und Berne zusammengehören, ist der Stadtteil recht unterschiedlich geprägt. Farmsen ist mit seinem zweistöckigen Einkaufszentrum direkt am Bahnhof eher modern, wobei der Bahnhof derzeit als Problemzone gilt: Busse, Taxis, Radler und Fußgänger müssen sich mit dem restlichen Autoverkehr auf engstem Raum unter der Bahnbrücke und vor den Geschäften verständigen. Berne hingegen mutet mit seinem Wochenmarkt und den zahlreichen kleinen Läden gemütlicher an.
Günstiges Wohnen in Farbe
Gemeinsam ist beiden, dass dort mit einem Anteil von 34 Prozent mehr Ein- und Zweifamilienhäuser stehen als durchschnittlich in Hamburg (20,1 Prozent). Gleichzeitig ist der Anteil der Sozialwohnungen mit 6,7 Prozent niedriger als in der Stadt (9,4 Prozent). In Farmsen-Berne kann man, im Vergleich zu anderen Hamburger Stadtteilen, relativ preiswert wohnen. In den kommenden Jahren sollen knapp 1.000 neue Wohneinheiten vor allem entlang der Farmsener August-Krogmann-Straße entstehen.
Bereits jetzt leben knapp 35.000 Menschen in „Farbe“, wie Farmsen-Berne liebevoll genannt wird, darunter überdurchschnittlich viele junge Familien. Sie schätzen nicht nur die gute Verkehrsanbindung, sondern auch die zahlreichen grünen Oasen in dem 8,3 Quadratkilometer großen Gebiet. So lässt es sich gut an den Ufern des Bachs Berner Au spazieren, der den Stadtteil durchfließt und am Kupferteich mit seinen Grünflächen zu einem See aufgestaut wird.
Schloss mit wechselnder Bestimmung
Einige Seen liegen zudem nahe des herrschaftlichen Guts Berne, auch „Berner Schloss“ genannt. Im Jahr 1296 urkundlich erwähnt, gehörte es seit 1375 dem Hospital St. Georg und wurde ab 1600 als Sommerresidenz sowie Gästehaus des Hamburger Senats genutzt. 1886 kaufte Karl Baron von Schröder das Anwesen und baute es zu einem Mustergut aus.
In den nächsten Jahrhunderten wurde das Gut recht unterschiedlich genutzt: In der Nazizeit wurde es an die Motorradschule der SS vermietet, nach 1945 war es Lazarett, danach ein Erholungsheim für TBC-Kranke, ein Jugend- und Männerwohnheim sowie ein Kindertagesheim. 2001 hat die Gartenstadt Hamburg eG Wohnungsgenossenschaft das Gut nach drei Jahren Leerstand von der Freien und Hansestadt Hamburg erworben.
Heute befindet sich die Verwaltung im oberen Teil des Gebäudes. Der sogenannte Rittersaal und zwei weitere Räume im Erdgeschoss können für private Feiern und weitere Veranstaltungen, zum Beispiel Trauungen, gebucht werden. Der Kulturkreis Berner Schloss bläst sechsmal jährlich kulturellen Wind in die ehrwürdigen denkmalgeschützten Räume, darunter Blues & Soul, Klassik mit Operette und Musical sowie Rockiges.
Zu den bisherigen Höhepunkten zählen die Rezitationen von Christian Quadflieg, ein Hamburg-Gastspiel der britischen Bluesgröße Paul Millns und der Auftritt des Calmus Ensemble aus Leipzig. Darüber hinaus ist der Gutspark mit seinen stattlichen alten Bäumen einen Besuch wert. Schattige Bäume finden sich zudem im Strandbad Farmsen, das 1928 aus einer ehemaligen Tongrube entstand und seitdem im Sommer gerne zum Schwimmen angesteuert wird.
Schlittschuh-Spaß
Eher winterliche Gefühle werden wach, wenn man auf Kufen durch die Eishalle in Farmsen gleitet. Jeden Sonnabend von 20 bis 22 Uhr begleiten einen im Eisland coole Beats und Lasereffekte bei der Polarlicht-Disco. Zudem ist das Eisland nach dem Rückzug der Hamburg Freezers die Eishockey-Hochburg der Hansestadt. In der Eishalle am Berner Heerweg tragen die Crocodiles Hamburg ihre Heimspiele aus, die derzeit die höchstspielende Mannschaft der Hansestadt in dieser Sportart sind.
Ein beliebter Treffpunkt für Veranstaltungen ist die unter Denkmalschutz stehende Karl-Schneider-Halle auf dem Gelände des VHS-Zentrums. Der Bau aus der Vorkriegsmoderne stand bis 1990 zum Abriss, doch konnte er – auch dank des Volkshochschulvereins – gerettet und saniert werden. 2007 wurde dort die Miss Ghana gewählt, unterbrochen von einer Bombendrohung. Zudem hat die Deutsch-Polnische-Gesellschaft Hamburgs ihren Sitz im VHS-Gebäude.
Für die Stärkung der Zusammengehörigkeit im Stadtviertel engagiert sich der Bürgerverein Farmsen-Berne mit seinen mehr als 500 Mitgliedern: Er organisiert Veranstaltungen und hilft dort, wo Not ist. Im Stadtviertel gibt es übrigens zahlreiche Brückengeländer, die der Metall- und Steinbildhauer Ernst Hanssen in den 1960er-Jahren neu gestaltet hat.
Treffpunkt der Jockeys
Der Name der U-Bahn-Station „Trabrennbahn“ und mehrere Straßen – darunter Sulkyweg, Schimmelweg und Traberweg – deuten darauf hin, dass es in ihrer Nähe einst eine bedeutende Pferderennbahn gab: von 1911 bis 1976. Dadurch wurde das Dorf in ganz Deutschland bekannt. Auf der 24 Hektar großen Rennbahn starteten berühmte Jockeys wie Charlie Mills, Walter Heitmann und Hans Frömming, an die ebenfalls Farmsener Straßennamen erinnern.
Im Februar 1976 musste der Rennbetrieb, hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, aufgegeben werden. Das Gelände in Farmsen wurde stattdessen unter anderem als privater Gebrauchtwagenmarkt genutzt, ansonsten lag es brach – bis in den 1990er-Jahren rund um das Oval der Rennbahn die Wohnsiedlung Trabrennbahn entstand. Dort wurden die ehemaligen Ziegelteiche erhalten, an denen Wildgänse leben. Die grüne Wohninsel erhielt international zahlreiche Städtebaupreise.
Siedler aus Schweden
Bereits in den ersten Jahrhunderten nach Christus hat im Raum Farmsen der germanische Volksstamm der Sweben, ursprünglich aus Schweden kommend, gesiedelt. Fundstücke aus den 1950er-Jahren wie Feldschmiede, Holzkohlenmeiler und Dorfbrunnen weisen auf die Existenz mehrerer Gehöfte hin.
Wahrscheinlich im dritten Jahrhundert nach Christus haben die Sweben Farmsen verlassen und sind im Zuge der Völkerwanderung ins Gebiet Schwaben weitergezogen, das von ihnen den Namen erhielt. An die Sweben erinnern in Farmsen heute noch einige Straßennamen wie Feldschmiede, Swebenbrunnen und Swebengrund.
Die Orte Farmsen und Berne wurden beide erstmals 1296 urkundlich erwähnt, als die Einkünfte beider Dörfer an das Kloster Harvestehude übertragen wurden. Der Name Berne ist von der Berner Au, dem dort fließenden Bach, abgeleitet und bedeutet „Bachlauf“.
Farmsen war dabei als Vermerschen eingetragen, abgeleitet von Fridumareshusen oder Fridumaresheim, das auf die Gründung durch einen fränkischen Siedler namens Fridumar verweist. Erst im 17. Jahrhundert kamen die Namen Vermelsen und Farmelsen auf, aus dem dann später der heutige Name Farmsen entstand.
Blühender Metallhandel
Jahrhundertelang war Farmsen weitgehend landwirtschaftlich geprägt. Doch wie der Straßenname Kupferdamm oder der Kupferteich andeuten, gab es nachweislich ab 1480 bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine Mühle an der Berner Au, wo Bleche und Drähte aus Kupfer hergestellt wurden. Die Erze hierfür kamen unter anderem aus Schweden, wurden im Lübecker Hafen umgeschlagen und mit Pferdefuhrwerken nach Farmsen transportiert
Farmsen war damit bereits im 14. Jahrhundert ein „Industriestandort“. Die Kupferbleche und Messingdrähte wurden auf dem Landweg und über den Hamburger Hafen nach Antwerpen und Amsterdam exportiert. 300 Jahre lang war Vermersen/Varmsen eine wichtige Zwischenstation im Metallhandel zwischen Nord- und Westeuropa.
In den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts hatte der Ort, außer dem Farmsener und dem Berner Gutshof, zwei größere und mehrere kleinere Bauernhöfe. Am heutigen Berner Heerweg lag der Hof von August Krogmann, der der Hamburgischen Bürgerschaft angehörte.
Natürlich Wohnen
Im Jahr 1919 erwarb die frisch gegründete Gartenstadt Hamburg eG rund 55 Hektar des ehemaligen Gutes Berne. Bis 1932 wurden dort mehr als 500 Einzel- und Doppelhäuser in genossenschaftlicher Selbsthilfe errichtet. Am Anfang entstanden Putzbauten, später Klinkerhäuser. Noch heute lassen die mit Vogelschnitzereien verzierten Fensterläden die Gartenstadt wie einen heimeligen Ferienort wirken.
Das ehemalige Werk- und Armenhaus wurde 1904 bis 1911 gebaut. Gegenüber, an der August-Krogmann-Straße, entstanden Beamtenhäuser im Heimatstil mit Fachwerk. Die Abseitslage des Gebiets von Hamburg oder Wandsbek endete 1920, als die Walddörferbahn von Barmbek bis Volksdorf ihren Betrieb aufnahm.
Farmsen und Berne wurden 1937 als Farmsen-Berne durch das Groß-Hamburg-Gesetz in die Stadt Hamburg eingegliedert. Nach 1945 verlor Farmsen seinen dörflichen Charakter, denn in der Nachkriegszeit musste dringend Wohnraum geschaffen werden. So entstand von 1953 bis 1954 die „Gartenstadt Farmsen“ auf einer bis dahin landwirtschaftlich genutzten Fläche zwischen der Straße Am Luisenhof und der August-Krogmann-Straße.
Die Siedlung erhielt die Form eines stilisierten Ahornblatts mit organisch geschwungenen Straßen und Wegen, die an Blattadern erinnern. „Licht, Luft und Sonne für jede Wohnung“, das versprach die von Professor Hans Bernhard Reichow entworfene Gartenstadt. Dort wohnten Arbeiter und Angestellte recht naturverbunden. Heute haben rund 5.000 Menschen ihr Zuhause in der Gartenstadt – mit Platz für Freizeit und Erholung im Grünen.
*Quelle: Hamburger Stadtteilprofile, Statistikamt Nord (Stand: Jan 2019)