Der Anteil jungerwachsener Obdachloser ist stabil. Außerdem werden Hilfeangebote verstärkt in Anspruch genommen. Dies sind die zentralen Ergebnisse einer Obdachlosenbefragung, die im März im Auftrag der Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz mit Unterstützung der Wohlfahrtsverbände durch geführt worden ist. Heute wurden die Ergebnisse im Rahmen einer Pressekonferenz mit Hamburgs Sozialsenator Dietrich Wersich vorgestellt.
„In der herkömmlichen Obdachlosen-Struktur können wir erhebliche Erfolge feststellen, die ein gemeinsamer Verdienst von Stadt, Trägern und Betroffenen sind. Hierfür möchte ich allen Beteiligten danken“, sagt Senator Dietrich Wersich. „Aber wir beobachten auch einen Wandel durch Zuwanderung. Während die Zahl der deutschen Obdachlosen sinkt, steigt die Zahl der nicht-deutschen Obdachlosen, darunter offenbar viele, die schon als Menschen ohne Obdach zuwandern. Eine sorgfältige Analyse dieser gegenläufigen Entwicklung ist erforderlich, um das Hilfesystem entsprechend den neuen Anforderungen weiterentwickeln zu können.“
Zentrale Ergebnisse der Befragung, die nach demselben Muster der früheren Befragungen durchgeführt wurde, um vergleichbare Daten zu erhalten, sind:
20 Prozent weniger Obdachlose als 2002
Die Zahl der Menschen, die angaben, ausschließlich oder überwiegend auf der Straße zu leben, ist in den letzten sieben Jahren um 20 Prozent und damit deutlich gesunken (2009: 1.029 Menschen, 2002: 1.281 Menschen).
Tatsächlich sind noch weniger einheimische Menschen obdachlos, da der Anteil nicht-deutscher Obdachloser seit 2002 von 17 Prozent auf 27 Prozent gestiegen ist. Außerdem konnten 115 obdachlose Menschen, die mitgezählt wurden, nach Ende des Winternotprogramms ihre Obdachlosigkeit beenden und in Wohnunterkünfte oder Wohnungen vermittelt werden.
Die Zahl der jungen und weiblichen Obdachlosen ist rückläufig, der Anteil stabil
Der Anteil der unter 25jährigen Obdachlosen hat sich nicht erhöht, sondern ist seit der ersten Befragung 1996 mit 12 Prozent stabil. Auch der Anteil der obdachlosen Frauen ist mit 22 Prozent seit 2002 auf gleichem Niveau. Da die Gesamtzahlen rückläufig sind, sind auch absolut weniger junge und weibliche Obdachlose gezählt worden.
Höheres Durchschnittsalter, da weniger junge Langzeit-Obdachlose
Das Lebensalter der obdachlosen Menschen in Hamburg hat sich weiter erhöht, da es weniger junge Langzeitobdachlose gibt. Aktuell liegt das Durchschnittsalter bei 43 Lebensjahren (1996: 37 Jahre, 2002: 40 Jahre). Die Alterung der Obdachlosen zeigt, dass es besser gelingt, dauerhafte Obdachlosigkeit bei jüngeren Menschen zu vermeiden. Ältere Langzeit-Obdachlose hingegen weisen offenbar eine größere Entfernung zu den Ausstiegshilfen auf und ziehen teilweise trotz vorhandener Hilfeangebote ein Leben auf der Straße jeder anderen Wohnform vor.
In der Konsequenz ist daher auch die durchschnittliche Dauer der Obdachlosigkeit auf 58 Monate gestiegen (2002: 47 Monate), wobei berücksichtigt werden muss, dass viele Obdachlose ihre Obdachlosigkeit immer wieder unterbrechen. Auch hier zeigt sich, dass bei früher Unterstützung durch entsprechende Hilfeangebote die Integration und Vermittlung in Wohnraum gelingt, bei Langzeit-Obdachlosen jedoch eine Distanz zum Hilfesystem zu beobachten ist. Hier liegen besondere Herausforderungen für alle Beteiligten.
Hilfeangebote werden besser in Anspruch genommen
In den letzten drei Monaten haben rd. 60 Prozent der befragten Obdachlosen und damit 12 Prozent mehr als 2002 Übernachtungsangebote in Anspruch genommen. Auch weitere Hilfeangebote wie Tagesaufenthaltsstätten, Mobile Hilfen und der Mitternachtsbus werden gut in Anspruch genommen und von zwischen 49 und 64 Prozent der obdachlosen Menschen genutzt.
Weitere Erkenntnisse, die erstmalig erfragt wurden
- 77 Prozent der deutschen Obdachlosen besitzen eine Krankenversichertenkarte (30 Prozent der nicht-deutschen Obdachlosen).
- 75 Prozent der deutschen Obdachlosen beziehen Einkommen, der Großteil Arbeitslosengeld (58 Prozent), ansonsten Rente, Arbeitseinkommen oder Sozialhilfe. 10 Prozent gaben an, ohne Einkommen zu sein oder vom Betteln zu leben (5 Prozent). Weitere 10 Prozent gaben „Sonstiges“ an.
- 61 Prozent der obdachlosen Menschen haben nach eigenen Angaben Schulden, vor allem junge Obdachlose. In der Praxis erweist sich das Vorhandensein von Schulden oft als Integrationshemmnis: Obdachlose Menschen fliehen vor dem Schuldenberg und beginnen ein Leben auf der Straße. Da die Rückzahlung der Schulden als unüberwindliches Hindernis erscheint, werden die Hilfeangebote insgesamt stärker abgelehnt.
- 41 Prozent der deutschen und insgesamt 36 Prozent aller obdachlosen Menschen besitzen ein Girokonto. 43 Prozent der befragten Obdachlosen wollen kein Girokonto haben oder sie haben sich nicht darum gekümmert. Die 32 Prozent der Obdachlosen, die angaben, dass die Bank ihnen kein Girokonto gebe, waren in einem überproportional hohen Maße verschuldet.
Bewertung der Ergebnisse
Der Rückgang obdachloser Menschen in Hamburg zeigt, dass das Mitte 2005 eingeführte Fachstellenkonzept greift und es verstärkt gelingt, sowohl präventiv Obdachlosigkeit zu verhindern als auch bereits obdachlose Menschen zu integrieren. Dazu tragen unter anderem die seit 2002 durchgeführten Hilfemaßnahmen wie Straßensozialarbeit, die Einrichtung eines Stützpunktes für Obdachlose in der Innenstadt sowie die Vermittlung von Obdachlosen in eigenen Wohnraum oder in andere Hilfeangebote im Rahmen des Winternotprogramms bei. Allein im Rahmen des letzten Winternotprogramms konnten 115 obdachlose Menschen in eine feste Bleibe vermittelt werden.
Die Erfolge ermuntern zur Fortsetzung der Aktivitäten, zeigen aber auch neue Handlungsbedarfe. Die Sozialbehörde nimmt die Ergebnisse der Befragung daher zum Anlass, das bestehende Hilfesystem entsprechend dem Strukturwandel weiterzuentwickeln und wird sich hierbei unter anderem an den Bedürfnissen älterer Langzeit-Obdachloser orientieren. Senator Wersich: „Was bei jungen Obdachlosen gelingt, stellt uns bei älteren Langzeit-Obdachlosen vor eine Herausforderung, da sie sich mit der Obdachlosigkeit oft arrangiert haben. Hier gilt es, alle Möglichkeiten der Unterstützung auszuschöpfen.“
Trotz des stabilen Anteils jungerwachsener Obdachloser ist auch diese Personengruppe weiterhin im besonderen Fokus der Sozialbehörde. Die Einrichtung von speziellen Projekten für junge obdachlose Menschen wird von diesen gut angenommen und hat sich bewährt. Da jedoch etwa die Hälfte der befragten Jungerwachsenen angaben, vor ihrer Obdachlosigkeit bei ihren Eltern oder in Einrichtungen der Jugendhilfe gelebt zu haben, muss hier weiter überlegt werden, wie Obdachlosigkeit frühzeitig vermieden und Integration erreicht werden kann.
Peter Laschinski, Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege: „Es ist erfreulich, dass die Zahl obdachloser Menschen im Vergleich zur letzten Untersuchung zurückgegangen ist. Dennoch stellen die über 1.000 Menschen, die auf die Straße leben, eine große Herausforderung zum Handeln dar. Bedarf besteht nach unserer Einschätzung vor allem bei den Langzeitobdachlosen, da über 1/3 der befragten Menschen länger als 5 Jahre obdachlos sind. Hier müssen die spezifischen Angebote verbessert werden.“
Eine differenzierte Auswertung der Befragungsergebnisse wird auf einer für 2010 geplanten Fachtagung der Sozialbehörde zum Thema „Europäisches Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung“ gemeinsam mit den Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege vorgenommen.
Hintergrund und Durchführung der Befragung
Bei der nach 1996 und 2002 zum dritten Mal durchgeführten Untersuchung handelt es sich in Bezug auf die Größe der befragten Personengruppe und den Umfang der ermittelten Informationen um eine in Deutschland einmalige, repräsentative empirische Befragung von obdachlosen Menschen. Neben grundlegenden Strukturdaten wurden erstmalig Angaben zur Verschuldung, zum Vorhandensein eines Girokontos und einer Krankenversicherungskarte ermittelt.
Die Befragung ist vom 25. bis 31. März 2009 von dem Bremer Sozialwissenschaftler Torsten Schaak durchgeführt worden. Die Befragten wurden in rund 90 Anlaufstellen, die obdachlosen Menschen in Hamburg Hilfe anbieten, aufgesucht, z.B. in Tagesaufenthaltsstätten, Bahnhofsmissionen, Suppenküchen, Mobilen Hilfen, der Krankenstube, Drogenberatungsstellen, Hinz und Kunzt, dem Mitternachtsbus, Notübernachtungseinrichtungen sowie diversen Beratungsstellen. Die Befragung war freiwillig und anonym.
Die Befragung ist im Internet einzusehen unter www.hamburg.de/obdachlosigkeit