Die Kernbotschaften:
- Ein Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes war, ist und bleibt die Beobachtung der islamistischen Szene. Das Personenpotenzial ist von 1.755 (2022) auf 1.840 (Ende 2023) gestiegen. Gründe dafür sind die weitere Aufklärung des Dunkelfeldes sowie Zuwächse bei einzelnen islamistischen Gruppierungen, unter anderem bei der Hizb ut-Tahrir (HuT) und der Furkan-Gemeinschaft. 83 Prozent aller Islamisten gelten in Hamburg als gewaltorientiert. [Hinweis: Zur Definition von „gewaltorientiert“, nicht synonym mit gewalttätig, militant oder gewaltbereit zu verwenden, siehe unten].
- Zu den jüngsten islamistischen Aktivitäten zählten Demonstrationen im April und Mai 2024 in St. Georg, die von der gesichert extremistischen Gruppierung „Muslim Interaktiv“ organisiert wurden. Zudem versuchten Islamisten, den Ramadan für ihre ideologischen Zwecke zu instrumentalisieren. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg informierte die Öffentlichkeit frühzeitig über diese Aktivitäten und die Versuche von Islamisten, gesellschaftlich relevante, breit diskutierte Themen zu besetzen und zu instrumentalisieren (Entgrenzung). Der Anstieg der Straftaten im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – religiöse Ideologie“ von 22 (2022) auf 62 (2023) beruht im Wesentlichen auf der Eskalation des Nahostkonfliktes nach dem Überfall der terroristischen HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023.
- Generell strahlte der Nahostkonflikt international, auch in Deutschland, auf nahezu alle extremistischen Phänomenbereiche aus. Pro-palästinensische Proteste gegen das israelische Vorgehen im Gazastreifen wiesen, unabhängig vom Phänomenbereich, häufig antisemitische Konnotationen auf.
- Im Juni 2023 bestätigte das Verwaltungsgericht Hamburg, dass die öffentliche Mitteilung des Hamburger Verfassungsschutzes über das Islamische Zentrum Hamburg als extremistische und vom Iran gesteuerte Einrichtung rechtmäßig ist.
- Im Bereich des Rechtsextremismus hat das LfV Hamburg im Juni 2023 die „Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft“ (SWG) als gesichert extremistische Bestrebung eingestuft. Die SWG fällt unter anderem durch Geschichtsrevisionismus, Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung und die Unterstützung weiterer rechtsextremistischer Bestrebungen auf.
- Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten stieg von 484 (2022) auf 716 (2023). Mehr als 80 Prozent dieser Straftaten entfielen auf Äußerungs- und Propagandadelikte (insbesondere §§ 86a, 130 und 185 StGB: Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Beleidigung). Auf diese Delikte ist der Anstieg im Wesentlichen zurückzuführen. Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten stagnierte in etwa (2022: 56; 2023: 55). Wie in den Vorjahren entfielen die mit Abstand meisten rechtsextremistischen Straftaten auf den Tatbestand des §86a StGB. Die vorliegenden Daten zu Tatverdächtigen deuten darauf hin, dass die Taten in vielen Fällen aus einem Randständigen-Milieu heraus begangen werden, häufig in alkoholisiertem Zustand und in Provokationsabsicht gegenüber den Sicherheitskräften
- Der Anstieg der rechtsextremistischen Straftaten ist nach Einschätzung des LfV auf die größere Sensibilität für Hassbotschaften und Anzeigebereitschaft sowie die Akzeptanz staatlicher Meldestellen wie die Zentrale Hinweisaufnahme Rechtsextremismus der Polizei Hamburg zurückzuführen. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die fortgesetzte Tendenz der Verrohung im politischen Diskurs, insbesondere in sozialen Medien, Einfluss auf die Entwicklung politischer Äußerungsdelikte hatte.
- Die Arbeit der beiden Spezialeinheiten zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Islamismus im Internet erweisen sich weiterhin als ausgesprochen effektiv. Um die Methodik dieser Einheiten nicht zu gefährden, können Einzelfälle nicht offengelegt werden. Der Mehrwert besteht insbesondere in einer verbesserten Aufklärung von als prioritär eingestuften Einzelpersonen und Kleingruppen, insbesondere auch solchen ohne oder ohne signifikante Berührungspunkte außerhalb der virtuellen Welt. Wesentlicher Gegenstand der Arbeit der Spezialeinheiten ist stets die strukturell bezogene Aufklärung virtueller Aktivitäten der rechtsextremistischen und der islamistischen Szene in Hamburg, das Monitoring von Gefährderinnen und Gefährdern oder sonstigen verfassungsschutzrelevanten Personen.
- Die Aufgaben des Hamburger Verfassungsschutzes im Kampf gegen Cyberspionage und Cyberattacken haben nach wie vor eine hohe Bedeutung – nicht zuletzt vor dem andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Die Zahl der Außenkontakte der Hamburger Cyberspionageabwehr blieb auch im Jahr 2023 auf hohem Niveau.
- Auch im Jahr 2023 waren in Hamburg Extremisten mit Auslandsbezug aktiv, darunter Anhänger der verbotenen PKK sowie türkische Rechtsextremisten. Der Anstieg der Politisch motivierten Kriminalität in diesem Bereich ist auf Taten im Kontext des Nahostkonfliktes, des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie von PKK-Anhängern zurückzuführen.
- In Hamburg ist, trotz leichten Rückgangs des Personenpotenzials von 1.130 (Ende 2022) auf 1.060 (Ende 2023) aufgrund des Bedeutungsverlustes orthodoxer Kommunisten, weiterhin eine starke linksextremistische Szene aktiv. 76 Prozent aller Hamburger Linksextremisten gelten als gewaltorientiert. Zuläufe waren unter anderem zu jüngeren Antifa-Gruppierungen erkennbar. Der Anstieg im Bereich der linksextremistischen Taten von 80 (2022) auf 137 (2023) erfolgte aufgrund von Demonstrationen und Sachbeschädigungen im Kontext des 1. Mai 2023, des „Tag X“ nach der Verurteilung militanter Linksextremisten in Dresden sowie des Tages der deutschen Einheit in Hamburg.
- Nachdem durch den Überfall der terroristischen HAMAS auf Israel der Nahostkonflikt eskaliert ist, wurde die Sollbruch-Stelle innerhalb der linksextremistischen Szene deutlich erkennbar. So werden im Spektrum sowohl pro-israelische als auch pro-palästinensische Positionen vertreten. Ausdruck dieser tiefen Spaltung war unter anderem die jüngste Besetzung der autonomen Roten Flora durch Personen des antiimperialistischen Spektrums.
- Nach wie vor waren in Hamburg Personen aus dem Bereich des Verschwörungsideologischen Extremismus, insbesondere bei Demonstrationen, sowie der Scientology-Organisation aktiv. Die von Hamburg als erstes Bundesland vorgenommene Berichterstattung unter der Überschrift „Verschwörungsideologischer Extremismus“ hat sich analytisch bewährt. Die Phänomenbereiche „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ sowie „Reichsbürger und Selbstverwalter“ sind, trotz ideologischer Schnittmengen, Extremismusphänomene sui generis. Bei der Aufklärung der Reichsbürger-Szene hat sich insbesondere die Kooperation mit anderen Behörden (zum Beispiel den Kundendienststellen der Bezirksämter) bewährt.
- Ein Hinweis zum Begriff „Gewaltorientierung“ bei den einzelnen Personenpotenzial-Zahlen: Unter dem Begriff der Gewaltorientierung werden alle Handlungen von Personen subsumiert, die als gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend oder gewaltbefürwortend (keine synonymen Begriffe) zu bezeichnen sind. Das heißt, darunter sind auch Personen, die Gewalt selbst nie anwenden.
„Erhebliche personelle Verstärkung“
Innensenator Andy Grote: „Wir feiern in diesem Jahr den 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes – und gerade in diesem Jubiläumsjahr, in dem unsere Demokratie von vielen Seiten unter Druck gerät, ist unser Verfassungsschutz so gefordert wie selten zuvor. Der Verfassungsschutz ist die Alarmanlage und gleichzeitig die erste Verteidigungslinie unseres gewollt als wehrhaft und streitbar ausgestalteten Grundgesetzes. Islamisten, Rechtsextremisten, Linksextremisten und Verschwörungsideologen bedrohen unsere demokratische Gesellschaft genauso wie aggressive Spionage- und Cyberattacken. Wir werden diesen inneren und äußeren Verfassungsfeinden auch künftig auf den Füßen stehen. Der Verfassungsschutz ist in der Vergangenheit ganz erheblich personell gestärkt worden – und wir werden hier nicht nachlassen. Ich danke, gerade in diesen Zeiten, ausdrücklich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Nachrichtendienstes, die sich Tag für Tag leidenschaftlich mit höchster Expertise für den Schutz unseres Grundgesetzes und seiner Werte einsetzen. Ich weiß aus mittlerweile langjähriger Erfahrung, dass dieser Beruf für sie kein reiner Job ist, sondern eine Berufung, für die sie tagtäglich brennen und leben.“ Der Senator weist zudem auf die zahlreichen Erfolge im Kampf gegen Extremisten hin, die der Verfassungsschutz gemeinsam mit weiteren Behörden vorweisen kann: „In Zeiten allgegenwärtiger Krisen und Herausforderungen können die Hamburgerinnen und Hamburger sicher sein, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unseres Hamburger Verfassungsschutzes engagiert und hochmotiviert für die Sicherheit der Menschen in unserer Stadt arbeiten werden. Gemeinsam mit den übrigen Sicherheitsbehörden und der Justiz sind wir dabei auch erfolgreich, wie zahlreiche Ermittlungsverfahren, Festnahmen, Durchsuchungen, Verurteilungen oder auch Ausweisungen von Extremisten in den vergangenen Jahren eindrucksvoll belegen – Maßnahmen die ohne die ausgezeichnete Aufklärungsarbeit unseres gut aufgestellten Verfassungsschutzes nicht möglich gewesen wären.“
„Frühwarnsystem und Diskursmotor der Demokratie“
Senatsdirektor Torsten Voß, Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz: „Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes war nach den Erfahrungen der von Antidemokraten zerstörten Weimarer Demokratie bewusst, dass informierte, aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger mutmaßlich der beste Schutz für unsere Demokratie sind. So haben sie vor 75 Jahren absichtsvoll einen Verfassungsschutz geschaffen, dessen vornehmste Aufgaben die Funktionen des Frühwarnsystems, der Information und des Diskursmotors unserer wehrhaften Demokratie sind. Wir werden auch in Zukunft so intensiv wie möglich mit den anderen Sicherheitsbehörden und öffentlichen Stellen zusammenarbeiten, denn wir wissen, wie wertvoll unsere Informationen im Kontext von Maßnahmen wie Vereinsverboten, Durchsuchungen, Festnahmen, Ermittlungsverfahren, Prozessen sowie Verurteilungen und Ausweisungen von Extremisten sind.“ Der aktuelle Verfassungsschutzbericht, der neben weiteren Zahlen, Daten und Fakten auf den Homepages von Innenbehörde und Landesamt für Verfassungsschutz abrufbar ist, enthält zudem umfangreiche Informationen zur Scientology-Organisation, zur Spionage- und Cyberabwehr, zum Geheim- und Sabotageschutz sowie zu den vielfältigen, gesetzlich vorgeschriebenen Mitwirkungsaufgaben des Nachrichtendienstes.
Rückfragen der Medien:
Behörde für Inneres und Sport
Pressestelle Telefon: 040 42839 2673
E-Mail: pressestelle@bis.hamburg.de
Landesamt für Verfassungsschutz
Telefon: 040 42839 7007
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