Buch des Jahres
Till Raether für „Die Architektin“ (btb)

Eine Frau führt die Männerwelt der Siebziger Jahre ad absurdum, indem sie deren Regeln auf den Kopf stellt und für sich nutzt.
„Till Raether hat eine veritable Tricksterin erschaffen. Rabiat, radikal und raffiniert lässt die Architektin die Herren nach ihrer Pfeife tanzen: „Häuser, Geld und Männer konnte man nie genug haben.“ Mit großer Akkuratesse und Lust am sprachlichen Spiel beschreibt Till Raether die Siebziger Jahre in West-Berlin, so dass eine Welt wieder aufersteht, die es so nur in einer eingemauerten Stadt gegeben haben kann."
Auszug aus der Laudatio von Senator Dr. Carsten Brosda
Sachbuch des Jahres
Moshtari Hilal für „Hässlichkeit“ (Hanser)

„Dieses Buch handelt vom Sehen und Gesehenwerden. Dieses Buch handelt vom Hass in der Hässlichkeit und vom Abseits und Gegensatz des Schönen. [...]" Moshtari Hilal
„Wie in jedem guten Sachbuch markiert auch in „Hässlichkeit" ein historisches Ereignis den Beginn einer großen Erzählung: Der Besuch des Schulfotografen, der ein Lächeln einfordert. Das Ergebnis: Ein Passfoto, das den Blick eines Kindes auf sich selbst komplett verändert. Es ist dieses Foto, das Moshtari Hilal hervorkramt, an den Anfang des Buches und sich selbst gegenüberstellt. Sie füllt Seiten voll mit ihrer Kunst, Screenshots und lyrischen Abzweigungen. „Hässlichkeit" bricht mit dem, was Lesende vielleicht von einem Sachbuch erwarten, und überrascht auf die beste Weise mit neuen Zutaten, die den Sachbüchern der Zukunft die nötige Würze verleihen können."
Laudatio von Anne Sauer (Auszug)
Roman
Nefeli Kavouras für „Wann stirbt Georg?"

Abwechselnd und aus der Ich-Perspektive erzählen die Protagonistinnen Ruth (54) und Lea (16), wie es ist, einem geliebten Menschen hilflos beim Sterben zuzusehen.
„Wir alle müssen sterben. Aber was, wenn es so weit ist? „Die Beerdigungsgäste sind gegangen, wir wissen nicht, was wir mit den Kuchenresten anfangen sollen" – was für ein Intro! In dem bereits alles enthalten ist, was nun Seite für Seite auf uns zurollen wird: Tragik und Komik, der Schrecken des Endes und die Banalität des täglichen Weiterlebens, überhaupt Gewissheit und Ratlosigkeit und dazwischen jede Menge Fragen. [...] Nefeli Kavouras betritt mit ihrem fesselnden Romanprojekt »Wann stirbt Georg?« noch einmal ganz anders die literarische Welt: zeigt sich uns als neue und entschlossene erzählerische Stimme.
Auszug aus der Laudatio von Frank Keil-Behrens
Roman
Anselm Neft für „Ein Nachruf auf Fukurō Hayashi“

„Was machst du, wenn die wirkliche Welt nicht gut für dich ist?"
„Es ist das Bild eines Lurchs, das den Ich-Erzähler von einem Moment auf den anderen aus der Bahn wirft: kleinformatig, im Original ein Ölgemälde, nun eine digitale Abbildung, erschaffen von einer japanischen Künstlerin namens Fukurō Hayashi; einzigartig und zufällig beim Surfen im Internet entdeckt. Die Faszination des nahezu transzendent wirkenden Werkes wird bestimmend für die Suche, auf die er sich fortan begibt, als zählte nichts anderes mehr, und von den ersten Sätzen an überträgt sich die Dringlichkeit dieses Unterfangens unweigerlich auf den Leser dieses soghaften Textes."
Auszug aus der Laudatio von Sophia Jungmann
Erzählung
Saša Stanišić für „Traumnovelle“
„Dass die Zeit stehen geblieben war, hatte Dilek lange gar nicht
mitbekommen, und das ärgerte sie im Nachhinein. Wenn die Zeit
schon einmal stehenbleibt, dann willst du das ja effektiv
nutzen [...]."
„Im Topos der stehengebliebenen Zeit manifestiert sich schließlich die geniale Zusammenführung von Möglichkeit und Stillstand in Dileks Leben, die sagt: „Als wäre es einfach, aus einem Leben zu steigen und in ein anderes zu springen." Dieser feinsinnige und sprachlich hochköstliche Text macht zunächst den Anschein, als wäre es das. Aber lassen Sie sich nicht täuschen!"
Auszug aus der Laudatio von Frauke Schneider
Erzählung
Katharina Unteutsch für „Woran wir glauben“

„[...] Neun längere und kürzere Splitter, Tableaus, Impressionen, manchmal flackernde Farb-Bilder, Innen- und Außenblicke, sprachlich sehr präzise."
„Es geht um ein Apartment, um golden glänzende Minikleider von Tänzerinnen, um nicht echte Farne und Tropic Snow und dass sie wusste, dass es sehr schwer werden würde, Johnny zu küssen. Wenn Katharina Unteutsch aus der Sicht eines Mädchens über einen von ihr begehrten Jungen schreibt, dessen unbekümmerte Christlichkeit sie trotz aller Bemühungen nicht begreifen kann, dann ist das stilistisch, inhaltlich und atmosphärisch atemberaubend."
Auszug aus der Laudatio von Nicolai von Schweder-Schreiner
Lyrik/Drama/Experimentelles
Ulrike Syha für „Der analoge Mensch“ (Drama)

„Schon über den Titel des prämierten Stückes von Ulrike Syha lässt sich stolpern: »Der analoge Mensch«. Ist man als Mensch nicht per se analog? Oder ist das nur ein Daseinszustand von mehreren möglichen?"
„Eine Gruppe Menschen aus der Wissenschaftswelt trifft sich, um einen Podcast aufzunehmen, trifft sich zu einem Panel, sie trifft sich virtuell [...]. Und im Nu entsteht in dem Switchen zwischen den an unterschiedlichen Orten Anwesenden kraft schneller, aber präzise austaxierter Dialoge ein Geschehen von großer Dichte und Spannung. So galant komisch und unterhaltsam das Stück ist, es geht nicht um Slapstick, nicht um Comedy. Sondern um eine sorgsame Tiefenerkundung der Umbrüche in unserem Zusammensein."
Auszug aus der Laudatio von Frank Keil-Behrens
Kinder- und Jugendbuch
Tina Blase für „Geisterhelfer – Aufruhr auf dem Friedhof“

„Natürlich ist es toll, wenn man eine besondere Fähigkeit besitzt, die einem zur Ehre verhilft. Doch was, wenn man sich stattdessen plötzlich mit einer Gabe gesegnet sieht, um die man wirklich als Allerletztes gebeten hat, die einem die Haare zu Berge stehen lässt?"
„So ergeht es dem zehnjährigen Helden, als er zu seinem Entsetzen feststellt, dass er Geister sehen kann, er, der keinen Fuß auf die Kellertreppe zu setzen vermag, ohne Herzrasen zu bekommen. [...] Ideenreich und mit einer unverstellten, munteren Erzählstimme, entwirft Tina Blase eine herzenswarme und spannende Geschichte von einem, der auszieht, das Fürchten zu verlernen, und weckt mit ihr nicht nur Sympathie für stillere Zeitgenossen, sondern zeigt zugleich auf höchst vergnügliche Weise, dass es sich lohnen kann, dunkles Terrain zu betreten und Ängste zu überwinden."
Auszug aus der Laudatio von Sophia Jungmann
Comic
Ika Sperling für „Der Große Reset“

„Ein mutiges Buch. Das hört man öfter. Aber was heißt das? Mut machen. Nicht den Mut verlieren. Mutig sein."
„Ika Sperlings Comic schafft es, alle diese Dimensionen von Mut zu vereinen. Sie erzählt uns von einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Verschwörungsnarrative. Das Format des Auto-Fiktionalen ermöglicht uns den Einblick in das Ringen einer Familie mit einer geliebten Person, die abgedriftet ist. Der Comic beleuchtet, wie wir im Kleinen, im Familiären, damit umgehen können, auch wenn es schwierig ist. Das zu zeigen ist mutig, das zu lesen macht Mut."
Auszug aus der Laudatio von Lara Keilbart
Literarische Übersetzungen:
Ingo Herzke für „Die Netanjahus“

„The Netanyahus“ von Joshua Cohen aus dem amerikanischen Englisch, erschienen im Schöffling Verlag
„Slapstick, Satire und absurde Situationskomik zeichnen diesen Text aus, den Ingo Herzke scheinbar mühelos ins Deutsche übersetzt hat. Dem Übersetzer ist es gelungen, uns eigentümliche Figuren und die Zeit, in der sie leben, bildlich nahezubringen. Wir sind sofort mittendrin in diesem fantastischen Strudel, der uns hineinzieht in ein Lesevergnügen über Themen wie jüdisches Leben in den USA, Assimilation, Erniedrigungen und Identität. Und uns wurde, dank der feinfühligen literarischen Arbeit von Ingo Herzke, ein Werk in deutscher Sprache zugänglich gemacht, das unseren Blick auf das Hier und Jetzt scharf stellen, unsere Meinungen formen und unseren Austausch über diverse Grenzen hinaus fördern kann."
Auszug aus der Laudatio von Anne Sauer
Brigitte Jakobeit für „Die trotzige Schönheit der Welt“

„The Story of the Forest“ von Linda Grant aus dem britischen Englisch, erschienen bei Rowohlt Berlin
„Brigitte Jakobeit hat nicht nur aufwändige Recherche betrieben, sondern vor allem auch den speziellen Ton und Wortgebrauch der jeweiligen spezifischen Zeit mit besonderem Fingerspitzengefühl in ein heutiges Deutsch übertragen. Das ungeschriebene Gesetz, so weit weg vom Original wie nötig und so nah dran wie möglich, beherrscht sie perfekt, dabei bleibt sie rhythmisch immer gewinnend und formuliert in ihren Sätzen kostbare Nuancen. Über die Autorin heißt es, nichts an ihren Themen sei leicht, „aber dennoch alles so kunstvoll komponiert, dass man liest, ohne es zu merken, weil die Geschichte so fesselnd ist und süchtig macht". So auch in Brigitte Jakobeits Übertragung, man ist sofort mittendrin, ihr Text fließt wie von selbst. Dafür hat sie, so der einstimmige Wille der Jury, unbedingt einen Preis verdient."
Auszug aus der Laudatio von Nicolai von Schweder-Schreiner
Henrike Schmidt für „Kleine Welt, große Welt“
„Malkijat svjat, golemijat svjat“ (Gedichte) von Nadya Radulova aus dem Bulgarischen erschienen im eta Verlag
„Dass die in Bulgarien zu den wichtigsten literarischen Stimmen zählende Nadya Radulova mit diesem Band erstmals auf Deutsch zu lesen ist, ist ein großes Glück und eine immense Bereicherung. Mit der kongenialen Übersetzung von Henrike Schmidt entsteht zwar zweifelsohne völlig neue Poesie, deren schöpferischen Wert man nicht hoch genug hängen kann, die deutsche Übertragung lehnt sich jedoch feinfühlig wie kenntnisreich an wesentliche Eigenschaften der bulgarischen Vorlage an. Dies betrifft auch die kulturelle und politische Dimension der Gedichte, in denen z. B. die Metamorphosen aus feministischer Perspektive erzählt werden. In der Übersetzung von Henrike Schmidt werden die den Gedichten immanenten Themen wie Flucht, Verlust, Identität und Ausgrenzung so zu einer existenziellen Leseerfahrung, die die erhabene Kraft von Nadya Radulovas Dichtung eindrucksvoll transportiert."
Auszug aus der Laudatio von Frauke Schneider
Detaillierte Informationen gibt's in der begleitenden Publikation.
Informationen zur Jury
Die unabhängige Jury hat 226 anonymisierte Bewerbungen für Literatur, 39 Comic-Projekte und 23 literarischen Übersetzungen geprüft. In diesem Jahr waren die Lektorin Sophia Jungmann (Hoffmann und Campe), der Autor Frank Keil-Behrens (Preisträger 2022), die Bloggerin und Literaturvermittlerin Anne Sauer (fuxbooks), die Verlegerin Frauke Schneider (Arche Literaturverlag) und der Übersetzer Nicolai von Schweder-Schreiner (Preisträger 2022) als Jury tätig.