Kinder- und Jugendtheater
Die Auswahlkommission Kinder- und Jugendtheater konnte in dieser Förderperiode neun von 31 Anträgen zur Produktion von Theateraufführungen für ein junges Publikum vergeben. Zudem konnte die Auswahlkommission erstmals eine eigene Konzeptionsförderung über drei Jahre für den Bereich Kinder und Jugendtheater auswählen.
Das hohe Aufkommen der eingegangenen Anträge für Förderung im Kinder- und Jugendtheater ist äußerst erfreulich und zeigt eine Bandbreite verschiedener partizipativer, forschender und narrativer Formen im Bereich der performativen Künste für und mit jungem Publikum in der freien Szene. Besonders erfreulich ist die Verstetigung von partizipativen Strategien und das Miteinbeziehen der Zielgruppe in Recherche- und Produktionsprozesse. Auffällig waren ebenfalls die vielfältigen Schnittmengen zwischen einem künstlerischen und künstlerisch-politischem Ansatz auf struktureller und inhaltlicher Ebene innerhalb der Projektkonzeptionen. Eine inklusive und diskriminierungskritische Auseinandersetzung bezogen auf Inhalte, Expertise und Arbeitsweise schlägt sich in der Regel in einem erhöhten finanziellen Aufwand nieder, der zukünftig kulturpolitisch stärker abgefedert werden sollte.
Angesichts mehrfacher und allgegenwärtiger gesellschaftlicher und globaler Krisen sowie einem besorgniserregenden Anstieg der Zahl psychischer Erkrankungen bei Minderjährigen muss es eine kulturpolitische Verpflichtung sein, künstlerische und kulturpädagogische Angebote auf höchstem Niveau für die Generation von Kindern und Jugendlichen sicherzustellen und zu erweitern – insbesondere vor dem Hintergrund beginnender und weiterhin drohender kommunaler und bundesweiter Mittelkürzungen für Kunst und Kultur.
Diesbezüglich zeugt die Antragslage von innovativen, z.T. transdisziplinären Ansätzen, künstlerischer Qualität und der Bedeutung der freien Szene Hamburgs in den Bereichen Theater, Performance und Tanz für alle Altersgruppen. Bedauerlicherweise lagen nicht ausreichend Anträge zur Nachwuchs-Förderung vor. Gleiches gilt für den Bereich des Musiktheaters für junges Publikum.
Tanz
Die Jury Tanz hat für die Spielzeit 24/25 insgesamt 38 Anträge begutachtet, gefördert werden konnten 7 Produktionsanträge sowie 5 Nachwuchsanträge und ein Antrag aus dem Bereich Konzeption. Die Vielzahl an förderungswürdigen Anträgen war beeindruckend ebenso wie das breite Spektrum an Themen. Autobiografische Ansätze aufgrund von Flucht- und Migrationshintergründen, Auseinandersetzungen mit der Unterdrückung marginalisierter Gruppen, u.a. LGBT*Q, FLINTA*, B(I)PoC, ebenso wie die Klimakrise und das Verhältnis von Kultur und Natur standen im Fokus. Weitere Schwerpunkte bildeten der Umgang mit Digitalität und KI, eine starke Partizipation der Stadtgesellschaft und längst selbstverständlich gewordene Fragen der accessibility. Entsprechend schwer fiel die Auswahl – wie in den Vorjahren hätten wir mehr Anträge fördern wollen als wir konnten – denn es klaffte eine große Lücke zwischen den förderungswürdigen Anträgen und den finanziellen Ressourcen. Das Kriterium der künstlerischen Qualität stand im Zentrum der Juryempfehlung und es wurde eine Balance angestrebt zwischen der Weiterentwicklung des bereits vorhandenen, zeitgenössisch geprägten, Feldes und einer Öffnung für Impulse aus unterschiedlichen Tanzstilen und Kontexten wie Hip-Hop, traditionelle Tänze, Ballroom oder Voguing. Dabei trat auch dieses Jahr wieder deutlich zutage, dass es zusätzlicher Förderinstrumente wie einer langfristigen Exzellenzförderung bedarf, um die enorme Qualität und Vielschichtigkeit der Hamburger freien Tanzszene adäquat und nachhaltig fördern zu können.
Sprechtheater, Musiktheater, Performance
(1) Den Künstler:innen im Bereich Sprechtheater, Musiktheater und Performance (SMP) stehen schwere Zeiten bevor. Während die Zahl der Anträge auf Förderungen für die Spielzeit 2024/25 mit 87 stark gestiegen ist (zum Vergleich: Spielzeit 23/24: 65, Spielzeit 20/21, bewilligt vor der Coronapandemie: 58), sind die Fördermittel auf das Niveau vor Corona zurückgesunken: Wie im vergangenen Jahr auch stand der hohen Anzahl von Anträgen leider nur eine Fördersumme von lediglich 390 000 Euro zur Verfügung. Betrug für die Spielzeit 20/21 die Förderquote noch 23,5%, so ist sie für diese Spielzeit auf nur 12% gesunken, das sind 10 Projekte. Für die Antragsteller:innen bedeutet dies eine abermals gesunkene Chance, Förderung zu erhalten.
(2) Wir sehen das enorme kreative Potenzial, die zunehmende Professionalisierung und die thematische und perspektivische Ausdifferenzierung der Szene. Wir sehen die Bandbreite der Themen, mit denen sich die Antragstellenden befassen: die Kriege unserer Zeit, Flucht und Migration, KI, Queerness und Genderthemen, Klima- und Umweltkatastrophen sowie die erlebte Überforderung durch die immer dichtere Aufeinanderfolge von zu bewältigenden Krisen. Wir sehen die Vielfalt an Formaten, Erzählstrategien, Ästhetiken, Weiterentwicklung von traditionellen Genres, die Reflexion von Inhalten, die relevant sind für eine plurale Hamburger Stadtgesellschaft. Wir sehen, wie sich marginalisierte Gruppen in der Freien Szene engagieren und das künstlerische Feld erweitern und ausdifferenzieren, wie Inklusion und Zusammenarbeit über soziale, kulturelle und ökonomische Grenzen hinweg gelebt werden. Doch mit den zur Verfügung stehenden schmalen Mitteln kann diesem Reichtum in keiner Weise begegnet werden.
(3) Die Freie Szene Hamburgs ist in den letzten Jahren enorm gewachsen, ohne dass es zu einem Ausbau der entsprechenden Förderinstrumente gekommen wäre. Angesichts der bundesweiten Sichtbarkeit der Hamburger Freien Szene mit vielen herausragenden Produktionen ist dies bedauerlich. Im Hinblick auf eine nachhaltige Sicherung künstlerischer Qualität ist dieses Wachstum auf jeden Fall zu begrüßen. Denn mehr noch als für andere kreative Bereiche gilt aufgrund der Projektstrukturen für die Freie Theaterszene, dass Exzellenz auf einem Netzwerk von Expert:innen aufbaut, dass Leuchttürme nur dort stehen können, wo sie auf einem festen Grund stehen. Gutes Freies Theater ist ohne eine lebendige Freie Szene kaum möglich!
(4) Die Jury SMP wertet die gestiegene Antragszahl auch als ein Zeichen für eine rapide Verschlechterung der ökonomischen Bedingungen, unter denen die Künstlerinnen und Künstler der Freien Szene Hamburgs arbeiten. Die beantragten Projekte sind bereits hart am Minimum kalkuliert, sodass die starke Inflation bei gleichbleibenden Fördersummen Qualität und Durchführbarkeit der Projekte bedrohen. Zu bedenken ist, dass die zumeist an den Empfehlungen zu Honoraruntergrenzen des Bundesverbands Freie Darstellende Künste (BFDK) orientierten Honorare kaum die sprunghaft gestiegenen, in Hamburg ohnehin schon hohen Lebenshaltungskosten allein nur während der Produktionszeiten decken können.
(5) Für die Jury-Arbeit bedeutet das eklatante Missverhältnis zwischen förderwürdigen Projektanträgen und mageren Mitteln eine enorme Erschwernis.
Etwaige Fragen nach einer Ausgewogenheit der Spielorte sowie der Anzahl von Projekten, die in einer Stadt wie Hamburg sinnvoll und rezipierbar wären, die sich gezielt an unterschiedliche und diverse Publika richten, die Fragen, was warum für wen genau produziert werden sollte und könnte – diese Fragen können in einer Lage, in der die finanziellen Mittel und eine im Großen und Ganzen qualitativ hochwertige Antragslage so stark auseinander klaffen, so gut wie nicht reflektiert werden.
(6) Eine Förderquote von 12% im Bereich SMP setzt zudem ein großes Fragezeichen hinter das Auswahlverfahren. Denn es lässt sich nicht rechtfertigen, von den beantragenden Künstler:innen voll ausgearbeitete und zeitaufwändig herzustellende künstlerische Konzepte als Entscheidungsgrundlage zu verlangen, wenn nur ein so geringer Bruchteil davon Erfolg hat. Guten Gewissens können wir den Künstler:innen nicht empfehlen, derart große Mengen an Arbeitszeit für derart kleine Chancen aufs Spiel zu setzen.
Um die enorme Qualität der Freien Szene in Musiktheater, Schauspiel und Performance zu erhalten, fordert die Jury für die Zukunft des Bereichs SMP folgendes:
(1) Angemessene Erhöhung der Fördermittel in der Projektförderung, sodass eine Förderquote von mindestens 20% erreicht wird.
(2) Angemessene Erhöhung der Förderhöchstsummen (derzeit 50.000€), um den gestiegenen Durchführungskosten aufgrund der Inflation Rechnung zu tragen.
(3) Vereinfachung des Auswahlprozederes der Projektförderung, beispielsweise durch ein zweistufiges Verfahren, bei dem erst nach positiv beschiedenem Kurzantrag ein umfassender und detaillierter Antrag inklusive Finanzplan erstellt werden muss.
(4) Differenzierung und Ausbau der Förderinstrumente:
(a) Zusätzlich zur derzeit bestehenden Konzeptionsförderung, die eine kontinuierliche Förderung über einen Zeitraum von drei Jahren sicherstellen soll, braucht es unser Erachtens ein noch langfristigeres, der Karriereentwicklung der besonders avancierten Künstler:innen angemessenes, d.h. auch besser ausgestattetes, Förderinstrument.
(b) Außerdem braucht es eine Kofinanzierungsförderung, d.h. eine gesonderte Möglichkeit, bei bereits zugesicherter Teilfinanzierung durch Dritte, etwa aus dem Fonds Darstellender Künste, eine Förderung durch die Stadt Hamburg zu beantragen.
(c) Zudem braucht es dringend weitere Fördermöglichkeiten, um zumindest für einige der geförderten Projekte Maßnahmen zur Barrierefreiheit gesondert zu bezahlen. Viele Künstler:innen setzen sich enorm für Inklusion und die Barrierefreiheit ihrer Veranstaltungen
Basis und Rechercheförderung
Wie bereits im letzten Jahr konnten wir aufgrund der geringen Mittel, die für die Förderung von Basis- und Rechercheprojekten zur Verfügung stehen, nicht der Breite der Themen und künstlerischen Positionen gerecht werden, auch angesichts der disziplinübergreifenden Anträge in beiden Bereichen.
In diesem Jahr konnten wir erneut 5 Basisanträge von insgesamt 33 gestellten Anträgen fördern. Allerdings wurden im Vergleich zum letzten Jahr 9 Anträge mehr gestellt. Damit ist die Förderquote im Bereich Basisförderung gesunken. Leider mussten wir bei 3 Anträgen mit größerem Antragsvolumen kürzen, um überhaupt mehrere Vorhaben unterstützen zu können. Wir sahen uns wiederholt in dem Konflikt zwischen der strukturellen Festigung einzelner künstlerischer Positionen und der Sicherung der Infrastruktur für Zusammenschlüsse von Künstler*innen. Inhaltlich haben insbesondere die gemeinschaftlichen Vorhaben zum Barriereabbau im Bereich Tanz, sowohl für Künstler*innen wie für das Publikum, unser Interesse geweckt.
Bei den Anträgen zur Rechercheförderung gab es einen Anstieg von 26 Anträgen im Vergleich zum letzten Jahr zu verzeichnen, also insgesamt 76. Wir konnten angesichts der zur Verfügung stehenden Mittel erneut 9 Rechercheprojekte fördern, was auch in diesem Bereich eine Reduktion der Förderquote bedeutet. Wir standen vor einer großen thematischen Bandbreite: Körperpraktiken, andere Arbeitsweisen, Hamburg, Natur, Digitalität, Gemeinschaft bzw. Community und Identität(en), Queerness bzw. Queering, Rassismus, De- und postkoloniale Perspektiven, Erinnerungskultur(en), Barriereabbau bzw. Barrierefreiheit, Aesthetics of Access sowie disziplininterne Fragestellungen. Besonders aufgefallen sind uns mehrere Anträge zum Themenbereich Altern in den Darstellenden Künsten und das künstlerische Erbe. Das aktuelle Fördergefüge scheint den Bedarfen für eine stetige künstlerische Karriere nicht zu genügen und es bräuchte andere Formate, um künstlerische Lebensläufe wertzuschätzen und stabiler zu gestalten.
Wir sind beeindruckt von der Vielfalt der Themen und ästhetischen Ansätze in den Freien Darstellenden Künsten Hamburgs. Um diese zu erhalten und nachhaltiger zu gestalten, sind wir der Ansicht, dass eine Erhöhung des Fördervolumens notwendig wäre, gerade im Bereich Rechercheförderung, wo neue Fragen und Ansätze hin zu einem Projektantrag entwickelt werden, und im Bereich Basisförderung, wo es um die strukturelle Stärkung künstlerischer Arbeit zu mehr Planungssicherheit, Sichtbarkeit und Festigung der Arbeitsstrukturen geht.
Der unabhängigen Fachjury gehörten in diesem Jahr an:
Sprechtheater, Musiktheater, Performance (SMP)
Leyla Ercan (Agentin für Diversität, Nds. Staatstheater Hannover)
Noah Holtwiesche (Neuere dt. Literatur/ Theaterforschung, Uni Hamburg)
Bahar Roshanai (Programm-Managerin, Musikvermittlerin, Körber-Stiftung Hamburg, Bereich Kultur)
Beisitz: Mascha Wehrmann (Koordinatorin Theaterakademie der HfMT Hamburg)
Tanz
Dr. Gitta Barthel (Dozentin für zeitgenössischen Tanz und Choreografie)
Katrin Ullmann (freie Tanz- und Theaterkritikerin)
Emil Wedervang Bruland (Ballettdirektor und Choreograf am Schleswig-Holsteinischen Landestheater)
Beisitz: Dr. Kerstin Evert (Künstlerische Leitung K3 | Tanzplan Hamburg)
Kinder- und Jugendtheater (KiJu)
Prof. Dr. Maike Gunsilius (Professorin für die Ästhetik des Kinder‐ und Jugendtheaters an der Universität Hildesheim)
Nora Patyk (künstlerische Vermittlerin und Bildungsreferentin für diskriminierungskritische und
intersektionale Theaterarbeit am Schauspiel Hannover)
Eva Binkle (Musiktheaterpädagogin Staatsoper Hamburg)
Beisitz: Thomas Lang (Vorstandsmitglied der ASSITEJ 1996-2016)
Basis- und Rechercheförderung (spartenübergreifend)
Prof. Kerstin Hof (Professorin für Kunst und Gesellschaft, Schwerpunkt Poesie an der MSH Medical School Hamburg)
Melmun Bajarchuu (Critical Companion, Dramaturgin, Kuratorin, künstlerische Produktionsleitung)
Tuğsal Moğul (Schauspieler, Regisseur, Anästhesist und Notarzt)
Die Konzeptions- und Nachwuchsförderungen wurden juryübergreifend diskutiert.