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12. Juni 2025

Rede zur Eröffnung der Ausstellung „Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik" in der Hamburger Kunsthalle

Gehalten in der Hamburger Kunsthalle

„Ich hab' geträumt, der Krieg wär vorbei
Du warst hier und wir waren frei
Und die Morgensonne schien
Alle Türen waren offen, die Gefängnisse leer
Es gab keine Waffen und keine Kriege mehr
Das war das Paradies“

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Alexander Klar,
Sehr geehrte Frau Dr. Josephine Karg, 
Sehr geehrte Frau Dr. Annabelle Görgen-Lammers,
Liebes Publikum,

„Der Traum ist aus“ – so lautete der Titel des Songs, den die Band Ton Steine Scherben im Jahr 1972 veröffentlichte. Rio Reiser sang darin von einer besseren Vision der Welt. Er sang vom Frieden und davon, dass die warme Morgensonne den Winter vertreiben würde. Reiser sang von der utopischen Kraft der Träume.

Ich denke, dass wir in diesen verunsicherten Zeiten mehr solcher Träume gebrauchen können. Denn die Nachrichtenflut, die uns täglich überrollt, lädt nicht unbedingt zur Zuversicht ein. Politische Krisen, Klimakatastrophen, technologische Umbrüche – alle diese Probleme fordern uns als Individuum aber auch als Gesellschaft heraus. 

Die Künste sind ein Spiegel dieser Herausforderungen. Sie greifen aktuelle Probleme auf und geben den Fragen unserer Zeit einen Raum, in dem wir uns austauschen und gemeinsam Lösungen finden können. Ähnlich wie in Träumen, kennen ihre Themen die Grenzen der Realität nicht. In der Kunst ist alles erlaubt und jede Perspektive willkommen.

Wie reagiert die Kunst also auf den Zustand der Welt? Und was können wir als Gesellschaft daraus lernen? Mit diesen Fragen darf ich Sie herzlich zur Eröffnung der Ausstellung „Rendezvous der Träume. Surrealismus und deutsche Romantik“ Willkommen heißen. 

Denn die Ausstellung zeigt uns genau das: Wie Künstler*innen verschiedener Epochen auf Umbrüche ihrer Zeit reagierten. Und auch wenn die Kunst der Deutschen Romantik und des Surrealismus zunächst unterschiedlich erscheint, lassen sich hier Parallelen entdecken. 
Denn Künstler*innen beider Strömungen reagierten mit einer Öffnung nach innen – mit einer Hinwendung zur Fantasie, mit Störungen der Konventionen und Visionen einer anderen Welt. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Desorientierung entstand so ein fruchtbarer Nährboden für Kunstformen, die sich gerade nicht auf das Sichtbare beschränken und stattdessen den Blick der Betrachtenden erweitern. Die Romantik des 19. Jahrhunderts und der Surrealismus des 20. Jahrhunderts suchten beide nach Wegen, die Wirklichkeit entweder zu übersteigen – oder sie radikal neu zu denken. 

Die Deutsche Romantik entstand aus dem Aufbegehren gegen den Rationalismus und eine automatisierte Welt: Wo alle Rätsel gelöst, wo keine Zauber mehr zu wirken schienen, suchte man nach der Tiefe, nach Gefühl und Transzendenz. Natur wurde hier nicht vermessen, sondern verehrt. Nacht, Traum, Ruine – all das waren Räume, die es zu erkunden galt. In denen sich ein Gegenentwurf zur entzauberten Moderne entfaltete. Gerade Träume waren in der Romantik Quell der Inspiration und Ausdruck der menschlichen Seele. In einer Welt, die durch die vorangegangene Aufklärung so simpel erschien, verliehen sie ihr einen tieferen Sinn. 


Über diesen Zusammenhang schrieb der Dichter Novalis:

„Die Welt muss romantisiert werden. So findet man den ursprünglichen Sinn wieder. Romantisieren ist nichts als eine qualitative Potenzierung.“ 

Sich die Hoffnung zu bewahren, dass nicht alle Märchen auserzählt und dass es da draußen noch so mehr zu entdecken gäbe. In dieser Haltung liegt bis heute eine Kraft. Nicht als nostalgischer Rückblick, sondern auch als Alternative zum Funktionalismus unserer Gegenwart. Es war die Band Tocotronic, die uns 2005 aus dem Wald heraus ansah – auf dem Cover einer Platte mit dem Titel: „Pure Vernunft darf niemals siegen“.

Vor nun 100 Jahren reagierten die Surrealist*innen mit ähnlicher Entschlossenheit auf die Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs. Ihre Kunst war allerdings keine pure Ästhetik. Sie war ein Akt des künstlerischen Widerstands. Traumlogik, Zufall, Irrationalität – verschmolz zu teilweise grotesk anmutenden Abstraktionen.

Werke wie „Das doppelte Geheimnis“ von René Magritte machen den Fokus surrealer Kunst sichtbar: Sie wand den Blick auf die Psyche, auf das Unbewusste im Menschen und wurde so zum Werkzeug gegen die Entmenschlichung des Krieges. Der Surrealismus war eine Rebellion gegen eine entzweite, entfremdete Welt und fand ihren Ausdruck in der Suche nach einer „anderen Realität“ – jenseits des Sichtbaren.

Nicht jeder Traum, den uns diese Ausstellung zeigt, lädt dabei zum Träumen ein. Das gleichnamige Bild der Künstlerin Toyen etwa: Es zeigt eine schemenhafte Gestalt im Sumpf, die uns gesichtslos entgegenblickt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich ihr auch nur im Traum begegnen wollen würde. 

Aber eben das ist der Punkt. Denn Träume sind immer auch eine Einladung, die Realität neu zu denken. Sie führen uns ins Unterbewusste, geben uns neue Perspektiven auf Erlebnisse und überwinden dabei die beengenden Grenzen der Realität. So lassen sie uns neu erkennen, was wir wirklich vom Leben wollen und dass es sich lohnt, für diese Wünsche einzustehen. 

Die Hamburger Kunsthalle schafft mit dieser Ausstellung einen eben solchen Erfahrungsraum, der nicht nur betrachtet, sondern erlebt werden will. In über 250 Werken – von Poesie bis Fotografie, von Malerei bis Bildhauerei – treffen zwei Bewegungen aufeinander, die über Epochen hinweg miteinander kommunizieren.

Auch die Besuchenden können in den Austausch kommen. Vermittlungsangebote von Kita-Workshops und Audiotouren in Leichter Sprache, über Schulführungen bis zu inklusiven Events wie dem »Salon Surreal«, der queere Perspektiven feiert und kreative Räume öffnet. Diese Ausstellung ist keine elitäre Kunstveranstaltung, denn die Fragen, die Romantik und der Surrealismus einst stellten, sind heute aktueller denn je: Wie gehen wir mit Kontrollverlust um? Wovon dürfen, wovon müssen wir träumen, wenn uns das Leben in diesen Zeiten allzu surreal erscheint?

Mit „Rendezvous der Träume“ wurden diese Fragen im Herzen unserer Stadt und unserer Gesellschaft platziert. Dabei entstand eine Ausstellung, die nicht nur zum Austausch und Träumen einlädt, sondern auch dialogische Perspektiven bietet – nicht nur zwischen den Epochen. Mit Stationen in Brüssel, Paris, Madrid und Philadelphia steht sie auch für Verbindungen in der europäischen und transatlantischen Kunst- und Kulturgeschichte. 

Mein herzlicher Dank gilt Frau Dr. Görgen-Lammers und ihrem Team, sowie den Förderinnen und Förderern, die dieses Rendezvous ermöglicht haben.
Auf dass es uns neue Blickwinkel öffnet - oder um es mit Rio Reiser zu sagen:

„Der Traum ist 'n Traum, zu dieser Zeit
Doch nicht mehr lange, mach' dich bereit
Für den Kampf ums Paradies
Wir haben nichts zu verlieren, außer uns'rer Angst“

 

Besten Dank.

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