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1. Februar 2025

Rede zur Trauerfeier für Hannelore Hoger

gehalten in der Christianskirche Altona

Liebe Trauergemeinde,
Liebe Nina Hoger,

wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen von einer außergewöhnlichen Frau, deren Präsenz und Persönlichkeit, Leidenschaft und künstlerisches Wirken uns zutiefst berührt haben: Hannelore Hoger. Ihr Name, dessen Initialen sie mit denen ihrer Heimatstadt teilte (HH), ist vielen Menschen durch ihre Arbeit im Film und Fernsehen vertraut, doch sie liebte die Theaterbühne mindestens genauso sehr – als den Ort, an dem sie sich selbst immer wieder neu erfand.

Denn auf den Bühnen spielen Menschen die Welt als eine veränderbare, wie Max Frisch einst sagte. Hier probieren wir aus und imaginieren, was noch alles möglich sein könnte. Hannelore Hoger konnte sich in diese Möglichkeit versenken. Sie lotete psychologische Grenzbereiche aus, machte Schicksale und ihre Emotionen erfahrbar, zeigte exemplarisch, warum das Theaterspiel eben immer auch eine Schule des Mitgefühls ist.

Ich durfte das zuletzt im Sommer 2021 erleben, als wir mit einem Kultursommer versuchten, die Kultur in Corona wieder ans Laufen zu bringen. Da saß Hannelore Hoger, im Wechsel mit Peter Franke, auf einer kleinen Bühne im Hinterhof des St. Pauli Theaters und las aus einem Krimi. Ich weiß noch, wie sehr es meine Begleitung, eine Krimischriftstellerin, elektrisierte, dass Hannelore Hoger es so präzise verstand, in den Text hineinzugehen und ihn zum Leben und zum Leuchten zu bringen. Das ist die Essenz ihrer Kunst.

Hannelore Hoger war eine der großen Schauspielerinnen unseres Landes. „Der ganze Beruf“, sagte sie einmal, „beruht auf Sympathie, Empathie und Erotik.“ Wobei sie Erotik im Hinblick auf Ausstrahlung verstanden wissen wollte.

Und so wirkte sie auch: Sie spielte im Verlauf ihrer Karriere auf beinahe allen großen Bühnen Deutschlands, nachdem sie in eine Theaterfamilie hineingeboren wurde und hier an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg ihr Handwerk gelernt hatte. Schnell wurde sie zu einer prägenden Stimme auf den Bühnen erst von Ulm und dann in Bremen, Stuttgart, Köln, Bochum, Berlin und immer wieder, immer noch und stets aufs Neue: Hamburg.

Ihr Wirken auf der Bühne und im Film prägte sich aus im intensiven Spiel und in der Auseinandersetzung mit anderen. Hannelore Hoger hat gezeigt, was möglich ist, wenn große Schauspielkunst kongeniale Partnerinnen und Partner findet. In ihrem Spiel suchte sie das Gegenüber – in anderen Schauspielern oder in prägenden Regisseuren. Ihre große Kunst brauchte die Reibungsfläche großer und starker Kolleginnen und Kollegen. Im zwischenmenschlichen Spannungsfeld dieses Miteinanders schuf sie eindringliche Charaktere und Psychogramme, die im Publikum lange nachwirkten und immer noch wirken. Immer war sie auf der Suche nach neuen Möglichkeiten ihrer Kunst.

Die Liste ihrer kongenialen Partner ist lang. Sie liest sich wie ein Who ist Who der deutschen Theater- und Filmkunst. Sie ist Beleg der Größe und der Kraft von Hannelore Hogers Spiel.

Ihr Bühnendebüt gab sie unter Peter Zadek in Ulm. „Eine Klitsche, an der Theatergeschichte geschrieben wurde“, sagte Hoger später. Zadek war bekannt für seinen unkonventionellen, oft provokanten Zugang zu Klassikern. Hoger und Zadek waren ein Gespann, das auf der Bühne Magie erschaffen konnte. Zusammen schufen sie Inszenierungen, die noch heute als Meilensteine der deutschen Theatergeschichte gelten. Sie brachte ihre unverwechselbare Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit in Zadeks Werke ein und schuf damit Figuren, die sich tief in die Herzen des Publikums einbrannten.

Einen besonderen Platz in ihrer künstlerischen Biografie nimmt auch ihre Zusammenarbeit mit dem argentinischen Regisseur Augusto Fernandes ein. Fernandes, als früher Anhänger des „method  acting“ für die intensive Auseinandersetzung mit der höchst subjektiven emotionalen Wahrheit von Figuren bekannt, fand in Hannelore Hoger eine Seelenverwandte. Gemeinsam mit Fernandes erschloss sie sich Rollen mit unnachahmlicher Intensität und lotete die Grenzen des Theaters aus.

Am Deutschen Schauspielhaus fand sie dann während der Intendanz von Niels-Peter Rudolph eine künstlerische Heimat. Hier hat sie ihre beeindruckende Vielseitigkeit über viele Jahre voll ausgespielt. Am Theater gebe es eben die besseren Rollen als im Film oder Fernsehen, sagte sie.

Hogers Darstellungen waren stets kraftvoll, ihre Bühnenpräsenz unverwechselbar. Sie hatte die Fähigkeit, Figuren mit Tiefe und Wahrhaftigkeit zu füllen.

Doch nicht nur auf der Bühne suchte Hannelore Hoger die künstlerische Herausforderung. In ihrer Zusammenarbeit mit dem Autoren und Regisseur Alexander Kluge zeigte sie eine andere Facette ihrer Vielseitigkeit. Kluge wurde auch im Privaten ihr Partner. Er war stets daran interessiert, die Möglichkeiten des Mediums Film in allen Facetten auszuloten. Für einen so verstandenen Film wollte sich auch Hannelore Hoger gerne öffnen.

Sie spielte Charaktere, die sich nicht anpassen wollten, die ihren Platz in der dressierten deutschen Nachkriegsgesellschaft erst finden und behaupten mussten. Sie gab dem großen politischen Widerstand jener Jahre eine private und persönliche Dimension, ohne sein politisches Anliegen zu desavouieren. Sie machte es eher noch größer.

Hogers und Kluges gemeinsamen Projekte waren geprägt von Intellekt, Experimentierfreude und einem tiefen gegenseitigen Verständnis. Besonders in Filmen wie „Die Artisten in der Zirkuskuppel: Ratlos“ oder „Die Macht der Gefühle“ zeigte sie ihre Fähigkeit, abstrakte Konzepte auch vor der Kamera mit emotionaler Wucht und berührender Menschlichkeit zu füllen. So prägte sie das deutsche Kino mit anspruchsvollen und gesellschaftskritischen Rollen.

Vollständig in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben hat sie sich dann ab 1994 in der Rolle der „Bella Block“. Sie interessierte sich nicht für die Grenze zwischen Hoch- und Unterhaltungskultur, sie nahm jede einzelne Rolle ernst und lieh jeder ihrer Figuren ihr großes Schauspieltalent, egal ob Isabella in Shakespeares "Maß für Maß" oder der pensionierten Kriminalhauptkommissarin Block.

Als Regisseurin brachte sie ihre eigene Vision auf die Bühne. Sie versuchte, ihre Stücke nicht in der Totalität zu erfassen, sondern aus Situationen heraus zu entwickeln, um einen „Punkt“ zu finden, der sie selbst und das Publikum „etwas angeht“, wie sie sagte. Etwas angehen, präzise, nicht gleichgültig – darum ging es Hannelore Hoger immer

Sie inszenierte beispielsweise 1986 in Hamburg das Stück "Warten auf Godot" von Samuel Beckett, 1989 am Wiener "Theater in der Josefstadt" das Drama "Frühlings Erwachen" von Frank Wedekind oder 2000 in Köln sowie in Kaiserslautern "Die Kleinbürgerhochzeit" von Bertolt Brecht.

Ein beeindruckendes Werk – und doch gehört jemand wie Hannelore Hoger auf die Bühne und vor die Kamera.

Dort gab sie sich nie mit Oberflächlichkeiten zufrieden.

Immer war sie auf der Suche nach dem Echten, nach dem, was unter der Oberfläche liegt. Ihre Figuren, egal ob im Theater oder Film, waren nie bloß gespielte Charaktere; sie waren gelebte Wahrheiten, denen sie aber jedes Mal ihre unverwechselbare Stimme und Körperlichkeit lieh. Sie verstand es, sich beinahe jede Rolle anzuverwandeln, ja förmlich in sie hineinzukriechen – und dennoch immer durch die Rolle hindurch zu scheinen.

Und das ist es doch, was große von sehr guten Schauspielern abhebt: Dass man die Tiefe hinter der Schau und dem Spiel jederzeit spürt. Und dass sie das Spiel mit Persönlichkeit füllt. Das Transparenz und Dichte sich immer enger verweben.
Alles spielen zu können und trotzdem immer erkennbar zu sein – das ist ein seltenes Geschenk der Schauspielkunst. Und ein großes Erlebnis für das Publikum, das enorme Feinnervigkeit und Sensibilität beim Spielenden voraussetzt.

Hannelore Hoger war ebenso warmherzig wie kämpferisch. Sie war eine Frau, die sich nicht scheute, unbequem zu sein, die mit Mut, Neugier, scharfer Beobachtungsgabe und manchmal noch schärferer Zunge immer wieder neue Wege ging – und uns alle mit ihrer Arbeit und ihrem Da-Sein bereicherte. Die Konsequenz, mit der sie ihre Überzeugungen vertrat und Haltung zeigte, hat viele Menschen jahrzehntelang angespornt.

Heute verabschieden wir uns von einer großen Künstlerin, die in der Geschichte des Theaters und Films Spuren hinterlassen hat wie nur wenige. Ihr Wirken wird nachklingen – in den Erinnerungen an unvergessliche Theaterabende, in den Werken, die sie geschaffen hat, und in der Inspiration, die sie uns hinterlässt.

„Ohne Liebe trauern die Sterne“, hießen ihre Lebenserinnerungen. Die Liebe ist da, aber um Hannelore Hogers Verlust werden die Sterne am Film- und Theaterhimmel trotzdem noch lange trauern. Denn die Erfüllung beruhte stets auf Gegenseitigkeit: Hannelore Hoger hat das Theater geliebt. Das Theater und ihr Publikum haben sie geliebt.

Heute verneigen wir uns vor ihr, ein letztes Mal. Heute verneigt sich Ihre Heimatstadt voller Dankbarkeit für ein außerordentliches künstlerisches Leben.

Sie hat uns die Welt und unser Miteinander als stets neu zu erschaffen und zu verändern vorgespielt. Jetzt müssen wir uns selber daran machen, die Welt zu halten und zu tragen.

Sie hinterlässt eine große Lücke und meine Gedanken sind in dieser schweren Zeit bei ihrer Tochter, ihrer Familie und ihren Freunden.

In einem Interview zu ihrem Programm über Abschiedsbriefe hat Hannelore gesagt: „Kummer hat ja jeder irgendwie erlebt. Abschiede sind immer kompliziert. Da braucht es Mut zum Leben.“

Ich bin mir sicher: Diesen Mut würde uns Hannelore Hoger jetzt auch wünschen.