Sehr geehrter Herr Professor Warnke,
sehr geehrte Frau Professor Wenderholm,
sehr geehrter Herr Professor Ginzburg,
sehr geehrte Kollegeninnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler, Freundinnen und Freunde Martin Warnkes,
im Sommer hatte ich das große Vergnügen, zwei Stunden mit Ihnen, lieber Martin Warnke, im Warburg Haus verbringen zu können. Und lassen Sie es mich gleich zu Beginn gestehen: Ich war inspiriert und begeistert. Nicht nur von Ihrem überaus großen Wissen, sondern auch von Ihrer Leidenschaft und Ihrer ungebrochenen Neugier eines großen Wissenschaftlers, von Ihrem feinen Humor, Ihrer Scharfsinnigkeit – eigentlich müsste man ja Scharfsichtigkeit sagen – und Ihrer Freude an der Weitergabe von Wissen und am Disput.
Hier im Saal weiß es ja jeder: Martin Warnke nimmt sein Gegenüber ernst, nicht nur den fundiert argumentierenden Kollegen, sondern auch den interessierten Laien. Gleich zu Beginn seiner Karriere setzte er daher zu einem gezielten Kinnhaken gegen die damaligen Gepflogenheiten der Kunstwissenschaft an. Auf dem Kölner Kunsthistorikerkongress im Jahr 1970 leitete Martin Warnke eine Sektion zur „Kritik der Kunstgeschichte“ und hielt einen Vortrag mit dem Titel „Wissenschaft als Knechtungsakt“. Darin nahm er die von meist älteren Kollegen verfasste Populärliteratur aufs Korn. Warnke mokierte sich über die blumige Sprache, die an Kitsch grenzte und zudem mit autoritären Beschreibungs- und Deutungsmustern den Leser für unmündig erklärte.
Vor allem aber entdeckte er im Schreiben der Kollegen weltanschauliche Implikationen, die die Kunst „in eine Affirmationsrolle gedrängt (hatten), in der sie im Bestehenden einen umso rigoroseren Ordnungsdienst zu versehen hatte, je mehr das etablierte Bürgertum um eine Fortwirkung seiner Freiheitsparolen besorgt sein musste.“
Es sei bei den Kollegen von der „Unterwerfung“ des Einzelnen unter die Harmonie des Gesamten die Rede, von der „Gewalt des überpersönlichen Ausdrucks“ und von „unerbittlicher Tektonik, die zum innersten Gesetz wird“. „Künstlerische Zuchtexerzitien“ nannte Warnke das, rief zur politischen Selbstreflexion der Kunstwissenschaft auf und machte sich damit – wer wird sich darüber wundern – ziemlich unbeliebt bei so manchem Kollegen.
Trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieses provozierenden Vortrags, der ihm den Ruf eines „Revoluzzers“ einbrachte, der er nach eigener Aussage nicht ist, erhielt er 1971 einen Ruf nach Marburg. 1979 kam er dann hierher nach Hamburg, wo er – mancher Versuchung, an andere Universitäten zu wechseln, widerstehend – bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2003 lehrte. Die intellektuelle Eigenständigkeit, und wenn es sein muss Widerständigkeit, ist ihm bis heute geblieben.
Martin Warnke gilt als einer der herausragendsten und prägendsten Kunsthistoriker seiner Generation.
Die wissenschaftliche Selbstreflexion, die eine Kenntnis der Wissenschaftsgeschichte ebenso voraussetzt wie ein Bewusstsein über die eigene historische, politische und soziobiographische Verortung, hat er sich bis heute erhalten. Mit Respekt, Neugier und – ja: Ehrerbietung widmet er sich daher immer wieder auch den Schriften großer Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftler.
„Schütteln Sie den Vasari … “ heißt das Buch, das Anfang des Monats pünktlich zum 80. Geburtstag von Martin Warnke beim Wallstein Verlag erschienen ist. Schütteln Sie den Vasari – das kann man als Aufforderung lesen für einen ‚sprezzatura‘-Umgang mit der Wissenstradition und als Aufforderung, mit Leichtigkeit und spielerisch die Dinge zu durchdringen und Wissen zu erlangen. Da kann man den Titan der Kunstgeschichte, den Vasari ruhig mal ein bisschen durchschütteln, um an die Samen bzw. an die Lesefrüchte zu kommen…
Dass sich seine wissenschaftliche Leistung jedoch nicht in der Würdigung anderer großer Denker und ihrer Fruchtbarmachung für unsere heutige Zeit erschöpft, das wissen wir alle.
Als Begründer der politischen Ikonographie hat er eine Forschungsrichtung etabliert, die mich schon früher wissenschaftlich interessiert hat und heute als betroffener Politiker naturgemäß besonders interessiert.
1991 hat Warnke die Mittel des ihm verliehenen Leibniz-Preises eingesetzt, um eine bereits bestehende Sammlung des kunstgeschichtlichen Seminars zu einem eigenen Forschungsbereich ausbauen. Diese Forschungsstelle für Politische Ikonographie wurde angesiedelt im Aby Warburg-Haus in der Heilwigstraße. Sie bewahrt nicht nur das Andenken an die wissenschaftlichen Verdienste des Kulturwissenschaftlers Aby Warburg – sie hält sie lebendig und schreibt sie weiter: Martin Warnke knüpfte mit der Forschungsstelle als auch mit den eigenen Forschungsschwerpunkten – der Sozialgeschichte der Kunst und der politischen Ikonographie – an das Werk und das Vermächtnis von Aby Warburg an. Das von Warburg entwickelte wissenschaftliche Instrumentarium, das der Stilkunde die Ikonologie zur Seite stellte, ist immer noch aktuell – ja: wird sogar immer aktueller! In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt wird es immer wichtiger, die Dinge nicht nur zu sehen, sondern sie auch verstehen und deuten zu können.
Unsere Gesellschaft ist mehr denn je geprägt durch die visuelle Wahrnehmung. Das Erstarken der Bilder, die sich auch ohne Sprache weltweit vermitteln, ist Ausdruck eines längst lebensweltlichen visual turn, der mit dem Fernsehen an Fahrt aufnahm und in der heutigen digital vermittelten Kommunikation erst recht eine sichere Strategie ist, sich in der aktuellen Aufmerksamkeitsökonomie durchzusetzen.
Umso genauer sollten wir hinschauen und die Bilder lesen lernen, wenn wir mündige und demokratiefähige Bürger sein wollen. Denn immer noch unterstellen wir Bildern ja viel zu oft und unhinterfragt, dass sie wahr seien. Dieser essentialistische Trugschluss verdeckt die Tatsache, dass ein Bild immer auch eine Behauptung ist.
Schon die Entstehung, das Kunst-‚Handwerk‘ legt es eigentlich nahe: Die Künstlerin bzw. der Künstler wählt ein Motiv, einen Ausschnitt, die Perspektive usw. Und in der inszenierten Fotografie oder in der Malerei kommen weitere Elemente des Subjektiven hinzu: bewusste inhaltliche Setzungen z. B. durch den Besteller bzw. den Auftraggeber, künstlerische Manipulationen oder Fiktionen.
Ein Bild kann auch ein Narrativ sein, also der Versuch, ohne lange Rede eine sinnstiftende Erzählung zu präsentieren. Jedes Wahlplakat, das Sie in den Wochen vor der Bundestagswahl gesehen haben, machte im Grunde diesen Versuch: Die Inszenierung der Kandidaten von der Körperdynamik über die Farbigkeit von Kleidung und Hintergrund bis hin zum Gesichtsausdruck sind ja codierte Parteiprogramme, die allerdings weniger konkrete Inhalte vermitteln, als vielmehr eine Haltung zur Welt und ein Versprechen für die Zukunft – Gerechtigkeit, Wohlstand, Wachstum – die sich ikonographisch decodieren ließen.
„Diese Form einer Revisualisierung unserer Kultur verändert unsere Kommunikationsfähigkeit, indem sie in Bildform präsentierte Behauptungen über die Welt und wie sie sein soll durch die naturalistische Suggestion der Bildwirkung immunisiert und gleichzeitig die Kultur des Diskurses auf den öffentlichen Bühnen schmälert.“ So hat es mein akademischer Lehrer, der Politikwissenschaftler Thomas Meyer einmal formuliert.
Wir sollten uns fragen, was es für unsere Gesellschaft bedeutet, wenn wir Information und Kommunikation immer stärker über Bildmedien organisieren. Es spricht einiges dafür, dass wir eine visuelle, eine ikonographische Aufklärung benötigen, die der vermeintlich unmittelbar wirkenden Kraft der Bilder eine skeptische, zumindest aber kritische Haltung entgegensetzt.
Aufklärung könnte hier vielleicht heißen, sich nicht von den Bildern überwältigen zu lassen. Emotionalität und Überwältigungsstrategien gehören zu den signifikanten Zeitzeichen heutiger Aufmerksamkeitsökonomien – denn ein emotionaler Zugriff und eine emotionale Reaktion sind schneller zu bewerkstelligen als langwierige Diskurse und der Austausch von Argumenten. Bedauerlicherweise zeigt sich das heute auch manches Mal in Gesprächen über Kunst, in denen dann mehr darüber gesprochen wird, ob es einen „erreicht“ hat oder ob es eine „Kraft“ hat, aber nicht darüber, warum das so ist und welche Inhalte verhandelt werden und warum die Künstlerin bzw. der Künstler dafür eben jene spezifische Form gewählt hat.
Gesunder, neugieriger Skeptizismus ist heute leider keine sehr angesehene Eigenschaft, sie gilt als behäbige Verhinderungsstrategie in einer Zeit, in der eher Machertugenden gefragt sind. Dabei galt schon in der Antike die Skepsis als Ausgangspunkt des Denkens und damit für Erkenntnisgewinn.
Die kritische Aneignung von Kunst kann hierbei ein äußerst fruchtbarer Impuls sein. Jürgen Habermas beschreibt die frühbürgerlichen Gespräche über Kunst und Literatur sogar als wesentliche Katalysatoren gesellschaftlicher Vernunft.
Ihm zufolge „gelangt […] das Publikum erst auf dem Wege über die kritische Aneignung von Philosophie, Literatur und Kunst dazu, sich aufzuklären, ja, sich als den lebendigen Prozess der Aufklärung zu begreifen.“
Die Lust am Denken ist, wenn man dieser Idee folgt, letztlich gleichzusetzen mit der Befähigung zur Demokratie.
In der Betrachtung von Kunst und vor allem auch im Gespräch über Kunst sind wir ja aufgefordert, nachzuforschen, womit wir es zu tun haben, um dann Argumente zu entwickeln und zu formulieren. Das setzt – im besten Falle – eine Betrachtung der Dinge von allen Seiten voraus und eine sich daraus ergebende eigene Haltung. Das können wir heutzutage gut gebrauchen…
Kunst lehrt uns somit schon seit Jahrhunderten in allerbester Form den Disput, die Neugier auf andere Sichtweisen und andere Argumente. Sie befähigt uns die eigene Wahrnehmung zu schärfen und Sachverhalte zu kontextualisieren. Dieser „lebendige Prozess“ der Aufklärung macht uns zu Citoyen – also zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern, die sich aktiv und kompetent in die Gesellschaft einbringen.
Als jemand, der seinerzeit wissenschaftlich an Habermas‘ Rationalismus angeschlossen hat, bin ich übrigens – obgleich kein Kunsthistoriker – unbewusst in Kontakt gekommen mit einem Aufsatz von Ihnen, lieber Martin Warnke. Dieser Aufsatz trägt den schönen Titel: „Zur Situation der Couchecke“ und ist publiziert in dem von Habermas herausgegebenen Sammelband „Stichworte zur ‚Geistigen Situation der Zeit‘“. Titelgebend war das gleichnamige Buch des Historikers Karl Jaspers, der damit zwei Jahre vor Hitlers Machtergreifung eine Zeitdiagnose versuchte.
Zwischen Essays zum „Vaterland Deutschland“, der „Suche nach der nationalen Identität“ und „Terrorismus und Gesellschaftskritik“ fand sich dann dieser subversiv-ironische Text von Martin Warnke, der sich dem Inbegriff der Bürgerlichkeit und der Wohlanständigkeit – dem Sofa – widmete und damit vielleicht mehr über den Zustand der damaligen Gegenwart erzählen konnte als so manch anderer.
Das Konzept vom Privaten, das immer auch politisch ist, liest sich bei Warnke sehr amüsant und doch sehr treffend, wenn er zum Beispiel über das heute immer noch sehr beliebte Modul-Sofa schreibt:
„Eine schwere Krise schüttelt seit einigen Jahren die Couchecke. Die Symptome ihrer Auflösung sind unübersehbar. (…) Die Couchecke zeigt sich desorientiert, sie macht hilflose Gesten nach allen Richtungen.“
Und weiter:
„Die Couchecke, die sich in diesem Jahrhundert als Symbol einer abgeschirmten, intimisierenden Privatexistenz ausgebildet und durchgesetzt hat, ist im Begriff, sich in der Außenwelt aufzulösen. Es ist den Dingen nicht mehr abzulesen, ob dadurch die Welt wohnlich werden kann oder eine der letzten Gegenwelten aufgezehrt wird.“
Vielleicht sollten wir uns alle auf Spurensuche begeben und damit gleich zu Hause anfangen – wer hätte gedacht, dass schon in den eigenen vier Wänden so großer Erkenntnisgewinn lauert, wenn wir nur die Zeichen zu lesen gelernt haben.
Ihnen wünsche ich weiterhin alles Gute, lieber Martin Warnke, und ein schönes Fest; uns wünsche ich viele weitere spannende Publikationen von Ihnen.
Und vielleicht können wir es uns ja irgendwann einmal auf einer Couch gemütlich machen, über Vasari sprechen und einen Martini trinken – geschüttelt, nicht gerührt…
Vielen Dank.