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15. Dezember 2019

Ausstellungseröffnung Sagmeister & Walsh: Beauty

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Grußwort des Senators Dr. Carsten Brosda

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Sehr geehrte Frau Professorin Beyerle,
sehr geehrter Herr Sagmeister,
sehr geehrter Herr Hess,      
sehr geehrter Herr Dr. Giesen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

einen Politiker an einem Sonntagmorgen von Schönheit reden lassen…na dann! In der Politik ist Schönheit keine Kategorie. Die Ästhetik von Prozessen und Entscheidungen ist weitreichend gut. Entscheidend ist, was am Ende dabei rauskommt.

Aber natürlich sind wir alle Menschen. Und Schönheit beschäftigt uns seit jeher – eine einzige gültige Definition gibt es allerdings nicht. Stattdessen gibt es unterschiedliche Vorstellungen davon, was Schönheit sein kann oder vielmehr auslöst.

Künstler hadern mit der Schönheit, die doch Gegenstand ihrer Kunst sein kann. So schreibt der Songwriter Rufus Wainwright:
„Beauty, what is your face?
What has it given the human race?
All that it has given me is a longing for
People and things I could never afford.
Beauty, you make me said.”

Als unerreichbares Ideal frustriert die Schönheit ihn mehr, als dass sie ihn inspiriert. Das Entlein will nicht mehr mit dem Schwan konfrontiert werden. Wer kennt das nicht.

Wenn man bei den großen Denkern nachschlägt, bekommt man ein gewisses Potpourri an Antworten zum Schönen: Für Hobbes war Schönheit nicht nur ein Anzeichen, sondern gar ein Versprechen „eines künftigen Guten“. Ähnlich sah es später Stendhal. In seinem Werk „Über die Liebe“ ließ er verlauten, Schönheit sei „nur ein Versprechen des Glücks“. Für Hegel war das Schöne objektiv, weil es um eine sichtbare Idee ging: Er betrachtete Schönheit als das „sinnliche Scheinen einer Idee“. Kant hingegen sprach der Schönheit keine objektive Eigenschaft zu, sondern sprach vielmehr von einer Art und Weise, wie uns Dinge erscheinen. Laut Kant dürfte das Schöne nicht begehrt werden – Schönheit hatte ihm zufolge interesselos zu sein, eine „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“.

Ein auf und ab. „Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ heißt es so schön. Schönheit ist nicht immer für alle gleich sichtbar – daran besteht kein Zweifel. Und doch versuchen wir zu ergründen, ob nun das Schöne in der Moderne durch das Funktionale abhandengekommen ist oder ob es in die Funktion hineingewandert ist.

In diesem immer wieder neu zu kartographierenden Gelände versucht diese Ausstellung ein paar Setzungen und öffnet Diskussionen! Nicht nur, dass Sie, lieber Herr Sagmeister, davon überzeugt sind, Schönheit selbst erfülle bereits eine Funktion und sei damit nicht interesselos. Wir lernen auch von Ihnen, dass Schönheit sowohl subjektiv als auch objektiv sein kann und dass rund die Hälfte der Vorstellungen von Schönheit universell ist.

Die Wahrnehmung von Schönheit unterliegt also nur zu 50 Prozent dem subjektiven Urteil. Anthropologische Konstanten spielen dabei eine Rolle, wenn wir uns an den berühmten goldenen Schnitt erinnern. Doch vor allem ist Schönheit Ausdruck des Kulturellen: Dass in verschiedenen Ländern unterschiedliche Schönheitsideale vorherrschen, zeigte zum Beispiel ein vor fünf Jahren durchgeführtes Experiment der Journalistin Esther Honig. Sie schickte ein unretouchiertes Selbstportrait mit der Bitte „mach mich schön“ um die Welt. Am Ende erhielt sie die unterschiedlichsten mit Photoshop bearbeiteten Portraits zurück – mit anderer Haarfarbe, einer gestauchten Gesichtsform, einem Hidschab oder schlicht einer Überdosis Kosmetik! Kein Wunder: ging es doch schon den Griechen und der Schönheit darum, im Einklang mit sich und dem Kosmos zu leben - da muss man sich und die Gegebenheiten etwas anpassen.

Dass Kosmetik aber nicht nur Einklang mit der Welt ausdrücken kann, sondern im Gegenteil auch auf politisch-systematische Unterdrückung und Überwachung verweisen kann, zeigte uns kürzlich die 17-jährige Influencerin Feroza Aziz: Über das Videoportal TikTok veröffentlichte sie ein Video im Gewand eines Beauty-Tutorials, das es in sich hatte. Schönheit wurde hier Mittel zum Zweck: Sie diente der Hintergehung der Sperrung durch Algorithmen. Feroza Aziz begann mit Tipps zum richtigen Umgang mit einer Wimpernzange, schwenkte aber schnell um und klärte über die politischen Verhältnisse der in China lebenden muslimischen Bevölkerung auf.
Das ist vielleicht eine ganz eigene kreative Auslegung der Hegelianischen Interpretation, Schönheit sei das sinnliche Scheinen einer Idee. Oder, um es mit der Sagmeister-Walsh‘schen Formel auszudrücken: „Schönheit = Funktion = Wahrheit“.

Dieser Formel liegt auch die Ausstellung zugrunde, allerdings nicht mit einem politischen Motiv, sondern aus der Perspektive des Designs.
Die Ausstellung „Beauty“ spiegelt das Schönheitsempfinden der beiden Designer und ist damit subjektiv inspiriert. Sie lädt dazu ein, über die Meinung des Duos nachzudenken, mit dem Begriff des Schönen zu spielen, ihn zu entdecken und zu empfinden. Sie folgt ästhetischen Kategorien und entzieht sich so sehr bewusst dem Diskurs, schließlich müssen Argumente im Angesicht der Schönheit schweigen.

Die Quintessenz der Ausstellung ist – so viel Spoiler sei erlaubt –, dass Schönheit sozusagen in Anlehnung an Hobbes, etwas künftig Gutes schafft, indem sie die Menschen besser machen kann und das Zusammenleben ebenso.
Die Demonstration ist überzeugend: Zum Beispiel, wenn Sagmeister und Walsh die Effekte beschreiben, die entstehen, wenn urbane Räume durch Urban Art vitalisiert werden. So wirkt beispielsweise eine dunkle, bräunlich-triste Straßenunterführung durch einen absichtsvollen bunten Anstrich fröhlicher.
Die stillgelegte Hochbahntrasse der High Line in New York wird umgestaltet als High Line Park zur Attraktion.
Mit der ästhetischen Aufwertung geht also auch eine soziale Komponente einher: Orte werden lebendiger, sie öffnen sich, versprühen Lebensfreude und können ihre Bewohner und Passantinnen, wie auch Stendhal einst sagte, glücklich machen, oder zumindest, um Stefan Sagmeister zu zitieren, „weniger garstig“.

In einem dialektischen Sinn musste ich in Sachen „Stadtgestaltung“ an das satirische Gedicht „Nachdem er durch Metzingen gegangen war“ von Robert Gernhardt denken, in dem er reimt: „Die Schönheit gibt uns Grund zur Trauer, die Häßlichkeit erfreut durch Dauer.“ Das ist natürlich reichlich spöttisch und darf uns nicht von der Gestaltung abhalten. Gernhardt ließ in dem Gedicht seinen bedrückenden Eindrücken der Baden-Württembergischen Kreisstadt Metzingen freien Lauf – ausdruckslose Bau-Klötze, zeitlose Hässlichkeit säumt die Stadt, die bei ihm als pars pro toto für die monotone Stadtentwicklung der Nachkriegszeit interpretiert werden kann – eine solche Sichtweise kennen wir auch durch die viel kritisierte „Unwirtlichkeit neuer Städte“, wie sie Alexander Mitscherlich beschrieb.

Eine Aufgabe der Kulturpolitik ist es, die Gestaltung der Stadt sowohl durch temporäre als auch permanente künstlerische Mittel zu ermöglichen und zu fördern. Es geht darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, sodass sich Künstlerinnen und Kreative bei der Stadtraumgestaltung einbringen können. Wir diskutieren gemeinsam über ihre Konzepte und suchen gemeinsam nach Lösungen. Aus dem MKG ist mit Social Design Intervention dabei.
Der Weg dahin ist nicht immer konfliktfrei, aber das Produkt am Ende bereichert uns alle, denn so entstehen Orte wie zum Beispiel das Gängeviertel, an denen die Stadtgesellschaft in den Dialog treten kann – und solche öffentlichen Orte sind für eine lebendige Stadtgesellschaft und den Austausch untereinander zunehmend unverzichtbar.

Ich möchte mich bei der Jury des Ausstellungsfonds dafür bedanken, dass Sie sich für diese persönlich-schöne Ausstellung entschieden haben.
Ein weiterer, nicht minderer Dank, geht an die Hubertus Wald Stiftung sowie die Justus Brinckmann Gesellschaft, die die Ausstellung ebenfalls großzügig gefördert haben. Schönen Dank!

Meine Damen und Herren,

wir sehen, bevor wir denken. Und was wir sehen, darüber denken wir nach. Verheißen die Objekte der Ausstellung etwas künftig Gutes? Oder versprechen sie Ihnen Glück? Sind sie der sinnliche Ausdruck einer Idee? Und welcher? Was sehen Sie und was sehen andere?
"What shall we do with all that useless beauty?” wie Elvis Costello einst sang. Schönheit ist zwecklos, aber sinnvoll! Wie alle Kunst.

Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Diskutieren über das Schöne und noch einen schönen Sonntag.