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20. August 2019

Ausstellungseröffnung "Laß leuchten! Peter Rühmkorf zum Neunzigsten"

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Grußwort des Senators Dr. Carsten Brosda

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Sehr geehrte Frau Prof. Dauschek,
sehr geehrter Herr Prof. Czech, 
sehr geehrte Frau Fischer,
sehr geehrter Herr Prof. Reemtsma,
meine sehr geehrten Damen und Herren,

in einem Interview nur wenige Monate vor seinem Tod am 8. Juni 2008 wurde Peter Rühmkorf gefragt, was rückblickend der Antrieb seines Schreibens gewesen sei. Rühmkorf antwortete: 

„Provokation macht Spaß. Das war schon zur Nazi-Zeit so, und später blieb es so, es ist ein durchgehender Faden. Es war nicht nur Quatsch und Komik, sondern es hatte einen politischen Sinn.“

Seit seiner Jugend, als Mitglied einer antifaschistischen Schülergruppe, war Rühmkorf ein politischer und engagierter Dichter. 
1929 geboren, gehörte er wie Hans Magnus Enzensberger und Jürgen Habermas zu jener Generation von Skeptikern, die sich an nahezu allen theoretischen Debatten der Bundesrepublik beteiligte und in ihren gesellschaftspolitischen Kontroversen Stellung bezog. 

Neben der Abfassung von lyrischen Texten wandte er sich seit der Nachkriegszeit mit seinem politisch-publizistischen Engagement gegen das von ihm als „Restauratorium“ bezeichnete öffentliche Klima der Adenauer-Ära, in dem hingenommen wurde, dass Lehrer und Richter, die schon vor 1945 öffentliche Ämter bekleidet hatten, nun nahtlos in der jungen Bundesrepublik weitermachten. 

Er bezog öffentlich Position gegen den Kalten Krieg, die Wiederbewaffnung und die Umweltzerstörung. Dabei setzte Rühmkorf auf die parlamentarische Demokratie, die Macht der Aufklärung und die Vernunft einer kritischen Öffentlichkeit. 

Rühmkorf blickte zunächst sehr freundlich auf die außerparlamentarischen Bewegungen und die Studentenbewegung der „68er“.
Die Themen, die nun plötzlich virulent wurden, hatten die Dichter der unmittelbaren Nachkriegsgeneration schon Jahre zuvor verhandelt. 
Die anfangs große Freude darüber verebbte allerdings zunehmend, als die von Rühmkorf geschätzte „Bewegungs-Bewegung“ durch Zerfaserung und Alleinvertretungs-Ansprüche verstärkt totalitäre Züge annahm. Solche politische Geschlossenheit war ihm zuwider.

Und dieses Dilemma wiederholte sich. Rühmkorf hatte zeitlebens Sympathie für die „schwer einzuordnenden Querköpfe“. Aber genauso empfand er heftige Abneigung gegenüber der Glorifizierung von Revolutionären von Che Guevara über Malcolm X bis hin zu Rudi Dutschke. 

Sich selbst bezeichnete er als „Meliorist“, als „Radikalreformer“, der niemals Revolutionär war – dafür aber eine lebenslange Zuneigung zur SPD hatte. In einem Interview sagte er: 

„Ich wähle durchgehend bis zum Ableben die SPD. 
Ich kann gar nicht anders. Unausdenkbar. Ich komm gar nicht raus aus der Spur“. 

Ein überzeugender Poet und Wähler. Ich kann gar nicht anders, als dieses Zitat hier zu erwähnen.

Seine politischen Überzeugungen und sein kritischer Bezug zu Zeit und Gesellschaft waren in seiner Dichtkunst stets spürbar, Politik poetisieren wollte er aber nicht. 

Bei konkret politischen Themen wandte er sich deshalb dem Essay zu, denn dort könne man „politisch argumentierend auf den Tisch hauen“. 

Die Lyrik hingegen war für ihn „ein utopischer Raum, in dem freier geatmet, inniger empfunden, radikaler gedacht und dennoch zusammenhängender gefühlt werden kann als in der sogenannten ‚wirklichen Welt‘“. 

„Spaltschreiberei“ nannte er dieses (notwendige) Agieren in zwei verschiedenen Textgattungen.

Diese Überzeugung äußerte er auch in der legendären Textzeile seines Gedichtes „Mailied für eine junge Genossin“: „Gestern Kommunist – morgen Kommunist, aber doch nicht jetzt, beim Dichten!“.

Der Dichter Rühmkorf, der sich in der Tradition von Walther von der Vogelweide, Gottlieb Klopstock und Heinrich Heine sah, strebte nach literarischer Unabhängigkeit. 
Er erfand einen unverwechselbaren Sound, eine eigenwillige Mischung aus hohem Ton und irdischer Diesseitigkeit. 

Dass der Essay und das Gedicht dennoch keine komplett getrennten Sphären sind, zeigen solche meisterhaften Verse, wie die folgenden, die Rühmkorf Willy Brandt widmete:

„Die uns Erde, Wasser, Luft versauen
– Fortschritt marsch! Mit Gas und Gottvertrauen –
Ehe sie dich eingemeinden, eh
du im Strudel bist und schon im Solde,
wartend, dass die Kotze sich vergolde: 
Bleib erschütterbar – doch widersteh!“

Meine Damen und Herren,

Gedichte von Rühmkorf sind höchst weltzugewandt – und gleichzeitig hochkomplexe Gebilde mit vielfältigen Bezügen und wilden Sprachpirouetten. 

Seine Gedichte sind eine Kunst, die sich nicht in der Kunstfertigkeit gefällt, sondern die Menschen erreichen möchte. 

Er erreichte Menschen. Und er animierte sie sogar zur Nachahmung. Franz Müntefering widmete Peter Rühmkorf ein paar eigenwillige Zeilen, die ich Ihnen nicht vorenthalten will:

„Er sei gerühmt
gekorft und auch gepetert
geht dat ?
    Mal sehen.
Er lacht
und macht
sich darauf seinen Reim
    ein
bunter Vogel aus dem Paradies
    er ließ
die Blätter fallen schenkte gern
    uns einen Kern.
    Seht mal.“

Der ehemalige Parteivorsitzende empfahl mit diesen Worten den Lyrikband „Paradiesvogelschiß“ und schrieb dazu:
Peter Rühmkorf werde es verstehen, die Kritiker mögen ihm verzeihen . 

Wann ist schon so viel Zärtlichkeit zwischen Literatur und Politik, zwischen lesendem Bewunderer und dichtendem Aufklärer?

Dass diese Kunst, die normalerweise in einer intimen Zwiesprache des Lesers mit dem Buch rezipiert wird, nun eine Ausstellung bekommt, ist absolut folgerichtig.

Und dass diese außergewöhnlich gestaltete Literaturausstellung im kultur- und stadthistorischen Altonaer Museum gezeigt wird – und nicht etwa im Literaturhaus oder in der Akademie der Künste – passt gleich in mehrfacher Hinsicht:

Zum einen, weil Rühmkorf selbst ein leidenschaftlicher Sammler war, der alles, was papierförmig war, aufhob: Fotos, Zeichnungen, Notizen, Plakate, Postkarten, Zeitschriften, Typoskripte, zahllose seiner sogenannten „Lyriden" und natürlich Bücher. 
Ein Großteil seines Nachlasses befindet sich an einem "bombensicheren Liegeplätzchen" in mehr als 600 grünen Kästen im Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Zum zweiten, weil sowohl durch die literarische Nähe zu Dichtern, die auch in Hamburg und vornehmlich Altona wirkten – Gottlieb Klopstock, Heinrich Heine, Joachim Ringelnatz –, als auch durch den damaligen Wohnort des Ehepaars Rühmkorf in Oevelgönne ein sowohl künstlerischer als auch räumlicher Bezug zu Altona gegeben ist. 

Ein Teil des Mobiliars aus der gemeinsamen Wohnung wird ja ohnehin im Depot der Stiftung verwahrt. Die Ausstellung hier zu zeigen, ist aber vor allem deshalb so treffend, weil sie sich hervorragend in das Entwicklungskonzept des Altonaer Museums hin zu einem neuen Museumstyp mit Erlebnischarakter und innovativen Ausstellungs- und Vermittlungsangeboten einfügt. 
Der Ansatz, das Haus durch eine breite fachliche Vernetzung mit anderen Kultureinrichtungen und den Ausbau bestehender Kooperation mit Partnern und Förderstiftungen perspektivisch zu einem neuen kulturellen Zentrum im Herzen Altonas zu entwickeln, ist hier für alle Beteiligten gewinnbringend aufgegangen.

Ich danke der „Arno Schmidt Stiftung“ und der „Stiftung Historische Museen Hamburg“ für diese beeindruckend inszenierte Ausstellung. 

Ihnen allen wünsche ich anregende Einblicke in das Leben und Werk von Peter Rühmkorf.

Schönen Dank.