Das Quartier am Diebsteich liegt zwischen den Zentren von Altona und Eimsbüttel – etwas abseits der innerstädtischen Quartiere und mit einem ganz eigenen Charme. Welchen Charakter soll das Gebiet am Diebsteich künftig haben?
Höing: Herr Gerdelmann und ich sind ganz am Anfang mit dem Fahrrad durch das Quartier geradelt und unser Eindruck war, dass der Ort einen etwas rauen Charme hat und manchmal spröde wirkt, aber andererseits auch von einer unglaublichen Vielfalt geprägt ist. Man findet dort wertvollen Wohnungsbau aus den 1920er-Jahren, es gibt Sportanlagen, die andernorts fehlen, eine perfekte Erschließung durch die S-Bahn und diese Mischung aus Wohnen und Arbeiten, die für uns Planer und Planerinnen immer wichtig ist.
Nun ist das Quartier, auch ausgelöst durch die Entscheidung der Bahn, den neuen Fernbahnhof Altona hier zu errichten, stärker in den Fokus geraten. Aus der Politik gab es früh ein offensives Plädoyer dafür, dass die gewerbliche und sportliche Prägung des Standorts erhalten bleiben soll. Es gibt vitale Industrie- und Gewerbeunternehmen, Bildungseinrichtungen und ein paar große Betriebe, die sich nicht einfach verlegen lassen. Unser Ziel ist es, mehr Stadt in der Stadt zu schaffen – das heißt, eine kompaktere, dichtere Nutzung, die die großen Strukturen durch Kleinteiligkeit ergänzt und den rauen Charme bewahrt, damit nicht eine ganz neue, geschleckte Welt entsteht.
Gerdelmann: Am Diebsteich finden wir heute Nutzungen, die uns in den letzten Jahren an anderer Stelle durch die enormen Wohnungsbauaktivitäten verloren gegangen sind: Gewerbeflächen, Sport- und Freizeitanlagen oder große Industriebetriebe – dies ist andernorts leider verschwunden. Deshalb wollen und müssen wir die vier Fußballplätze, die großen Industrieanlagen oder die vielen Gewerbebetriebe erhalten und diese Nutzungen bei der Planung des neuen Quartiers berücksichtigen, was eine Garantie dafür gibt, dass hier nicht ein völlig neues, anderes Quartier entsteht.
* Höing: Wir müssen uns in Hamburg insgesamt die Frage stellen, wo sich die Stadt weiterentwickeln kann und soll. Dies geschieht nur bis zu einem gewissen Maße in Neubaugebieten am Stadtrand, wie in Oberbillwerder oder in der Gartenstadt Öjendorf. Vor allem aber müssen wir auch weiterhin auf die Innenentwicklung setzen, um genügend Wohnungen, Arbeitsstätten oder Sport- und Freizeitanlagen bauen zu können. Deswegen sind Quartiere wie das am Diebsteich so wichtig – auch wenn eine solche Entwicklung innerhalb der bestehenden Stadt sicher noch schwieriger ist als eine Stadterweiterung auf der grünen Wiese, weil es schon bestehende Nutzungen, eine Nachbarschaft und viel Lärm oder Verkehr gibt.
* Welche Rolle spielt die Verlagerung des Bahnhofs an den Standort? War die Entscheidung der Deutschen Bahn der Auslöser für die Entwicklungen?
* Höing: Durch den neuen Bahnhof erhält der Standort natürlich eine andere Lagegunst, rückt stärker in den Fokus und die Planungen bekommen vielleicht einen anderen Schub. Aber ich denke, dass wir uns das Quartier auch unabhängig davon in den nächsten Jahren angesehen hätten, denn viele der Nutzungen, wie zum Beispiel der Lunapark, sind ja in sich schlüssige Bausteine, die unabhängig vom Bahnhof funktionieren.
Was ist aus verkehrlicher Sicht für das Quartier zu erwarten?
* Gerdelmann: Wir haben verkehrliche Untersuchungen vorgenommen, die zeigen, dass ein zentraler Ort wie dieser bei immer mehr Einwohnern und steigendem Pkw-Verkehr bald kaum noch zu erreichen sein wird, wenn die Verkehrsmittelwahl der Menschen unverändert bleibt. Im Zentrum Altonas müssen wir auch die Entwicklungen in Mitte Altona, auf dem Holstenareal und am Diebsteich mit berücksichtigen.
Wir müssen uns daher überlegen, wie wir den Verkehr anders organisieren können und welche Formen der Mobilität wir stärken wollen. Die Nachverdichtung bietet hierfür eine Chance, denn mit ihr ist man zum Handeln gezwungen – ohne sie hätte man sich vielleicht nur kleine Maßnahmen überlegt, um den Verkehr auf der Stresemannstraße oder Kieler Straße wieder etwas flüssiger zu machen. Ich sehe in einer Nachverdichtung daher eine starke Triebfeder dafür, andere Formen der Mobilität ganz bewusst zu fördern.
Höing: Wir haben sehr detailliert geprüft, welche Verkehrsverbindungen entstehen müssen, wenn der Fernbahnhof am Diebsteich entsteht. Der heutige Bestand an Gebäuden und Nutzungen limitiert natürlich die Möglichkeit, das Quartier stets mit dem Auto zu erreichen – dafür ist schlicht kein Platz. Deshalb wollen wir vor allem den Rad-, Fuß- und Busverkehr stärken. Zusätzlich gibt es Planungen, die S-Bahn im Hamburger Stadtgebiet – auch hier im Westen der Stadt – deutlich auszubauen.
Welche Auswirkungen hat die Bahnhofsverlagerung für den heutigen Bahnhof Altona und das Umfeld?
Gerdelmann: Der Großteil der Frequenz, die man am sehr belebten heutigen Bahnhof Altona hat, entsteht durch das Aus- und Umsteigen zwischen S-Bahnen und Bussen. Dies wird unverändert so bleiben und die Nutzerzahlen werden langfristig weiter steigen. Selbst wenn pro Tag mehrere tausend Passagiere, die heute in den Regional- und Fernverkehr einsteigen, künftig am alten Bahnhofsstandort entfallen, wird diese Anzahl durch den allgemeinen Anstieg an Passagieren in Bussen und S-Bahnen binnen kurzer Zeit ausgeglichen. Trotzdem müssen wir natürlich Ideen entwickeln, wie der heutige Bahnhof und sein Umfeld künftig aussehen sollen, um dieser hohen Zentralität zu entsprechen.
* Höing: Die Stadt hat sich dazu bekannt, den Busverkehr mit dem sogenannten 5-Minuten-Takt auszubauen. Aber wir dürfen nicht nur über die Verkehrswende reden, sondern wir müssen dafür auch die passende Infrastruktur schaffen – durch die Verlagerung des Bahnhofs bekommen wir die Chance, den ganzen Standort im Zentrum von Altona anders zu organisieren.
Höing: Wenn man heute vom imposanten Rathaus Altona über den Platz der Republik zum Bahnhof geht, dann kommt man an einen Ort, der doch ziemlich in die Jahre gekommen ist – und das ist diplomatisch ausgedrückt. Den Bahnhof muss man in seinem heutigen Zustand wirklich nicht glorifizieren, die Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes und des Busbahnhofs wird der Zentralität und der Bedeutung des Ortes in keiner Weise gerecht. Wir werden die Infrastruktur neu organisieren und ein Stück Stadtreparatur betreiben, was dem Zentrum Altonas insgesamt zugutekommen wird.
Wie sind Sie bei der Entwicklung des Rahmenplans vorgegangen? Wie konnten sich Bürgerinnen und Bürger einbringen?
Höing: Da wir uns mitten in der Stadt befinden, konnte es natürlich keine Planung am Reißbrett werden – vieles ist bereits vor Ort und noch in Nutzung. Wir haben uns im Prozess daher schrittweise dem Rahmenplan angenähert. Aufgrund der komplexen Situation vor Ort waren zahlreiche Fachbehörden beteiligt. Und da das Gebiet zwischen den Bezirken Altona und Eimsbüttel liegt, waren auch die beiden Bezirke mit dabei. Die Planungen sind nicht im stillen Kämmerlein entstanden, sondern es gab mehrere öffentliche Veranstaltungen und Workshops, auf denen wir die verschiedenen Themen mit den Menschen vor Ort diskutiert haben. Mit diesen offenen Werkstätten haben wir ganz absichtlich ein Format gewählt, das sich nicht an Fachpublikum richtet, sondern an die Bürgerinnen und Bürger, um mit ihnen sehr konkret über einzelne Orte, Ideen und Vorstellungen für das Quartier zu sprechen. Die Ergebnisse haben wir dann mit den verschiedenen Fachplanern ausgewertet. Es gab auch kritische Stimmen, die ihre Sorgen artikuliert haben – es wäre naiv zu glauben, dass am Ende alle immer einer Auffassung sind. Wir haben all diese Argumente sorgfältig abgewogen.
* Gerdelmann: Die Stadt hat vor Ort strategisch kluge Ankäufe von Grundstücken getätigt, so dass sie nun auf ihren eigenen Grundstücken natürlich ganz anders agieren, planen und beteiligen kann, als wenn es sich um ausschließlich private Grundstücke handeln würde.
* Höing: Und trotzdem ist es kein Ort, an dem wir jetzt das machen können, was wir uns schon immer überall gewünscht haben. Denn neben den planerischen haben wir auch immobilienwirtschaftliche Rahmenbedingungen, die wir immer untereinander abwägen müssen.
* Ist der Rahmenplan also ein Kompromiss zwischen verschiedenen planerischen, fachlichen und wirtschaftlichen Interessen sowie den Wünschen und Ideen der Menschen vor Ort?
* Höing: Das Wort Kompromiss hört sich so an, als hätte es eigentlich etwas Besseres gegeben. Das sehe ich gar nicht so! Für mich ist der Rahmenplan ein kluges Grundkonzept, das durch das Ringen zwischen all den Anforderungen, Rahmenbedingungen und Interessen der Fachbehörden, aber auch der Bürgerinnen und Bürger vor Ort entstanden ist.
Ein Beispiel, dass uns lange beschäftigt hat, ist der Verlauf des Grünzugs, der nach dem großen Plan von Fritz Schumacher, der vor 100 Jahren der Hamburger Oberbaudirektor war, vom Stadtrand kommend über dieses Gelände bis in die innere Stadt führt. Heute ist dieser Grünzug mancherorts nicht zu erkennen und so entstand die Idee eines Central Parks, um das Grün und die Fuß- und Radwege zu stärken. Dieser zentrale Park ist aber nur in Teilen ein klassischer Park, denn wir müssen auch viele Sportplätze unterbringen. Über die richtige Anzahl haben wir lange diskutiert und das rege Vereinsleben sowie den Bedarf nach Grün- und Freiraum untereinander abgewogen. Es sollte ja nicht nur eine Addition von Sportplätzen werden, so dass wir lange an der Planung getüftelt haben – und das hat den Rahmenplan immer besser gemacht. Ein anderes Beispiel ist die Paketpost – eine riesige Maschine, die nicht besonders viel Charme mitbringt und für einen ganz speziellen Zweck gebaut wurde. Heute steht sie da – und wir haben früh entschieden, dass wir prüfen, ob sie nicht stehenbleiben kann. Diese intensiven Diskussionen waren sehr wertvoll!
Auf dem Gelände soll auch eine Musikhalle entstehen – warum dort?
Gerdelmann: In Hamburg gibt es schon lange einen Bedarf nach einer Musikhalle für Konzerte mit einer Zuschauerzahl von bis zu 4.000 Personen. Wer die Stadtentwicklung in den letzten 15 Jahren beobachtet hat, der weiß, dass diese Musikhalle schon in verschiedenen Stadtteilen vorgeschlagen und geprüft wurde – von St. Pauli bis in die HafenCity. Dabei geht es um die Nähe zur U- oder S-Bahn, die Nähe zur Innenstadt und weiteren kulturellen Angeboten der Musikszene, so dass sich Angebote auch gegenseitig befruchten können. Eine funktionierende Nähe haben wir am Diebsteich über die S-Bahn in wenigen Stationen Entfernung, so dass es auch aus Sicht der Musikwirtschaft ein geeigneter Standort ist.
Wie stehen die Entwicklungen in Mitte Altona, auf dem Holstenareal und rund um den Diebsteich in Beziehung zueinander? In der Mitte Altona kann man das neue Quartier ja schon entstehen sehen – sind beide Standorte vergleichbar?
Gerdelmann: Mitte Altona und das Holstenareal werden sicherlich, auch aufgrund der direkten räumlichen Nähe, eine gewisse Affinität zueinander haben. Die Bahntrasse und die Stresemannstraße sind aber eine große räumliche Trennung zum Diebsteich, so dass es kein direktes Anknüpfen an diese Quartiere, zum Beispiel durch ähnliche bauliche Typologien, am Diebsteich geben wird. Aber wir werden Angebote schaffen, die dazu führen, dass sich beide Quartiere gegenseitig gut ergänzen und es Gründe für die Bewohnerinnen und Bewohner gibt, das jeweils andere Quartier zu besuchen. Hierzu zählen zum Beispiel Bildungs-, Sport- und Freizeit oder kulturelle Einrichtungen – so wachsen die Quartiere zusammen.
* Höing: Am Diebsteich wird es sicher ganz anders aussehen als in Mitte Altona: weniger homogen, vielleicht auch ein Ort des architektonischen Experiments, einer Vielfältigkeit von Gebäudetypologien. Schon heute tickt der Ort ganz anders als die Wohnquartiere südlich der Stresemannstraße. Ich bekomme immer wieder Briefe aus der Kulturszene, die Flächen benötigen – wenn wir denen im wahrsten Sinne des Wortes am Diebsteich Raum geben könnten, fände ich das gut. In einer Großstadt muss es immer auch Orte geben, an denen Nutzungen Raum finden, die es andernorts so nicht gibt. Unser jetziger Rahmenplan steckt hierfür bisher eine räumliche Idee ab, lässt inhaltlich aber sicher noch genug Offenheit, verschiedene konkrete Angebote zu entwickeln.
Stellen Sie sich vor, es ist das Jahr 2040. Warum werden Sie dann ganz persönlich in das Quartier kommen?
Höing: Ich bin ein großer Freund von städtischer Komplexität und einem vielfältigen Nutzungsangebot – und genau das kann hier entstehen. Man kann vom Diebsteich aus im Jahr 2040 schnell mit dem Rad in die freie Landschaft fahren, aber man ist ebenso schnell mit dem Rad in der Stadt. Und wenn man ein bisschen fauler ist, setzt man sich in die S-Bahn oder die Fernbahn. Es wird jede Menge interessante kulturelle Bausteine geben. Vielleicht gibt es auch architektonisch interessante Häuser, in denen ich dann gerne wohnen würde, was für einen Oberbaudirektor wichtig ist – auch wenn 2040 noch so lange hin ist, dass ich gar nicht ausrechnen kann, ob ich dann noch im Amt bin. Ich hoffe, dass es ein etwas unkonventioneller Ort sein wird. Und dann komme ich auch gut nach Eimsbüttel. Heute gibt es dazwischen noch einen Ort, der sich zwar Eimsbütteler Marktplatz nennt, aber bei dem man selbst mit großer Phantasie keinen wirklichen Marktplatz erkennt. Für diesen sehr komplexen Ort brauchen wir Planer und Planerinnen noch einen etwas längeren Atem, aber bis 2040 ist auch noch ein bisschen Zeit.
Gerdelmann: Also wenn ich 2040 noch Fahrrad fahren kann, radle ich durch das Gebiet in den Volkspark, um mir einen schönen Nachmittag zu machen. Abends auf dem Rückweg höre ich ein Konzert in einem Club oder genieße gute Angebote in der Gastronomie. Das Quartier wird viel stärker als heute ein Teil von wichtigen Wegebeziehungen zwischen den Hamburger Stadtteilen – vor allem mit dem Rad.