Es gilt das gesprochene Wort
"Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist weltweit ein erschütterndes Phänomen. Oft erfahren Frauen Gewalt im häuslichen Bereich durch eine vertraute Person, einen früheren oder den aktuellen Partner.
Auch in Deutschland ist dies keine Seltenheit – unabhängig von Herkunft und sozialem Status. Etwa jede vierte Frau erlebt körperliche oder sexuelle Gewalt in einer Beziehung oder durch einen früheren Partner. Und an etwa jedem dritten Tag tötet ein Mann in Deutschland seine Partnerin bzw. Ex-Partnerin. Das sind bestürzende Zahlen.
Diese Dramen spielen sich oft im Verborgenen ab. Daher brauchen wir dringend mehr öffentliches Bewusstsein für das Thema, um es aus der Tabu-Ecke herauszuholen.
Wir brauchen für die Verhütung von häuslicher Gewalt ein umfassendes Spektrum von schützenden und stärkenden Regelungen, deren konsequente Durchsetzung sowie Hilfsangebote staatlicher und zivilgesellschaftlicher Art.
Die vor zehn Jahren unterzeichnete Istanbul-Konvention hat mit Recht einen breiten Ansatz gewählt. Sie verpflichtet die Vertragsstaaten in den verschiedensten Rechts- und Lebensbereichen auf Schutz und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen.
Besonders einschneidend ist häusliche Gewalt dort, wo eine Frau sich in Abhängigkeit von einem gewalttätigen Partner befindet.
Ein Beispiel hierfür ist, dass sich der Aufenthaltsstatus einer Frau von einem solchen Partner ableitet. So ist die Angst vor dem Verlust des Aufenthaltsstatus oder vor Abschiebung ein starkes Motiv, sich nicht hilfesuchend an Behörden zu wenden, sich nicht zu trennen, sondern eine gewalttätige Beziehung stumm zu erdulden. Frauen drohen hier schutzlos der verübten Gewalt ausgeliefert zu sein.
Daher regelt die Istanbul-Konvention in ihrem Artikel 59 konkrete Verpflichtungen, um den Aufenthaltsstatus gewaltbetroffener Frauen zu schützen.
Absatz 2 soll dem gewaltbetroffenen Opfer ermöglichen, einen eigenständigen Aufenthaltstitel zu beantragen. Er fordert dazu die Möglichkeit, Ausweisungsverfahren von Betroffenen auszusetzen, wenn der Aufenthaltsstatus vom Partner bzw. Ehemann abhängt und dieser ausgewiesen wird.
Zudem wird in Absatz 3 die Schaffung eines verlängerbaren Aufenthaltstitels für Gewaltopfer vorgesehen, wenn ihr Aufenthalt aufgrund ihrer persönlichen Lage oder zur Mitwirkung in einem Ermittlungs- bzw. Strafverfahren erforderlich ist.
Leider hat Deutschland bei der Ratifikation der Istanbul-Konvention völkerrechtliche Vorbehalte gegen diese beiden Bestimmungen angebracht.
Die heute zu behandelnde Vorlage der Länder Bremen, Berlin, Thüringen und Hamburg fordert die Bundesregierung auf, die genannten Vorbehalte gegenüber der Istanbul-Konvention endlich aufzugeben.
Dies wäre nicht nur ein symbolisch wichtiger Schritt. Es wäre vielmehr Anlass für Anpassungen im deutschen Aufenthaltsrecht, um Frauen besser vor Gewalt zu schützen.
Die Bundesregierung hat bisher versucht, den Vorbehalt zu Artikel 59 Absatz 3 besonders damit zu begründen, dass Frauen eine Duldung erhalten, wenn ihre Anwesenheit im Strafverfahren erforderlich ist. Dies ist aber ein Scheinargument. Eine Duldung ist kein rechtmäßiger Aufenthaltstitel. Sie ist lediglich eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Sie stellt Betroffene in vielerlei Weise schlechter, so beim Zugang zum Arbeitsmarkt oder in sozialrechtlicher Hinsicht.
Auf Verbesserungen ist auch bei Aufgabe des Vorbehalts gegenüber Artikel 59 Absatz 2 zu hoffen. Ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 des Aufenthaltsgesetzes setzt bei Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft regelhaft voraus, dass die eheliche Lebensgemeinschaft seit wenigstens drei Jahren im Bundesgebiet bestanden hat. Vor Ablauf dieser drei Jahre bestehen erhöhte Anforderungen. So wird bei Härtefällen häuslicher Gewalt die Kausalität zwischen der ehelichen Gewalt und der späteren Trennung von dem gewalttätigen Ehepartner verlangt. Diese zusätzlichen Hürden müssen endlich abgebaut werden.
Die Aufgabe der Vorbehalte gegen Artikel 59 der Istanbul-Konvention ist längst überfällig. Wir dürfen nicht länger die Augen vor Gewalt gegen Frauen verschließen. Daher bitte ich Sie: Stimmen Sie für die sofortige Sachentscheidung und für unsere Entschließung."