Es gilt das gesprochene Wort
"Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
die deutsche Justiz und das deutsche Recht genießen international hohes Ansehen. Die Globalisierung sowie immer komplexere Rechtsbeziehungen in der Wirtschaft und umfangreichere Verfahren erfordern allerdings Anpassungen. In zahlreichen Ländern bestehen – teilweise schon seit längerer Zeit – gerichtliche Spruchkörper mit speziellen Angeboten der staatlichen Justiz für die unterschiedlichsten Wirtschaftsstreitverfahren. Hervorzuheben ist an dieser Stelle beispielsweise der weltweit bekannte Commercial Court of London, wo eine Vielzahl von international tätigen Unternehmen bislang ihre Rechtsstreitigkeiten austragen. Ein maßgeblicher Faktor für die bisherige Anziehungskraft des Commercial Court of London war seine Zugehörigkeit zum europäischen Vollstreckungsraum.
Die mit dem Brexit-Abkommen verbundenen Rechtsunsicherheiten wirken sich allerdings nicht nur auf den Wirtschaftsverkehr aus, sondern dürften auch zu einer Verlagerung der Wirtschaftsstreitigkeiten führen. Im Gegensatz zu Deutschland haben andere europäische Mitgliedsstaaten bereits seit einiger Zeit auf die sich abzeichnende Entwicklung reagiert und jüngst eigene, spezielle Commercial Courts gegründet. Einige Länder, darunter Hamburg, haben eigene Anstrengungen unternommen, um mit dieser Entwicklung Schritt zu halten, und beispielsweise englischsprachige Kammern an Landgerichten etabliert.
Mit dem durch die heutige Bundesratsinitiative in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwurf wollen wir – gerade vor dem Hintergrund des Brexit – die deutsche Justiz in Wirtschaftsstreitigkeiten weiter stärken. Der unter der Federführung von Hamburg und Nordrhein-Westfalen in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe erarbeitete Gesetzesentwurf hat im Rahmen der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2020 bereits eine breite Zustimmung erfahren.
Inhaltlich setzt der Gesetzesentwurf auf dem bereits mehrfach, u.a. von Hamburg, in den Bundesrat eingebrachten Gesetzesentwurf zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen auf. Die Länder werden darin zum einen ermächtigt, Kammern für internationale Handelssachen an den Landgerichten einzurichten, vor denen Rechtsstreitigkeiten dann vollständig in englischer Sprache geführt werden können. Vollständig bedeutet, dass Englisch auch in den Schriftsätzen, in den vorgelegten Urkunden, der mündlichen Verhandlung und im Urteil verwendet werden kann, was in diesem Umfang bisher nicht möglich ist.
Zum anderen eröffnet der Gesetzesentwurf den Ländern darüber hinaus die Möglichkeit, einen oder mehrere spezielle Senate für größere internationale Handelssachen an einem Oberlandesgericht je Land einzurichten. Vor diese sogenannten Commercial Courts würden großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten mit internationalem Bezug ab einem Streitwert in Höhe von 2 Millionen Euro verhandelt werden. Das Verfahren vor den Commercial Courts der Oberlandesgerichte ist bestmöglich auf die Parteien zugeschnitten. Auf Antrag der Parteien können beispielsweise bestimmte Informationen als geheimhaltungsbedürftig eingestuft werden oder die Führung eines Wortlautprotokolls beantragt werden. Länder ohne Interesse an einem eigenen Commercial Court können sich zudem durch Staatsvertrag länderübergreifend dem Commercial Court eines anderen Landes anschließen.
Die vorgeschlagene Gesetzesänderung versetzt die staatlichen Gerichte in die Lage, wirtschaftsrechtliche Verfahren effizient und den Anforderungen der Rechtssuchenden gerecht werdend zu führen. Eine Abwanderung wirtschaftlich relevanter Rechtsstreitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit oder in andere Rechtskreise kann somit vermieden werden. Schließlich können die vorgesehenen Maßnahmen die Ziviljustiz auch in der Breite entlasten, da wirtschaftsrechtliche Großverfahren künftig von den speziell hierfür geschaffenen Spruchkörpern betreut werden.
Lassen Sie uns diese dringend notwendigen Änderungen gemeinsam voranbringen, um die Stellung der deutschen Justiz im internationalen Rechtsverkehr zu stärken und den Rechtsstandort Deutschland für Wirtschaftsakteure attraktiver zu machen."