Durch das stetige globale Bevölkerungswachstum und die daraus resultierende zunehmende Urbanisierung nimmt der Energiebedarf in Städten deutlich zu. Der Klimawandel erfordert jedoch erneuerbare und emissionsarme, idealerweise emissionsfreie Energieproduktion. Dank des technologischen Fortschritts eröffnen sich immer neue Wege.
Das müssen nicht immer gigantische Vorhaben wie der Bau eines Offshore-Windparks oder Wasserkraftwerks sein. Energieerzeugende Verkehrsflächen sind ein schönes Beispiel, wie auch mit Maßnahmen im Stadtraum sinnvolle Effekte entstehen. Neben dem Beitrag zur Energiegewinnung wird zudem Klimaschutz präsent, vermittel- und sichtbar. Flächen für den Verkehr mit jenen für die Energieversorgung zu überlagern, ist nachhaltig und flächensparend. Das wiederum wertet das Image eines Städtebauprojekts oder Quartiers erheblich auf.
Vielfältige Wirkungen
Was auf den ersten Blick unvereinbar scheint, wird zusammengefügt. Die folgenden Beispiele veranschaulichen den Variantenreichtum und das große Potenzial, das sich auf Verkehrsflächen zur Erzeugung erneuerbarer Energien bietet. Zeitgleich leisten Flächeneinsparungen an anderer Stelle, Witterungsschutz und Hitzevorsorge durch Überdachung ebenfalls einen Beitrag zur Klimaanpassung.
Energieerzeugende Stellplatzanlagen: Durch die Überdachung von Stellplätzen mit Integration von PV- oder Solarthermie-Anlagen kann man erneuerbaren Strom oder erneuerbare Wärme erzeugen. Die Anlagen verschatten und verringern somit aufgeheizte Fläche und Fahrzeuge und bieten einen gewissen Schutz vor anderen Witterungseinflüssen. Zwischen den überdachten Parkplatzreihen ist Raum, um Hecken zu pflanzen. Der Schatten, den die Module bieten, verringert das Austrocknen des Untergrundes. Ein feuchter Boden bietet guten Lebensraum für Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen und bewirkt zudem Verdunstungskühlung.
Den Parkplatz mit versickerungsfähigem Pflaster auszustatten, so dass Regenwasser versickern kann, dient zusätzlich der Klimaanpassung. So sind Verkehr, erneuerbare Energiegewinnung und Klimaanpassung auf ein und derselben Fläche kombiniert.
Solar-Dächer: Kleinteilige Potenzialflächen für die Energiegewinnung bieten überdachte Wartebereiche und Bushaltestellen, Zugänge zu U-Bahnstationen und weitere Wetterschutzdächer. Häufig wird der Energieertrag für LED-Beleuchtung oder für die Speisung von E-Bike-Ladestellen genutzt.
Bei Aufständerung der Solaranlagen können die kleinen Dachflächen begrünt werden. Das ergibt zusätzlich Hitzeschutz, weniger Aufheizen des Umfeldes und schattige Aufenthaltsbereiche.
Solar-Leuchten: Eine eingeführte Technik sind Leuchten, bei denen an den Masten PV-Module montiert sind, die sie mit ausreichend Strom versorgen. Das funktioniert auch bei Parkscheinautomaten.
Solarüberdachte Fahrbahn: Verkehrsflächen bieten großes Potenzial für die Erzeugung erneuerbaren Stroms. In einem länderübergreifenden Forschungsprojekt des Austrian Institute of Technology, des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) sowie des Bundesamts für Straßen der Schweiz wird eine mögliche Integration von Solaranlagen in Straßenräumen, insbesondere die Überdachung von Fahrbahnen mit semitransparenten PV-Modulen untersucht.
Dabei geht es außerdem um die Auswirkungen auf die Langlebigkeit des Straßenbelags.
Durchdacht überdacht
Solar-Carports gibt es bereits serienreif. Auf Parkplätzen an Einkaufscentern, Baumärkten oder Sportstätten kann der erzeugte Strom aus einer Überdachung mit PV-Anlagen direkt zum Aufladen von Elektrofahrzeugen des eigenen Fuhrparks oder von Pkw der Kundinnen und Kunden genutzt werden. Das spart Kosten und steigert die Aufmerksamkeit, denn Verbraucherinnen und Verbraucher schätzen umweltbewusste Unternehmen.
Die weltweit erste Solar-Carport-Anlage – auf dem Dach des Messe-Parkhauses Rebstock – produziert in Frankfurt am Main jährlich mehr als eine halbe Million Kilowattstunden Solarstrom. Der mit Solarmodulen bedeckte Carport der Bereitschaftspolizei Berlin-Spandau erreicht eine Spitzenleistung von 998 Kilowatt umweltfreundlichen Stroms für rund 250 Vier-Personen-Haushalte.
Kombiniert mit Begrünung und versickerungsfähigem Pflaster gelingt auf Verkehrsflächen neben dem Schattenangebot ein weiterer Beitrag zur Klimaanpassung.
Solar-Sonnensegel: Neu sind Photovoltaik-Sonnensegel, die sowohl Strom erzeugen als auch Schatten spenden. So schützen sie öffentliche Plätze oder Fußwege, aber auch Spielplätze vor starker Sonneneinstrahlung. Einen Prototyp namens „Solar Spline“ entwickelte das Fachgebiet für Experimentelles Entwerfen und Konstruieren (EEK) der Universität Kassel in Kooperation mit der Studienwerkstatt für Digitale Entwurfs- und Fertigungsmethoden der Kunsthochschule Kassel. Es wurde 2017 während der Documenta gezeigt.
Solar-Mobiliar: Solarüberdachte Sitzgelegenheiten eignen sich dazu, erneuerbare Energien in den Stadtraum zu integrieren und erlebbar zu machen. Zum Beispiel durch Ladegelegenheiten für Elektroräder oder Mobiltelefone.
Energie-Brücken: Zahlreiche Brückentragwerksysteme wie bei Balkenbrücken können auch mit PV-Modulen besetzt werden. Bestehende Brücken lassen sich nachrüsten, bei neuen sind die Systeme von vornherein als technische und gestalterische Anforderung integriert. Am Londoner Bahnhof Blackfriars beispielsweise erzeugen 4.400 Photovoltaikmodule auf einer Brücke etwa 900.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Ein Projekt in Schleswig-Holstein zeigt, dass man Brücken darüber hinaus mit Erdkollektoren ausstatten kann. Diese halten durch Grundwasserwärme die Fahrbahn im Winter eisfrei, was die Lebensdauer der Fahrbahnbeläge deutlich steigern kann.
Geothermie im Tunnel: Durch die Integration einer geothermischen Anlage in Bauwerke wie U-Bahn- oder Autobahntunnel lässt sich Wärme oder Kälte gewinnen. Dazu werden Wärmetauscher eingebaut, die Wärme des Untergrundes und der Tunnelluft aufnehmen können oder Wärme in den Untergrund abführen. Sofern die Anlage bereits beim Neubau des Tunnels installiert wird, entstehen nur geringe Mehrkosten.
In Stuttgart läuft ein Pilotprojekt, das Energie für das große Elefantenhaus des Zoos liefern und 2021 offiziell in Betrieb gehen soll. Die Geothermieanlage allein hat 3.300 m2 thermisch aktivierter Fläche, deren Energie genug wäre, um mehrere Einfamilienhäuser zu beheizen. Vor allem aber sollen so jährlich 200 Tonnen CO2 eingespart werden.
Hürden und Lösungen
Beim Neubau von Verkehrswegen und Plätzen muss die Integration erneuerbarer Energien frühzeitig mitgeplant werden, um Flächen zu sichern und die erforderlichen Schritte in den Bauablauf zu integrieren. Werden PV-Anlagen nachträglich auf bestehende Trägersysteme aufgesetzt, ergeben sich oft gestalterisch unbefriedigende Lösungen. In den öffentlichen Straßenraum integrierte Energiesysteme sollten daher von Anfang an bei Neuplanungen und städtebaulichen Veränderungen mitgedacht werden.
Oft erfordern Überdachungen spezielle Trägersysteme, die durch Spezialanfertigungen teuer sind. Es gibt aber zunehmend seriengefertigte Lösungen, wodurch die Kosten sinken.
Es kann sich lohnen, Geothermie dort einzusetzen, wo ohnehin gegraben wird – beim Bau eines Stadtbahn- oder Autotunnels.
Bei den Pilotprojekten sind insbesondere das Material und dessen Zusammenspiel mit der Gestaltung und Umgebung der Verkehrsflächen anspruchsvoll. Die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden sowie Lichtdurchlässigkeit, Stabilität, Rutschfestigkeit, Selbstreinigung, Farbgebung und Optik der Photovoltaikanlagen müssen stimmen, um eine gelungene Integration zu gewährleisten.
Die Kombination mit Begrünung ist häufig umsetzbar und steigert die Leistung der PV-Anlagen (sowie die Aufenthaltsqualität). Frühzeitig daran zu denken, erleichtert es, geeignete Sorten auszuwählen, um Verschattung der Module zu vermeiden.
Wirtschaftlicher Gewinn
Insbesondere große solarüberdachte Parkplätze und kleine Standardanlagen bei hohem Eigenverbrauch können wirtschaftlich betrieben werden. Je größer und standardisierter die Anlagen sind, desto günstiger sind sie bereits zu realisieren. Für die Energieversorgung eines Stadtquartiers spielen kleinteiligere Projekte zwar eine eher untergeordnete Rolle, da die wirtschaftlichen Effekte gering sind. Sie sind aber eine progressive Art und Weise, um erneuerbare Energien in den Stadtraum zu integrieren und somit Aufmerksamkeit zu erhalten. Dieses Extra an Engagement für den Klimaschutz kann sich ökonomisch positiv auswirken, indem das Image des Standorts steigt.
Effekte
Klimaschutz: Erzeugung erneuerbarer Energien
Klimaanpassung: (Hitzevorsorge durch) Verschattung. Ergänzung mit Begrünung, versickerungsfähigen Belägen oder einer klimasensiblen Auswahl von Oberflächenmaterialien wird empfohlen.
Fazit
Die urbane Energiegewinnung im Verkehrsraum ist eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Es beinhaltet klimaschonende Energiegewinnung, Reduktion von Treibhausgasen, sparsamen Umgang mit Fläche, nachhaltiges Planen und Wirtschaften. Erneuerbare Energien können über, auf, an und sogar unter Verkehrsflächen erzeugt werden. Derlei Projekte sind erst selten zu sehen. Daher sollten Projekte dieser Art mit Informationsangeboten kombiniert werden, um zu begeistern und die Zustimmung zu erhöhen.