Die Diskriminierung und Verfolgung gleichgeschlechtlich liebender Menschen hat eine lange Tradition. Die Ursachen dafür sind vielfältig. So kann Angst vor dem vermeintlich „Anderen“, die Bedrohung von gesellschaftlichen Normen und persönlichen Identitäten zu Intoleranz führen. Bedeutsam sind kulturelle Normen und die patriarchalen monotheistischen Religionen, die in der Homosexualität einen Verstoß gegen die Göttliche Ordnung sahen.
Der Rundgang führt Sie zu Orten, an denen wir Ihnen von Geschehnissen berichten, die die Tabuisierung, Diskriminierung und Verfolgung gleichgeschlechtlich liebender Menschen in Hamburgs Geschichte zum Thema haben.
Die Szenen werden von den Schauspielerinnen Herma Koehn und Beate Kiupel und den Schauspielern Thomas Karallus und Dieter Schmitt gespielt.
Texte und Moderation von Dr. Rita Bake.
Details finden Sie im Programmheft unten auf dieser Seite.
Dauer des Rundganges ca. 2 Stunden
1. Station:
Kleine Alster / Schleusenbrücke / Seite Rathaus
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1701 erhitzte ein spektakulärer Mordfall die Gemüter. Auf dem Schweinemarkt (dort wo heute ein Medienkaufhaus an den Langen Mühren steht), wurde eine kopflose nackte Frauenleiche gefunden. Des Mordes beschuldigt und hingerichtet wurden ein Apothekergeselle und zwei Hökerinnen. Doch bis heute fehlen die Beweise. Einer der Hauptanklagepunkte lautete „begangene Sodomie“.
Besonders eine der Angeklagten, die Hökerin Ilsabe Bunck, geriet ins Visier der Ankläger: Sie hatte mit einer Frau zusammengelebt und „mittels eines künstlichen Gliedes Unzucht mit Frauen“ betrieben.
2. Station:
Paulstraße / Europapassage
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Lida Gustava Heymann, durch eine Erbschaft ihres Vaters zu Reichtum gelangt, gründete gegen Ende des 19. Jahrhunderts. an der Paulstraße 25 (heute steht hier die Europapassage) eine Art Frauenhaus, wo sich Frauen Rat und Schutz holen konnten. Lida Gustava Heymann gehörte dem radikalen Zweig der bürgerlichen Frauenbewegung an. Privat lebte sie mit der Frauenrechtlerin und Juristin Dr. Anita Augspurg zusammen. Offiziell bezeichneten sich beide nicht als Liebespaar. Sie begegneten sich „in gleicher Weltanschauung (…), um in treuer Freundschaft und ungetrübter Verbundenheit jahrzehntelang den Kampf für Freiheit und Aufstieg zu führen“.
3. Station:
Eingang U-Bahnstation Jungfernstieg auf der Alsterseite
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Am 2. Juli 1980 zerschlug Corny Littmann in der Herrentoilette am Jungfernstieg den von der Behörde 1973 eingebauten Einwegspiegel, hinter dem in einem kleinen Kabuff ein Polizist saß, um die Männer an der Pissrinne bei ihren Handlungen zu beobachten, denn die Toiletten würden von Homosexuellen „erfahrungsgemäß mehr und länger besucht, als es die Erfordernis des Stoffwechsels rechtfertigen könnten“.
4. Sation:
Ballindamm / Bergstraße
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In dem an der Ecke Ballindamm/Bergstraße 1904 erbauten Konzertcafé „Haus Vaterland“ trat auch die legendäre Chanson- und Kabarettsängerin Claire Waldoff (1884–1957) auf, die in einer Liebes- und Lebensgemeinschaft mit einer Frau lebte. Ihre dortigen Auftritte und die von Zarah Leander machten das „Haus Vaterland“ populär als Treffpunkt auch für gleichgeschlechtlich liebende Menschen. 1972 schloss das Etablissement.
5. Station:
Neuer Wall / Stadthausbrücke
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Im Stadthaus Neuer Wall / Stadthausbrücke befand sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts. das Amt für „Fürsorge für sittlich gefährdete Frauen und Mädchen“ und ab 1927 auch die „Weibliche Kriminalpolizei“, die während der NS-Zeit mit der NSDAP und der SS zusammenarbeitete.
Da der § 175 nicht für frauenliebende Frauen galt, gab es zwar auch während der NS-Zeit keine strafrechtliche Verfolgung wegen Verstoßes gegen den § 175. Frauenliebende Frauen wurden aber dennoch stigmatisiert, diskriminiert und auch teilweise verfolgt, nur waren die Verfolgungsgründe andere als bei den männlichen Homosexuellen. Frauenliebende Frauen galten als „sexuell verwahrlost“, „pervers“ und „abartig“. Auch in der Nachkriegszeit wurden frauenliebende Frauen so bezeichnet und stigmatisiert.
6. Station:
Stadthausbrücke 8
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In der damaligen Gestapo-Zentrale wurden viele NS-Verfolgte verhört und brutal misshandelt. Zu ihnen gehörten auch Homosexuelle, deren Verfolgungsschicksal lange Zeit verdrängt wurde. Männer, die während der NS-Zeit nach § 175 StGB verurteilt worden waren und für die nach der Zeit des Nationalsozialismus Entschädigung bzw. Wiedergutmachung für Haftfolgen oder „freiwillige Entmannung“ beantragt wurde, wurden abgewiesen, „weil die Antragstellung die Grundvoraussetzung nicht erfüllte: Opfer aus rassischen oder politischen oder religiösen oder weltanschaulichen Gründen gewesen zu sein“.1) Es wurde in der Ablehnung „stets auch darauf verwiesen, dass der Antragsteller wegen Verurteilungen auf Grund des § 175 StGB vor, während oder nach der NS-Zeit ‚haftentschädigungsunwürdig‘ sei“.1)
1) Gottfried Lorenz, Ulf Bollmann: Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945. Hamburg 2013, S. 6.
7. Station:
Axel-Springer-Platz
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Am 7. März 1939 wurde Axel Springer (1912–1985) im Gestapo-Haus verhört, weil er für die Zeit seiner Abwesenheit seinem Freund Dr. jur. Hans Meyer (1894–1940) seine Wohnung überlassen hatte. Dieser hatte einen Mann mit in die Wohnung genommen und soll ihm dort Avancen gemacht haben. Springer belastete Hans Meyer nicht.
8. Station:
Axel-Springer-Platz
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Der 1973/74 geführte Mordprozess gegen Judy Andersen und Marion Ihns, die den Ehemann von Marion Ihns hatten umbringen lassen, führte zu einer massiven Hetzkampagne gegen frauenliebende Frauen. Auch vor dem Hintergrund der neuen Frauenbewegung kam es infolge des Prozesses erstmals in der Bundesrepublik Deutschland zu einer Lesbendemonstration.
„Der Protest im Gerichtssaal von Itzehoe war ein Fanal des Widerstands gegen die Kriminalisierung und Diskriminierung von Lesben.“ 1)
1) Gottfried Lorenz, Ulf Bollmann: Liberales Hamburg? Homosexuellenverfolgung durch Polizei und Justiz nach 1945. Hamburg 2013 S. 80.
9. Station:
Gänsemarkt /Neuer Jungfernstieg
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Der evangelische Pastor Klaus Tuchel (1927–Selbsttötung 1971) schied 1958 wegen seiner Homosexualität „unter Verzicht auf die Rechte des geistlichen Standes“ aus der Hamburgischen Landeskirche aus, nachdem er 1958 mit einem Strichjungen erwischt und festgenommen und auf der Davidswache verhört worden war.
10. Station:
St. Anscharplatz beim Valentinskamp
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Ab Mitte der 1960er-Jahre verhängte Hamburg für die Schwulenbars ein Tanzverbot unter Männern, so auch für die intime Männerbar „Bohème“ am Valentinskamp 57. Dieses Tanzverbot hatte Hamburg in erster Linie dem damaligen Leiter der Kriminalabteilung II, Dr. Günther Freytag (1903–1980) zu „verdanken“, der sich sehr um die Verfolgung homosexueller Männer bemühte.
11. Station:
ABC-Straße /Hohe Bleichen
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So äußerte sich 1985 der Hamburger Schriftsteller Hubert Fichte (1935–1986) in einem Gespräch mit dem Feuilletonisten Fritz J. Raddatz. Hubert Fichte war u. a. mit seinem 1968 erschienenen Roman „Die Palette“ bekannt geworden, in dem er die Besucherinnen und Besucher der Kellerkneipe „Palette“ in der ABC-Straße 55, dort wo heute ein großes Hotel steht, portraitierte.
Hier verkehrten in den 1960er-Jahren Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Neigungen. Fichtes Vision von einer Welt, in der gleichgeschlechtliche Liebesgemeinschaften eine Normalität darstellen, ist auch heute noch nicht realisiert. Und so sind COMING OUTs immer noch mutige Schritte, weil gleichgeschlechtliche Liebe immer noch nicht der Norm entspricht.
12. Station:
ABC-Straße /Hohe Bleichen
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