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Straßenbenennungen: Seismographen gesellschafts- und gleichstellungspolitischer Bewegungen

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Birgit Kiupel

Rita Bake

Straßennamen sind Teil der persönlichen Adresse jeder Bürgerin und jedes Bürgers. Das vertraute Straßenschild, die immer wieder zu schreibende und nennende Postadresse machen neugierig auf den Lebenslauf der Frau oder des Mannes, nach der oder dem die Straße benannt wurde.  

Durch die Benennung von Straßen nach Personen, Orten und Ereignissen sollen bestimmte Erinnerungen wachgehalten werden. Dabei werden z. B. historische Ereignisse und gesellschaftspolitische Zusammenhänge an einer Person der Zeitgeschichte exemplarisch aufgezeigt und im Gedächtnis bewahrt.

Angesichts der vielen Möglichkeiten, durch die Benennung von Straßen nach Personen Geschichte zu vermitteln und z. B. auch bewusstseinsbildend auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen einzuwirken, muss bei der Benennung von Straßen darauf geachtet werden, dass Frauen und Männer gleichberechtigt gewürdigt werden. Denn Straßenschilder markieren öffentliches Gedenken, und dieses hat auch dem Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes zu entsprechen. Die darin verankerte Gleichberechtigung von Frauen und Männern muss sich auch in der Gedenkkultur und in der Geschichtsaufarbeitung niederschlagen, denn die aktuellen gesellschafts-politischen Denkweisen und Handlungen der Menschen erklären sich immer auch aus der Geschichte heraus.

Über 8600 benannte Straßen durchziehen Hamburg. Die meisten Verkehrsflächen erhielten Flur- und Geländebezeichnungen. Daneben gibt es eine Vielzahl von Straßen, die z. B. nach Pflanzen und Tieren benannt sind, sich auf ehemaligen klösterlichen und kirchlichen Besitz oder öffentliche Gebäude und Wirtshäuser beziehen oder z. B. auf Dörfer und Städte der Umgebung hinweisen.

Rund 34 Prozent der Straßen sind nach Personen benannt; darunter über 2500 Straßen nach Männern und rund 422 Straßen nach Frauen. Das bedeutet: rund 86 Prozent der nach Personen benannten Straßen, sind nach Männern und gerade mal ca. 14 Prozent nach Frauen be- und mit benannt („mit benannt“ bedeutet: diese Straßen wurden nach Familien, Ehe- und Geschwisterpaaren desselben Nachnamens benannt, worunter sich auch Frauen befinden). In diesen 14 Prozent sind auch diejenigen Frauennamen berücksichtigt, die nach Fabelwesen, Märchenfiguren oder literarischen Gestalten heißen, wie z. B. die Hexentwiete und der Hexenberg. Auch bei den nach Männern benannten Straßen kommen vereinzelt Märchengestalten wie z. B. der Hänselstieg vor. Aber bei insgesamt rund 2500 Männerstraßennamen fallen die nach männlichen Roman- und Märchenfiguren benannten Straßen nicht so stark ins Gewicht wie bei den Frauenstraßennamen.  

Der geringe Anteil der durch Straßennamen geehrten Frauen macht deutlich, dass Berufstätigkeit und gesellschaftspolitische Aktivitäten von Frauen und deren berufliche und ehrenamtliche Positionen weniger erwähnenswert erscheinen, damit weniger wertgeschätzt – und entsprechend seltener öffentlich geehrt werden.

Das hat seine Ursachen: Auch Straßenbenennungen unterliegen gesellschaftspolitischen Entwicklungen, und diese fußen auf einem patriarchalen Gesellschaftssystem, in dem es klare Vorstellungen von Geschlechtsrollenmustern und Machtstrukturen gibt, die sich erst in den letzten ca. 30 Jahren langsam im Veränderungsprozess befinden. So wurden denn auch vom 13. Jhd. bis zur Verabschiedung des Grundgesetzes mit seinem Gleichberechtigungsartikel im Jahre 1949 1341 Straßen nach Männern, aber nur 141 nach Frauen benannt. Selbst nach 1949 blieb die Praxis der Straßenbenennungen patriarchal und scherte sich nicht um den im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigungsartikel. So wurden zwischen 1950 und 1973 gerade mal 54 Straßen nach Frauen, dafür aber rund 756 nach Männern benannt.

Das konnte so nicht weitergehen. Gestärkt und unterstützt durch die Neue Frauenbewegung forderte 1973 die Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenverbände (ahf) den Senat und die Bezirke auf, mehr Straßen nach Frauen zu benennen.

In den 1980er-Jahren wurde diese Forderung von der damaligen Leiterin der Leitstelle Gleichstellung der Frau, Eva Rühmkorf (1935-2013), nach der mittlerweile auch eine Straße benannt wurde, und der damaligen Ersten Vorsitzenden der ahf, Helga Diercks-Norden (1924-2011), noch einmal öffentlich bekräftigt. In dem damals neu erbauten Wohngebiet Neuallermöhe-Ost (Bezirk Bergedorf) wurde deshalb gemäß eines Beschlusses der Bergedorfer Bezirksversammlung ein Großteil der dort erbauten Straßen nach Frauen benannt. Doch dieses Vorbild führte nicht zum Durchbruch. Weiterhin blieb bei der Benennung neuer Straßen der Blick ein patriarchaler. So wurden von 1974 (nach dem öffentlichen Aufbegehren der Hamburger Frauenverbände im Jahr 1973) bis einschließlich Dezember 2014 lediglich 162 Straßen nach Frauen, dafür aber 404 Straßen nach Männern benannt. Das bedeutet: Rund 72% der nach Personen benannten Straßen wurden seit 1974 nach Männern und rund 28% nach Frauen benannt.

Bemerkenswert ist, dass 45% der insgesamt nach Frauen benannten Straßen zwischen 1974 und Dezember 2014 benannt wurden. So haben die seit 1973 mehrmals erfolgten Forderungen der Frauenverbände und einzelner Frauen nach mehr Benennungen von Straßen nach Frauen zwar Erfolg gehabt. Dennoch wurden in diesem Zeitraum die Männer bei den Straßenbenennungen weiterhin überproportional bevorzugt. 

Damit die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im öffentlichen Gedächtnis der Stadt endlich verankert wird, hat der Senat in seinem am 5. März 2013 herausgegebenen Gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm für die Jahre 2013-2015 auch auf die Benennung von Straßen verwiesen. Dort heißt es: „Die Benennung von Straßen und Verkehrsflächen ist mehr als schlichte Namensgebung, sondern kann auch Ausdruck der Anerkennung und Wertschätzung sein. Personennamenbenennungen von Straßen und Plätzen sind Konzentrationspunkte öffentlicher Aufmerksamkeit. Diese Benennungen sind unter Umständen Anlass für die Betrachterin und den Betrachter, sich mit dem Lebenswerk oder auch Leidensweg der jeweiligen Persönlichkeit zu befassen. Umgekehrt können die Straßenbenennungen auch als ein Abbild der gesellschaftlichen und damit auch gleichstellungspolitischen Erinnerungskultur begriffen werden.

Von den derzeit nach Personennamen benannten Hamburger Straßen ist ein ganz überwiegender Teil nach Männern und nur ein kleinerer Teil nach Frauen benannt. Der Senat ist daher bestrebt, die Anzahl der nach Frauen benannten Verkehrsflächen künftig zu erhöhen.“ 1)

Seit 2015 werden nun weitaus mehr Straßen nach Frauen als nach Männern benannt. So kamen 80 nach Frauen benannte und 25 nach Männern benannte Straßen bis Ende Dezember 2020 hinzu.  Aufholen wird man die seit Jahrhunderten „gewachsene“ Diskrepanz zwischen der Anzahl der nach Frauen und Männern benannten Straßen aber nicht. So viele neue Straßen können im Stadtstaat Hamburg gar nicht mehr gebaut werden.  Damit das Repertoire an Frauennamen nicht zur Neige geht und es dann wieder heißt „Wir kennen keine Frauen, nach denen eine Straße benannt werden könnte“ gibt es eine Hamburger Frauenbiografiendatenbank, die mit über tausend Frauenbiografien bestückt ist und die ständig aktualisiert und erweitert wird. Unter www.hamburg.de/frauenbiografien gibt es mehrere Möglichkeiten, Frauenbiografien schnell zu suchen und zu finden: Neben der Suche nach Schlagwörtern, z. B. nach Künstlerinnen, Politikerinnen etc. können Sie den Namen einer bedeutenden/bekannten verstorbenen Hamburgerin eingeben – oder einen bestimmten Straßennamen. Bei letzterer Suche erfahren Sie, ob in dieser Straße eine bedeutende Frau gewohnt oder gewirkt hat. Oder aber Sie geben den Namen eines Hamburger Bezirkes ein und es erscheint eine Namensliste von Frauen mit Biografien, die einst in diesem Bezirk lebten bzw. wirkten. Diese Suchfunktion ist zum Beispiel hilfreich für die künftige Benennung einer neuen Straße in einem Bezirk. So heißt es dazu im gleichstellungspolitischen Rahmenprogramm des Senats: „Er [der Senat] hat die Bezirke, die die Namensvorschläge vorbringen, in diesem Sinne bereits in Kenntnis gesetzt und sie ausdrücklich auf die von der Landeszentrale für politische Bildung erarbeitete ‚Hamburger Frauenbiographie-Datenbank‘ als wesentliches Instrument bei deren Auswahl von Namensvorschlägen hingewiesen.“ 2)

Warum wurde und wird Frauen im öffentlichen Gedächtnis so wenig Platz eingeräumt?

In Hamburg mangelt es keineswegs an bedeutenden Frauen, nach denen Straßen benannt werden könnten. Die Spuren dieser Frauen sind in der Geschichtsschreibung ebenso weit zurückzuverfolgen wie die bedeutender Männer. Doch was bedeutet überhaupt „bedeutend“? Wer gilt warum und wann als „bedeutend“ – und für wen? Wer hat die Macht der Definition und der Durchsetzung? Die Kriterien, die hierzu angesetzt werden, müssen immer im Zusammenhang mit den Geschlechtsrollenbildern der jeweiligen historischen Epochen gesehen werden – und vor dem Hintergrund machtpolitischer Konstellationen, individueller Vorlieben und Einflussmöglichkeiten.

Was steckt bloß dahinter, dass beim Thema öffentliches Erinnern an Frauen – und die Benennung von Straßen nach Personen ist ein solches - oft die Löschtaste gedrückt wird? Ein wesentlicher Grund für das Ausblenden der Frauen aus dem öffentlichen Gedächtnis heißt Machtinteresse, denn der Platz im öffentlichen Gedächtnis hängt im Wesentlichen von den „gesellschaftlich legitimierten, offiziellen Wahrnehmungs- und Deutungsmustern“ 3) ab, und diese sind nun mal eng verbunden mit der Legitimation von Machtansprüchen. Bis heute ist unsere Erinnerungskultur durch ein patriarchales Geschlechter- und Gesellschaftsmodell geprägt, das erfreulicher Weise seit einiger Zeit umgebaut und reformiert wird – hoffentlich keine Dauerbaustelle.  

Lassen Sie uns für einen Moment innehalten und auf einer der immer seltener vorhandenen Bänke am Straßenrand Platz nehmen und über dominierende so genannte hegemoniale 4) Männlichkeiten nachdenken, die Frauen bis heute als agierende Subjekte abwehren, ignorieren, ausklammern.  Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat hierfür das eindrückliche Bild vom „negativen Koeffizienten“ gefunden. Alle Frauen werden, unabhängig von ihrer Position im sozialen Raum, von den Männern durch einen negativen symbolischen Koeffizienten getrennt, ihre Existenz und Handlungen werden negativ bewertet. Alles, was Frauen zugeordnet wird und damit als „weiblich“ gilt, wird mit einem Minuszeichen versehen. 5) Wie das kommt? „Männer wie Frauen“ haben „in Form unbewußter Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata die historischen Strukturen der männlichen Ordnung verinnerlicht. Wir laufen daher Gefahr, dass wir zur Erklärung männlicher Herrschaft auf Denkweisen zurückgreifen, die selbst das Produkt dieser Herrschaft sind.“ 5)

Ein Weg, um aus „diesem Zirkel herauszukommen“, wie Bourdieu diese Situation beschreibt, ist nach unserer Überzeugung die kontinuierliche Arbeit an der Geschichte und dem öffentlichen Gedächtnis – und ihre kritische Hinterfragung. Straßenschilder haben hierfür eine in jeder Hinsicht herausragende Funktion.

Auch Forschungen zur Frühen Neuzeit 6) legen die Annahme nahe, dass es gewisse Kontinuitäten von gesellschaftlich produzierten Geschlechtscharakteren und entsprechenden Katalogen für angeblich spezifisch „männliche“ oder „weibliche“ Eigenschaften und Verhaltensweisen gab. Bedingt durch das Primat des Mannes wurde ein so genannter „double standard“ der Geschlechter durchgesetzt, d. h. die Abwertung und Zweitrangigkeit der Frau wurde tradiert, auch auf der Basis antiker und kirchlicher Traditionen. „Weibisch“ war ein oft benutzter „negativer symbolischer Koeffizient“.

Hegemoniale Männlichkeiten dulden keine geschlechtliche Gleichwertigkeit; sie fördern den Ausschluss der Frauen aus sozialen Räumen, wie in früheren Jahrhunderten bzw. Jahrzehnten etwa aus dem Rathaus oder dem Altarraum. Diese Männlichkeiten verweigern Haus- und Familienarbeit, da dies gegen eine vermeintliche „Männerehre“ verstoße, von einer komplementären Aufgabenverteilung und Anerkennung keine Spur. Im Gegenteil: Es wird gewichtet, Frauenarbeit gilt als weniger wert. Diese Deklassierung des Weiblichen ist quer durch die gesamte gesellschaftliche Hierarchie zu beobachten. Innerhalb jeder Klasse gab es noch eine Unterschicht – die Frauen. Das Weibliche wird zum Zwecke männlicher Überhöhung instrumentalisiert.

In einem permanenten Kulturkampf wurden hegemoniale Männlichkeiten produziert, gemäß eines Kanons von als «männlich» definierter Tugenden und Fähigkeiten – in Abgrenzung zu entgegengesetzten Definitionen von «Weiblichkeiten», mit denen Frauen und «verweiblichte», d.h. angeblich «schwache» Männer, kategorisiert, ausgegrenzt und abgewertet wurden. So galten und gelten teilweise heute noch z.B. modebewusste Männer als Gecken, Tänzer als keine vollwertigen Männer. Und liebevolle Hausväter, die Küchen und Kinderpopos säubern, sucht man bislang auf Prunkgemälden vergeblich. 7)

In patriarchalen Gesellschaftssystemen war das Wirken in der Öffentlichkeit stets die Sache der Männer, ob nun im Krieg, in der Bürgerwehr, bei Regierungsgeschäften, in den höheren Schulen und Universitäten, beim Sport, auf der Straße, in Kneipen und Kaffeehäusern. Die Frauen hingegen wurden in der Regel in den innerhäuslichen, vermeintlich „privaten“ Bereich verwiesen. Dort sollten sie ihre Keuschheit bewahren und in der Hauswirtschaft, bei der Pflege der Kinder, der Alten und der Versorgung der Tiere möglichst unsichtbar arbeiten und agieren. Ihre außerhäuslichen Tätigkeiten, wie z. B. die Arbeit der Unterschichtsfrauen in den Manufakturen oder in Heimarbeit, galten meist als Zuarbeit zur Arbeit des Mannes. All diese Frauenarbeiten wurden von der hegemonial-männlich dominierten Öffentlichkeit als niedrig und minderwertig bewertet, also mit einem negativen Koeffizienten etikettiert, ganz im Sinne des Ausrufs eines Mannes des 18. Jahrhunderts: „Ein Kerl haut lieber eine halbe Stunde lang Holz, als dass er das Haus ausfegt.“

Diese absurde Einteilung der Welt in wichtige Männer- und unwichtige Frauentätigkeiten ist ein wesentlicher Grund, warum die Leistungen von Frauen marginalisiert werden und somit scheinbar kein Anrecht haben, im öffentlichen Gedächtnis verankert zu werden. Die Folge davon ist eine nicht „angemessene Repräsentation von Frauen in Politik, Wissenschaft und Gesellschaft“, denn die Repräsentation von Frauen auf diesen Gebieten hängt nun mal „von der Erinnerung an Frauen als Akteurinnen und Interpretinnen der Geschichte ab“. 8) Auf den Punkt gebracht heißt das: Wenn Frauen keinen Platz im öffentlichen Gedächtnis erhalten, man sich nicht an ihre Leistungen erinnert, dann nimmt man die Frauen und deren Handeln auch in der realen Wirklichkeit nicht wahr, dann wird ihr Wirken und Schaffen missachtet, damit die Diskriminierung von Frauen fortgeschrieben, und für die Zukunft empfindet man all das, was Frauen leisten, als unbedeutend. Die Folgen sind: falsche Interpretationen gesellschaftspolitischer Gegebenheiten und Entwicklungen sowie die Darstellung nur der halben Wirklichkeit.

Es geht also nicht um verletzte Eitelkeiten, und es ist auch keine Marotte von Frauen, wenn sie vehement eine höhere Quote bei den Straßenbenennungen nach Frauen verlangen und damit für sich einen gebührenden Platz im öffentlichen Gedächtnis einfordern.

Diese Arbeit an einem geschlechtergerechten öffentlichen Gedächtnis ermöglicht aktives Erinnern für eine Zukunft, in der der Begriff Geschlechterdemokratie zur gelebten Wirklichkeit wird.

Davon würden auch Männer profitieren, die bisher kaum in so genannten Frauenberufen zu finden sind, da diese den negativen Koeffizienten tragen, also als weniger wert gelten und entsprechend geringer entlohnt sind. Aber Männer sind ebenso wie Frauen begabt als Erzieher, Pfleger und Reinigungskräfte. Allerdings muss sich hierfür auch das Bild vom „echten“ Mann ändern. Es wird konstituiert durch die Abspaltung von als „weiblich-weichlich“ abgewerteten Eigenschaften und Verhaltensweisen. In diesem System hegemonialer Männlichkeiten werden „effeminierte“, angeblich „verweiblichte“ Männer ausgegrenzt und entwertet, als „Weicheier“ oder „Warmduscher“ denunziert.

Wenn wir mit einem geschlechtergerechten Blick auf die Leistungen von Frauen schauen, werden wir feststellen, dass Frauen in den ihnen traditionell zugestandenen Bereichen ebenso gesellschaftspolitisch Notwendiges leisteten und leisten wie Männer auf ihren Gebieten. Hätte es z. B. keine Marktfrauen gegeben, die die Grundversorgung der Bevölkerung sicherten, dann hätten der Großkaufmann, der Banker oder auch der Bürgermeister nur mit knurrenden Mägen ihren Geschäften nachgehen können. Ob diese Entscheidungsträger in diesem Zustand gute Geschäfte abgewickelt bzw. inhaltsreiche Entscheidungen getroffen hätten, wage ich zu bezweifeln. Bis heute gibt es allerdings keine Straße, die nach einer besonders agilen und herausragenden Marktfrau benannt wurde, dagegen aber zig Straßen, die nach Gastwirten, Schmieden, Schornsteinfegern, Imkern, Jagdaufsehern, Piloten, Postmeistern, Schäfern usw. heißen. Ohne Zweifel haben diese Männer in ihren Berufen Herausragendes geleistet. Aber ohne die Arbeit von Frauen, ohne unermüdliche Bäuerinnen, Hökerinnen, Köchinnen, Wäscherinnen und Putzfrauen hätten sie ihre gesellschaftliche Position nie erreichen können.

Und noch ein Beispiel für einen geschlechtergerechten Blick auf die Gesellschaft: Geht man davon aus, und das sollten wir, dass die Arbeit einer Hebamme von ebenso großer Bedeutung für den Fortbestand der Stadt war und ist wie zum Beispiel die Tätigkeit eines Ortsamtsleiters oder Gemeindevorstehers, zumal, wenn man bedenkt, dass diese zukünftigen Leistungsträger vielleicht gar nicht das Licht der Welt erblickt hätten, wenn die Hebamme sie nicht mit geschickten Händen aus dem mütterlichen Geburtskanal gezogen hätte, dann müssten doch im öffentlichen Gedächtnis die Namen von Hebammen, die in ihrem Beruf Herausragendes geleistet haben, genauso verankert sein wie die Namen der erwähnten Amtsträger. Es gibt aber in Hamburg gerade mal eine Straße, die nach einer Hebamme benannt ist: seit 1984 ist das der Gertrud-Werner-Weg in Hamburg-Bergedorf. Dagegen tragen viele Straßen die Namen von Ortsamtsleitern und Gemeindevorstehern. Selten zu sichten sind auf Straßenschildern auch die Namen von Frauen, die in Pflegeberufen gearbeitet haben, obwohl 80 Prozent der Arbeit in den Fürsorge- und Pflegeberufen von Frauen geleistet werden. Diese Berufe sind zwar unerlässlich für das Fortbestehen der Menschheit, aber mit einem negativen Vorzeichen „weiblich“ versehen. Deshalb sollten auch in diesen Bereichen tätige Frauen durch Straßenbenennungen mehr geehrt werden. Denn ein öffentliches Gedächtnis, in dem auch Frauen Platz finden, die in so genannten typischen Frauenberufen gearbeitet und dort Herausragendes geleistet haben, kann bewusstseinsverändernd auch im Hinblick auf die heutige Bewertung von Frauen- und Männerleistung wirken und damit z. B. die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche und besonders auch für gleichwertige Arbeit nachhaltig unterstützen.

Frauen wurden aber nicht nur Jahrtausende lang bestimmte Arbeitsbereiche zugewiesen und diese gering bewertet und entlohnt; Frauen wurden auch aus bestimmten Berufsbereichen ausgeschlossen, die nur Männern vorbehalten waren. Diese Arbeitsfelder wurden gesellschaftlich hoch bewertet, so dass Männer aus diesen Berufszweigen im öffentlichen Gedächtnis ihren festen Platz bekamen. So wurde eine große Anzahl von Straßen nach Mitgliedern des Senats, der Kirchspielverwaltungen, der Deputationen, der Bürgerschaft, nach Kaufherren, Wissenschaftlern, Architekten, Ingenieuren und Männern der Verwaltung benannt. Auf diesen Gebieten waren Frauen lange Zeit nicht tätig bzw. nicht zugelassen.

Doch selbst wenn Frauen auf denselben Gebieten Wichtiges leisteten wie Männer, bleiben sie nicht in demselben Maße in der öffentlichen Erinnerung. So sind z. B. die Frauen der ersten Stunde nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer zu wenig im öffentlichen Gedächtnis präsent. Ohne sie –, um nur einige wenige Hamburgerinnen zu nennen wie z. B. Magda Langhans, Gertrud Lockmann, Lieselotte Kruglewsky-Anders oder Margarethe Gröwel, die sich ebenso wie Männer in Politik und Gesellschaft für den Wiederaufbau Hamburgs stark gemacht haben wären die Ernährungslage, das Gesundheitswesen, die Sozialfürsorge und der Wohnungsbau nach dem Zweiten Weltkrieg nicht so vorangekommen. Wie stünde Hamburg da, wenn sich die Frauen damals nicht so vehement für eine bessere Versorgung der Stadt eingesetzt hätten? Wo wäre Hamburg dann? Vielleicht schon längst ausgestorben …?

Dass Frauen auch dann, wenn sie in denselben Sparten tätig waren wie Männer und dort ebenso Herausragendes geleistet haben, nicht ebenso gebührend im öffentlichen Gedächtnis einen Platz finden, hat seine Ursachen in den von mir bereits beschriebenen Machtinteressen und Machtansprüchen und der damit einhergehenden Marginalisierung von Frauenleistung.  Das zeigt sich besonders „schön“ auch bei der Benennung von Straßen nach Männern, deren weibliche Verwandte ebenso – oft auch im selben Bereich - Wichtiges geleistet haben.

Um nur ein Beispiel zu nennen. 1958 wurde eine Straße nach dem Astronomen und Musiker William Herschel (1738-1822) benannt, dem Entdecker des Uranus. Aber auch seine Schwester Caroline Herschel (1750-1848), die ihrem Bruder neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auch noch den Haushalt führte, war eine bedeutende Astronomin. Neider nannten sie auch „die Kometenjägerin.“ Da beide denselben Nachnamen trugen, hätte die im Hamburger Stadtteil Rahlstedt liegende Straße ohne Aufwand nach ihr mit benannt werden können. Doch leider blieb der Blick der Verantwortlichen damals nur bei Herrn Herschel hängen. Und solch eine getrübte Wahrnehmung vollzog sich noch mehrmals bei Benennungen von Straßen nach den Nachnamen bedeutender Männer, deren Ehefrauen, Töchter oder andere weibliche Verwandte mit demselben Nachnamen ebenfalls Herausragendes geschaffen haben.

Als ich im Jahre 2000 Hamburgs Straßennamen durchforstete, stieß ich auf vierzehn solcher Fälle und machte den Vorschlag, diese Straßen nachträglich auch den bedeutenden weiblichen Verwandten zu widmen. Der Senat nahm diese Anregung auf und setzte sie 2001 um. So heißt z. B. die „Schumannstraße“ nicht mehr nur nach dem Komponisten und Pianisten Robert Schumann, sondern auch nach dessen Ehefrau, der Komponistin und Pianistin Clara Schumann. 2017 gab es eine weitere Aktion und zwölf nach den Nachnamen bedeutender Männer benannte Straßen wurden nun auch nach den ebenso bedeutenden weiblichen Verwandten benannt.

Voraussetzung für eine paritätische Benennung von Straßen nach Frauen und Männern ist stets auch der andere Blick auf die Leistungen von Frauen und Männern, der eine Auseinandersetzung mit den immer noch vielfach angewandten patriarchal geprägten Bewertungskriterien von „wichtig“ und „bedeutend“ beinhaltet.

Die Benennung von Straßen nach Personen ist ein Spiegel der Gesellschaft. Ein weiter fortgeführtes Missverhältnis von Männern und Frauen im Stadtbild durch häufigere Benennung von Straßen nach Männern würde allen gesellschaftspolitischen Errungenschaften und gesetzlichen Aufträgen widersprechen.

Quellen:

  1. Seite 85, in: www.esf-hamburg.de/.../gleichstellungspolitisches-rahmenprogramm.pdf
  2. Gleichstellungspolitisches Rahmenprogramm, a. a. O.
  3. Britta Voß: Das „ewig Weibliche“ der Erinnerungen – Gedenkkulturen und Geschlecht. Rezension über das Buch: Sylvia Paletschek/ Sylvia Schraut (Hrsg.): The Gender of Memory, Cultures of Remembrance in Nineteenth- and Twentieth-Century Europe​​​​​​​. Frankfurt/M. 2008, in: Freiburger Geschlechter Studien 22, S. 430.
  4. Robert W.Connell, Gender and power. Society, the person and sexual politics, Cambridge 1987; ders., Masculinities, Cambridge 1995, dt: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999. Connell hat seine Thesen zwar unter neuzeitlichen Bedingungen entwickelt, doch könnten sie anwendbar sein auf historische Forschungen. Im Folgenden wird der Begriff «hegemoniale Männlichkeit» in diesem Sinne verwendet. Er bezeichnet die Herstellung von Macht und Abgrenzung von hegemonialen Männern gegenüber Frauen und Männern durch unterschiedliche Selbstbilder und Identitäten in diversen Ständen und Milieus.
  5. Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft. Aus dem Französischen von Jürgen Bolder, Frankfurt/Main, 2005, S. 161f: «Einerseits ist allen Frauen gemeinsam, was auch immer ihre Position im sozialen Raum sein mag, dass sie von den Männern durch einen negativen, symbolischen Koeffizienten getrennt sind, der, wie die Hautfarbe bei den Schwarzen oder jedes andere Merkmal der Zugehörigkeit zu einer stigmatisierten Gruppe, alles, was sie sind, und alles, was sie tun, negativ affiziert und der einem systematischen Ganzen homologer Unterschiede zugrunde liegt: Trotz des unermesslichen Abstands gibt es etwas Gemeinsames zwischen der Generaldirektorin, die sich jeden Morgen massieren lassen muß, um die Kraft aufzubringen, die mit der Ausübung von Macht über Männer verbundene Spannung auszuhalten, und der Hilfsarbeiterin in der Metallindustrie, die in der Solidarität mit den Kolleginnen Stärkung suchen muß, um die mit der Arbeit in einer männlichen Umgebung verbundenen Prüfungen wie die der sexuellen Belästigung oder ganz einfach die Lädierung des Selbstbildes und der Selbstachtung durch die von den Arbeitsbedingungen verursachte Hässlichkeit und Schmutzigkeit zu ertragen. Andererseits bleiben die Frauen trotz der sie einander annähernden spezifischen Erfahrungen (wie dieses unendlich Kleine der Herrschaft, die von der männlichen Ordnung zugefügten zahllosen oft unterschwelligen Verletzungen) durch die ökonomischen und kulturellen Unterschiede voneinander getrennt. Diese wirken sich unter anderem auf die objektive und subjektive Art und Weise aus, wie sie die männliche Herrschaft erfahren und erleiden – ohne deswegen all das zu annullieren, was mit der Unterbewertung des symbolischen Kapitals, das die Weiblichkeit mit sich bringt, verbunden ist.»
  6. Rita Bake: Vorindustrielle Frauenerwerbsarbeit. Arbeits- und Lebensweise von Manufakturarbeiterinnen im Deutschland des 18. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung Hamburgs. Köln 1984.
  7. Birgit Kiupel: Zwischen Krieg, Liebe und Ehe. Studien zur Konstruktion von Geschlecht und Liebe in den Libretti der Hamburger Oper am Gänsemarkt (1678-1738). Freiburg 2010, S. 234f.
  8. Sylvia Schraut/ Sylvia Paletschek: Erinnerung und Geschlecht. Auf der Suche nach einer transnationalen Erinnerungskultur in Europa, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009. URL: www.europa.clio-online.de/2009/Article=420. 1.3.2013.