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Straßennamen

Straßenbenennungen nach Widerstandskämpferinnen und -kämpfern sowie Gegnerinnen und Gegnern des Nationalsozialismus

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von Joachim Szodrzynski, Forschungsstelle für Zeitgeschichte

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Andrea Orth

Über 80 Straßen sind in Hamburg nach Widerstandskämpferinnen und -kämpfern wie Gegnerinnen und Gegnern des Nationalsozialismus benannt. Dabei gab es die unterschiedlichsten Formen und Motive des Widerstands. Aus diesem Grunde soll zum besseren Verständnis der in in der Datenbank aufgeführten Kurprofile von Widerständlern, im Folgenden eine kleine Übersicht über Widerstandsformen und -motive gegeben werden.

Als die Zerschlagung des „Dritten Reiches“ im Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht ihr militärisches Ende fand, gab es im gesamten Reichsgebiet keine Region, keine Stadt und nicht einmal eine Ortschaft, deren Bewohnerinnen und Bewohner sich selbst von der NS-Herrschaft befreit hatten. Auch wenn öffentliche Bekenntnisse zum Natio­nalsozialismus in der Folge der Niederlagen seit Stalingrad, Nordafrika, Sizilien und der Normandie weniger begeistert klangen, schlug die Stimmung der „Volksgenossen“ nicht in offenen Widerstand gegen den NS-Staat um, sondern wandelte sich eher in stumme Resignation oder innerliche Abkehr vom Regime. Eine sich einheitlich artikulierende und handelnde deutsche Widerstands­bewegung hatte sich in Deutschland während der gesamten Dauer der NS-Herrschaft nicht etablieren können.

Gleichwohl existierte zwischen 1933 und 1945 ein breit gefächerter Widerstand, verstanden als bewusste politische Opposition, weltanschauliche Dissidenz, passive Resistenz im Sinne gesellschaftlicher Verweigerung, non-konformen Verhaltens, Emigration, bis hin zum militärischen Attentats- und Umsturzversuch vom 20. Juli 1944.

Überdies nahm in den Jahren 1936 bis 1938 der Spanische Bürgerkrieg die Funktion eines Stellvertreterkrieges gegen den faschistischen Siegeszug in Europa ein, in dem auch zahlreiche deutsche Kommunisten und Sozialisten aus kleineren linken Organisationen (SAP, KPO) eine Chance zum bewaffneten Kampf gegen den mit deutscher und italienischer Unterstützung putschenden General Franco erblickten und sich, häufig im Rahmen der Internationalen Brigaden, an der Verteidigung der Spanischen Republik beteiligten. Und auch in Teilen der von deutschen Truppen im Zweiten Weltkrieg besetzten Länder (Frankreich, Italien) kam der „Résistance“ bzw. der „Resistenza“ gegen Kriegs­ende wachsende Bedeutung zu.

Formen politischen, religiösen und ethisch motivierten Widerstands standen im „Dritten Reich“ ebenso unvermittelt nebeneinander wie der organisierte und individuelle Widerstand. So speisten sich die Widerstandsaktivitäten seitens der untereinander zerstrittenen Arbeiterparteien KPD und SPD, die sich mit Zeitungen, Flugblättern, Wandparolen und Klebezetteln vor allem in den Anfangsjahren der NS-Herrschaft um die Information und Ermutigung ihrer verbliebenen Anhängerinnen und Anhänger ebenso bemühten wie um die Herstellung einer Gegenöffentlichkeit im Ausland oder Hilfe für verhaftete oder verfolgte Genossinnen und Genossen und deren Familien, offensichtlich aus anderen Quellen als beispielsweise das akribisch vorbereitete Attentat des politisch zunächst nicht engagierten Alleintäters Georg Elser am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller.

Seinen kleinsten gemeinsamen Nenner fand der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in einer generellen oder partiellen Ablehnung des Regimes, wobei es keiner Gruppe gelang, ihre oppositionelle Haltung über die gesamte Dauer des „Dritten Reiches“ aufrechtzuerhalten. Mitunter richtete sich der Widerstand auch nicht gegen die NS-Herrschaft im Allgemeinen, sondern lediglich gegen einzelne Aspekte des Regimes. Während der religiös motivierte Widerstand einzelner Exponenten der katholischen Kirche (Clemens August Graf von Galen, Bischof von Münster) [nach ihm ist in Hamburg keine Straße benannt worden] 1941 explizit das national­sozialistische „Euthanasie-Programm“ als vorsätzlichen Mord an „unheilbar Kranken“ anprangerte, wandten sich Anhänger der Bekennenden Kirche um den Dahlemer Pfarrer Martin Niemöller [nach ihm ist in Hamburg keine Straße benannt worden] bereits Ende 1933 gegen die Gleichschaltung der evangelischen Kirche und den Einfluss der Deutschen Christen innerhalb derselben sowie gegen die Einführung des „Arierparagraphen“ in Kirchenämtern. Jehovas Zeugen, wie sich die Inter­nationale Bibelforscher Vereinigung seit 1931 nannte, beteiligten sich prinzipiell nicht an Wahlen, lehnten die Hitlerverehrung (Hitlergruß) ebenso ab wie die Mitgliedschaft in NS-Organisationen und verweigerten den Wehrdienst. Der Wider­stand des nationalkonservativen ehemaligen Leipziger Oberbürger­meisters Carl Friedrich Goerdeler [siehe: Goerdelerstraße] resultierte primär aus seiner Ablehnung des nationalsozialistischen Antisemitismus. Andere Gruppen wie die akademisch geprägte „Weiße Rose“ oder gegen Kriegsende sogenannte Edelweißpiraten fußten eher im bürgerlich-kulturellen oder jugendbewegten Milieu. Auch die Anhängerinnen und Anhänger der „Swing-Jugend“ zeichneten sich eher durch unangepasstes Verhalten und ihre Liebe zu diesem verbotenen Musikstil aus als durch eine generelle Systemgegnerschaft.

Stand bei vielen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern im Hinblick auf eine Neuordnung Deutschlands nach Überwindung des Nationalsozialismus die Orientierung an den Errungenschaften der Weimarer Republik im Vordergrund, so liebäugelten Goerdeler und seine nationalliberal ausgerichteten Freunde aus Diplomatie und Militär eher mit einer Wiedereinführung der Monarchie, während sich in der Anfang der 1940-er Jahre vor allem in Berlin aktiven Gruppe um den Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium Arvid Harnack [der Harnackring in Hamburg ist nur nach Ernst von Harnack benannt worden, nicht auch noch nach dessen Cousin Arvid von Harnack] und den Oberleutnant im Reichsluftfahrtministerium Harro Schulze-Boysen [nach ihm ist in Hamburg keine Straße benannt], die die Gestapo unter dem Sammelbegriff „Rote Kapelle“ verfolgte, Intellektuelle, Angestellte, Arbeiter und Offiziere zusammen­fanden, deren weltanschauliche Ansichten ebenso dem Christentum entnommen sein konnten wie dem Marxismus. Der kommunistische Widerstand hingegen erblickte sein gesellschaftliches Ideal in der Errichtung eines Staates nach da­maligem sowjetischen Vorbild. Zu einem Zentrum des bürgerlichen Wider­stands entwickelte sich ab 1940 der so genannte Kreisauer Kreis, benannt nach dem niederschlesischen Gut Kreisau von Helmuth James Graf von Moltke [siehe Von-Moltke-Bogen], wo auf regelmäßigen konspirativen Treffen Konzepte für eine staatliche, wirtschaftliche und soziale Neuordnung Deutschlands nach dem Sturz der NS-Herrschaft diskutiert wurden.

Angesichts der „Straftaten“, die den Widerstandsaktivisten von den NS-Verfol­gungsbehörden zur Last gelegt wurden, fällt die Unverhältnismäßigkeit zwischen dem drakonischen Strafmaß und den Aktivitäten der Verurteilten auf: Hatte etwa ein/e Kommunist/in oder Sozialdemokrat/in 1933 - über den Zeitpunkt des Verbots seiner/ihrer Partei hinaus - versucht, Flugschriften oder Zeitungen an Genossinnen und Genossen zu verteilen oder weiterhin Mitgliedsbeiträge für seine/ihre Organisation zu kassieren, so trug ihm/ihr das in der Regel eine Anklage wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ und eine Gefängnisstrafe von zwei bis drei Jahren ein. Strafen, die, insbesondere in der Zeit nach der national­sozialistischen „Machtergreifung“, dem Terror gegen politische Gegnerinnen und Gegner ebenso dienten wie der Ein­schüchterung der deutschen Bevölkerung.

Die in Hamburg nach Widerstandskämpfern und -kämpferinnen benannten Straßen, Plätze und Wege berücksichtigen Personen aus unterschiedlichen Kreisen. Neben Exponenten des militärischen, kirchlichen, bürgerlichen und kulturellen Widerstandes waren es nach 1945 vor allem Sozialdemokraten/innen und Kommunisten/innen, deren NS-Gegnerschaft, die etliche von ihnen mit dem Tode bezahlten, gewürdigt wurde. Ungefähr zwei Drittel der NS-Gegnerinnen und -gegner, deren Namen mittels Straßenbezeichnungen im öffentlichen Gedächtnis gehalten werden, entstammen dem politischen Widerstand aus SPD und KPD.