Am Sonntag ist der Fastenmonat Ramadan gestartet, für Musliminnen und Muslime die wichtigste Zeit des Jahres. Das Fasten stellt eine der fünf Säulen im Islam dar und gilt als religiöse Pflicht. Tagsüber soll weder gegessen noch getrunken werden. Schülerinnen und Schüler handhaben das unterschiedlich, einige fasten den ganzen Monat, andere tageweise, jüngere oft nur stundenweise. In jedem Fall ist das Fasten für junge Menschen eine Herausforderung. Benjamin Krohn, Religionslehrer und Vorsitzender der Vereinigung der Hamburger Religionslehrerinnen und Religionslehrer, sieht hier neben den Problemen auch Chancen. Er findet, dass der Ramadan mehr positive Beachtung finden sollte. Im Interview sagt er, warum.
Newsletter: Herr Krohn, Sie setzen sich dafür ein, fastenden Schülerinnen und Schülern mehr Beachtung zu schenken. Warum?
Benjamin Krohn: An vielen Hamburger Schulen feiern mehr als die Hälfte der Schülerschaft und immer mehr Lehrkräfte den Ramadan. Vor diesem Hintergrund finde ich es schade, dass dieser besondere Monat oft gar nicht erwähnt wird oder nur als Problem auftaucht. Zu Weihnachten schmücken wir unsere Schulen und es gibt Weihnachtskonzerte. Viele plädieren für Vielfalt. Der Ramadan und andere Traditionen unserer Schülerschaft spielen aber kaum eine positive Rolle. Glückwünsche und Schmuck gibt es selten. Zugewanderte erleben eher: Eure Kultur, Religionen und Feste gehören nicht zu uns. Gerade vor aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen ist dies aber fatal. Es brodelt an vielen Stellen.
Newsletter: Können Sie dieses „Brodeln“ einmal näher erläutern?
Krohn: Viele Religionsgemeinschaften, vom Judentum über den Islam bis hin zu den christlichen Kirchen, erleben gegenwärtig einen Anstieg von Abwertung, Hass und Gewalt. Aus einem muslimischen Verband sagte vor kurzem jemand, die letzten Wochen mit all den Debatten über den Nahost-Konflikt, Abschiebung und die Pläne der Rechtsextremen in Potsdam hätten uns in der Integration um 20 Jahre zurückgeworfen. Dialogorientierte aus migrantischen Communities ziehen sich verbittert zurück, bei manchen kippt es in Aggression. Diese Stimmung kommt auch bei unseren Schülerinnen und Schülern an. Ein Festmonat wie der Ramadan ist hier eine einfache Möglichkeit, positive Zeichen zu setzen und Dialog zu fördern. Gerade wenn jetzt zeitgleich die Passionszeit, die christliche Fastenzeit vor Ostern, ist. Es gibt bereits tolle Aktionen, wie die Ramadan-Challenge der guten Taten an der Brecht-Schule, das interreligiöse Fastenbrechen an der Stadtteilschule Öjendorf oder die preisgekrönte interreligiöse Arbeit am Helmut Schmidt Gymnasium in Wilhemsburg. Davon brauchen wir mehr!
Newsletter: Sie sehen den Ramadan als Chance. Inwieweit gilt dies auch für die vielen nicht-religiösen Schülerinnen und Schüler, die damit wenig Berührungspunkte haben?
Krohn: Im Ramadan geht es auch um allgemeine Werte, die für alle Schülerinnen und Schüler bedeutend sind, nicht nur für religiöse. Ramadanfastende sollen eigene Bedürfnisse aufschieben, sich auf Lebensgrundlagen besinnen, Gutes tun, mit Armen teilen und Gemeinschaft stärken. Das sind zentrale Themen aktueller Debatten. Der Ramadan, der vielen so wichtig ist, wäre doch ein passender Anlass, zum Beispiel über gutes Miteinander und den Umgang mit Bedürfnissen zu reden. Spannend finde ich die Frage: Was sagt die Idee des Fastens und Verzichtes in Religionen zur wachsenden Handysucht oder der Umweltzerstörung?
Newsletter: Fasten im Ramadan ist anstrengend und kann mit dem schulischen (Leistungs-)Anspruch kollidieren. Was entgegnen Sie kritischen Stimmen?
Krohn: Tatsächlich erleben wir während des Fastenmonats Kritisches. Manche überfordern sich, es gibt religiös begründete Leistungsverweigerung oder Machtkämpfe. Da können wir aber etwas tun: Wenn wir unseren Schülerinnen und Schülern grundsätzlich Interesse und Wertschätzung gegenüber anderen Kulturen und Religionen zeigen, wächst oft eine Vertrauensbasis. Das braucht Zeit, aber dann finden sich oft auch besser Lösungen für Probleme, die beim Fasten entstehen können. Wichtig ist der Dialog. Zudem ist der Islam im Kern eine ausgesprochen menschenfreundliche und pragmatische Religion, was viele oft übersehen. Da ist Raum für viele Lösungen.
Newsletter: Rechtlich ist es Schülerinnen und Schülern erlaubt, als Ausdruck ihrer Religionsausübungsfreiheit auch in der Schule zu fasten. Aber eine Prüfung dürfen sie deswegen nicht ausfallen lassen, oder?
Krohn: Nein, das fordert auch niemand ernsthaft. Auch die Hamburger muslimischen Gemeinschaften verweisen darauf, dass bei hohen Belastungen – etwa durch Abschlussprüfungen – das Fasten ausgesetzt und später nachgeholt werden kann. Fasten kann auch aus muslimischer Sicht kein Grund sein, schulische Leistungen zu verweigern. Viele Schülerinnen und Schüler freuen sich schon sehr, wenn wir ihnen eine gute Ramadanzeit wünschen und auch etwas Rücksicht auf ihr Fasten nehmen oder Anerkennung zeigen. Aber: Ob jemand fastet und wie viel, muss immer eine eigene freie Entscheidung sein. Wir leben in einem Land positiver und negativer Religionsfreiheit. Zwang und Druck machen zudem Religionsausübung selbst unglaubwürdig und aus Sicht der meisten Religionen auch ungültig und wertlos. Damit kann der Ramadan auch Anlass sein, in den Dialog über Fragen von Freiheit und Glaubwürdigkeit zu kommen.
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