Nach Ablauf der 90. Spielminute der Heim-Partie des HSV gegen den 1. FC Nürnberg am vergangenen Sonntag wurde auf der Stadionleinwand eine Nachspielzeit von „600 Minuten“ angezeigt. Die angezeigten 600 Minuten stellten dabei den Zeitraum von etwa zehn Stunden nach einem Fußballspiel dar, in dem einer britischen Studie zufolge die Gefahr häuslicher Gewalt für Frauen besonders hoch ist. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten für die Studie den Zusammenhang von Fußballspielen und Fällen von häuslicher Gewalt thematisiert und mithilfe von Polizeidaten die Auswirkungen von fast 800 Spielen von Manchester City und Manchester United ausgewertet. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass nach einem Spiel die Zahl der gemeldeten Vorfälle häuslicher Gewalt signifikant ansteigt. Als Ursache für häusliche Gewalt benennt die Studie dabei nicht die Fußballspiele an sich, sondern insbesondere den damit verbundenen und leider oftmals enthemmenden Konsum von Alkohol. (Mehr zu der Studie finden Sie hier: Football, alcohol, and domestic abuse - ScienceDirect.)
Die Sozialbehörde setzt mit der Kampagne „Echte Männer holen sich Hilfe“ einen wichtigen Teil des im Sommer verabschiedeten Gewaltschutzkonzepts um. An der Konzeption wirkten auch Experten der Hamburger Beratungsstellen BeTA, Beratungsstelle für Täter, sowie des Jungenpräventionsprojekts comMITment mit. Die Kampagne hat in den kommenden Wochen ihren Schwerpunkt im digitalen Raum über Social-Media-Plattformen. Zudem machen Plakate im öffentlichen Raum auf das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen sowie toxische Männlichkeitskonzepte aufmerksam. Dabei werden verschiedenste Formen häuslicher Gewalt thematisiert, denn neben physischer Gewalt zeigt sich häusliche Gewalt auch durch viele weitere Gewaltformen wie sexualisierte Gewalt, psychische Gewalt, soziale Gewalt, Belästigung und Nachstellung sowie ökonomische Gewalt.
„Echte Männer holen sich Hilfe“: Beratungsstellen bieten Unterstützung an
Für häusliche Gewalt sind nach wie vor mehrheitlich Männer verantwortlich. Deshalb richtet sich auch die Kampagne explizit an potenzielle oder bereits gewordene Täter und gegen toxische Männlichkeitskonzepte. Sie nimmt gewaltfördernde Einstellungen und Verhaltensweisen von Männern kritisch in den Fokus. Männer sollen dafür sensibilisiert werden, ihre Anteile an dieser Gewaltform zu verstehen und anzuerkennen. Täter beziehungsweise potenzielle Täter häuslicher Gewalt sollen so zu einem gewaltfreien Verhalten motiviert, aber auch Männer insgesamt für das Thema häusliche Gewalt sensibilisiert werden. Die Botschaft „Echte Männer holen sich Hilfe.“ zeigt dabei, dass es Wege und Hilfe gibt, um diese Verhaltensmuster abzulegen. Auf der Internetseite www.hamburg.de/go/gemeinsam-gewaltfrei finden Männer den direkten Kontakt zu unterstützenden Beratungsstellen in Hamburg, aber auch Hintergrundinformationen zu den Ursachen häuslicher Gewalt und toxischen Männlichkeitskonzepten.
Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer: „Häusliche Gewalt ist ein Problem der Täter, kein Frauenproblem. Hier setzt der Senat an und will die bestehenden Hilfe- und Beratungsstrukturen weiter stärken. Mit dem im Sommer vom Senat beschlossenen Gewaltschutzkonzept zur Umsetzung der Istanbul-Konvention rücken männliche Gewalttäter weiter in den Fokus. Besonders freut mich, dass wir den HSV als starken Partner für die Kampagne gewinnen konnten. Der Verein setzt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Gewaltprävention auseinander und unterstützt die Kampagne mit seiner regionalen Bedeutung und bundesweiten Bekanntheit.“
Cornelius Göbel, Direktor Fans, Kultur & Markenidentität beim HSV: „Wir glauben fest daran, dass der Fußball ein friedliches Miteinander fördert. Deshalb sehen wir es als gesellschaftliche Verantwortung, mithilfe unserer Reichweite einen Beitrag und Hilfestellungen gegen häusliche Gewalt zu leisten. Ob nach Spielen oder auch sonst: In unserer Vorstellung ist kein Platz für Gewalt gegenüber Frauen. Deswegen engagieren wir uns seit Jahren und auch in Zukunft für eine gewaltfreie Gesellschaft.“
Torsten Brakemann, Hamburger Beratungsstelle für Täter häuslicher Gewalt und Stalking (BeTA): „Männlichkeit bedeutet auch, sich Hilfe zu suchen, wenn Mann nicht mehr weiter weiß, Zugang zu Gefühlen und Bedürfnissen zu haben, die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer zu erkennen und zu achten und auch auf die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen zu achten. Anderenfalls wird Männlichkeit toxisch und endet in Partnerschaftsgewalt.“
Björn Nagel, Jungenpräventionsprojekt comMITment: „Präventiv zu arbeiten ist unheimlich wichtig, damit Männer erst gar nicht etwas machen, was ihnen hinterher leidtut. Deshalb ermutigen wir junge Männer, immer wieder in sich hineinzufühlen, sich zu spüren und sich zu fragen: Ist das gut für mich und ist das gut für die anderen, wenn ich dies oder das tue? Oder wenn ich etwas lieber lasse?"
Hintergrundinformationen und Zahlen
Wie auch in den Jahren zuvor, zeigt das Bundeslagebild Häusliche Gewalt des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2023 erneut steigende Fallzahlen im Bereich häuslicher Gewalt in Deutschland. 256.276 Menschen wurden bundesweit Opfer häuslicher Gewalt. Davon waren 70,5 Prozent weiblich, während die Täter zumeist Männer waren (75,6 Prozent).
Auch in Hamburg zeigt sich eine überwiegende Betroffenheit von Frauen. Die Ratsuchenden, die sich als unmittelbar von häuslicher Gewalt betroffen bezeichneten, waren zu über 90 Prozent weiblich. Weitere Zahlen zu geschlechtsspezifischer Gewalt werden jährlich im factsheet Opferschutz veröffentlicht. Sowohl die Hamburger Beratungsstellen, Frauenhäuser als auch die Polizei und Justizbehörde liefern regelmäßig Daten hierfür.
Hilfe bei häuslicher Gewalt
Für Hilfe bei häuslicher Gewalt steht rund um die Uhr das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ unter der Nummer 116 016 zur Verfügung.
Die zentrale Notaufnahmestelle der Hamburger Frauenhäuser „24/7“ ist rund um die Uhr unter der Nummer 040 8000 41000 erreichbar und die erste Anlaufstelle für schutzsuchende Frauen in Hamburg. Die 24/7 vermittelt von Gewalt betroffene Frauen an die sechs Hamburger Frauenhäuser weiter.