Schutzkonzept gemäß § 79a SGB VIII in der Fassung vom 22.07.2022
1 Rechtlicher und fachlicher Rahmen
1.1 Mit Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes im Jahr 2012 sind Konzepte für den Schutz von Kindern in Einrichtungen Bestandteil der Qualitätsentwicklung geworden. Das Vorhandensein dieser Konzepte ist zum förderrelevanten Faktor für freie Träger und zur Voraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis geworden. Die Qualitätsentwicklung im Kinderschutz betrifft zum einen die Stärkung der Rechte von Kindern durch ein geeignetes Beschwerde- und Beteiligungsverfahren in allen Einrichtungen der Jugendhilfe. Zum anderen geht es aber vor allem auch um den Schutz von Kindern vor jeglichen Formen der Gewalt in Einrichtungen. Dazu sind gemäß § 79a Satz 2 SGB VIII in allen Einrichtungen und Diensten einrichtungs- und trägerbezogene Schutzkonzepte zu entwickeln.
1.2 Ein Schutzkonzept ist im Wesentlichen ein Präventionskonzept. Es trägt durch sein Entstehen, seine Verbreitung und die jeweiligen inhaltlichen Auseinandersetzungen zur Sensibilisierung innerhalb der Institution bei. Wirksam ist es primär nicht über die zusammengefassten Standards, sondern über den mit ihm einhergehenden Diskurs, den Prozess der Implementierung und dem beständigen Streben nach Weiterentwicklung. Nur die offene, lebendige und kontroverse Diskussion vermag es, das Thema Schutz von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen lebendig zu halten und eine nachvollziehbare Wirkung zu erzielen.
1.3 Grenzen im pädagogischen Umgang sind durch Rechtsnormen und kulturell allgemein übliche Umgangsformen gesetzt und hinreichend klar erkennbar. Darüber hinaus bestimmen Menschen Grenzen auch selbst nach ihren eigenen Bedürfnissen, also subjektiv. Individuelle Grenzen werden im Umgang miteinander erst erfahren und unterliegen Veränderungsprozessen. Grenzen in diesem Bereich zu verletzen, gehört zum Risiko der Arbeit in pädagogischen Settings mit schutzbedürftigen und abhängigen Menschen. Daher ist es auch ein Anliegen dieses Schutzkonzeptes und daraus abgeleiteter Maßnahmen, das Risiko von Grenzverletzungen bewusst zu machen und alles zu tun, um dieses Risiko zu minimieren. Einen Übergriff begeht, wer in einem pädagogischen Setting Grenzen bewusst überschreitet oder Grenzverletzungen billigend in Kauf nimmt. Übergriffe sind nicht tolerierbar.
1.4 In der Haltung der helfenden Personen und in der Gestaltung aller Arbeits- und Hilfeprozesse muss der Schutz von Klientinnen und Klienten als maßgeblicher Aspekt verankert sein. Die Umsetzung dieses Anspruchs erfolgt mit Maßnahmen, die in diesem Schutzkonzept und der ergänzenden Risikoanalyse für den Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB) festgelegt sind.
1.5 Das Schutzkonzept hat seine gesetzliche Grundlage im § 79a SGB VIII. Weitere wesentliche rechtliche Bezugspunkte sind die Schutzvorschriften des Achten Buches Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII), insbesondere § 1 Absatz 3, §§ 8, 8a und 8b, § 9, §§ 45 und 47, §§ 72a und 79a.
2.1 Zu schützende Rechte
Zu den zu schützenden Rechten von Klientinnen und Klienten, also Kindern, Jugendlichen, jungen Volljährigen und auch Sorgeberechtigten, die vom LEB eine Hilfe zur Erziehung erhalten, gehören:
· Das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Es beinhaltet, dass Klientinnen und Klienten vor Grenzverletzungen oder gar Übergriffen durch das Personal oder durch Dritte geschützt werden. Grenzverletzend sind auch rechtswidrige Beeinträchtigungen der Ehre und des Rufs.
· Das Recht auf Individualität, Privatheit und eine altersgemäße Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Klientinnen und Klienten haben ein Recht, dass ihnen eine ihrem Entwicklungsstand und ihren persönlichen Bedürfnissen entsprechende Förderung beziehungsweise Erziehung zuteilwird. Dies umfasst die Anerkennung der Bedürfnisse nach Privatheit als auch nach wachsender Selbstständigkeit. Eigene Meinungen und Bedürfnisse sowie das Recht auf individuelle Glaubensfreiheit sind zu respektieren und zu fördern. Hierzu gehört auch das Verbot, Klientinnen und Klienten zu diskriminieren.
· Das Recht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und auf geschützten Zugang zu Medien.
· Das Recht auf Mitsprache in eigenen Angelegenheiten. Es spielt nicht nur eine Rolle im Rahmen der Hilfegestaltung (Ziele, Art und Ort der Hilfe), sondern auch in der Gestaltung des Alltags wie auch der Beziehungen in Einrichtungen und Diensten. Dieses Recht kann nur wirksam umgesetzt werden, wenn der Zugang zu einer neutralen Beschwerdestelle vorhanden ist. Bei der Vertretung der eigenen Angelegenheiten muss die Möglichkeit geboten werden, einen Beistand eigener Wahl hinzuzuziehen.
· Das Recht auf Transparenz und Erhalt der bewilligten Leistungen und Rechtspositionen. Klientinnen und Klienten haben das Recht, über ihre Ansprüche, vornehmlich auch die materiellen Ansprüche, aufgeklärt zu werden. Rechte und Leistungen dürfen ihnen nicht vorenthalten werden.
2.2 Risiken in der Betreuung
Trotz aller Maßnahmen zur Sensibilisierung für das Schutzbedürfnis von Klientinnen und Klienten zur Förderung professionellen Handelns kann nicht ausgeschlossen werden, dass Klientinnen und Klienten im Betreuungsalltag in ihren Rechten verletzt werden. Es ist Aufgabe der Leitungskräfte, im Rahmen einer Risikoanalyse diesbezügliche Risiken zu identifizieren, in ihrer Bedeutung zu bewerten und Maßnahmen zur Vermeidung zu entwickeln und umzusetzen.
Nach umfassender Bearbeitung haben die Abteilungsleitungen, nach Diskussion mit den Leitungskräften ihrer Abteilungen, Risiken ermittelt und beschrieben und diese dann in Risikoklassen eingestuft. Die jeweilige Grundlage für die Bewertung der einzelnen Risiken ist die Kombination zweier Faktoren, und zwar der Stärke der Schadensfolge und der Höhe der Eintrittswahrscheinlichkeit. Dabei bestimmt die Kombination beider Faktoren die Einstufung in einer der vier Risikoklassen: Sehr hohes, hohes, mittleres und geringes Risiko. Zusätzlich wurde jedes Risiko hinsichtlich der Schadensfolge für Klientinnen beziehungsweise Klienten und Institution differenziert bewertet, da sich bei gleichem Risiko die Schadensfolge unterschiedlich darstellen kann. Damit ergibt sich folgendes Bewertungsraster:
In der Risikoanalyse werden insgesamt fünf Risikolagen beschrieben:
1. Körperliche Übergriffe oder Gewaltandrohungen gegenüber Betreuten mit sechs möglichen Risiken in den Risikoklassen für Klientinnen beziehungsweise Klienten und Institution zwischen gering bis hoch.
2. Sexualisierendes Verhalten, sexuelle Übergriffe und sexuelle Gewalt gegen Betreute mit neun möglichen Risiken in den Risikoklassen für Klientinnen beziehungsweise Klienten und Institution von mittel bis sehr hoch.
3. Herabwürdigung und Ehrverletzung von Betreuten mit vier Risiken in den Risikoklassen für Klientinnen/Klienten und Institution von gering bis mittel.
4. Finanzielle Schädigung von Betreuten mit vier Risiken in den Risikoklassen für Klientinnen beziehungsweise Klienten und Institution von gering bis mittel.
5. Einschränkung der Selbstbestimmung und Verletzung der Beteiligungsrechte mit sieben Risiken in den Risikoklassen von gering bis mittel.
Auf die benannten Risiken wird im Folgenden nicht explizit eingegangen.
In der Risikoanalyse werden die spezifischen Risiken innerhalb der Risikolagen beschrieben und dahin bewertet. Es werden Maßnahmen benannt, die dazu geeignet sind, die Eintrittswahrscheinlichkeit von Risiken zu senken oder zu minimieren. Auch werden Maßnahmen benannt, die beim Eintreten oder vermuteten Eintritt eines Risikos zu ergreifen sind, um den im Prozess der Bearbeitung aktiven Fachkräften Handlungssicherheit zu verleihen und die sensible Aufarbeitung mit Betroffenen und Kooperationspartnerinnen und -partnern zu gewährleisten. Die in der Risikoanalyse aufgelisteten Maßnahmen und Handlungsoptionen kommen verbindlich zum Einsatz. Darüber hinaus werden die Vorgaben der erwähnten Dienstanweisungen und Fachstandards, so sie für den Verdachtsfall relevant sind, genutzt.
Die Kontrolle darüber obliegt der mit dem Fall befassten Leitungskraft.
3.1 Dienstanweisungen
Dienstanweisungen regeln das verbindliche Handeln der Beschäftigten des LEB in diversen Teilbereichen des pädagogischen Alltags. Kenntnis über diese dienstlichen Vorschriften erhalten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die Thematisierung in der internen Fortbildung „Einführung für neue Fachkräfte“. Darüber hinaus sind die Dienstanweisungen für die Beschäftigten sowohl über das Intranet und in ausgedruckter Form in jedem Verbundbüro einzusehen.
Neue und überarbeitete Dienstanweisungen werden im Rahmen ihrer Erstellung in unterschiedlichen Gremien vorbesprochen und den Beschäftigten in den Dienstbesprechungen bekannt gegeben und über das interne Informationswesen zugänglich gemacht.
In Verbindung mit dem vorliegenden Schutzkonzept, sind die folgenden Dienstanweisungen von besonderer Bedeutung:
· DA-Vorkommnisse (regelt Anlässe und Art und Weise für die Dokumentation von Vorkommnissen)
· DA-KiSchutz (regelt das interne Verfahren zum Umgang mit Anhaltspunkten für Kindeswohlgefährdungen gemäß § 8a SGB VIII)
· DA-Hausverbot (regelt Anlässe und Verfahren zur Erteilung von Hausverboten gegen Personen, die in schwerem Maße gegen die Hausordnung verstoßen oder sich bedrohlich gegenüber Betreuten und Beschäftigte verhalten)
· DA-Sozialdatenschutz (regelt den Umgang mit Sozialdaten der Betreuten)
· DA-Abwesenheit (regelt das Vorgehen, wenn Betreute unerlaubt abwesend sind/im KJND die DA-KJND)
· DA-Umgang mit der Öffentlichkeit (regelt unter anderem den Umgang mit Beschwerden gegen Beschäftigte).
3.2 Prävention durch Kommunikation
Leitungen und Teams werden durch die Implementierung des Schutzkonzepts sowie die Auseinandersetzung über die Ansprüche an die Einstellung und das Verhalten aller Fachkräfte dazu veranlasst, eigene Positionen und Meinungen kritisch zu hinterfragen und miteinander zu diskutieren. Dabei werden Fragen des Kinderschutzes im eigenen Arbeitsbereich, Partizipation der Betreuten und deren Familien, Umgang mit Beschwerden und Transparenz gegenüber Betreuten, Eltern, Sorgeberechtigten und Jugendamt berührt. Die fortlaufende Kommunikation sichert einen lebendigen Prozess, der die Sensibilisierung der Fachkräfte für das Thema und den eigenen Reflexionsprozess ermöglicht und fördert.
In der internen Auseinandersetzung werden die folgenden Fragen kontinuierlich diskutiert:
· Welche Haltung habe ich zum Schutzkonzept?
· Welche Haltung habe ich zur Selbstverpflichtung?
· Kommt meine Einrichtung den Anforderungen nach?
· Wie gestalten wir einen transparenten, partizipatorischen Umgang mit den Betreuten?
· Sind die Betreuten über ihre Rechte informiert, kennen und benutzen sie die aufgezeichneten Beschwerdewege?
· Wie gehe ich und wie gehen wir im Team mit Nähe und Distanz um?
· Wie erkenne ich Gefährdungslagen und wie spreche ich sie an?
Die zuständigen Leitungskräfte stellen die Auseinandersetzung sicher und führen mindestens einmal jährlich mit jedem Team ein Teamgespräch beziehungsweise Workshop hierzu durch. Die Inhalte werden mit Anlage 6 dokumentiert und jährlich zentral ausgewertet.
3.3 Fortbildung
Fortbildungen sind ein wichtiger Bestandteil zur Sicherung der Qualität. Für das Thema „Schutz von Betreuten in Einrichtungen“ sind alle Themenbereiche, die sich mit Fragen von Kinderrechten, Kinderschutz, Missbrauch, Gewalt und Beteiligung beschäftigen, geeignet, um Mitarbeiter zu informieren und zu sensibilisieren. Multiplikatorische Effekte sind dabei ein zusätzlicher Gewinn für die interne Auseinandersetzung.
Bereits mit der Einführung des § 8a SGB VIII nahmen mehrere Fachkräfte des LEB an der Ausbildung zur „Insoweit erfahrenen Fachkraft“ teil und schlossen diese erfolgreich ab. Seitdem nehmen einige der so fortgebildeten Mitarbeiter auch an den bezirklich organisierten Fachkonferenzen zum Thema „Kinderschutz“ teil. Dort erhalten sie Informationen über Neuerungen, aktuelle Veranstaltungen und tauschen Erfahrungen aus.
Spezifische, auf das Thema zugeschnittene Fortbildungen oder interne Schulungen berücksichtigen folgende Inhalte:
· Haltung zu Nähe und Distanz
· Persönliche emotionale und soziale Kompetenz
· Kommunikation in der Konfliktbearbeitung
· Dynamiken in Institutionen und Teams
· Strukturelle Risiko- und Schutzfaktoren
· Psychodynamiken von Opfern (Erkennen)
· Differenzierung von Grenzverletzungen
· Dienst- und strafrechtliche Relevanz.
Da den Einrichtungsleitungen für den Schutz von Betreuten eine besondere Verantwortung zukommt, werden sie dazu befähigt, Inhalte des Kinderschutzes Dritten gegenüber angemessen zu vermitteln. Zusätzlich werden Schulungen zur Gesprächsführung bei vermuteten Verstößen sowie zur Bewertung von Verdachtsmomenten und zur Durchführung des Ablaufes bei der Aufarbeitung durchgeführt.
3.4 Persönliche Eignung
Der LEB stellt durch ein geregeltes Einstellungsverfahren sicher, dass bei neuen Fach-kräften neben der fachlichen Qualifikation auch die persönliche Befähigung und Eignung vorliegt. Dazu gehört neben dem erweiterten polizeilichen Führungszeugnis nach § 72a SGB VIII auch eine Grundhaltung zu Fragen der Erziehung, wie sie in der Pädagogischen Grundausrichtung des LEB festgehalten sind. Darüber hinaus wird die schriftliche Abgabe eine Selbstverpflichtungserklärung eingefordert, in der die Fachkraft auch arbeitsrechtlich verbindlich erklärt, die aufgezeigten Pflichten und Grenzen im Handeln gegenüber Betreuten verstanden zu haben und anwenden zu wollen. Mit einer analogen Erklärung werden auch Dienstleistende und ehrenamtlich tätige Personen, die Kontakt mit Klientinnen beziehungsweise Klienten haben, zur Einhaltung der Grundsätze verpflichtet.
3.5 Leitbild professionellen Handelns
Der LEB hat im Rahmen der Diskussion über eine Selbstverpflichtungserklärung der Beschäftigten Grundsätze einer professionellen Einstellung und Handlungsweise entwickelt, die für alle Beschäftigten Leitliniencharakter haben (Anlage 4). Darüber hinaus wird eine „Selbstverpflichtungserklärung“ (Anlage 3) von allen Beschäftigten verlangt, die neu eingestellt werden. Eine gesonderte Version kommt auch für alle Nicht-Beschäftigten, aber im Betrieb eingesetzten Personen (Leiharbeitskräfte, Praktikantinnen und Praktikanten, Honorarkräfte, Ehrenamtliche etc.) zum Einsatz.
4.1 Rechte und ihre Durchsetzung; Beschwerdeverfahren
Kinder, Jugendliche und deren Familien werden bereits im Aufnahmegespräch über ihre Rechte und Pflichten und Partizipationsmöglichkeiten unterrichtet.
Die Inhalte des Beschwerdemanagements des LEB (Anlage 1) werden Eltern und Kindern schriftlich durch die jeweilige Einrichtungsleitung mitgeteilt. Sie erhalten damit die Möglichkeit, sich bei nachhaltigen Schwierigkeiten oder Unstimmigkeiten mit den sozialpädagogischen Fachkräften direkt an die Leitung zu wenden.
In den Einrichtungen erhalten die Betreuten eine ihrem Alter angemessen formulierte Broschüre „An wen kann ich mich wenden? – DEINE RECHTE“ über ihre Rechte. Mit der Broschüre erhalten Betreute auch eine Liste mit Institutionen, an die sie sich bei einer empfundenen Unrechtsbehandlung wenden können. Die Ausgabe der Broschüre an die Betreuten wird in MyJugendhilfe dokumentiert. Dies stellt sicher, dass die Ausgabe im Einrichtungsbetrieb überwacht und sichergestellt werden kann. Der LEB überprüft jährlich die Ausgabe der Broschüre.
In den Einrichtungen sind an exponierter Stelle ansprechende und altersgerechte Aushänge angebracht, die Rechte von Kindern auflisten. Die Aushänge werden regelmäßig erneuert. Der Aushang bietet Informationen in allen Sprachen, die häufig in den Einrichtungen vorkommen.
Etwaige Fragen oder unterschiedliche Ansichten zu den einzelnen Punkten oder Begebenheiten, die unmittelbar Kinderrechte betreffen, werden in Einzelgesprächen oder in den Gruppengesprächen aufgegriffen und besprochen.
Darüber hinaus haben Betreute das Recht, bei Beschwerden oder in Auseinandersetzungen Kontakt zu ihren Sorgeberechtigten aufzunehmen oder sich an die Einrichtungsleitung oder die zuständigen Fachkräfte des Jugendamtes zu wenden. Auf dieses Recht sind sie von den pädagogischen Fachkräften über den Erhalt der Broschüre und das Anschreiben zum Beschwerdeverfahren hinaus hinzuweisen.
Leitungskräfte des Landesbetriebs sind dazu verpflichtet, Beschwerden entsprechend ihrer Dringlichkeit zu bearbeiten und den persönlichen Kontakt herzustellen und diese zu dokumentieren.
4.2 Partizipation
„Kinder und Jugendliche sind entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen“ (§ 8 Abs. 1 SGB VIII). Beteiligung in institutionalisierter Form ist nur erfolgreich, wenn die Kinder und Jugendlichen in alters- und entwicklungsgerechter Form umfangreich über ihre Rechte und Beteiligungsmöglichkeiten informiert werden. Partizipation ist darüber hinaus auch ein wirksames Mittel, damit Betreute lernen, sich auch in schwierigen Situationen zu äußern.
Betreute haben zahlreiche Möglichkeiten zur Partizipation. Neben den formal geregelten Rahmenbedingungen und der konzeptionellen Festschreibung gibt es eine beteiligungsfördernde Grundhaltung der pädagogischen Fachkräfte, um ein Klima von Beteiligung entstehen zu lassen. Das heißt, dass Kinder und Jugendliche im Alltag erleben, dass sie in Fragen, die sie selbst betreffen, gehört werden und ihre Meinung berücksichtigt wird, dass sie eine Privatsphäre zugesichert bekommen, dass sie individuelle Gestaltungsmöglichkeiten und Entscheidungsspielräume in und außerhalb der Einrichtung haben.
4.3 Mitbestimmung im Alltag
In einfachen und nachvollziehbaren Alltagssituationen ist die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten einfach zu gestalten und führt für die Betreuten am schnellsten zum Erfolg. Hierbei geht es nicht nur darum, Wünsche von Betreuten zu erfüllen, sondern gemeinsam mit den Betreuten Entscheidungsprozesse, Regelvereinbarungen, Argumentationslogik zu üben und diese im Kontext ihres Wunsches als Erfolgsmodell zu begreifen. Am wichtigsten bleibt die Sicherheit, dass die Mitsprache des Einzelnen erwünscht ist, dass sie Einfluss hat und jederzeit wiederholbar ist.
Alltägliche Partizipation findet sich in der Kommunikation und Abstimmung über Themenbereiche wie Essensplan, Ausstattung des Zimmers und der Räumlichkeiten, Bekleidung, Organisation von Feierlichkeiten und Reiseplanung.
In den monatlichen Gruppenbesprechungen werden Themen des allgemeinen Interesses besprochen. Regularien für die Durchführung sind vorhanden. Sie sorgen für die Gleichberechtigung der Teilnehmenden und für die Ergebnissicherung. Von großer Bedeutung sind hier offen vorgetragene Beschwerden der Betreuten, die sich so gemeinschaftlich beispielsweise über Gruppenregeln oder empfundene Ungerechtigkeiten äußern können und die Möglichkeit erhalten, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen.
Betreute werden im Rahmen ihres Entwicklungsstandes an allen sie betreffenden Entscheidungen beteiligt. In den pädagogischen Angeboten des LEB heißt das, dass sie über die Meinung der pädagogischen Fachkräfte über sie und über ihre Entwicklung informiert sein müssen. In dem Trägerbeitrag zur Hilfeplankonferenz sind verpflichtend auch die Meinungen und die Wünsche der beziehungsweise des Betreuten und der Eltern aufzuführen.
Bei Gesprächen, die normenverdeutlichend sind oder die Auseinandersetzungen bereinigen sollen, haben Betreute das Recht, sich von einer Vertrauensperson (eine andere Betreute, ein anderer Betreuter, ein Elternteil oder eine zusätzliche Betreuerin, ein zusätzlicher Betreuer) begleiten zu lassen, um das empfundene Machtgefälle aufzulösen.
Ein Schutzkonzept kann Übergriffe und Gewalt in Institutionen generell nicht verhindern. Als Präventionskonzept bietet es die Möglichkeit zu einer Sensibilisierung der Organisation mit ihren unterschiedlichen Einrichtungen. Um diesen Effekt zu verstärken, Wahrnehmungen, Offenheit und Handlungsoptionen zu etablieren, sind die Einbindung in andere fachliche Standards und ein intensiver Diskurs in den Besprechungsgremien nötig. In diesem Kontext haben die Leitungskräfte vor Ort die Verantwortung, alle Themenbereiche des Kinderschutzes aufzugreifen, Bagatellisierungen entgegenzutreten, den Umgang mit Nähe und Distanz in den Fallbesprechungen aufzunehmen und Anregungen zu Fortbildungen zu geben. Weiterhin sind Leitungskräfte in Zusammenarbeit mit den Fachkräften dazu angehalten, Bedingungen zu schaffen, die das institutionelle Risiko von Rechtsverletzungen minimieren.
Dies sind beispielhaft:
· Fachlich orientierte, professionelle und transparente Teamstrukturen
· Regelhafte Kooperationen mit dem Jugendamt und anderen Institutionen
· Einrichtungsinterne Regeln im Umgang der Fachkräfte mit den Betreuten
· Schriftliche Gruppenregeln auch über grenzachtendes Verhalten
· Einrichtungskonzept
· Aufklärung über Rechte
· Externe Hilfen oder Seminare für Betreute und pädagogische Fachkräfte zu Themen wie Selbstbehauptung, Sexualerziehung, Reflexion von Mädchen- und Jungenbildern.
Auf der Ebene der Geschäftsführung, Personalabteilung und den Abteilungsleitungen werden strukturelle Maßnahmen geplant und in Zusammenarbeit mit den Einrichtungen auf den Weg gebracht. Diese sind dafür geeignet, strukturellen Risikofaktoren entgegenzustehen oder abzumildern und die Qualitätsentwicklung der begonnen Maßnahmen im fachlichen Rahmen voranzubringen.
Dies sind beispielhaft:
· Entwicklung und Fortschreibung von ethischen Standards oder Leitlinien
· Einstellungsverfahren von neuen Mitarbeitern
· Organisation von Fortbildungen zum Thema
· Transparente Leitungsstrukturen – Beschwerdemanagement für Beschäftigte
· Transparentes und faires Verfahren im Umgang mit Verdachtsmomenten (siehe unten).
6.1 Grundsätze für die Bearbeitung von Verdachtsfällen
Die Aufklärung von Verdachtsfällen ist ein sensibles Thema. Es ist achtsam mit dem Umstand umzugehen, dass die Bearbeitung eines Verdachtsmomentes, der bereits durch einen Vorwurf oder eine geäußerte Vermutung ausgelöst werden kann, zwar einerseits für die Ernsthaftigkeit im Umgang mit dem Thema und die Parteilichkeit gegenüber den Betreuten spricht, andererseits aber Prozesse in Gang setzt, die auch dann schwerwiegende Auswirkung auf die betroffenen Akteure haben, wenn sich der Verdacht als haltlos entpuppt.
Grundsätzlich wird allen Verdachtsmomenten nachgegangen, die auf eine Verletzung von geistiger und körperlicher Unversehrtheit eines Betreuten hinweisen. Hierbei ist es gleichgültig, ob diese von Beschäftigten, anderen Betreuten oder Außenstehenden verursacht werden.
In Abgrenzung zur Bearbeitung von Verdachtsfällen haben Betreute und deren Eltern die Möglichkeit, das unter Punkt 4.1 und der Anlage 2 beschriebene Beschwerdemanagement zu nutzen.
6.2 Definitionen
Ein Verdacht auf eine Rechtsverletzung ist dann gegeben, wenn Hinweise auf eine Tat vorliegen, an die die Polizei beziehungsweise die Staatsanwaltschaft oder eine andere Stelle mit ihren Ermittlungen anknüpfen kann. Dies sind zum Beispiel Aussagen von Personen über das, was sie selbst erlebt haben oder über das, was sie gesehen oder von anderen Zeuginnen beziehungsweise Zeugen gehört haben. Aber auch anonyme Hinweise und Gerüchte können tatsachliche Anhaltspunkte beinhalten. Inhaltlich müssen Angaben zu verdächtigen Personen und deren Opfern oder genauere Umstände der Tat (Ort, Zeit oder Ähnliches) vorliegen.
Rechtverletzungen im Sinne dieses Schutzkonzeptes sind:
· Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (Strafgesetzbuch, 13. Abschnitt)
· Sonstige schwere Straftaten, das heißt Körperverletzung (beziehungsweise 340 StGB), Misshandlung von Schutzbefohlenen (§225 StGB), Entziehung Minderjähriger (§235 StGB), Freiheitsberaubung (§ 239), Raub, Erpressung, Nötigung, Bedrohung, Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht (§ 171 StGB)
· Sonstige Rechtsverletzungen, die gegebenenfalls auch einen Straftatcharakter haben wie Beleidigung, Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimnisbereiches, Verstoß gegen das Post- und Fernmeldegeheimnis, Diebstahl, unangemessene Erziehung wie Erniedrigung, übermäßige Strenge oder Ähnliches.
6.3 Verfahren
· Erfährt eine Beschäftigte beziehungsweise ein Beschäftigter des LEB durch eine dritte Person oder durch eigene Beobachtung von einem Verdacht auf einen Übergriff oder Verdacht auf einen erheblichen Rechtseingriff gegenüber Kindern und Jugendlichen, so ist dieses folgend zu bearbeiten.
· Die Schilderungen und eigenen Beobachtungen sind nach ihrer Aufnahme schriftlich zu dokumentieren. Diese Dokumentation soll frei von eigener Interpretation und möglichst im O-Ton der Meldenden geschrieben werden. Bei der Aufnahme der Information ist darauf zu achten, dass insbesondere im Kontext von Übergriffen nicht nachgefragt wird, sondern durch offene Fragen der beziehungsweise die Meldende frei erzählt. Insbesondere Suggestivfragen sind zu vermeiden.
· Richtet sich die Meldung nicht gegen eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des LEB, so ist die Meldung entsprechend der Dienstanweisung Schutz bei Kindeswohlgefährdung zu bearbeiten.
· Richtet sich ein Verdacht gegen eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter des LEB, so ist die oder der unmittelbare Vorgesetzte umgehend über diese Meldung zu informieren. Die weitere Klärung erfolgt durch diese beziehungsweise diesen.
· Von dieser Regel ist dann abzuweichen, wenn sich der Verdacht gegen diese Vorgesetzte oder diesen Vorgesetzten richtet. In diesem Fall ist der übergeordnete Vorgesetzte, in der Regel die Abteilungsleitung, unmittelbar zu informieren.
· In Fällen, in denen die zuständigen Vorgesetzten nicht zu erreichen sind, zur akuten Gefahrenabwehr jedoch unmittelbares Handeln erforderlich erscheint (zum Beispiel am Wochenende oder in der Nacht), ist der Kinder- und Jugendnotdienst (040 428 15 32 00) einzuschalten und um eine entsprechende Intervention zu ersuchen. Über diesen Schritt ist die örtliche und überörtliche Leitung unmittelbar per E-Mail zu informieren.
· Die Bewertung einer Falllage soll in Zusammenarbeit mit der der Abteilung Personal, Organisation und Recht des LEB erfolgen, um die rechtlichen Aspekte zu würdigen und zu im Einzelfall tragfähigen Vorgehensentscheidungen zu gelangen.
b. die Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Haltung zum internen Schutz der Rechte der Klientinnen und Klienten stärkt und für einen teaminternen kritischen Reflexionsdiskurs sorgt.
c. eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Konzeptes durch Erfahrungen und Veränderungen möglich wird, die im Rahmen des Prozesses in den Abteilungen entstehen.
d. der vorgegebene Prozess der Bearbeitung von Verdachtsfällen den Beschäftigten Handlungssicherheit gibt.
e. Betreute und deren Familien insoweit über ihre Rechte und das Beschwerdemanagement in Kenntnis gesetzt sind, dass sie es bei Bedarf auch anwenden.
Um zu überprüfen, ob die Zielsetzungen erreicht werden, wird der LEB alle zwei Jahre, erstmalig erfolgt im Jahr 2021[1], eine Befragung zu einem Teilaspekt der oben genannten Zielsetzungen durchführen. Die Ergebnisse werden ausgewertet, analysiert und in die Einrichtungen zurückgeführt. Sie sind Grundlage für eine Anpassungen und Überarbeitung des Schutzkonzeptes und führen gegebenenfalls auch zu konkreten Maßnahmen.
8 Schlussbestimmung
Das Schutzkonzept in dieser Fassung tritt am 22. Juli 2022 in Kraft.
Olaf Nowak
Geschäftsführung
[1] Im Jahr 2021 konzentrierte sich die Befragung auf den Aspekt 5. Es wurde ermittelt, inwieweit die Betreuten über ihre Rechte und das Beschwerdemanagement informiert wurden.