Beispiel 1:
Machtkämpfe mit der Mutter
Stefanie Löhr, allein erziehende Mutter des neunjährigen Felix und der 14jährigen Leonie, meldet sich in der Beratungsstelle. Sie berichtet von Lügen, Respektlosigkeiten und Wutanfällen der Tochter. Leonie halte sich an keine Regeln und Absprachen. Schon dreimal sei sie mit Alkoholgeruch nach Hause gekommen, und am vorletzten Wochenende sei sie ohne Erlaubnis der Mutter über Nacht weggeblieben. Auch habe sie der Mutter schon Geld geklaut. Auf Nachfrage sagt Frau Löhr, dass die eskalierenden Machtkämpfe zwischen ihr und der Tochter das sind, was sie am meisten belastet. Frau Löhr beschreibt sich selbst als sehr emotional. Wenn ihre Tochter sie provoziere, falle es ihr schwer, die Nerven zu behalten. Wenn es ihr gelinge, ruhig zu bleiben und klare Ansagen zu machen, klappe alles viel besser. Wir vereinbaren als Beratungsziel, herauszufinden, wie Frau Löhr ihre Souveränität bewahren kann, auch bei provozierendem Verhalten der Tochter. Bis zum nächsten Gespräch beobachtet sie, wie es ihr gelingt, bei Konflikten gelassen zu bleiben, und was dabei hilfreich ist. Dabei wird Frau Löhr klar, wie sehr sie ihre eigene Autorität beschädigt, wenn sie sich mit blanken Nerven in Auseinandersetzungen begibt. Wir besprechen alternative Strategien, z.B. die Ansage: „Das akzeptiere ich nicht, ich komme darauf zurück!“ oder „Ich geh jetzt eine Stunde raus, ich brauche Ruhe. Ich komme wieder, wir sprechen noch darüber.“ Auf diese Weise kann sie der Eskalation entgehen ohne der Tochter nachzugeben. Und den Konflikt mit der Tochter kann sie klären, wenn beide sich wieder beruhigt haben. Außerdem überlegen wir, wer und was ihr helfen könnte, wenn sie sich zu sehr aufregt. Und wie sie andere Bezugspersonen von Leonie informieren und „mit ins Boot holen“ kann, so dass nicht alle Erziehung an ihr alleine hängt. Beim dritten Gespräch hat sich die häusliche Situation deutlich beruhigt. Die Mutter zeigt sich standhafter gegenüber der Tochter, die Tochter kann auch ein „Nein!“ akzeptieren oder Kompromissvorschläge machen. Frau Löhr erzählt nun von ihrer eigenen Kindheit, in der sie schwere Misshandlungen erlebte. Sehr jung wurde sie dann Mutter. Sie schwor sich, ihre Tochter unter allen Umständen zu schützen. Dieser Hintergrund macht verständlich, wie sehr es sie verletzt, wenn die pubertierende Tochter sie nun angreift. Im Abschlussgespräch berichtet Frau Löhr, dass sie ein ausführliches, „richtig gutes Gespräch“ mit ihrer Tochter hatte, u.a. über das Thema „Lügen“. „Ich weiß auch nicht, warum ich das tue. Ich will dann schnell das machen, was ich will, auch wenn ich weiß, dass ich später noch mehr Ärger krieg. Ist auch so eine Gewohnheit …“, sagt die Tochter. Die Mutter versteht, dass es nicht die Absicht der Tochter ist, ihr weh zu tun. Sie erklärt ihr umgekehrt, wie schwer ihr das Großwerden der Tochter fällt. Und macht zugleich ihre Position deutlich: „Ich bleibe trotzdem deine Mutter. Ich bin nicht deine Freundin.“ Gravierende Vorfälle gab es in den letzten Wochen nicht mehr. Wir vereinbaren, dass Frau Löhr sich bei Bedarf wieder bei uns meldet.
(Alle Namen geändert)
Beispiel 2:
Geschwisterstreit - das vermeintliche „Opfer“
Antonio Bolero, Vater von drei Jungen im Alter von zwei, vier und fünf Jahren, ruft an. Marco, der Älteste, sei „so aggressiv“. Immer wieder haue er seinen jüngeren Bruder Francesco, besonders, wenn die Mutter mit den dreien alleine sei. Marco sei wegen eines Entwicklungsrückstands in ergotherapeutischer Behandlung. Zum Gespräch kommen die Eltern mit allen drei Kindern. Beide Eltern gehen liebevoll mit den Kindern um, die Mutter, Maria Bolero, ausgesprochen sanft. Die drei Jungen nehmen laut und lebhaft den Beratungsraum in Besitz. Dabei verfolgen die Eltern mit ängstlichen Blicken das Tun von Marco. Sobald Marco sich seinem Bruder Francesco nähert, steigt ihre Anspannung. Als die beiden um ein Auto streiten, stürzt der Vater sofort hinzu, um zu schlichten. Es wird deutlich, wie klar die Rollen verteilt sind. Marco ist das „Problemkind“, Francesco muss vor ihm geschützt werden. Als ich mich mit Marco über die von ihm aufgebaute Spielzeugszenerie unterhalte und mich anerkennend äußere, entspannt er sich. Zuwendung und Anerkennung nimmt er begierig auf. Wir vereinbaren, dass die Eltern bis zum nächsten Gespräch genau beobachten, in welchen Situationen es zum Geschwisterstreit kommt, was zur Lösung beiträgt und an welchen Tagen es keinen oder wenig Streit gibt. Die Beobachtung der Eltern fördert Erstaunliches zutage. So entdecken sie, dass Francesco, das vermeintliche „Opfer“, gezielt weint, wenn er gegenüber Marco seinen Willen nicht durchsetzen kann. Und dass Marco deutlich ausgeglichener ist, wenn es den Eltern gelingt, ihm täglich ein wenig Zeit alleine zu widmen. Im dritten Gespräch berichtet der Vater, dass er als Kind unter epileptischen Anfällen litt. Die Eltern hatten daher von Anfang an die Sorge, auch Marco könne diese Krankheit haben. Medizinisch ist dies abgeklärt und ausgeschlossen, die Rolle als Sorgenkind bleibt dennoch. Wir sprechen nun über Marcos besondere Fähigkeiten, z.B. seine Kreativität und sein Geschick beim Fahrradfahren, und über Möglichkeiten, diesen Interessen und Fähigkeiten im Alltag Raum zu geben. Die Idee dabei: Marcos Selbstsicherheit würde gestärkt, ebenso das Zutrauen der Eltern in seine Fähigkeiten. Schließlich kommt das Gespräch auf Pedro, den jüngsten der drei, der sich zuhause zunehmend langweilt, das Zusammensein mit anderen Kindern auf dem Spielplatz hingegen sehr genießt. Frau Bolero, die von ihren Erziehungsaufgaben sehr belastet ist, entschließt sich, Pedro in der Kita anzumelden.
(Alle Namen geändert)
Beispiel 3:
Eingewöhnung in der Kita
Frau Mahnke, Krippenerzieherin der Kita Schillerallee, ruft an. Sie berichtet von Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung des einjährigen Hüseyin. Seit zwei Monaten schon versuche die Mutter, Hüseyin in der Krippe einzugewöhnen, aber der weine immer ganz schrecklich und lasse sich auch nicht gut beruhigen. Wahrscheinlich liege es daran, dass die Mutter so klammere. Ob denn jemand von uns zum Gespräch von Erzieherin und Mutter dazukommen könnte, fragt Frau Mahnke. Wir sagen ihr, dass das grundsätzlich möglich sei, wenn auch die Mutter es wünsche. Am nächsten Tag ruft Frau Özal, Hüseyins Mutter, in der EB an und äußert ebenfalls den Wunsch nach einem Gespräch zu dritt. Zehn Tage später treffen wir uns in der Kita. Frau Özal berichtet, sie stehe sehr unter Druck, Hüseyin schnell einzugewöhnen, damit sie ihre neue Arbeitsstelle wahrnehmen könne. Als ich im weiteren Gespräch nach Hüseyins bisheriger Entwicklung frage, erzählt Frau Özal von einem Vorfall kurz vor Beginn der Kita-Eingewöhnung. Während Hüseyin gerade seinen Mittagsschlaf hielt, hatte Frau Özal ihre Nachbarin in der Wohnung gegenüber besucht. Beide Wohnungstüren standen offen, bis ein Windstoß die Tür der Özals zuschlug. Leider hatte Frau Özal vergessen, ihren Schlüssel mitzunehmen. Hüseyin erwachte von dem Knall, und es dauerte eine ganze Stunde, bis der Schlüsseldienst kam, die Tür öffnete und die Mutter ihr Baby trösten konnte. Diese Geschichte hatte Frau Özal der Kita bis dahin nicht erzählt, vielleicht, weil es ihr peinlich war. Nachdem der Vorfall offenbart ist, wird den Beteiligten klar, dass eine schnelle Kita- Eingewöhnung unter diesen Umständen nicht gelingen kann, und dass Hüseyin gute Gründe hat für seinen Protest. Die Mutter beschließt nun, nach Rücksprache mit ihrem Mann, die Arbeitsaufnahme doch noch etwas zurückzustellen. Mit der Erzieherin bespricht sie einen behutsamen Neuanfang bei der Eingewöhnung. Einige Monate später berichtet mir Frau Mahnke, die Erzieherin, dass Hüseyin nun gut in die Krippe hineingefunden hat und gerne dort ist.
(Alle Namen geändert)