Der Hamburger Zweig der Weißen Rose umfasste mehrere Kreise vorwiegend junger Menschen mit unterschiedlicher weltanschaulicher Orientierung. Geprägt durch Elternhaus, Jugendorganisation und Schule entwickelten diese eine ablehnende Haltung gegen den Nationalsozialismus.
Einem dieser Kreise gehörte Karl Ludwig Schneider an.
Seine Eltern bezeichnete er als konsequente Regime-Gegner, ohne dass diese sich zu einer bestimmten politischen Gruppierung bekannten.
Ab 1933 wohnte die Familie Schneider in Eilbek, ab 1936 in Wellingsbüttel im eigenen Haus. Häufig traf sich Karl Ludwig dort mit Freunden. Sie lasen verbotene Bücher und diskutierten über die verfemte zeitgenössische Kunst.
Als Zwölfjähriger trat er der Freischargruppe „Wikinger Jungenschaft“ bei. Diese orientierte sich an den Vorstellungen der Deutschen Jungenschaft. Sie betonte das kulturelle Eigenleben und die Selbstbestimmung der Jugend und stellte sich später gegen die Gleichschaltungsmaßnahmen der Nationalsozialisten. Schneiders Gruppe wurde zwangsweise ins nationalsozialistische Deutsche Jungvolk übernommen. Als Schneider im Sommer 1935 unerlaubt – statt an einem „Wehrertüchtigungslager“ teilzunehmen – eine Seebäderfahrt nach Ostpreußen machte, wurde er aus dem Jungvolk ausgeschlossen.
Der Unterricht in der reformpädagogisch geprägten Lichtwarkschule in Winterhude, die er ab 1935 besuchte, war für ihn und seine weitere Entwicklung prägend. Der Kunstlehrer John Börnsen begeisterte ihn für den Expressionismus, der von den Nationalsozialisten als „Entartete Kunst“ eingestuft wurde. Später machte Schneider als promovierter Literaturhistoriker dieses Thema zu seinem bevorzugten Forschungsgebiet.
Seine damaligen Mitschüler in der Lichtwarkschule Heinz Kucharski, Howard Beinhoff, Margaretha Rothe und Traute Lafrenz gehörten wie er zum Hamburger Zweig der Weißen Rose.
Nach dem Abitur im Frühjahr 1938 kam er nach Ostpreußen zum Reichsarbeitsdienst (RAD). In einem Brief an seinen Schulfreund Howard Beinhoff äußerte er sich ablehnend über diesen Zwangsdienst. „Wir tragen selbst eine Idee in uns und können darum nicht einer andern dienen.“ Im RAD kam er das erste Mal mit der Gestapo in Berührung: Bei einem Berliner Bekannten, der verhaftet worden war, wurden Briefe von ihm gefunden. Das Verfahren wurde aber eingestellt.
Im November 1938 wurde Schneider zur Wehrmacht eingezogen. Er nahm als Infanterist an den Feldzügen gegen Polen, Frankreich und die Sowjetunion teil. Die furchtbaren Erfahrungen im Krieg verarbeitete er in einem Tagebuch, in Briefen und Gedichten. Im Juni 1940 lernte er in Frankreich den ebenfalls aus Hamburg stammenden Hans Leipelt kennen. Beide freundeten sich an und blieben in Kontakt. Während des Russlandfeldzuges 1941/42 erhielt Schneider unerwartet einen dreimonatigen Urlaub zur Berufsförderung. Im Dezember 1941 begann er an der Hamburger Universität Zeitungswissenschaft, Germanistik und Geschichte zu studieren. Im Elternhaus von Hans Leipelt kam er mit Gleichgesinnten zusammen. Sie tauschten sich über die politische Situation, verbotene Bücher und Kunst aus. Schneider entschied sich mit Ablauf seines Studienurlaubs im Sommer 1942 für einen Offizierslehrgang, um nicht zurück an die Ostfront zu müssen. Kurz nach dessen Beginn erlitt er einen Darmdurchbruch aufgrund eines Geschwürs und musste notoperiert werden. Im April 1943 wurde er endgültig als dienstunfähig und kriegsversehrt aus der Wehrmacht entlassen. Somit konnte er sein Studium fortsetzen. In den Seminaren des Reformpädagogen Wilhelm Flitner intensivierte sich sein Gedankenaustausch mit Reinhold Meyer, dem Juniorchef der Buchhandlung der Agentur des Rauhen Hauses am Jungfernstieg 50. Bei dortigen Treffen begegnete er weiteren Oppositionellen.
Bereits Ende 1942 hatte Traute Lafrentz Flugblätter der Weißen Rose aus München mitgebracht und an ihre ehemaligen Mitschüler übergeben. Sie wurden von Karl Ludwig Schneider, Hans Leipelt und anderen abgeschrieben und weitergereicht.
Nach der Hinrichtung von Sophie und Hans Scholl erwogen die gleichgesinnten Hamburger Oppositionellen weitere Widerstandsformen. Karl Ludwig Schneider favorisierte die Kontaktaufnahme zu vertrauenswürdigen Wehrmachtsoffizieren. Zu Aktionen kam es nicht. Im Sommer 1943 gelang es dem Gestapo-Spitzel Maurice Sachs, die Oppositionellen bei ihren Zusammenkünften auszuspionieren. Zwischen Mai und September erfolgten daraufhin die ersten Verhaftungen. Hans Leipelt wurde am 8. Oktober in München gefasst. Karl Ludwig Schneider hatte da seinen Studienort bereits nach Freiburg verlegt, um Spuren zu verwischen. Als die Gestapo sich bei seinen Eltern in Wellingsbüttel zur Hausdurchsuchung ankündigte, verbrannte seine Schwester ihn belastende Bücher, Briefe und Adressenlisten. Mit einem Freund seines Vaters erkundete er Fluchtmöglichkeiten in die Schweiz. Dieses erwies sich jedoch als aussichtslos. Am 15. November wurde er in seiner Freiburger Wohnung verhaftet und als „Schutzhäftling“ nach Hamburg ins Polizeigefängnis Fuhlsbüttel überführt. Er kam in Einzelhaft, Verhöre mit Misshandlungen und Entzug der notwendigen Diätkost verschlechterten seinen Gesundheitszustand. Am 1. Juni 1944 erfolgte die Überstellung in das KZ Neuengamme, am 13. Juli die Rückverlegung nach Fuhlsbüttel, dann mit Ausstellung des Schutzhaftbefehls Ende Oktober 1944 die Verbringung in das Untersuchungsgefängnis Berlin, aufgrund der Bombenangriffe bald darauf jedoch die Verlegung in das Landgerichtsgefängnis Stendal.
Am 29. Januar 1945 wurde sein Freund Hans Leipelt nach einem Todesurteil in München-Stadelheim hingerichtet.
Die Anklageschrift gegen Schneider und weitere Inhaftierte enthielt gleichfalls die Anklagepunkte „Vorbereitung zum Hochverrat, Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung sowie Rundfunkvergehen“. Die Verhandlung sollte am 20. April 1945 in Hamburg stattfinden. Doch am 12. April wurden Karl Ludwig Schneider und andere Häftlinge beim Eintreffen der US-amerikanischen Truppen in Stendal aus dem Gefängnis befreit. Als der Prozess gegen ihn am 20. April in Hamburg aufgerufen wurde, war er bereits auf freiem Fuß.
Noch vor der offiziellen Kapitulation konnte er am 5. Mai 1945 nach Wellingsbüttel zurückkehren. Zum Wintersemester 1945/46 setzte er sein Studium fort. Als Mitglied im neugegründeten Zentralausschuss der Hamburger Studenten übernahm er sofort Verantwortung beim Demokratisierungsprozess. Ab Juni 1946 wurde er Lizenzträger und Chefredakteur der Kulturzeitschrift „Hamburger Akademische Rundschau“. Er veröffentlichte Gedichte und Texte, die vom Trauma der Kriegs- und Hafterlebnisse zeugen. 1950 promovierte er zum lyrischen Sprachstil des deutschen Expressionismus und habilitierte sich 1958. Bis zu seinem Tod 1981 lehrte er an der Universität Hamburg.
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Allgemein
- Stefan Romey: „Widerstand in Wandsbek 1933-1945“. Herausgegeben von der Bezirksversammlung Wandsbek. Zweite erweiterte Auflage. Hamburg 2021
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Karl Ludwig Schneider
- Angela Bottin: ENGE ZEIT. Spuren Vertriebener und Verfolgter der Hamburger Universität. 2021 ENGE ZEIT revisited. Hamburg-Berlin 2021
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