Ein Anlass der vorliegenden Expertise ist die seit einigen Jahren bundesweit erneut zunehmende Diskussion über die Rücknahme von Ehrungen des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. In mehreren Städten kam es hier bereits zur Aberkennung von Ehrenbürgerschaften und Umbenennungen von Straßennamen.[1] Ein aktuelles Beispiel ist Kiel, das Hindenburg 1933 zum Ehrenbürger ernannt und den Strandweg in Hindenburgstraße (später Hindenburgufer) umbenannt hatte. In Kiel beschlossen nach ausführlicher Diskussion und Expertenanhörung im Januar 2014 SPD, Grüne und Linke mehrheitlich in der Ratsversammlung die Umbenennung des Hindenburgufers in „Kiellinie“. Zudem entschieden sie gemeinsam mit der CDU-Fraktion, Hindenburg aus der Liste der Ehrenbürger zu streichen.
In Hamburg gab es mehrere Versuche, die Hindenburgstraße umzubenennen, zuletzt durch die Grünen im November 2012. Es kam in der kontroversen Debatte zu einem „Kompromiss“: Die Bezirksversammlung Hamburg-Nord beschloss im Februar 2013, einen Teil der Hamburger Hindenburgstraße in Otto-Wels-Straße umzubenennen (umgesetzt durch den Senat im September 2013). Andreas Dressel, Fraktionschef der SPD-Bürgerschaftsfraktion, und Thomas Domres, SPD-Fraktionschef im Bezirk Hamburg-Nord, sprachen sich zudem dafür aus, die Ehrenbürgerliste im Internet mit zusätzlichen Informationen zu versehen.[2] Im April 2013 forderten die Grünen, unterstützt von der Linkspartei, Paul von Hindenburg die ihm 1917 von der Freien und Hansestadt Hamburg verliehene Ehrenbürgerschaft abzuerkennen. Eine ähnlich intensive und anhaltende Diskussion wie im Falle Hindenburgs hat es über die Erteilung des Ehrenbürgerrechts an Generalfeldmarschall Alfred Graf von Waldersee gegeben. Schon 1974 spöttelte etwa „Die Zeit“, Waldersee sei Hamburger Ehrenbürger geworden, „weil er sich bei der Ermordung der ‚gelben Gefahr‘ hervortat“ – eine Anspielung auf Waldersees Verantwortung für Strafexpeditionen der internationalen Besatzungstruppen nach dem „Boxeraufstand“ 1900/01 in China.[3] Im Jahr 1990 scheiterte ein Versuch der Bezirksversammlung Altona, Waldersee die Ehrenbürgerschaft abzuerkennen (in der damals noch selbstständigen Stadt Altona war Waldersee bereits 1896 Ehrenbürger geworden).
Spätestens seit 2012 ist die Aberkennung der hamburgischen Ehrenbürgerwürde Waldersees erneut ein öffentliches Thema, zumal inzwischen auch der Kulturausschuss der Bürgerschaft und der Senat die kritische Auseinandersetzung mit Hamburgs kolonialer Geschichte prinzipiell unterstützen. In diesem Zusammenhang fordern unter anderem Unterstützer des „Arbeitskreises Hamburg Postkolonial“, Waldersee aus der Liste hamburgischer Ehrenbürger zu streichen.[4]
Vor diesem Hintergrund hat die Senatskanzlei der FZH im April 2014 den Auftrag erteilt, in Form einer Expertise die Vergabe von Ehrenbürgerschaften „mit ihren historischen Kontexten zu rekonstruieren, zu dokumentieren und die Website der Freien und Hansestadt Hamburg zum Thema Ehrenbürger auf dieser Grundlage zu aktualisieren und zu ergänzen“. Mit Blick auf die aktuellen politischen Debatten sollten dabei die Ehrenbürger Hindenburg und Waldersee und die Umstände ihrer Auszeichnungen ausführlicher dargestellt werden.
Fußnoten
- [1] Hans-Ulrich Thamer: Straßennamen in der öffentlichen Diskussion. Der Fall Hindenburg, in: Matthias Frese (Hrsg.): Fragwürdige Ehrungen? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Münster 2012, S. 251-264.
- [2] Hamburger Abendblatt, 13.02.2013 und 11.09.2013; http://www.spd-hamburg.de/89670/hindenburg-debatte.html (abgerufen am 20.10.2014).
- [3] Die Zeit, 04.10.1974.
- [4] Die Welt, 21.09.2013; Die Zeit, 16.04.2014; zur Position des Senats siehe auch Bericht in: http://www.kultur-port.de/index.php/kunst-kultur-news/9787-aufarbeitung-des-kolonialen-erbes-neustart-in-der-erinnerungskultur-unter-einbeziehung-der-partnerschaft-mit-dar-es-salaam-.html und http://www.hamburg-postkolonial.de/PDF/KulturausschKolErbe2013.pdf (= Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, Ds. 20/8148 vom 27.05.2013); siehe auch das Dossier des „Arbeitskreises Hamburg Postkolonial“ unter http://www.hamburg-postkolonial.de/PDF/WalderseeDossierOkt2012.pdf (alle abgerufen am 20.10.2014).