Sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister,
Sehr geehrte Frau Executive-Vicepresident Ribera,
Exzellenzen,
sehr geehrte Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,
sehr geehrte Mitglieder der Parlamente,
sehr geehrter Ehrenbürger Prof. Michael Otto,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Es ist mir eine große Ehre, heute zu Ihnen zu sprechen – in einer Zeit, die spätere Generationen als historisch bezeichnen werden.
Ich wurde geboren in einer anderen historischen Zeit – nur wenige Tage nach dem Bau der Berliner Mauer. Meine Kindheit und Jugend waren geprägt vom Kalten Krieg, von einer Welt, in der Ost und West unversöhnlich gegenüberstanden. Es war eine Welt der Blockaden, der Stellvertreterkriege, der politischen und wirtschaftlichen Abschottung.
Als meine Töchter dann in den 1990er Jahren geboren wurden, war die Mauer gefallen, Deutschland war wiedervereinigt. Die Europäische Union wuchs, neue Mitgliedstaaten aus Osteuropa kamen hinzu. China öffnete sich, die Globalisierung brachte enormen Wohlstand. Der Ost-West-Konflikt gehörte der Vergangenheit an. Demokratie und Marktwirtschaft schienen unaufhaltsam. Einige sprachen gar vom „Ende der Geschichte“, so wie es Francis Fukuyama damals formulierte.
Heute, nur eine Generation später, sehen wir: Die Geschichte ist keineswegs zu Ende. Sie hat gerade eine ganz neue, besorgniserregende Richtung eingeschlagen. Die Verlautbarungen und Aktionen des wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump machen klar: Die regelbasierte Weltordnung, wie wir sie kennen, ist in Gefahr.
Wir sehen ein Erstarken des Nationalismus, eine Zunahme des Protektionismus und wir sind gerade Zeuge geworden, wie der US-amerikanische Präsident das transatlantische Bündnis in Frage stellt.
Für Europa und insbesondere für Deutschland bedeutet das: Wir müssen uns neu aufstellen.
Die wirtschaftliche Lage Deutschlands – Herausforderungen und Chancen
Lassen Sie mich dafür zunächst eine Standortbestimmung machen und mit der aktuellen wirtschaftliche Lage Deutschlands beginnen. Seit fünf Jahren erleben wir kein nennenswertes Wachstum mehr. In diesem Jahr droht uns zum dritten Mal eine Rezession. Andere Länder wachsen schneller als wir. Warum läuft es so schlecht bei uns?
In den vergangenen drei Jahrzehnten war unser Wachstumsmotor klar: der Export. Die deutsche Wirtschaft profitierte enorm von der Globalisierung, von eng vernetzten Lieferketten, von einer weltweiten Arbeitsteilung.
Doch dieser Vorteil schwindet.
In unserem letzten Jahresgutachten mussten wir feststellen: Unserer Exporte wachsen nicht mehr so stark, wenn die Weltkonjunktur anzieht, wie das früher der Fall war. Das gilt besonders stark aber für den Handel mit China.
Wir müssen daraus schließen: Unsere Produkte sind nicht mehr so konkurrenzfähig wie früher. Hohe Energie- und Arbeitskosten belasten die Wettbewerbsfähigkeit. Und vor allem China ist inzwischen ein sehr ernst zu nehmender Konkurrent geworden.
Der deutsche Maschinenbau, der bisher besonders exportstark war, muss feststellen, dass chinesische Maschinen inzwischen ähnlich gut, aber sehr viel günstiger sind.
Ähnliche Erfahrungen macht die Automobilindustrie. Jahrzehntelang galt Deutschland als unangefochtener Innovationsführer. Den Newcomer Tesla, der von Anfang an nur auf batterieelektrische Autos gesetzt hat, haben viele lange nicht ernst genommen. Heute ist Tesla an der Börse viermal so viel wert wie alle deutschen Automobilhersteller zusammen.
Auch die chinesischen Automobilhersteller haben besonders stark auf Elektroautos gesetzt, mit massiver staatlicher Förderung. Jetzt sind sie die Weltmarktführer in der Batterietechnologie.
Was uns diese Unternehmen auch voraushaben: sie haben sich stärker an den neuen Kundenpräferenzen orientiert und auf Software, Infotainment und künstliche Intelligenz gesetzt, während sich die deutsche Industrie weiterhin auf klassische Ingenieurskunst konzentrierte.
Kurzum, wir produzieren nicht nur teuer, unsere Produkte sind auch nicht mehr attraktiv genug.
Große Unsicherheit
Die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wurde aber auch stark gebremst durch die enorme wirtschaftspolitische Unsicherheit. Unsicherheit ist immer Gift für Investitionen und wirtschaftliches Wachstum. Und seit dem Amtsantritt Donald Trumps hat sie noch weiter zugenommen.
In den ersten Wochen seiner neuen Amtszeit hat der US-Präsident nicht nur die Prinzipien des regelbasierten Freihandels in Frage gestellt, sondern auch die transatlantischen Beziehungen generell. Er übernimmt ganz offen die Rhetorik eines russischen Präsidenten, der die Grenzen innerhalb Europas zu Russlands Vorteil verschieben will. Daneben sehen wir einen chinesischen Präsidenten, der rigoros auf seine eigenen Interessen ausgerichtet ist und darauf schielt, Taiwan zu übernehmen.
All das erfordert eine strategische Neuausrichtung Deutschlands und Europas – wirtschaftlich, technologisch und politisch.
Keine Abkehr von der Globalisierung, aber neue Verbündete suchen
Eine Abkehr vom freien Handel kann dabei für uns keine Lösung sein, er ist zentrale Säule unseres Wohlstands. Anders als noch vor Jahrzehnten basiert die Weltwirtschaft heute nicht mehr auf dem einfachen Prinzip „Ich produziere Wein, du produzierst Käse, und wir tauschen“. Unsere Weltwirtschaft besteht vielmehr aus globalen Ökosystemen, in denen sich komplexe Wissens- und Produktionsnetzwerke ergänzen.
Ein Beispiel hierfür ist das iPhone: Es wird aus Komponenten gefertigt, die aus über 50 Ländern stammen. Ganz ähnlich ist das bei Halbleitern und Computerchips. Kein Land allein verfügt über alle Ressourcen, das Wissen und die Technologie, um ein solches Produkt in Eigenregie herzustellen. Wer diese internationalen Netzwerke mutwillig zerstört, gefährdet nicht nur den Wohlstand seines eigenen Landes, sondern destabilisiert die gesamte Weltwirtschaft.
Unsere Industrie würde durch die von Trump angedrohten Zölle stark getroffen, vor allem Automobilbau, Maschinenbau und Chemie. Die Zölle würden nicht nur unsere Exporte verteuern, sondern auch die Kosten für importierte Vorprodukte in die Höhe treiben. Die angedrohten Zölle könnten die gesamte Automobilbranche destabilisieren – mit fatalen Folgen auch für die deutsche Automobilindustrie.
Für uns bedeutet das zweierlei:
Zum einen müssen wir dagegenhalten: mit Vergeltungszöllen auf ausgewählte Produkte, die einflussreiche republikanische Senatoren in Bedrängnis bringen. Beim letzten Mal waren das z.B. Zölle auf Harley Davidson, auf Bourbon und auf Sojabohnen.
Gleichzeitig dürfen wir uns nicht darauf einlassen, im Rahmen eines Deals die EU-Wettbewerbsverfahren gegen die Big-Tech-Unternehmen zurückzunehmen. Ganz im Gegenteil.
Die Tatsache, dass sich die Chefs der Big Tech-Unternehmen so offensichtlich dem neuen Präsidenten angebiedert haben, zeigt, wie sehr sie darauf zählen, von Trump unterstützt zu werden. Wenn wir die Macht dieser Big Tech-Unternehmen einhegen und den Wettbewerb fördern wollen, und genau das ist der Sinn und Zweck der Wettbewerbsverfahren, dann dürfen wir diesen Forderungen nicht nachgeben.
Zum anderen muss Europa seine Handelspolitik aktiv gestalten und neue Partner gewinnen. Dazu gehört auch, strategische Partnerschaften in den wachsenden Regionen dieser Welt aufzubauen, Südostasien, Lateinamerika und Afrika.
Dabei sollten wir auch die Entwicklungshilfe als geopolitisches Instrument nutzen und geopolitische Einflusszonen aufbauen, so wie China dies schon lange tut. Gerade jetzt, wo die Vereinigten Staaten sich aus dieser Entwicklungshilfe ganz zurückziehen, müssen wir verhindern, dass China in dieses Vakuum stößt und für sich nutzt.
Die Rolle der künstlichen Intelligenz – Chance oder Gefahr?
Gebremst wird unsere wirtschaftliche Entwicklung auch dadurch, dass unsere Produktivität nicht mehr so stark wächst und unsere Produkte nicht mehr so attraktiv sind. Das Problem ist, dass wir die Möglichkeiten neuer Technologien wie Digitalisierung und künstliche Intelligenz nicht ausreichend nutzen. Gerade der Mittelstand fällt hier im international Vergleich zurück.
Dabei ist der technologische Fortschritt der wichtigste Faktor, um produktiver zu werden. Die künstliche Intelligenz entwickelt sich mit rasanter Geschwindigkeit. Ich bin sicher, Sie alle hier im Raum haben selbst schon ChatGPT eingesetzt, oder vielleicht sogar schon das neueste chinesische Produkt DeepSeek.
Künstliche Intelligenz, da lege ich mich fest, wird zur nächsten „General Purpose Technology“ werden – vergleichbar mit der Dampfmaschine oder Elektrizität. Auch Quantum Computing steht in den Startlöchern und wird möglicherweise schon in wenigen Jahren einsatzbereit sein.
Doch wo steht Deutschland in diesem Wettbewerb?
In der Grundlagenforschung sind wir stark. Bei Patenten und wissenschaftlichen Publikationen stehen wir gut da. Doch bei der praktischen Anwendung hinken wir hinterher. Das kostet uns Wachstum. In den USA hat der Digitalsektor in den letzten Jahren bis zu 80 % des Produktivitätswachstum beigetragen, mehr als doppelt so viel wie in Europa. Das größte deutsche Tech-Unternehmen SAP wurde 1972, vor mehr als 50 Jahren, gegründet, die US-Unternehmen der sogenannten Magnificent Seven, Google, Apple, Amazon und Co sind alle, zum Teil deutlich, jünger.
Die großen Plattformunternehmen aus den USA und China sind inzwischen so dominant, dass sie auch bei der Entwicklung der künstlichen Intelligenz die Nase vorne haben. Sie kontrollieren enorme Datenmengen, Rechenkapazitäten und finanzielle Ressourcen. Europa, so muss man fürchten, bleibt zunehmend nur die Rolle der Abnehmerin und Nutzerin übrig und gerät so in kritische Abhängigkeiten.
Wir dürfen diesen Wettlauf aber nicht verlieren. Das wäre nicht nur wirtschaftlich problematisch, sondern schwächt die Verhandlungsposition am Tisch mit den Dealmakern aus USA, Russland und China. Ein digital souveränes Europa ist unumgänglich, erst Recht jetzt, wenn ein ernsthaftes Zerwürfnis der transatlantischen Beziehungen droht.
Unser Vorteil könnte darin liegen, aus hervorragender Wissenschaft vermarktbare Produkte zu entwickeln, so wie wir es früher geschafft haben. Deutschland hat als Industriestandort mit einer starken Ingenieurtradition erhebliche Chancen, KI-gestützte Fertigungsprozesse und KI-basierte Produkte zu entwickeln und damit internationale Märkte zu erschließen.
Ein gutes Beispiel ist die Pharmaindustrie, ein hochregulierter und forschungsintensiver Sektor, in dem die Entwicklung neuer Medikamente oft viele Jahre dauert und enorme Kosten verursacht. KI kann diesen Prozess erheblich beschleunigen, indem sie Muster in großen Datenmengen erkennt und klinische Studien optimiert. Schnellere Medikamentenentwicklung ist ein klarer Wettbewerbsvorteil, da Unternehmen so früher Patente anmelden und Produkte vermarkten können.
Ein zweites Beispiel ist die Automobilindustrie. Durch KI hat die Entwicklung von autonomen Fahren in den letzten Jahren einen enormen Sprung gemacht hat. In den USA und China sind schon autonom fahrende Robotaxis auf der Straße. Unser Vorteil könnte sein, auf technologisch anspruchsvolle Produkte zu setzen und autonom fahrende Premium-Fahrzeuge zum nächsten Exportschlager zu machen.
Große Städte als Treiber von Innovation
Für solche wissenschaftsbasierten Innovationen sind Metropole wie Hamburg als Innovationszentren besonders förderlich. Durch die Konzentration von Wissenschaftseinrichtungen, Unternehmen und Start-ups auf engem Raum entstehen Netzwerke, die den Wissensaustausch fördern und innovative Projekte vorantreiben. Eine Kultur der Offenheit und internationale Partnerschaften, wie sie Hamburg beispielsweise mit Häfen in Südkorea und Singapur pflegt, ist dabei unerlässlich.
Es überrascht deshalb nicht, dass Hamburg als „Innovation Leader“ gilt. Das Regional Innovation Scoreboard 2023 der Europäischen Kommission zeigt, dass Hamburg in diesem Bereich eine der stärksten Leistungssteigerungen unter den deutschen Regionen verzeichnet.
Europa muss sich wirtschaftlich und politisch neu aufstellen
Unsere Wirtschaftskraft und technologische Souveränität zu steigern, das ist aber nicht nur eine Frage von Innovationen, sondern auch von politischen Rahmenbedingungen. Deutschland und Europa müssen jetzt die richtigen Stellschrauben betätigen:
- Wir müssen jetzt schnell ein klares Signal an Trump und Putin senden, dass wir die Ukraine nicht fallen lassen und dass wir für unsere eigene Verteidigung einstehen, indem wir uns an der Initiative der europäischen „Koalition der Willigen“ substanziell beteiligen. Das bedeutet, jetzt noch mit dem alten Bundestag ein Sondervermögen für Verteidigung zu verabschieden.
- Wir dürfen dabei die Infrastruktur nicht vergessen, die Modernisierung von Straßen, Brücken, Bahn, Wasserwegen und Häfen. Deshalb müssen wir perspektivisch die Schuldenbremse stabilitätsorientiert zu reformieren, wie wir es im Sachverständigenrat Wirtschaft vorgeschlagen haben. Denn selbst wenn die neuen Koalitionspartner in Berlin jetzt nicht nur ein Sondervermögen für die Verteidigung, sondern auch für die Infrastruktur auf den Weg bringen sollten, sind Sondervermögen zeitlich immer befristet.
- Wir müssen die Energiepolitik überdenken: d.h. Versorgungssicherheit gewährleisten, strategische Abhängigkeiten reduzieren und eine effiziente und kostengünstige Energieversorgung sicherstellen. Dazu gehört der Ausbau erneuerbarer Energien, die Sicherung alternativer Rohstoffquellen für LNG und Wasserstoff, und ein effizientes Energienetz.
- Wir müssen die Investitionen in Digitalisierung und KI massiv erhöhen und dafür sorgen, dass aus unserer Grundlagenforschung attraktive Produkte entstehen. Wir müssen dafür den digitalen EU-Binnenmarkt vollenden, die Standards vereinheitlichen und die Bürokratie reduzieren, wie es die EU-Kommission gerade auf den Weg gebracht hat.
- Wir müssen die Handelspolitik aktiv gestalten, durch neue Handelsallianzen, und dabei Entwicklungshilfe als geopolitisches Instrument nutzen.
Deutschland und Europa stehen an einem Wendepunkt
Meine Damen und Herren, wir stehen an einem Wendepunkt. Mein ganzes Leben lang habe ich miterlebt, wie sich die Welt immer wieder gewandelt hat. Als die Mauer fiel, schien der Weg in eine friedliche, globalisierte Zukunft vorgezeichnet. Heute sehen wir: Wir müssen um diese Zukunft kämpfen.
Vor wenigen Monaten wurde meine erste Enkeltochter geboren. Ihre Zukunft und die aller Kinder hängt davon ab, welche Entscheidungen wir heute treffen. Wir haben die Innovationskraft, das Know-how und die wirtschaftliche Stärke, um die Herausforderungen der kommenden Jahre zu meistern. Aber dafür müssen wir handeln – mutig, entschlossen und mit Weitblick.
Lassen Sie uns gemeinsam diese Zukunft gestalten.
Herzlichen Dank.