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18. November 2020

Rede des Ersten Bürgermeisters Dr. Peter Tschentscher im Bundesrat

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Rede des Ersten Bürgermeisters Dr. Peter Tschentscher. Es gilt das gesprochene Wort.

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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,

die Corona-Pandemie ist für unser Land eine der größten Krisen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Über 800.000 Menschen haben eine Infektion durchgemacht, mehr als 13.000 Menschen sind daran verstorben.

Die Pandemie hat unser Leben tiefgreifend verändert. Sie verlangt von den Menschen in den Krankenhäusern, Praxen und Laboren, in den Gesundheitsämtern und Pflegeeinrichtungen, in der Forschung und in vielen anderen Bereichen außergewöhnliche Leistungen.

Dadurch und mit der großen Disziplin der Bürgerinnen und Bürger konnten wir in Deutschland die erste Welle der Pandemie eindämmen und jetzt auch die zweite Welle brechen.

Die dramatische Entwicklung in anderen Ländern und die Daten der Wissenschaft belegen, dass wir mit unserem Vorgehen das Leben zehntausender Menschen schützen und unzählige Covid19-Erkrankung verhindern konnten.

Die Anstrengungen haben sich auch in wirtschaftlicher Hinsicht gelohnt. Denn eine ungehinderte Ausbreitung des Coronavirus führt nicht nur in kürzester Zeit zu einer Überlastung des Gesundheitswesens, sondern auch zu einer dramatischen Schädigung der Wirtschaft, die wir in Deutschland verhindern konnten.

Dazu beigetragen haben Bund und Länder, indem wir mehr Wirtschafts- und Finanzhilfen für die von der Coronakrise besonders betroffenen Unternehmen und Branchen leisten als alle anderen Länder der Europäischen Union zusammen.

Nach allem, was aus der Impfstoffentwicklung berichtet wird, bin ich mittlerweile auch sehr zuversichtlich, dass unsere Strategie insgesamt aufgeht und dank der herausragenden Leistungen der Mediziner, Wissenschaftler und Pharmazeuten bald ein wirksamer Impfstoff zur Verfügung steht und wir damit endlich Licht am Ende des Tunnels sehen. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

die Corona-Pandemie ist neben den komplexen Anforderungen der praktischen Pandemiebekämpfung auch eine bisher nicht bekannte Herausforderung für unser Staatswesen, unsere Verfassung und die Demokratie.

Unsere Verfassungsordnung und unser Rechtssystem haben sich auch in dieser außerordentlichen Krise bewährt. Die für den Infektionsschutz und die Gefahrenabwehr zuständigen Länder haben wirksame rechtliche Vorgaben für die Eindämmung der Pandemie geschaffen. Sie sind nach unserer Rechtsordnung dafür zuständig und gegenüber ihren Parlamenten und den Bürgerinnen und Bürgern demokratisch verantwortlich.

Dabei haben die Länder untereinander und mit der Bundesregierung gut zusammengearbeitet. Gemeinsam konnten wir das erforderliche Wissen sammeln, wirkungsvolle Maßnahmen nach den regionalen Besonderheiten vereinbaren und diese fortlaufend an die sich ändernde Lage anpassen.

Die Erfolge in der Pandemiebekämpfung sind damit auch ein Erfolg des kooperativen Föderalismus.

Sie sind zugleich der Erfolg eines Infektionsschutzrechts, das den Ländern die Handlungsmöglichkeiten gibt, die in dieser ernsten Lage erforderlich sind.

Über den Vollzug des Infektionsschutzrechts haben unsere Gerichte gewacht. Die Richterinnen und Richter haben die Corona-Maßnahmen fortlaufend auf ihre Rechtmäßigkeit, insbesondere auf ihre Verhältnismäßigkeit geprüft – und sie haben diese in einer Vielzahl von Entscheidungen als rechtmäßig bestätigt.

Dabei haben die Gerichte betont, dass

  • die Länder in der Pandemiebekämpfung über Beurteilungs- und Entscheidungsspielräume verfügen müssen,
  • dabei aber Maßnahmen, die zu Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten führen, mit kurzer Laufzeit zu befristen und fortwährend zu evaluieren haben.

Diesen Vorgaben sind die Länder nachgekommen. Wir haben in Hamburg unsere Eindämmungsverordnung fortlaufend aktualisiert, dabei die jeweils aktuellen Erkenntnisse einbezogen und - wann immer das Infektionsgeschehen es zuließ – Einschränkungen auch wieder zurückgenommen.

Dies ist erforderlich, um die Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger mit ihren Freiheitsrechten in Ausgleich zu bringen.

Die wissenschaftlichen Auswertungen des Pandemieverlaufs zeigen gleichwohl deutlich, dass ein rechtzeitiges Einschreiten entscheidend zum Erfolg der Maßnahmen beiträgt: Es kommt darauf an, im richtigen Moment schnell zu handeln.

Ein Vergleich mit anderen Ländern in Europa zeigt, dass wir dadurch deutlich weniger einschneidende Maßnahmen nutzen mussten und somit die Freiheiten der Bürgerinnen und Bürger besser gewahrt haben.

Bundestag und Bundesrat haben das Infektionsschutzrecht bereits durch zwei Gesetze im März und im Mai dieses Jahres an die aktuelle Lage angepasst.

Mit dem nun vorliegenden Entwurf eines Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite werden die rechtlichen Rahmenbedingungen weiter verbessert.

Die für die Eindämmung der Pandemie erforderlichen Maßnahmen, die sich bislang auf eine Generalklausel im Infektionsschutzrecht stützen mussten, erhalten jetzt ein stärkeres gesetzliches Fundament.

Der neue §28a des Infektionsschutzgesetz soll dem verfassungsrechtlichen Gebot des Gesetzesvorbehalts Rechnung tragen und zugleich ausreichend Handlungsmöglichkeiten der Länder für einen wirksamen Schutz von Leben und Gesundheit sicherstellen.

Dazu benennt der Absatz 1 als Regelbeispiele genau die Schutzmaßnahmen, die sich in den letzten Monaten bewährt haben.

Diese ausdrückliche Nennung im Gesetz erhöht die Rechtssicherheit unserer Verordnungen.

Dabei ist der Katalog der Schutzmaßnahmen nicht abschließend, um die notwendige Flexibilität des Vorgehens in der Pandemie weiterhin zu gewährleisten. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ausdrücklich ist nunmehr im Gesetz klargestellt, dass die Eindämmung der Corona-Pandemie umfassende Schutzmaßnahmen rechtfertigt, auch wenn diese mit Einschränkungen von Freiheitsrechten einhergehen.

Sie sind ein Sonderopfer, das wir zum Schutz der Älteren und Schwächeren, zum Schutz von Gesundheit und Leben aller Bürgerinnen und Bürger solidarisch erbringen müssen.

Der Bundesgesetzgeber verleiht diesen Maßnahmen damit eine zusätzlich demokratische Legitimation und sichert sie mit einem Parlamentsvorbehalt ab, indem die Maßnahmen nur dann getroffen werden dürfen, wenn der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellt.

Absatz 3 des neuen §28a stellt klar, dass die Schutzmaßnahmen am regionalen Infektionsgeschehen auszurichten sind. Das heißt, es ist immer flexibel vor Ort zu handeln.

Als wesentlicher Indikator hierfür weist das Gesetz die sogenannte 7-Tage-Inzidenz aus. Durch das Wort „insbesondere“ macht die Regelung aber deutlich, dass weiterhin natürlich nicht allein die Inzidenz bei der Beurteilung des Infektionsgeschehens zu beachten ist.

Denn wie bisher müssen die Länder neben der Inzidenz viele weitere Faktoren berücksichtigen wie

  • die Gesamtzahl der Infektionsfälle,
  • ihre Verteilung in den Altersgruppen,
  • die besondere Schutzbedürftigkeit vulnerabler Personen,
  • die Auslastung des örtlichen Gesundheitswesens,
  • die Kapazität zur Kontaktnachverfolgung von Infektion,
  • die aktuellen epidemiologischen Erkenntnisse und
  • die Auswirkungen der Schutzmaßnahmen auf andere Rechtsgüter, insbesondere ihre sozialen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen.

Das neue Gesetz ruft dazu auf, spätestens ab der Überschreitung der Schwellenwerte von 35 bzw. 50 Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Aber auch vor dem Erreichen dieser Werte können und müssen Maßnahmen getroffen werden.

Hamburg hat im Vergleich zu anderen großen Metropolen vor allem auch deshalb eine günstigeren Verlauf der Infektionsdynamik erreicht, weil wir zum Teil deutlich vor Überschreitung der 35er-Schwelle

  • private Feierlichkeiten und öffentliche Versammlungen beschränkt,
  • Alkoholverkaufsverbote erlassen,
  • eine Maskenpflicht im öffentlichen Raum eingeführt und
  • eine Sperrstunde in der Gastronomie eingeführt haben.

Diese Gestaltungsspielräume bei den Schutzkonzepten sind in der Rechtsprechung anerkannt und sie sind auch geboten. Nur so können die Länder weiterhin erfolgreich die Pandemie bekämpfen.

Das Coronavirus und der bisherige Verlauf der Pandemie haben bereits zu vielen unerwarteten Erkenntnisse geführt und können noch zu weiteren unvorhergesehenen Lagen führen. Auch dafür müssen wir gewappnet sein.

Insgesamt stellen die Regelungen des Gesetzesentwurfs zu den Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie eine gute Ergänzung des bisherigen Rechtsrahmens dar, der die Rechtssicherheit erhöht und weiterhin einen wirksamen Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung durch die hierfür verantwortlichen Länder ermöglicht.

Aus diesen Gründen begrüßt die Freie und Hansestadt Hamburg den vorliegenden Gesetzesentwurf und wird ihm zustimmen.

Herzlichen Dank allen, die an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligt waren und insbesondere denjenigen, die es im Deutschen Bundestag initiiert haben.

Vielen Dank.