Sehr geehrte Partnerinnen und Partner der Kanzlei Mittelstein,
sehr geehrte Damen und Herren,
herzlich willkommen im Rathaus zum Senatsempfang anlässlich des 175-jährigen Jubiläums der Kanzlei Mittelstein & Partner.
Ein solches Jubiläum ist selbst in der traditionsreichen Hansestadt ein seltenes Ereignis, und Mittelstein & Partner gehört wohl auch zu den ältesten Rechtsanwaltskanzleien unserer Stadt.
Ihre Geschichte ist – wie bei vielen Traditionsunternehmen – eng mit Personen verbunden, in Ihrem Fall also mit dem Gründer und den Partnern, die das Profil der Kanzlei geprägt und ihre Entwicklung auch über schwere historische Krisen und Umbrüche hinausgeführt haben.
Zu diesen maßgeblichen Personen gehört an erster Stelle der 1817 in Hamburg geborene Gründer Isaac Wolffson, der sein Abitur auf der Gelehrtenschule des Johanneums ablegte, in Heidelberg und Göttingen Rechtswissenschaften studierte und nach seiner Promotion seine Zulassung als Rechtsanwalt in Hamburg beantragte.
Es zeugt von den tiefen antisemitischen Traditionen unseres Landes, dass dieser Antrag abgelehnt wurde, weil Wolffson der jüdischen Religion angehörte.
Da half kein Studium und keine Promotion. Als Jude gab es keine Bürgerrechte und damit keine Zulassung zum Beruf des Rechtsanwaltes.
Das war die Lage, in der Wolffson zunächst nur – zulassungsfrei – am Handelsgericht tätig werden konnte und die anderen Rechtsgebiete seinen „christlichen“ Kollegen überlassen musste.
Er erwarb sich dennoch einen guten Ruf und legte 1849 den Grundstein für die erfolgreiche Kanzlei, deren 175. Jubiläum wir heute feiern.
Ihre Gründung hing mit der Revolution 1848/49 zusammen, denn in der Frankfurter Paulskirche verankerte die Nationalversammlung in der neuen Verfassung die Religionsfreiheit und damit einen wichtigen Schritt für die politische Partizipation der jüdischen Bevölkerung.
Als einer der ersten Juden in Hamburg erwarb Wolffson das Bürgerrecht und dann auch die Zulassung zur sogenannten Advokatur.
Als die Hamburger Bürgerschaft 1859 erstmals gewählt wurde, schaffte er den Sprung ins Parlament. Wahlberechtigt waren nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung:
Männer ab 25 Jahren mit einem Einkommen von mindestens 1.200 Mark sowie Grundbesitzer und andere besonders angesehene Personen. Wolffson gehörte dazu und wurde 1861 sogar zum Präsidenten der Bürgerschaft gewählt.
Später gehörte er zehn Jahre lang dem Reichstag an und arbeitete am Bürgerlichen Gesetzbuch mit.
1879 wurde er zum Präsidenten der gemeinsamen Hanseatischen Rechtsanwaltskammer der freien Hansestädte Hamburg, Lübeck und Bremen gewählt.
Bis heute können Sie Isaac Wolffson im Oberlandesgericht am Sievekingplatz begegnen: Seine Büste hat die Nazi-Zeit überlebt und wurde dort auf Wunsch der Hamburger Anwaltschaft 1945 wieder aufgestellt.
Nach seinem Tod 1895 übernahm sein Sohn, Dr. Albert Wolffson, die Kanzlei.
Auch politisch trat er in die Fußstapfen seines Vaters und gehörte 30 Jahre lang der Hamburgischen Bürgerschaft an. Darüber hinaus engagierte er sich für Kunst und Kultur in unserer Stadt, besonders für die Kunsthalle.
Der heutige Namensgeber, Dr. Kurt Mittelstein, begann 1914 als Referendar und wurde im August 1919 mit 24 Jahren als weiterer Partner aufgenommen.
In der Weimarer Republik kam die Kanzlei Mitte der 20 Jahre durch die Hyperinflation kurzzeitig in finanzielle Schwierigkeiten, konnte dann aber 1931 wirtschaftlich gestärkt in das Gutruf-Haus am Neuen Wall einziehen – mit Blick auf die Binnenalster.
Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten drohte der Kanzlei erneut das Aus. Als jüdische Partner mussten Dr. Hans Dehn und Dr. Edgar Wiegers um ihre Zulassung und um ihr Leben bangen.
Beide überlebten den NS-Terror, hatten aber einiges zu ertragen:
Hans Dehn musste während des NS-Regimes ein Schattenleben führen. Edgar Wiegers wurde zeitweise zu Zwangsarbeit im Hafen verpflichtet.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges gelang der Kanzlei 1945 der Neustart unter ihrem bisherigen Namen „Dres. Dehn, Wiegers, Mittelstein“.
Sie übernahm im großen Umfang die Vertretung ausgewanderter jüdischer Familien und ihrer Erben, um deren Wiedergutmachungsansprüche durchzusetzen.
Als eine von wenigen Kanzleien mit jüdischen Juristen in Hamburg genoss sie das Vertrauen der NS-Opfer sowie der britischen Militärverwaltung. Es entwickelten sich gute Kontakte nach Großbritannien und in die USA.
Kurt Mittelstein beteiligte sich aktiv am Wiederaufbau der Hamburger Anwaltschaft:
- Er gehörte zu den Gründern des Hamburgischen Anwaltvereins,
- war im Vorstand der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer,
- Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts,
- geschäftsführender Vorsitzender des heutigen Anwaltsgerichtshofes
- und Herausgeber der ab 1947 erscheinenden „Monatsschrift für Deutsches Recht“.
1973 verlieh ihm der Hamburgische Anwaltsverein den Emil-von-Sauer-Preis.
In den folgenden Jahren baute die Kanzlei ihre internationalen Verbindungen aus, insbesondere nach Frankreich. Federführend war hier Gunter Stoltenberg, der 1977 bei Mittelstein & Partner eintrat.
Er gewann auch die beiden heutigen Senior-Partner Dr. Reinhard Arndts und Dr. Nicolaus Roltsch für die Kanzlei.
Gemeinsam entwickelten sie das Unternehmen zu einer modernen Wirtschaftskanzlei, die auch im Zeitalter der Großkanzleien ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit bewahrt hat.
Heute vertreten die Anwältinnen und Anwälte von Mittelstein & Partner überwiegend Handels- und Dienstleistungsunternehmen aus dem Mittelstand – oft schon seit Jahrzehnten.
Ein wachsendes Feld ist die Investmentberatung in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft, die es derzeit auch nicht leicht hat.
Als Mediatoren tragen Sie auch zu außergerichtlichen Konfliktlösungen bei, was oft zu besseren Ergebnissen führt und zugleich die Justiz entlastet.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die große Erfahrung und Expertise der Kanzleien und Anwaltschaft in unserer Stadt sind ein wichtiger Faktor für die Wirtschaft Hamburgs und der von hier aus weltweit tätigen Unternehmen.
Hamburg zählt zu den größten Rechtsstandorten in Deutschland.
In unserer Stadt gibt es über 10.000 niedergelassene Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie zahlreiche weitere Juristinnen und Juristen in den Unternehmen und Behörden.
18 Gerichte sind in Hamburg ansässig, darunter seit 1996 der Internationale Seegerichtshof der Vereinten Nationen.
Die Fakultät der Rechtswissenschaften an der Universität Hamburg, die private Bucerius Law School sowie das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht sichern die akademische Forschung und Lehre und genießen einen guten Ruf.
Im Juli 2024 beschloss der Bundestag die Einführung von Commercial Courts und Englisch als Gerichtssprache in der Zivilgerichtsbarkeit. Damit wird der Gerichtsstandort Deutschland in internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten weiter gestärkt.
Hamburg hat sich lange für diese Rechtsänderung eingesetzt und ist hier Vorreiterin mit einem Landgericht, das schon länger Verhandlungen auf Englisch führt.
Der Senat hat die Justiz in den letzten Jahren um rund 200 Richter und Staatsanwälte verstärkt und gerade beschlossen, dass noch einmal knapp 30 Stellen dazukommen, um den steigenden Verfahrenszahlen gerecht zu werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit 175 Jahren ist die Kanzlei Mittelstein & Partner Teil des Rechtsstandortes Hamburg und hat einiges zu seiner Entwicklung beigetragen.
Die Geschichte der Kanzlei ist eng mit der unserer Stadt mit verbunden.
Sie zeigt, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger viel zu Hamburgs Aufstieg zu einer internationalen Metropole beigetragen haben.
Die jüdische Gemeinschaft ist heute ein fester Teil unserer Stadtgesellschaft, den wir schützen, stärken und gegen Angriffe von Rechtspopulisten verteidigen.
Rechtsanwaltskanzleien mit ihren Anwältinnen und Anwälten sorgen als unabhängiges Organ der Rechtspflege für die Sicherung unseres Rechtsstaates und damit unserer Verfassung und der Demokratie, deren 75. Jubiläum wir in diesem Jahr feiern.
Ich gratuliere der Kanzlei Mittelstein & Partner im Namen des Senats zum 175-jährigen Jubiläum und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
Herzlichen Dank.