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9. November 2023

85. Jahrestag der Reichspogromnacht

Rede des Ersten Bürgermeisters Dr. Peter Tschentscher. Es gilt das gesprochene Wort.

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Sehr geehrter Herr Landesrabbiner,
sehr geehrter Herr Stricharz,
Frau Bischöfin, 
Frau Präsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft,  
Frau Staatssekretärin Seifert,
Frau Ehrenbürgerin Boie,
Mitglieder der Parlamente,   
sehr geehrte Damen und Herren,

mit den Novemberpogromen des Jahres 1938 begann in Deutschland die systematische Verfolgung von Jüdinnen und Juden durch die Nationalsozialisten.

Am 9. November 1938 und an den darauffolgenden Tagen wurden über 1.400 Synagogen, jüdische Friedhöfe, Geschäfte und Wohnhäuser verunstaltet, niedergebrannt und zerstört. 

Mehr als 1.300 jüdische Bürgerinnen und Bürger starben, etwa 30.000 wurden verhaftet, viele in Konzentrationslager gebracht. 

Auch in Hamburg riefen die Nationalsozialisten zu Pogromen auf. 

Sie zertrümmerten Fenster, plünderten Geschäfte und holten jüdische Hamburgerinnen und Hamburger aus ihren Wohnungen. Über 800 Menschen wurden von der Gestapo inhaftiert.

Die Nationalsozialisten zerstörten jüdische Betsäle, Trauerhallen und Synagogen, darunter auch die große Hauptsynagoge hier auf dem Bornplatz.

In den darauffolgenden Monaten wurden jüdische Bürgerinnen und Bürger gezwungen, ihre Geschäfte zu verkaufen und ihre Tätigkeiten in Wirtschaft und Verwaltung, in Wissenschaft und Kultur aufzugeben.  

Die Ereignisse dieser Zeit mündeten im Holocaust – dem größten Verbrechen in der deutschen Geschichte.

Der politisch Hauptverantwortliche in Hamburg, der sogenannte Reichsstatthalter Karl Kaufmann, wurde für seine Taten nie zur Rechenschaft gezogen. 

Beim Militärgerichtshof in Nürnberg galt er nach einem Unfall als verhandlungsunfähig und wurde nur als Zeuge geladen.
Er versuchte dabei, die Rolle Hamburgs bei der Judenverfolgung herunterzuspielen.

Tatsächlich war auch unsere Stadt damals fest in der Hand der Nazis. Viele Bürgerinnen und Bürger waren verblendet und beteiligten sich aktiv oder durch Wegsehen an der Ausgrenzung, Verfolgung und späteren Deportation der jüdischen Bevölkerung.

Sehr geehrte Damen und Herren,
aus diesem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte erwächst eine besondere Verantwortung und Verpflichtung für uns heute.

Der Jahrestag der Pogrome vor 85 Jahren steht unter dem Eindruck des Terrors der Hamas. 

Wir verurteilen die Anschläge der Hamas auf das Schärfste. 

Dahinter stehen radikale Kräfte, Organisationen und Staaten, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen und den israelischen Staat bekämpfen.

Die Botschaft aus Hamburg und aus Deutschland lautet: Wir stehen fest an der Seite Israels. 

Dazu gehört, dass wir Antisemitismus und Anfeindungen gegen Israel in unserer Stadt nicht dulden. 

Es ist auch nicht hinnehmbar, solche Äußerungen mit politischen Ansichten zum Nahostkonflikt zu vermischen und damit zu legitimieren. 

Um es noch einmal klar zu sagen: Antisemitische Parolen und das Bejubeln terroristischer Angriffe sind in Deutschland Straftaten.

Wir lassen nicht zu, dass die schweren Konflikte in Nahost und anderen Teilen der Welt auf diese Weise nach Hamburg getragen werden. 

Sehr geehrte Damen und Herren,
im Interreligiösen Forum Hamburg sind die jüdische Gemeinde, die christlichen Kirchen, die buddhistische Religionsgemeinschaft, weitere Glaubensrichtungen und die SCHURA vertreten, der Rat der islamischen Gemeinden in Hamburg.

Gemeinsam haben sie den terroristischen Angriff der Hamas auf das Schärfste verurteilt und einen Appell zu Besonnenheit und friedlichem Miteinander an die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt gerichtet.

Vielen Dank an die Kirchen, die islamischen Gemeinden und weiteren Religionsgemeinschaften für diese deutlichen Worte.

Der Ort, an dem wir heute stehen, verbindet wie kein anderer die Geschichte und Zukunft des jüdischen Lebens in Hamburg.

Im Grindelviertel war vor 1933 das jüdische Zentrum unserer Stadt. Hier lebten die meisten der etwa 20.000 Angehörigen der jüdischen Gemeinden. Hier gab es die größte jüdische Schule und die größte Synagoge Norddeutschlands. 

Die Zerstörung der Bornplatzsynagoge steht stellvertretend für die Verbrechen der Pogrome von 1938.
Mit ihrem Wiederaufbau soll dieser Ort wieder zu einem Zentrum jüdischen Lebens und Glaubens in Hamburg werden.  

Wichtige Voraussetzungen für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge wurden bereits geschaffen. 
Die Bürgerschaft hat beschlossen, „die Wiedererrichtung einer repräsentativen Synagoge am ehemaligen Standort“ zu unterstützen.

Eine Studie bestätigt die Machbarkeit dieses Projekts und die Bürgerschaft hat beschlossen, das Grundstück des Joseph-Carlebach-Platzes an die jüdische Gemeinde zurückzugeben.   

Derzeit finden archäologische Untersuchungen zur Vorbereitung eines Architekturwettbewerbs statt.

Die Überreste, die im Untergrund zum Vorschein kommen, sollen helfen, ein genaueres Bild von der früheren Synagoge zu erhalten, von ihren Farben, Materialien und Verzierungen.

Mit dem Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge soll das jüdische Leben an einem historischen alten Ort ein neues Zentrum erhalten.

Sehr geehrten Damen und Herren,
unsere Unterstützung des Wiederaufbaus der Bornplatzsynagoge ist Teil unserer historischen Verantwortung. 

Sie ist ein sichtbares Zeichen, dass jüdisches Leben einen festen Platz in der Mitte unserer Stadtgesellschaft hat, und dass der Hass und die Gewalt der Nationalsozialisten auf dem Bornplatz nicht das letzte Wort haben.

Vielen Dank.