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2. März 2022

Regierungserklärung des Ersten Bürgermeisters Dr. Peter Tschentscher zum Krieg in der Ukraine und den Folgen für Hamburg

Es gilt das gesprochene Wort.

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Regierungserklärung des Ersten Bürgermeisters Dr. Peter Tschentscher zum Krieg in der Ukraine und den Folgen für Hamburg


Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete, 

der 24. Februar 2022 wird als schwarzer Tag in die Geschichte Europas eingehen. 

An diesem Tag hat Russlands Präsident Putin einen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen. Nach einem gezielten Bombardement ukrainischer Militärstützpunkte rückt die russische Armee seitdem aus verschiedenen Richtungen auf das Gebiet der Ukraine vor. Im ganzen Land wird gekämpft. Besonders heftig sind die Gefechte um die Hauptstadt Kiew und die zweitgrößte Stadt des Landes, Charkiw. 

Wir sind entsetzt und empört über das Vorgehen Putins, das offenbar von langer Hand vorbereitet wurde. Der Angriff Russlands erschüttert das Fundament der europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung. 

Dieser Krieg ist eine schwere Verletzung des Völkerrechts. Er muss sofort gestoppt werden. 

Der russische Präsident hat darauf gesetzt, Europa zu spalten, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Europäische Union und ihre NATO-Partner haben in großer Geschlossenheit  und Klarheit reagiert. Die Ukraine wird in ihrem Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit umfassend unterstützt: finanziell, wirtschaftlich, politisch, auch mit Waffen und militärischer Ausrüstung. 

Die EU, die USA und die weiteren G7-Länder haben umfassende Sanktionen gegen Russland verhängt. Sie sind hart und weitreichend und sie werden von Staaten auf der ganzen Welt unterstützt. 

Die Sanktionen beziehen sich auf die Wirtschafts- und Finanzbeziehungen, beinhalten Export-beschränkungen im Energie-, Transport- und Industriesektor, und umfassen Individual-Sanktionen gegen zahlreiche Einzelpersonen. 

Bundeskanzler Scholz hat die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten am vergangenen Freitag über die Lage in der Ukraine-Krise informiert. Die Länder haben in großer Übereinstimmung deutlich gemacht, dass sie die Position der Bundesregierung und das Vorgehen zur Sanktionierung Russlands unterstützen, und dies gilt ausdrücklich auch für die Freie und Hansestadt Hamburg. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

als internationale Stadt sind wir von den Auswirkungen dieses Krieges unmittelbar betroffen. Über 4.000 Ukrainerinnen und Ukrainer leben bei uns in Hamburg. Sie sind in größter Sorge um ihre Familien und Angehörigen und um ihr Heimatland. 

Sehr geehrte Frau Generalkonsulin Tybinka, 

im Namen des Senats und der gesamten Stadt möchte ich Ihnen versichern, dass wir großen Anteil nehmen an der Not der Menschen in der Ukraine, die durch den Angriff Russlands Unrecht und großes Leid erfahren. 

Hamburg steht auf der Seite des Völkerrechts, auf der Seite von Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung in Europa. 

Frau Generalkonsulin, Hamburg steht in diesen schweren Tagen in größter Solidarität an Ihrer Seite! 

Die Hilfsbereitschaft der Hamburgerinnen und Hamburger ist überwältigend. Sie spenden und sammeln Hilfsgüter, um die Menschen in der Ukraine zu unterstützen. Sie sind bereit, Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen. Die Angebote reichen von der Unterbringung über Kinderbetreuung bis hin zu Sportangeboten und Dolmetschertätigkeiten. Einige sind nach Polen und zur ukrainischen Grenze aufgebrochen, um vor Ort zu helfen. 

Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, 

Ihre Hilfsbereitschaft ist großartig. Allen, die sich engagieren, sage ich im Namen des Senats: Herzlichen Dank für Ihre Hilfe! 

Die Bundesregierung hat unseren osteuropäischen Nachbarn Unterstützung bei der Aufnahme von Flüchtlingen zugesagt. Hamburg wird sich daran nach Kräften beteiligen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bereits mehrere Hunderttausend Menschen aus der Ukraine geflohen. Ein Großteil von ihnen befindet sich in unserem Nachbarland Polen. 

Die Stadt bereitet sich darauf vor, in den kommenden Wochen eine große Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen und zu versorgen. Dazu werden die bestehenden Flüchtlingsunterkünfte verstärkt und – wenn es erforderlich ist – kurzfristig neue Kapazitäten geschaffen. 

Das zentrale Ankunftszentrum in Hamburg-Meiendorf steht rund um die Uhr offen. In einem ersten Schritt wurden über 2.000 Plätze aus der vorhandenen Unterkunftsstruktur zur Verfügung gestellt. Eine staatenübergreifende Regelung zum Aufenthaltsstatus ukrainischer Flüchtlinge, die neben der unmittelbaren Versorgung auch weitergehende Sozialleistungen ermöglicht, soll zeitnah von der EU und der Bundesregierung verabschiedet werden. 

In diesen schweren Zeiten ist eines klar: Wir werden alles dafür tun, dass die Menschen aus der Ukraine, die auf der Flucht vor Krieg und Gewalt zu uns kommen, in Hamburg eine gute Versorgung und Unterkunft erhalten. 

Sehr geehrte Abgeordnete, 

das Ausmaß der Kriegsfolgen lässt sich heute noch nicht absehen. Sie sind auf jeden Fall weitreichend und wir sind als internationale Stadt stark davon betroffen. Es geht um wirtschaftliche Folgen, mögliche Cyber-Attacken und um die Versorgungssicherheit. 

Der Senat hat einen Krisenstab in der Innenbehörde eingerichtet, der schnelles und konsequentes Handeln in dieser dynamischen Lage ermöglicht. Er hat die Aufgabe, 

  • ein aktuelles Lagebild zu den Auswirkungen und Risiken der Ukraine-Krise für Hamburg zu erstellen,
  • Maßnahmen zur Sicherung der Kritischen Infrastruktur und Versorgung der Stadt vorzubereiten und diese – wenn es erforderlich ist – zu koordinieren,
  • und die Fachbehörden und Ämter dabei zu unterstützen, die nötigen Unterbringungs- und Versorgungskapazitäten für Vertriebene aus der Ukraine bereitzustellen.

Die Leitung des Krisenstabes ist befugt – auch behördenübergreifend – die erforderlichen Not- oder Ad-hoc-Maßnahmen zu veranlassen. Auf dem Stadtportal hamburg.de wurde eine Übersicht mit Informationen, Erklärungen und Kontakten erstellt, die fortlaufend aktualisiert wird. 

Die Sicherheitsbehörden beobachten die Lage in der Stadt aufmerksam, insbesondere im Umfeld der Generalkonsulate der Ukraine und Russlands. Die Polizei Hamburg hat die Zahl ihrer Einsatzkräfte, die vorsorglich in Reserve gehalten werden, erhöht. 

Die Wirtschaftsbehörde hat die Rückwirkungen der Sanktionen und die Folgen des Krieges auf die Hamburger Wirtschaft im Blick. Sie betreffen rund 1.000 Unternehmen, die Geschäftsbeziehungen in die Ukraine und nach Russland haben. Viele haben sich bereits nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim aus dem russischen Markt zurückgezogen und ihre geschäftlichen Aktivitäten eingestellt. 

Der Hafen ist naturgemäß von den Exportbeschränkungen in besonderer Weise betroffen. Die städtische HHLA hat gestern bekannt gegeben, dass sie keine Container mehr umschlägt, die aus Russland kommen oder dorthin gehen. Hapag-Lloyd stellt die Liniendienste in die russischen Häfen ein. 

Als drittgrößter Standort weltweit wird Hamburg auch im Bereich der zivilen Luftfahrt betroffen sein. Airbus und Lufthansa Technik dürfen an russische Firmen keine Flugzeuge oder Flugzeugteile mehr ausliefern und keine Reparaturleistungen mehr erbringen. 

Allen ist klar: Die jetzt beschlossenen Sanktionen werden auch unsere Wirtschaft und unsere Unternehmen belasten. Aber sie sind sehr effektiv im Widerstand gegen die russische Aggression und müssen deshalb konsequent umgesetzt werden. 

Hamburgs Energieversorgung ist derzeit nicht akut gefährdet. Die Gasversorgung für die laufende Heizperiode ist sichergestellt, auch wenn die Lieferungen aus Russland eingestellt würden. Die Bundesregierung hat angekündigt, eine nationale Gasreserve aufzubauen und die Speichermengen zu erhöhen. Die Hamburger Umwelt- und Energiebehörde prüft, welche alternativen Energiequellen darüber hinaus mittelfristig verfügbar wären, um potenzielle Ausfälle zu kompensieren. 

Die Bundesregierung wird die Bürgerinnen und Bürger bei den Energiepreisen, die in den vergangenen Monaten bereits vielfach gestiegen sind, entlasten. Sie hat zudem entschieden, in Wilhelmshaven und Brunsbüttel schnell zwei LNG-Terminals zu bauen, die zunächst Erdgas und später Wasserstoff aufnehmen können. 

Dies passt zu den Plänen des Senats, in den kommenden Jahren eine leistungsfähige regenerative Wasserstoffproduktion und Wasserstoffwirtschaft in der Metropolregion aufzubauen, um unsere Abhängigkeit vom Import fossiler Brennstoffe zu verringern und den Klimaschutz voranzubringen. 

Meine sehr geehrte Damen und Herren, 

Sie wissen, dass wir im Rahmen unserer Städtepartnerschaft mit St. Petersburg in den vergangenen Jahrzehnten auch über den damaligen eisernen Vorhang im Kalten Krieg hinweg vielfältige zivilgesellschaftliche Beziehungen mit den Menschen in unserer Partnerstadt aufgebaut haben, die uns sehr wichtig sind. 

Aber die schrecklichen Kriegshandlungen Russlands in der Ukraine erfordern eine klare Botschaft. Deshalb haben wir die Vorbereitungen für die im April geplante Deutsche Woche in St. Petersburg beendet, und ich habe meine aus diesem Anlass geplante Reise nach St. Petersburg abgesagt. 

Dabei ist mir ein Anliegen sehr wichtig. Unser Protest richtet sich nicht gegen die Menschen in Russland und schon gar nicht gegen unsere Freunde in St. Petersburg, er richtet sich gegen die aggressive Politik der russischen Regierung. 

Dabei ist es ermutigend zu sehen, in wie vielen russischen Städten – gerade auch in St. Petersburg und Moskau – die Menschen auf die Straße gehen – trotz der Repressionen, die sie fürchten müssen –, dass sie für den Frieden demonstrieren und Präsident Putin auffordern, den Krieg in der Ukraine zu beenden. 

So sehen es auch viele russische Staatsbürgerinnen und -bürger, die bei uns in Hamburg leben und darauf vertrauen können, dass sie hier sicher sind und wir ihnen weiterhin mit Respekt begegnen. Hamburg bleibt eine weltoffene und liberale Stadt!     

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren, 

der Angriff auf die Ukraine ist eine Zäsur von weltpolitischer Bedeutung. 

Er führt uns vor Augen, was vor allem die jüngeren Generationen kaum noch für möglich gehalten haben: Frieden und Sicherheit in Europa sind keine Selbstverständlichkeit. 

Mehr als dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer und der Überwindung der früheren Machtblöcke im Kalten Krieg erleben wir einen Rückfall in den internationalen Beziehungen. 

Militärische Gewalt und ein rücksichtsloser, illegitimer Machtanspruch brechen das Völkerrecht. Das Vorgehen Putins bringt die Ukraine in eine verzweifelte Lage und stellt die demokratische Staatengemeinschaft vor große Aufgaben. 

Den Angriff auf die Ukraine beantworten wir mit Solidarität und Unterstützung, dem Versuch der Spaltung Europas begegnen wir mit Geschlossenheit, der Repression mit dem Bekenntnis zu Freiheit und Selbstbestimmung. 

Wir erkennen in der Krise, welchen Stellenwert die europäische Einigung hat. Die Geschlossenheit und Souveränität der Europäischen Union sind unsere größte Stärke. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern geben wir Präsident Putin eine harte, unmissverständliche Antwort und müssen zugleich die Bereitschaft zum Dialog und zur diplomatischen Deeskalation mit Russland erhalten. 

Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die Verantwortung der Freien Stadt Hamburg, den Menschen in der Ukraine beizustehen und konsequent für das Völkerrecht, für Frieden und Freiheit in Europa einzutreten. 

Vielen Dank.